Protokoll der Sitzung vom 15.03.2012

(Beifall bei den GRÜNEN)

Beim Lobgesang der Ministerin am heutigen Tage habe ich das Thema Inklusion vermisst, weil ihm nicht der ihm zukommende Stellenwert eingeräumt worden ist. Inklusion in Form der Rechte von behinderten Menschen ist ein Paradigmenwechsel in unserer Ge

sellschaft. Die Bayerische Staatsregierung tut hier so, als ginge es sie nichts an. Wir haben parlamentarisch im sozialpolitischen Ausschuss mühsam durchsetzen müssen, dass es einen runden Tisch gibt, der jetzt einen Aktionsplan erarbeitet, der Ende dieses Jahres fertig sein soll. Das war eine schwierige Sache, und auch hier ist der runde Tisch noch am Anfang seiner Arbeit. Ich vermisse, dass die Bayerische Staatsregierung dem Thema den entsprechenden Stellenwert einräumt. Eigentlich müsste die Bayerische Staatsregierung eine Vorreiterrolle einnehmen und den Aktionsplan vorstellen, ausarbeiten und umsetzen.

Ich möchte auf das Hauptthema des kleinen Sozialberichts, den wir jetzt bekommen haben, eingehen, nämlich Menschen mit Migrationshintergrund. Sie wollten uns vorhin, Frau Ministerin, in Ihrer Rede glauben machen, dass Migrantinnen und Migranten in Bayern eine Spitzenposition bei der Förderung einnehmen. Auch in diesem Zusammenhang muss ich bezweifeln, dass Sie den Bericht gelesen haben; denn sonst müssten Sie wissen, dass jeder vierte Mensch mit Migrationshintergrund in Armut lebt, das Armutsrisiko von Menschen mit Migrationshintergrund in Bayern doppelt so hoch ist, 560.000 Menschen mit Migrationshintergrund unterhalb der Armutsgrenze leben und das durchschnittliche Nettoeinkommen 25 % unter dem Einkommen von Menschen ohne Migrationshintergrund liegt. Ich weiß nicht, in welche Richtung Ihre Spitze zeigt, aber nach oben zeigt sie in Bezug auf Menschen mit Migrationshintergrund ganz sicher nicht.

Menschen mit Migrationshintergrund, insbesondere Kinder, auf die es nach den Beteuerungen vieler Vorrednerinnen und Vorredner ankommt, haben auch geringere Teilhabechancen. Bereits in der Kindheit verfestigen sich die Erfolgschancen fürs Leben. Die Betreuungsquote von Kindern unter drei Jahren mit Migrationshintergrund ist mit 12 % halb so hoch wie bei Kindern ohne Migrationshintergrund. Im Bundesvergleich sind wir damit am unteren Ende. Noch schlechter sieht es bei der Altersgruppe der Drei- bis Sechsjährigen aus. Dort werden 74 % der Kinder mit Migrationshintergrund in einem Kindergarten betreut, während 96,8 % der Kinder ohne Migrationshintergrund in entsprechenden Einrichtungen Aufnahme gefunden haben. In diesem Punkt liegen wir im Bundesvergleich an letzter Stelle.

Diese Entwicklung setzt sich dann in der Schule fort. Zwei Drittel der Kinder mit Migrationshintergrund besuchen die Hauptschule, das heißt, sie haben nicht die Möglichkeit bekommen, eine weiterführende Schule zu besuchen. Das liegt wiederum an der mangelnden frühkindlichen Förderung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Schulabbrecherquote von Jungen mit Migrationshintergrund liegt bei 22 % und die von Mädchen bei 17 %. Das soziale Bayern, Frau Ministerin, bemisst sich nach unserer Auffassung an den Teilhabechancen und an der Solidarität gegenüber den Menschen mit Migrationshintergrund. Es ist zynisch zu sagen, wir hätten ein solidarisches und chancenreiches Bayern, wenn Sie sich gleichzeitig die Zahlen ansehen, die Bildung und Einkommensgrenzen von Migranten ausdrücken.

Lassen Sie uns noch andere Bereiche des Sozialberichtes betrachten: In den sieben bayerischen Bezirken gibt es ein massives Nord-Süd-Gefälle. Oberfranken, Unterfranken und die Oberpfalz schrumpfen, während Oberbayern, Teile Schwabens und Niederbayern ein weiteres Wachstum aufzuweisen haben. Es gibt aber auch innerhalb der Bezirke noch ein Stadt-Land-Gefälle. Dabei werden dringend Maßnahmen erforderlich, die eine integrierte Regionalpolitik und die Förderung weicher Standortfaktoren mit einbeziehen. Es kann nicht sein, dass auf dem Lande Schulen und Kindergärten geschlossen werden und damit die Anreize für Familien, sich dort niederzulassen, fehlen. So werden Sie die strukturschwachen Gebiete immer noch weiter schwächen, anstatt sie zu stärken.

Schauen wir uns einmal die Verteilung des Primäreinkommens an. In diesem Zusammenhang zeigt sich deutlich, dass sich die Kluft zwischen Arm und Reich immer mehr erweitert. Während die Einkommen aus Vermögen und unternehmerischer Tätigkeit um 34 % zugenommen haben, hat das real verfügbare Einkommen nur um 3 % zugenommen. Sie sehen, dass die Schere massiv auseinandergeht, und das ist aus meiner Sicht kein chancenreiches Bayern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Besonders bedrückend ist auch die Armut im Alter. Bei Rentnerinnen und Rentnern hat sie von 12,8 auf 13,9 % zugenommen. Das Risiko der Altersarmut ist mit 18 % deutlich höher als bei der restlichen Bevölkerung. Die Zahl der Bezieher von Grundsicherung steigt ebenso. Das Argument, es handle sich um ein Nachkriegsproblem, kann ich nicht gelten lassen, Frau Ministerin. Wenn man nämlich sieht, dass große Teile der Bevölkerung, insbesondere die Alleinerziehenden, wieder arbeitslos sind, nur in prekären Beschäftigungsverhältnissen stehen und kein Rentenvermögen aufbauen können, dann liegt es auf der Hand, dass die Armut der alten Menschen auch künftig nicht behoben werden kann.

Die Armut bei alten Menschen ist überwiegend weiblich. Frauen verdienen 25 % weniger als Männer, Alleinerziehende haben die niedrigsten Einkommen, 40 % der Alleinerziehenden sind armutsgefährdet: Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Frau Ministerin, mit Ihrem Betreuungsgeld sind Sie im Hinblick darauf sogar kontraproduktiv. Wenn Sie nämlich den Frauen, die zu Hause bleiben, das Betreuungsgeld bezahlen, anstatt sie zu befähigen, wieder in den Beruf zurückzukehren, dann werden diese Frauen kein Geld in die Rentenkasse bezahlen können, sondern sie werden im Alter noch ärmer sein. Sie, Frau Ministerin, betreiben hier eine absolut kontraproduktive Politik, eine Politik, die Altersarmut auch noch fördert.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir sind auch ein Land, in dem die Bildungsunterschiede sehr groß sind: Wir haben 37,5 % Hauptschulabgänger. Das sind mehr als im Bundesdurchschnitt. Wir haben aber nur 20,7 % Abiturienten, und das ist deutlich weniger als im Bundesdurchschnitt.

Wir haben eine Gesundheitsarmut; denn zwischen Arm und Reich geht hier eine Schere auf. Auch ein Nord-Süd-Gefälle ist feststellbar. Die Lebenserwartung der unteren sozialen Schichten ist um 4 bis 10 Jahre geringer als bei Menschen mit einem durchschnittlichen Einkommen. Gesundheitliche Beeinträchtigungen von einkommensschwachen Männern sind fünfmal häufiger und bei einkommensschwachen Frauen dreimal häufiger als bei Menschen mit einem durchschnittlichen Einkommen.

All das sind Handlungsaufträge, Frau Ministerin. Das alles sind Punkte, wo es in Bayern noch sehr düster aussieht. All das sind Punkte, die Sie sich hätten ansehen und uns heute sagen müssen, wie Sie diesen Schwachpunkten entgegenwirken wollen. Ich jedenfalls habe davon nichts gehört. Ich weiß nicht, ob Sie überhaupt davon wissen, ob Sie ein Konzept haben, diesen Problemen entgegenzuwirken, und ich weiß auch nicht, wie dieses Konzept aussieht, Frau Ministerin. Die Schwachpunkte liegen auf der Hand, doch Sie tun so, als ob wir hier im Paradies lebten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Auf die Arbeitsmarktpolitik wird meine Kollegin Maria Scharfenberg später noch eingehen. Ich kann als Bilanz Ihrer Regierungserklärung heute nur sagen: Es gibt massiven Handlungsbedarf, es gibt aber keine parlamentarischen Initiativen, bis jetzt zumindest noch nicht.

(Margarete Bause (GRÜNE): Von uns schon!)

- Von uns schon, ich habe aber gerade Herrn Kollegen Unterländer angesehen. Konsequenzen fehlen komplett. Frau Staatsministerin, der Jubel, den Sie heute angestimmt haben, ist völlig unbegründet. Bayern ist, wie zu beweisen war, alles andere als spitze im Bereich des Sozialen.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN und Abge- ordneten der SPD)

Für die FDP hat sich Frau Meyer zu Wort gemeldet. Bitte schön.

Sehr verehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Hintergrund für diese Regierungserklärung ist der Sozialbericht, der Ende des vergangenen Jahres vorgelegt wurde. Ich möchte mich deshalb auf diesen Bericht konzentrieren.

Der Sozialbericht ist ein Instrument, das uns sachlich und ohne Wertung zeigt, wo wir in Bayern stehen. Er ist deshalb für uns Sozialpolitikerinnen und Sozialpolitiker eine Ausgangsbasis, an der wir unser künftiges politisches Handeln ausrichten können. Durch eine kritische und detaillierte Betrachtung lassen sich die Felder aufzeigen, bei denen noch Handlungsbedarf besteht; das ist richtig. In dieser Legislaturperiode, mit dieser schwarz-gelben Koalition - und das möchte ich an dieser Stelle deutlich machen -, hat der Sozialbericht einen neuen, einen wichtigen Stellenwert erhalten. Es gab einen ersten großen Bericht 2010, die Fortschreibung des Berichtes im Jahr 2011, und es wird einen weiteren großen Bericht in dieser Legislaturperiode geben, so wie wir das im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Darauf möchte ich an dieser Stelle bewusst hinweisen. Wir messen dem Sozialbericht eine besondere Bedeutung bei. Er verschwindet nicht in irgendwelchen Schubladen, wie Sie, Frau Kollegin Ackermann, behauptet haben. Der Sozialbericht ist vielmehr Grundlage für das Handeln der Regierung, und er ist Grundlage für unsere politische Arbeit.

(Beifall bei der FDP)

Die Wege, wie die aufgezeigten Problemfelder dieses Berichts zu bekämpfen sind, unterscheiden sich selbstverständlich je nach Art und Couleur unserer politischen Überzeugungen. Die Grundwerte unserer liberalen Politik sind Freiheit und Verantwortung. Der einzelne Bürger braucht so viel Freiheit wie möglich, um sich entfalten und verwirklichen, an der Gesellschaft teilhaben und sich in Situationen der Not zunächst einmal selbst helfen zu können. Die Aufgabe des Staates ist es, so verstehen zumindest wir Liberalen diese Aufgabe, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass ein jeder in einem solchen Leben in

Freiheit und Verantwortung für sich selbst und für die Gesellschaft leben kann.

(Beifall bei der FDP - Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Das steht in der Verfassung aber anders!)

Mit Freude habe ich diese Botschaft auch in der Regierungserklärung der Ministerin gehört. Ich finde es eine großartige Entwicklung, und das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich deutlich machen, dass mit dem designierten Bundespräsidenten, der am Sonntag gewählt werden soll, gerade die Werte Freiheit und Verantwortung als Grundwerte für ein soziales Miteinander unserer Gesellschaft betont und in die gesellschaftliche Diskussion eingebracht werden.

(Beifall bei der FDP - Unruhe bei den GRÜNEN - Prof. (Univ. Lima) Dr. Peter Bauer (FREIE WÄH- LER): Den hätten Sie schon vor zwei Jahren wählen können! Da hat sich nicht viel geändert!)

Vielleicht trägt diese Diskussion dazu bei, dass wir uns von der Fürsorgementalität, die unser Sozialwesen in den letzten Jahren immer mehr geprägt hat, mit unseren politischen Denkansätzen etwas mehr hin zu einer wirklich echten verantwortungsbewussten Teilhabementalität in einem Teilhabestaat entwickeln.

(Beifall bei der FDP)

Zurück zum Sozialbericht und zu Bayern: Es ist nicht meine Art, Lobgesänge mit dem Tenor anzustimmen: Wir hier in Bayern sind immer die Besten, wir sind immer spitze.

(Prof. (Univ. Lima) Dr. Peter Bauer (FREIE WÄH- LER): Sehr gut!)

Aber der Sozialbericht macht eindrucksvoll deutlich, dass in Bayern in vielen Bereichen tatsächlich Spitzenstellungen eingenommen werden, dass wir im Verhältnis zu anderen Bundesländern tatsächlich gut dastehen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, das gilt es auch einmal anzuerkennen. Herr Kollege Pfaffmann, ich möchte Ihnen nicht unterstellen, dass Sie heiße Luft verbreiten, so wie Sie das getan haben, aber wenn Sie hier immer vom sozialen Bayern reden und alles schlechtreden, dann muss ich mich manchmal schon fragen, wo Sie eigentlich leben. In welchem Land sind Sie zu Hause?

(Lebhafter Beifall bei der FDP und der CSU)

Wie negieren Sie die Leistungen aller hier lebenden Bürgerinnen und Bürger, aber auch der Wirtschaftsunternehmen in diesem Land?

(Beifall bei der FDP und der CSU)

Wirft man einen Blick in den Sozialbericht, so kann man erkennen, dass Bayern auf Platz vier hinter Hamburg, Bremen und Hessen mit einem überdurchschnittlichen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von 35.337 Euro sehr gut dasteht. Man muss auch bedenken, dass Hamburg und Bremen reine Stadtstaaten sind, Bayern hingegen ein Flächenstaat mit vielen ländlichen Regionen. In den Jahren 2000 bis 2010 ist das Bruttoinlandsprodukt sogar um 13,6 % gestiegen. Wir haben somit nach Sachsen das stärkste Wirtschaftswachstum aller Bundesländer. Die Zahlen belegen: Bayern ist auf dem Vormarsch.

(Beifall bei der FDP)

Frau Kollegin Ackermann, am Ende meiner Rede bin ich gerne bereit für eine Zwischenbemerkung. So viel, weil ich sehe, dass Sie sich melden wollen.

Entscheidend ist nun die Frage: Kommt dieses Wirtschaftswachstum allen Menschen in Bayern zugute? Haben alle davon profitiert? Auch hier muss man sich die Zahlen anschauen; dafür haben wir den Sozialbericht. Bayern hat in Deutschland mit dem höchsten materiellen Wohlstand auch 2010 zu den stärksten Gewinnern des Wirtschaftsaufschwungs gehört. Das Krisenjahr 2009 hat zu keinem signifikanten Anstieg der Armutsgefährdung geführt, im Gegenteil: Der mittlere Wohlstand hat sogar um 1 % zugenommen. Somit liegt Bayern um 7 % über dem gesamtdeutschen Durchschnitt. Die Armutsgefährdungsquote ist mit 13,7 % eine der niedrigsten in ganz Deutschland. Das sind Zahlen aus dem Bericht.

Interessant ist vor allen Dingen, dass immer mehr jüngere Menschen vom Wohlstand profitieren. Das zeigt, dass unsere jungen Mitbürger gut qualifiziert sind und sich im Arbeitsleben behaupten können. Unterfüttert wird diese Behauptung mit der Arbeitslosenstatistik, nach der gerade einmal 1,7 % der Jugendlichen im Januar dieses Jahres arbeitslos waren. Natürlich ist es unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass auch diese 1,7 % nicht mehr arbeitslos sind. Wenn Sie aber genau hinschauen, was Staatsregierung und Koalitionsfraktionen gemeinsam unternehmen, um auch junge Menschen aus der Arbeitslosigkeit herauszuführen, müssten Sie das auch einmal anerkennen.

(Beifall bei der FDP und Abgeordneten der CSU)

Die Erwerbstätigkeit hat seit der Jahrtausendwende massiv zugenommen und 2010 ihren Höchststand erreicht. Bayern steht mit einer Quote von 73,7 % an der Spitze der Erwerbstätigkeit. Die atypische Beschäftigung bleibt auch weiterhin ein wichtiger Arbeitsmarktbereich. Das ist natürlich eine große Herausforderung und eine große Aufgabe. In den 27 % Teilzeitbeschäftigten, wie wir im Bericht nachlesen

können, verbergen sich sehr viele Schüler und Studenten. Man muss immer darauf schauen, wie solche Zahlen zustande kommen.

Die Quote der Kurzarbeit, die besonders in Krisen immer ein wichtiges Instrument für die Arbeitgeber ist, ist in Bayern gegenüber ihrem Höchststand im Mai 2009 bis Oktober 2010 um nahezu 90 % zurückgegangen. So lag sie im Oktober 2010 in Bayern bei gerade einmal 0,7 %, bundesweit bei 0,8 %.

Der Anteil der Zeitarbeiter an allen Beschäftigten betrug im Jahr 2010 bayernweit lediglich 2 %. Das ist wichtig; denn Zeitarbeit soll und darf keine langfristige Lösung sein. Darin sind wir uns alle einig.

(Beifall bei der FDP und Abgeordneten der CSU)

Die Arbeitslosenquote Bayerns war im Januar 2012 mit 4,2 % neben Baden-Württemberg die niedrigste in ganz Deutschland, und sie geht noch weiter nach unten.