Protokoll der Sitzung vom 29.03.2017

Ich wünsche mir von allen Fraktionen in diesem Hohen Haus, dass es endlich eine echte Kindergrundsicherung gibt. Diese soll übrigens einkommensabhängig sein. Es würde also nicht so sein, dass jeder das Gleiche davon hätte.

Frau Kollegin, beachten Sie bitte die Uhr.

Ich wünsche mir diesen mutigen Schritt; denn nur diese Reform kann helfen, nur dadurch können wir endlich etwas gegen Kinderarmut tun. – Vielen Dank.

(Beifall des Abgeordneten Herbert Woerlein (SPD))

Danke schön. – Nächster Redner ist Herr Kollege Pfaffmann.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich noch einmal gemeldet, um zu antworten.

Liebe Frau Kollegin Schreyer, Sie haben die Transferleistungen und die sonstigen Segnungen für die Kinder dargestellt. Kein Mensch will Ihrer Aussage widersprechen – auch wir nicht –, dass es bereits gute, wichtige Maßnahmen gibt, um Familien zu unterstützen. Leider stelle ich fest, liebe Frau Kollegin: All diese Maßnahmen haben nicht dazu geführt, dass die armen Kinder unter 18 Jahren – laut dem von Ihrem Haus herausgegebenen Sozialbericht liegt deren Anteil übrigens bei 15 % – mittlerweile bessergestellt wären. Es gab insoweit keine Verbesserung in den letzten Jahren. Im Gegenteil, wir verzeichnen eine steigende Tendenz in Richtung Armut von Kindern. Das ist Ergebnis Ihrer Politik.

(Beifall bei der SPD)

Sie sollten diese Politik daher nicht loben, sondern stattdessen in sich gehen und überlegen, ob sie tatsächlich effektiv ist.

Ich darf Sie – im Gegensatz zu der von Ihnen betriebenen Lobpreisung Ihrer Politik – daran erinnern, dass Sie so "schöne" Maßnahmen vorhatten wie die Einführung eines Büchergeldes, das Familien massiv belastet hätte. Es ist eine Zeit lang her, aber man muss es immer wieder erwähnen: Sie wollten mit dem Büchergeld Familien stärker belasten. Gott sei Dank haben Sie sich damit nicht durchsetzen können.

Sie lehnen den kostenfreien Kindergarten ab. Sie lehnen die Gebührenfreiheit für Horte ab. Sie lehnen es ab, dass es ein kostenloses Mittagessen gibt. Sie lehnen echte Lernmittelfreiheit ab. Gehen Sie etwa davon aus, mit der Ablehnung all dieser Maßnahmen könnten Sie Familien entlasten und Kinderarmut verhindern? Ich gehe nicht davon aus, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD)

Ich sage es noch einmal – damit wende ich mich insbesondere an Sie, liebe Frau Gottstein –: Auch wir wollen Bewährtes nicht einfach wegwischen. Aber mit Ihrer Wortmeldung helfen Sie der CSU. Sie helfen mit, dass es bei Leistungen bleibt, die nichts gebracht haben. Im Gegenteil, wir verzeichnen eine steigende Tendenz der Kinderarmut; sie verfestigt sich. Mit Ihrer Haltung tragen Sie nicht zu einer Verbesserung, das heißt zu einer Reduzierung der Kinderarmut bei.

Frau Kollegin Rauscher hat erwähnt, was die Experten sagen. Demnach könnte mit der Kindergrundsicherung die Quote der Kinderarmut auf 3 % reduziert werden. Das wären sehr viel weniger arme Kinder in unserem Land. Aber das lehnen Sie bis heute ab. Wir werden die weitere Entwicklung sehr genau beobachten.

Ein Letztes. Sie reden immer von Ihrem Betreuungsgeld, sagen aber nicht, dass es mit den Hartz-IV-Sätzen verrechnet wird. Im Gegensatz dazu wäre die Kindergrundsicherung ein individuelles Recht der Kinder und würde nicht angerechnet werden.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen bedarf es der Kindergrundsicherung. Sie wäre eine mit einem Rechtsanspruch versehene Leistung für Kinder.

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.

Auf all die Leistungen, die Sie, Frau Schreyer, hier erwähnt haben, haben die Kinder keinen unbedingten Anspruch. Deswegen ist die Kindergrundsicherung die bessere Alternative. – Danke.

Danke schön. – Nächste Rednerin ist Frau Staatsministerin Müller.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Idee einer allgemeinen Kindergrundsicherung für jedes Kind ist nicht neu.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Das hat auch keiner behauptet!)

Wir haben das hier im Landtag schon x-mal diskutiert. Es ist heute nicht das erste Mal. Ich möchte meiner Fraktionskollegin Schreyer zustimmen: Die Vorstellung, mit einer allgemeinen Kindergrundsicherung Kinderarmut zu reduzieren, ist ein Trugschluss in mehrfacher Hinsicht. Kinderarmut ist Familienarmut. Kinderarmut kann nicht losgelöst von den Eltern bekämpft werden;

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Das will auch keiner! Wer will das denn?)

denn die finanzielle Lage der Kinder ist Folge der finanziellen Lage der Eltern. Daran ändert sich auch mit einer allgemeinen Kindergrundsicherung nichts.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Doch!)

Kinder sind nicht in der Lage, eigenverantwortlich das Geld für ihren Lebensunterhalt zu verwalten. Das ist und bleibt Teil der Elternverantwortung. Verantwortung für Kinder bedeutet auch finanzielle Verantwortung. Kinder von arbeitslosen Eltern leben auch mit einer Kindergrundsicherung weiterhin in einem HartzIV-Haushalt. Der erfolgreiche Weg aus Hartz IV in ein eigenverantwortliches Leben ist ein anderer. Er führt über Menschen, allen voran die Eltern, die sich kümmern, die ihr Kind fördern, anregen und stärken. Dazu müssen wir Eltern befähigen; denn wir wissen alle: Kinderarmut ist nicht nur finanzielle Armut, und Kinderarmut hat viele Facetten. Sie zeigt sich zum Beispiel in der Gefahr geringerer Bildungsteilhabe – das wurde mehrfach angesprochen – oder in der Gefahr schwierigerer Zugänge zu kultureller und gesellschaftlicher Teilhabe. Ich möchte betonen, dass zum Beispiel Leistungen für Bildung und Teilhabe anders berücksichtigt werden: Schul- und Kita-Ausflüge, persönlicher Schulbedarf, angemessene Lernförderung für Schüler, Mittagessen in Kitas und Schulen, Zugang zu Vereinen, zu Sport, Spiel und Kultur und Ferienfreizeit. Es liegt deshalb auf der Hand: Kinderarmut kann nicht einfach nur durch Geld bekämpft werden. Hier sind vielfältige Strategien gefordert, von der Investition in Bildung, beginnend mit der frühkindlichen Bildung über Gesundheitsprävention, bis hin zu aktivierender Arbeitsmarktpolitik. Kein Kind darf verlorengehen. Das ist mir als Sozialministerin ein ganz wichtiges Anliegen.

(Beifall bei der CSU – Zuruf von der SPD)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie fordern einen fixen Betrag von 573 Euro für jedes Kind. Sie sagen aber nicht, was die Leistung kostet und wie sie finanziert werden soll. Dazu schweigt sich der Antrag aus. Wir reden hier nämlich über einen höheren zweistelligen Milliardenbetrag. Die renommierte Hans-Böckler-Stiftung redet von 35 Milliarden Euro.

(Florian von Brunn (SPD): Hört, hört! Die HansBöckler-Stiftung wird zitiert!)

Höhere Leistungen und Leistungsausgaben bedeuten höhere Steuersätze. Höhere Steuersätze zahlen natürlich auch die Familien selbst; denn sie sind jeden Tag dabei, Steuern zu zahlen, zum Beispiel die Mehrwertsteuer.

(Florian von Brunn (SPD): Wir denken eher an die Vermögensteuer!)

Ich kann nur sagen: Das geforderte Modell hat für viele Familien mit realen Verbesserungen nichts zu tun. Im Gegenteil: Das Geld, das Sie zusätzlich verteilen wollen, fehlt Bund, Ländern und Gemeinden dann an anderen Stellen: für Elternbildung, für gute Kinderbetreuung und nicht zuletzt für gezielte finanzielle Leistungen in besonderen familiären Lebenslagen, zum Beispiel für die Alleinerziehenden. Bayern leistet, was die finanzielle Unterstützung von Familien betrifft, mehr als alle anderen Länder. Bayern unterstützt seine Familien in den ersten Lebensjahren eines Kindes mit dem Betreuungsgeld, auch wenn Ihnen das nicht gefällt,

(Dr. Simone Strohmayr (SPD): 150 Euro! Davon kann keine Alleinerziehende leben!)

und dem Landeserziehungsgeld. Das Landeserziehungsgeld stärkt gerade Familien mit geringerem Einkommen, etwa Alleinerziehende und kinderreiche Familien. Die Kollegin Gottstein hat auch darauf hingewiesen. Ziel muss es sein, die Familien, die Hartz IV beziehen, zu aktivieren und aus der Armut herauszuführen, nicht, Armut zu subventionieren. Wir wollen noch mehr Familien mit Kindern aus dem Sozialgeldbezug herausholen. Dazu wollen wir den ganzheitlichen Ansatz, das Coaching eines langzeitarbeitslosen Elternteils und die Betreuung der ganzen Familie stärken;

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Wahnsinn! – Margit Wild (SPD): Schöne Worte!)

denn unsere Modellprojekte "Perspektiven für Familien" in Nürnberg und "TANDEM" in Fürth haben gezeigt, dass das der richtige Weg ist, um Familien zu helfen. All das sind gezielte Leistungen, die viel dazu beitragen, unseren Kindern einen guten Start in das Kinderleben zu ermöglichen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser heutiges System der Familien- und Sozialtransfers hat sich bewährt.

(Margit Wild (SPD): Offensichtlich nicht! Die Zahlen sprechen eine andere Sprache! – Dr. Simone Strohmayr (SPD): Es hat sich bewährt, dass 140.000 Kinder in Armut leben? – Weitere Zurufe – Glocke der Präsidentin)

Viele Leistungen tragen regionalen Besonderheiten oder einer spezifischen familiären Lage Rechnung. All das würde mit einem einheitlichen Leistungsbetrag pro Kind nivelliert. Wir haben regional unterschiedliche Situationen. Es ist ein Unterschied, ob man in

München wohnt oder im ländlichen Raum. Das muss man ebenfalls berücksichtigen. Unser heutiges System ist höchst wirksam;

(Dr. Simone Strohmayr (SPD): Offensichtlich nicht!)

denn die Armutsgefährdung bei minderjährigen Kindern wird in Deutschland dadurch um mehr als die Hälfte reduziert. Eurostat liefert die konkreten Zahlen. Im Jahr 2015 lag die Armutsgefährdung vor Sozialleistung bei 31,3 %, nach Sozialleistungen bei 14,6 %. Daran kann man erkennen, dass sich hier etliches tut. Um allen Kindern gute Chancen zu bieten, müssen wir die Familie als Ganzes in den Blick nehmen und im Blick behalten und Leistungen zielgenau ausrichten. Eine isolierte Kindergrundsicherung, die alle Kinder über einen Kamm schert,

(Margit Wild (SPD): Das tut sie doch gar nicht!)

ist dafür der falsche Weg. Deshalb empfehle ich, den Antrag abzulehnen.

(Beifall bei der CSU)

Danke schön. Bitte verbleiben Sie am Rednerpult. Wir haben noch zwei Zwischenbemerkungen, zunächst der Kollege Pfaffmann.

Liebe Frau Staatsministerin, mit Verlaub und bei allem Respekt: So viele Phrasen wie gerade in Ihrer Rede habe ich schon lange nicht mehr gehört.

(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CSU)

Ich will Ihnen Folgendes sagen: Sie sagen, wir müssen Kinder fördern und fordern. Jawohl, da haben Sie recht. Aber wenn sich Eltern die Nachhilfe nicht mehr leisten können, wird es mit dem Fördern und Fordern schwierig. Deswegen ist das Einkommen ein entscheidender Faktor. Da können Sie nicht drum herumreden mit irgendwelchen Förderungen und Fordern. Das ist ja alles recht; aber wenn die Kasse nicht stimmt, werden Eltern die Nachhilfe nicht mehr bezahlen können.

(Zuruf von der CSU)