Protokoll der Sitzung vom 25.04.2017

Das von der SPD in Auftrag gegebene Gutachten be legt doch deutlich, dass die Elternrechte durch die Entscheidung beschnitten werden. Die Elternrechte sind in Artikel 6 des Grundgesetzes und in Artikel 126 der Bayerischen Verfassung verankert. Hier stellt sich die Frage, ob der Staat das Recht dazu hat, die El ternrechte zu beschneiden. Artikel 7 des Grundgeset zes gibt dem Staat die schulorganisatorische Möglich keit dazu.

Nach dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe muss dieses Verfahren objektiv sein, eine subjektive Beurteilung muss ausgeschlossen werden. Aus ver schiedenen Studien wie der IGLUStudie ist bekannt, dass gerade die soziale Herkunft eine wichtige Rolle spielt. Wir wissen auch, dass die Noten nicht objektiv sind. Das habe ich vorhin bereits gesagt. Kinder aus bildungsnahen Familien haben eine höhere Chance, eine weiterführende Schule zu besuchen. Wir müssen

den Finger in die Wunde legen. Es gibt Handlungsbe darf.

Was ist die Konsequenz? – Die Konsequenz ist ganz klar. So haben die meisten Bundesländer in Deutsch land die verbindliche Übertrittsempfehlung abge schafft und durch eine unverbindliche Grundschu lempfehlung ersetzt. Wir in Bayern haben das noch nicht getan. Wir halten konsequent an der notenba sierten Übertrittsempfehlung fest. Das ist aus Sicht der SPD falsch. Aus diesem Grund haben wir den Ge setzentwurf vorgelegt. Mit diesem soll klar geregelt werden, wie es besser gemacht werden kann. Die Re gelung, wonach letztendlich der Elternwille entschei det, hat zwei wichtige Komponenten, die wir in Arti kel 7 und in Artikel 44 verankern wollen. Einerseits sollen die Lehrkräfte der Grundschulen eine Empfeh lung abgeben, die die gesamte Persönlichkeit des Kindes berücksichtigt und nicht nur auf wenigen Noten basiert. Außerdem soll ein professionelles Be ratungsangebot, nicht nur der Lehrkräfte der Grund schulen, sondern auch der Beratungslehrkräfte der abgebenden und der aufnehmenden Schulen, einge richtet werden. Dies alles würde dazu beitragen, den Blick wieder mehr auf das Kind und weniger auf die Noten zu richten. Somit kann eine vernünftige Ent scheidungsgrundlage geschaffen werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der CSU, Sie werden jetzt gleich sagen: Aber das ändert ja nichts an den sozialen Disparitäten. Diese Feststellung ist grund sätzlich richtig. Aber das momentan gängige Verfah ren berücksichtigt die sozialen Disparitäten ebenso wenig. Das allein ist bereits ein Grund, das Verfahren in Zweifel zu ziehen. Das habe ich vorhin schon ge sagt. Bitte kommen Sie auch nicht mit der Behaup tung, wie das Kultusministerium gegenüber den Medi en, dass eine verfassungsmäßige Überprüfung des Verfahrens bereits stattgefunden hätte. Der Baye rische Verfassungsgerichtshof hat nicht das überprüft, was ich gerade gesagt habe: Artikel 6 ist noch nicht gegen Artikel 7 abgewogen worden. Diese Überprü fung steht noch aus. Bis jetzt kann nicht ausgeschlos sen werden, dass sich der Bayerische Verfassungs gerichtshof unserer Ansicht anschließen wird. Zusammengefasst kann gesagt werden: Es ist jetzt an der Zeit, in aller Ruhe darüber zu sprechen, wie die ses Übertrittsverfahren anders und besser gestaltet werden kann.

Ich möchte zum Schluss noch zwei Zitate anführen. Als Reaktion auf die Medienberichterstattung von ges tern und heute hat mir eine Familie Folgendes ge schrieben:

Sie sprechen mir und vielen anderen Eltern von Viertklässlern aus dem Herzen. Die Entschei

dung, welche weiterführende Schule ein Kind im neuen Schuljahr besuchen darf, obliegt dem Leh rer. Ich finde es traurig, dass meine Tochter, die vielfältige Talente besitzt, nach einem Notensys tem beurteilt wird. Die Basis für das Übertritts zeugnis, das sogenannte Grundschulabitur, bil den von der Tagesform des Schülers abhängige Zensuren. Wann wird endlich auch in Bayern der Elternwille in das Übertrittsverfahren einbezo gen? Warum werden Kinder nur auf das redu ziert, was sie in sehr subjektiven Tests in der vier ten Klasse leisten?

Ich möchte mit einer Aussage eines Grundschulrek tors auf die Frage, ob das Übertrittsverfahren geän dert werden soll oder nicht, schließen. In der "Passau er Neuen Presse" heißt es:

"Das Schulsystem ist an diesem Punkt krank"

"Eigentlich ist der LehrplanPlus toll", sagt Kaiser. Er sehe vor, dass die Kinder kreativ gefördert werden, sich individuell entwickeln können. Doch die Lernzielkontrollen, die in den vergangenen Jahren immer mehr geworden seien, passten dazu überhaupt nicht. Sie verhinderten eine ent spannte Lernatmosphäre, setzten die Kinder unter Druck, gerade in der vierten Klasse vor dem Übertritt.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns in die Beratung einsteigen und ohne Schaum vor dem Mund überlegen, wie wir pädagogisch eine bessere Lösung hinbekommen.

(Anhaltender Beifall bei der SPD)

Danke schön, Herr Kollege Güll. – Die nächste Rednerin ist die Kol legin Trautner. Bitte schön.

Sehr geehrte Frau Präsi dentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Kalender jahr hat einige Konstanten. Es beginnt immer mit dem ersten Januar und in der Regel folgt auf den Frühling der Sommer.

(Markus Rinderspacher (SPD): Das ist gut!)

Eine Konstante im Parlamentsjahr ist, dass einmal im Jahr von der SPD das Verfahren des Übertritts von der Grundschule auf die weiterführenden Schulen und die Freigabe des Elternwillens thematisiert werden.

(Markus Rinderspacher (SPD): So war es beim G 9 auch!)

Dafür braucht es keine neuen Erkenntnisse oder Ge sichtspunkte. Darauf kann man sich einfach verlas sen. Mit Verlaub, das erinnert schon ein bisschen an die Geschichte des armen Sisyphus.

(Markus Rinderspacher (SPD): Da wollt ihr dran bleiben!)

Aber das ist eigentlich ganz schön, dann kann ich nämlich wieder erklären, warum der Vorschlag nicht sinnvoll ist und warum wir ihn ablehnen. Das pädago gische Mittel der Wiederholung wirkt vielleicht auch bei diesem Thema.

Sie begründen Ihren Vorstoß wieder damit, dass Kin der in der dritten und vierten Klasse erhöhte Stress werte aufweisen. Diese führen Sie auf den Druck durch den Übertritt auf weiterführende Schulen zu rück. Wenn es nach Ihnen geht, sollen an die Stelle der bisherigen, verbindlichen Übertrittsempfehlung, basierend auf dem Notendurchschnitt in den Fächern Deutsch, Mathematik und HSU, künftig zum Schul halbjahr der vierten Grundschulklasse eine ausführli che Grundschulempfehlung und eine ausführliche Be ratung treten. Die Eltern treffen letztendlich die Entscheidung, und zwar unabhängig davon, was die Empfehlung aussagt. Damit suggerieren Sie, dass die bisherige Empfehlung auf einem isolierten Notensys tem beruht. Das ist jedoch überhaupt nicht der Fall.

(Beifall bei der CSU)

Natürlich sollen Schülerinnen und Schüler vor unnöti gem Stress geschützt werden. Ihr vorgeschlagener Weg ist dafür aber denkbar ungeeignet. Der Übertritt von der Grundschule auf weiterführende Schularten erfolgt im Freistaat auf der Basis unterschiedlicher Elemente. Diese werden in eine ausgewogene Balan ce gebracht. In Bayern gibt es das Übertrittszeugnis mit der Schullaufbahnempfehlung.

(Thomas Gehring (GRÜNE): Und was ist mit denen, die das nicht schaffen?)

Es gibt die Möglichkeit des Probeunterrichts an der aufnehmenden Schulart. Außerdem berücksichtigen wir den Elternwillen. Zahlreich stattfindende Einzelbe ratungen und Informationsveranstaltungen zu den je weils angebotenen Bildungswegen bzw. den jeweili gen Schulprofilen und Schwerpunkten sind selbstverständlich. Jetzt kommt ein von der SPD be auftragtes Gutachten ins Spiel, das belegen soll, dass unser System verfassungswidrig ist und gegen die El terngrundrechte verstößt. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass der Bayerische Verfassungsgerichts hof erst 2014 das Übertrittsverfahren eindeutig für verfassungskonform erklärt hat.

(Beifall bei der CSU)

Die in Bayern praktizierte Differenzierung in unter schiedliche Bildungsgänge nach der Jahrgangsstufe 4 ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Kinder möglichst begabungsgerecht gefördert werden kön nen. Dem in Artikel 128 der Bayerischen Verfassung verankerten Anspruch jedes Einzelnen auf eine sei nen erkennbaren Fähigkeiten angepasste Ausbildung kann so am besten entsprochen werden. Das wird im Übrigen auch so umgesetzt. Das wollen Sie anschei nend aber nicht einsehen.

Übrigens sagt auch die Studie, mit der Sie Ihr Anlie gen immer wieder begründen, klipp und klar: Es sind oft auch die überfordernden Eltern, die durch unrealis tische Erwartungen an ihre Kinder den Stress eklatant erhöhen.

Unsere Grundschullehrer leisten hervorragende Ar beit, und bei Vergleichen liegt Bayern stets auf den Spitzenplätzen. Die Qualität eines differenzierten Schulsystems manifestiert sich gerade an den Schnittstellen zwischen den Schularten.

(Thomas Gehring (GRÜNE): Und die Schwä chen!)

Der bayerische Ministerrat hat deshalb zur Verbesse rung der Talentausschöpfung und der Chancenge rechtigkeit bereits 2009 eine kind und begabungsge rechte Weiterentwicklung des Übertrittsverfahrens von der Grundschule auf die weiterführenden Schulen be schlossen. Kinder und ihre Eltern erfahren so weitere Unterstützung durch die Stärkung der Beratung und der Elternverantwortung bei der Übertrittsentschei dung. Dazu zählen auch Maßnahmen zur Entlastung in der Jahrgangsstufe 4 und die verstärkte individuelle Förderung, um die Potenziale jedes Kindes bestmög lich zur Entfaltung zu bringen und damit auch die Durchlässigkeit zwischen den Schularten zu erhöhen.

Natürlich ist die Beratung durch die Grundschullehr kraft sehr wichtig. Schließlich kann diese am besten beurteilen und einschätzen, wie das Kind den steigen den Anforderungen in der weiterführenden Schule ge recht werden kann, gerade im wichtigen Vergleich mit den anderen Kindern in der Klasse. Diese verantwor tungsvolle Aufgabe wird im Übrigen von hervorragend ausgebildeten Grundschullehrern für jeden einzelnen Fall kompetent, mit größter Sorgfalt und verantwor tungsbewusst wahrgenommen.

(Beifall bei der CSU)

Wir sind der Überzeugung, dass natürlich auch die Notengebung entscheidend ist, um die Leistungsfä higkeit eines Schülers im Hinblick auf den Übertritt auf

eine weiterführende Schule bestmöglich bewerten zu können. Machen wir uns doch nichts vor: Auch dort wird es von Anfang an darum gehen, sich zu behaup ten und nachprüfbare Leistungen zu erbringen. Wir können unsere Kinder nicht in Watte packen; schließ lich müssen sie sich in unserer Welt zurechtfinden.

(Beifall bei der CSU)

Jegliche Leistungsorientierung zu entfernen, halte ich deshalb für unangebracht und kontraproduktiv.

(Thomas Gehring (GRÜNE): Das hat niemand gesagt! Das sagt kein Mensch!)

Außerdem wollen wir, dass Kinder die für sie richtige Schullaufbahn einschlagen. Was haben wir davon und, vor allem, was haben unsere Kinder davon, wenn Eltern, auch wenn sie es noch so gut mit ihrem Kind meinen, die falsche Entscheidung treffen? – Ich kann es Ihnen sagen: Stress, Frust und Enttäu schung. Das erhalten wir als Resultat. Oder wollen Sie in der Folge einfach die Ansprüche und das Ni veau absenken? – Nicht mit uns!

(Beifall bei der CSU)

Das Bemühen, Stressbelastungen für Schülerinnen und Schüler in Grundschulen zu vermeiden, ist kei neswegs neu, schließlich wurden bereits konkrete Maßnahmen getroffen. Das Übertrittsverfahren selbst wird von 80 % der Eltern und von 70 % der Lehrkräfte positiv bewertet.

(Thomas Gehring (GRÜNE): Stimmt nicht!)

Dem Druck, der von den Eltern auf ihre Kinder ausge übt wird, können wir nur durch frühzeitige Information und sachliche Beratung begegnen. Wir dürfen ange sichts der Ansprüche und Ängste der Eltern nicht müde werden, auf die Vorteile der Durchlässigkeit un seres bayerischen Schulsystems und auf die vielfäl tigsten Möglichkeiten hinzuweisen, die jedem Talent gegeben werden. Auch Sie kennen die Zahl, und ich wiederhole sie gerne: Weit über 40 % der Hochschul zugangsberechtigungen werden über andere Wege erworben als über das Abitur. Ein schönes Beispiel für die Durchlässigkeit!

(Beifall bei der CSU)

Datenerhebungen zum Verbleib der übergetretenen Schülerinnen und Schüler am Ende der Jahrgangs stufe 5 sind durchaus interessant und zeigen bei spielsweise für das Schuljahr 2014/15 – das ist die aktuellste Datenlage –, dass nur 0,8 % der Kinder mit Gymnasialeignung die Jahrgangsstufe wiederholen. Von den Schülern mit zweimal der Note 4, die also

aufgrund des Elternwillens auf diese Schule gegan gen sind, sind es jedoch 10,3 %, die wiederholen, und 15,4 %, die das Gymnasium wieder verlassen.

(Thomas Gehring (GRÜNE): Ganz wenige!)

Das belegt sehr wohl die Validität der Grundschulgut achten.

Alles in allem: Das Übertrittsverfahren in Bayern ist verfassungskonform, leistungsgerecht und in unseren Augen pädagogisch sinnvoll, damit der richtige Weg. Der vorgelegte Gesetzentwurf ist daher abzulehnen.