Protokoll der Sitzung vom 29.03.2017

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie gesagt, es gibt unterschiedliche Wirkungen. Hare/Niemeyer bildet wohl am gerechtesten ab; das kann man nicht bezweifeln.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Genau das wollt ihr nicht!)

Dabei kann es bei kleinen Parteien auch dazu kommen, dass der prozentuale Anteil an Sitzen doppelt so hoch ist wie das Wahlergebnis – auch das gibt es –, weil man mit sehr geringen Anteilen den ersten Sitz

erreicht. Das ist bekannt und hat übrigens dazu geführt, dass man in Skandinavien, wo Sainte-Laguë/ Schepers seit vielen Jahren angewendet wird, auch bis zum ersten Sitz schon eine Hürde eingebaut hat, um zu verhindern, dass Kleinstgruppierungen, Klientelgruppierungen oder auch radikale Gruppierungen sehr schnell einen Sitz erhalten. In sehr vielen Entscheidungsgremien wird wohl darüber nachgedacht, wie man es am sinnvollsten macht. Es geht dabei nicht nur, aber sehr wohl in einem wesentlichen Punkt um den Wählerwillen, aber auch um einen Dienst an der Demokratie, um Stabilität der Gremien und auch um eine effiziente Entscheidungskultur. Das ist umso schwieriger, je mehr Gruppierungen es gibt und je kleiner sie sind, wobei ich keiner kleinen Gruppierung etwas wegnehmen will. Jeder hat das Recht zu kandidieren. Die Frage ist nur, ob es sein muss, dass man schon mit sehr geringen Ergebnissen in Gremien und Kommunalparlamente einzieht.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Nehmen Sie nur die Stadt München als Beispiel, wo die Bürgerinitiative "Ausländerstopp", die bekanntermaßen von einem weit rechts orientierten Politiker geführt wird, mit einem minimalen Stimmenanteil einen Sitz erhalten hat. Das ist doch ein unerfreuliches Ergebnis, das Sie wohl auch nicht wollen – wahrscheinlich billigend in Kauf nehmen, wenn auch nicht wollen. Wir überlegen uns halt, ob wir das nicht ändern sollten.

Lassen Sie sich auch gesagt sein, dass Prozenthürden wesentlich stärker wirken. Nehmen wir als Beispiel die jetzige Situation im Deutschen Bundestag. Da haben zwei Parteien, die FDP und die AfD, bei der letzten Wahl mit knapp unter 5 % den Einzug nicht geschafft. Das führt dazu, dass es im Parlament eine rot-rot-grüne Mehrheit gibt, zwar nicht in der Regierung, aber in den Sitzen, die wir sonst nicht hätten, weil die Parteien im linken Spektrum keine Mehrheit der Stimmen erhalten haben. Das heißt, Prozenthürden wirken sich wesentlich gravierender aus. Deshalb ist auch die aus ihrer persönlichen und interessengesteuerten Sicht verständliche Ansicht der FREIEN WÄHLER entstanden, dass es das beim Europaparlament nicht geben sollte. Dort haben sie dank des Wegfalls einen Sitz geschafft. Auch der Versuch der anderen Parteien im Bundestag, wieder eine Dreiprozenthürde zu implementieren, ist verständlich; sie ist aber vor dem Verfassungsgericht gescheitert.

Das heißt, dort, wo die Dinge wirklich hautnah nachvollziehbar sind, versuchen sehr wohl auch die anderen Parteien, zu steuern, zu regulieren und dabei gleichzeitig trotzdem dem Wählerwillen noch einen entsprechenden Ausdruck zu geben. Darum haben auch die Verfassungsgerichte auf Bundes- und Lan

desebene entschieden, dass d’Hondt sehr wohl zulässig ist, weil d’Hondt stabilisierend wirkt und Splittergruppen vermeidet, wenn auch – das muss man zugeben – die größeren Parteien davon einen Vorteil haben. Das ist, wie gesagt, nicht immer die CSU. Natürlich sind wir als stärkste Partei stärker positiv betroffen. Das sind aber je nach Zusammensetzung der kommunalen Parlamente auch andere. In den Stadträten ist davon sehr oft auch die SPD betroffen. Das wissen Sie.

Ich will Ihnen noch etwas sagen. In NRW hat der Landtag mit ganz großer Mehrheit bei Kommunalwahlen eine 2,5-Prozenthürde eingeführt. NRW hat vergleichsweise große Kommunalparlamente. Dort sind auch die Kommunen sehr einwohnerstark. Das führt dazu, dass viele Gruppierungen, die sonst zwei Sitze hätten, keinen einzigen bekommen. Das hat man jetzt ins Wahlgesetz für Kommunalwahlen geschrieben. Man will es jetzt sogar in der Verfassung absichern, damit es kein Verfassungsgericht kippen kann. Das sei Ihnen einmal gesagt. Dort ist der Eingriff in den Wählerwillen deutlich größer, als es in Bayern mit d’Hondt der Fall wäre. Lassen Sie sich das gesagt sein, rechnen Sie es nach. Wir haben es getan. Wir wollen eine solche Prozenthürde nicht. Deswegen haben wir d’Hondt ins Spiel gebracht, weil dieses Verfahren dem Wählerwillen mehr Raum gibt und gleichzeitig doch einer Zersplitterung in gewissem Umfang vorbeugt.

Ein weiteres Beispiel, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und den GRÜNEN, ist der Landtag in Rheinland-Pfalz.

(Natascha Kohnen (SPD): Wir sind in Bayern!)

Haben Sie schon gehört, wie der Landtag von Rheinland-Pfalz die Sitze in den Ausschüssen verteilt? Sie wissen ja: Von Bayern lernen heißt siegen lernen.

(Harry Scheuenstuhl (SPD): Von Nordrhein-Westfalen lernen!)

Das heißt aber nicht, dass wir uns nicht anschauen, was andere machen.

(Zuruf der Abgeordneten Isabell Zacharias (SPD))

In einzelnen Fällen soll es vorkommen, dass auch in anderen Bundesländern sinnvolle Regelungen getroffen werden. Wir wehren uns auch nicht dagegen, einzelne gute Beispiele zu übernehmen. Der Landtag von Rheinland-Pfalz hat erst im vergangenen Jahr mit den Stimmen von SPD, GRÜNEN, FDP und CDU beschlossen, bei der Sitzverteilung in den Ausschüssen wieder d’Hondt einzuführen. Das wird Sie vielleicht

überraschen. Vielleicht haben Sie es nicht gewusst. Ich sage es Ihnen aber jetzt. Erkundigen Sie sich bei Ihren Parteifreunden, ob es stimmt. Sie können auch gerne auf der Homepage des Landtags RheinlandPfalz recherchieren. Es ist so. Es hat natürlich auch seine Gründe, warum es so gemacht wurde. Darum finde ich es nicht in Ordnung, wenn Sie jetzt so tun, als hätte das, was wir vorschlagen, nicht durchaus seine Berechtigung, auch wenn man über die Wirkungen und die politische Bewertung streiten kann.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU – Natascha Kohnen (SPD): Über die Gerechtigkeit! – Harry Scheuenstuhl (SPD): Ein bisschen mehr Schwung beim Beifall!)

Das gestehe ich gerne zu. Zersplitterung trifft alle.

(Beifall bei der CSU)

Sie trifft nicht nur uns. Zersplitterung ist ein Nachteil bei der Willensbildung in den Gremien und bei Entscheidungsfreude und Entscheidungsschnelligkeit.

Lassen Sie mich als letzten Punkt noch Folgendes anführen – damit will ich zum Ende kommen –: Schauen Sie sich einmal an – das steht draußen vor Ort noch viel stärker in der Kritik –, wie die großen Gruppierungen in den Stadträten, in den Gemeinderäten, in den Kreistagen bei der persönlichen Stimmverteilung abschneiden. Dabei werden Sie Folgendes feststellen – ich nehme jetzt einmal die Kreistagswahl in meinem Heimatlandkreis Straubing-Bogen –: Dort hat der erste nicht gewählte CSU-Kreisrat mehr Stimmen bekommen als die meisten Kreisräte aller anderen Parteien, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Das ist also auch eine Folge des Wahlsystems, dass nicht der mit den insgesamt meisten Stimmen gewählt wird, sondern der, der in seiner parteilichen Gruppierung die meisten Stimmen hat, je nachdem, wie viele Sitze die Partei erhalten hat. Auch da könnte man diskutieren, ob das gerecht ist. Das wird vor Ort wesentlich heftiger und intensiver diskutiert, wenn ein Kreistagskollege mit 15.000 Stimmen nicht gewählt ist, während man bei anderen Parteien mit 4.000 bis 5.000 Stimmen in das Gremium hineinkommt. Da frage ich schon, ob dort dem Wählerwillen angemessen Ausdruck gegeben wird. Darüber könnte man sehr wohl diskutieren.

(Lebhafter Beifall bei der CSU)

Daher darf ich Ihnen Folgendes an die Hand geben: Hören Sie sich an, was in der Anhörung gesagt wird. Auch wir sind darauf gespannt. Seien Sie lernbereit. Das würde auch in anderen Politikfeldern nicht schaden, aber hier ist es besonders wichtig; denn es geht hier um die Frage, wie wir Demokratie sinnvoll gestal

ten können. Ich finde nicht, dass sich das so abhandeln lässt, wie Sie es tun, nämlich pauschal mit Argumenten, wie sie vorhin gefallen sind: Machtmissbrauch, ausgedientes Verfahren, Missachtung des Wählerwillens. Diese Argumente stimmen so nicht. Man kann, wie gesagt, über die Dinge streiten, aber man sollte es sachlich tun, und man sollte vor allen Dingen erst die Experten hören, bevor man vorschnelle Schlüsse zieht.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Eine Zwischenbemerkung kommt jetzt vom Herrn Kollegen Scheuenstuhl.

(Vom Redner nicht auto- risiert) Herr Kollege Zellmeier, ich war knapp davor, Ihnen alles zu glauben, aber nur ganz knapp! Ich möchte aber doch erst noch einmal etwas nachfragen. Sie waren doch im Jahr 2010 bei der Abstimmung dabei. Sie waren da doch schon Mitglied des Bayerischen Landtags. Wie ich hörte, geschah das einstimmig.

(Zurufe von der CSU)

Sie widersprechen nicht, dann mache ich jetzt in diesem Sinne weiter. Sie haben also damals zugestimmt. Die Argumente, die Sie jetzt vorbringen, hören wir alle seit ewigen Zeiten, seitdem wir in Kommunalparlamenten sind. Das sind ja viele unter uns. Da sehen Sie doch, dass das nichts Neues ist. Und da frage ich Sie nun, ob Sie in irgendeiner Form belehrt worden sind. Ist etwas über Sie gekommen, beispielsweise ein ganz besonderes Erlebnis? Irgendetwas muss doch gewesen sein.

(Zurufe von der CSU: Oh, oh!)

Sie bringen immer die Zersplitterung vor – Stichwort Statistisches Landesamt! Schauen Sie sich doch einmal an, wie viele kleine Dorfgemeinschaften und Interessengemeinschaften wir in unseren Gemeinderäten haben. In meiner Nachbargemeinde gibt es, glaube ich, sieben Gruppierungen. Wissen Sie, was das Beste am Kommunalparlament ist? – Es ist der Kompromiss, den wir hier im Hohen Hause leider nicht haben. Sie haben hier entweder Zustimmung durch die CSU oder Ablehnung durch die CSU. Nur das zählt. Der Kompromiss, den es auf kommunaler Ebene gibt, ist der größte Schatz, den wir haben. Den dürfen wir nicht durch eine Übermacht der CSU zerstören. Dazu stehe ich, und das vertrete ich.

(Beifall bei der SPD)

Dann haben Sie auch noch Nordrhein-Westfalen ins Gespräch gebracht. Wir als bayerische Sozialdemokraten haben da unsere eigene Meinung, und die vertreten wir auch.

(Zurufe von der CSU: Oh, oh!)

Wir sind nicht abhängig von irgendjemand, wir sind Manns und "Fraus" genug, unsere eigene Meinung zu vertreten.

Über Ihre letzte Äußerung bin ich sehr erschrocken. Sie sagten, der Letzte, der bei Ihrer Partei nicht nachrückt, habe mehr Stimmen als vielleicht der Erste bei einer kleinen Gruppierung.

(Josef Zellmeier (CSU): Deutlich mehr!)

Sie gehen an das Fundament unserer Demokratie. Das wollte ich Ihnen sagen. Überlegen Sie sich, was Sie sagen.

(Unruhe – Lebhafte Zurufe von der CSU)

Dieses Argument habe ich auch selbst schon gehört, und zum Glück habe ich dann mehr Stimmen gehabt als die Kollegen von der CSU.

Herr Kollege, darf ich Sie daran erinnern, dass Ihre zwei Minuten vorbei sind.

(Vom Redner nicht auto- risiert) Entschuldigung, Frau Präsidentin.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Zellmeier, bitte.

Herr Kollege Scheuenstuhl, ich will kurz auf Ihre Vorhaltungen eingehen. Es ist richtig, wir haben das zwar einstimmig geändert, aber wir haben daraus gelernt. Die Zersplitterung hat sich deutlich erhöht; das können Sie feststellen, wenn Sie es analysieren. Es ist nachvollziehbar und nicht erfunden. Das heißt, hier sprechen die Fakten andere Worte.

Im Übrigen hatten wir damals, wie Sie wissen, eine Koalition mit der FDP. Es war deren eindringlicher Wunsch, dies auszuprobieren. Die Probe ist gescheitert.

(Harry Scheuenstuhl (SPD): Wenn Sie das mit den FREIEN WÄHLERN verbinden, dann mach ich mit bei Hare/Niemeyer!)

Wir wollen uns dieses Schicksal ersparen, und die bayerischen Wähler sind auch sicherlich klug genug, richtig zu wählen. Im Übrigen sind Mehrheiten nicht Gott gegeben bzw. gestohlen, sondern sie sind vom Wähler gegeben. Das ist auch sinnvoll. Bayern hat von der absoluten Mehrheit der CSU extrem profitiert. Ich will nicht abschweifen, aber Sie wissen doch auch, dass Bayern von einem der rückständigsten Länder zu einem der stärksten der Welt aufgestiegen ist.

Dass Sie nicht die SPD in NRW sind, wissen wir. Dass Sie hoffentlich miteinander reden, davon gehen wir allerdings aus. Fragen Sie doch mal Ihre Kollegen dort, warum die trotz verfassungsrechtlicher Problematik eine Hürde eingeführt haben. Sie wissen doch, dass sich Verfassungsgerichte gegen Hürden bei Kommunalparlamenten ausgesprochen haben, wenn Oberbürgermeister oder Landräte direkt gewählt werden.