Doch; es sind schon noch ein paar mehr da. Auch die Zuschauertribüne ist besetzt. Insofern freue ich mich, dass wir uns heute etwas länger über die Hoch schulpolitik unterhalten können. Das gelingt ja nicht immer.
Wir haben eine Interpellation zum Thema "Studie ren 2020" und haben als FREIE WÄHLER zu diesem Thema 154 Fragen gestellt, wenn ich die Zahl richtig im Kopf habe – vielleicht sind es ein paar Fragen mehr. Jedenfalls haben wir 206 Seiten mit Antworten bekommen, auf die ich jetzt im Einzelnen nicht detail liert eingehen möchte. Ich möchte aber an dieser Stel le nicht verabsäumen, mich beim Ministerium und bei den Mitarbeitern des Ministeriums zu bedanken. Ich weiß: Natürlich ist es eine Heidenarbeit, so viele Fra gen zu beantworten. Ich hoffe aber, dass das eine oder andere vielleicht auch der Selbstvergewisserung gedient oder auch zu neuem Nachdenken angeregt hat. Jedenfalls vielen Dank dafür.
Der aktuelle Bezug ist, glaube ich, doch gegeben. Wir hatten am letzten Wochenende einen March for Science, etwas, das nicht häufig passiert. Es ist neu, dass Wissenschaftler auf die Straße gehen, dass sich international mehrere Tausend Menschen über die Bedingungen an den Hochschulen, aber auch in der
Politik beklagen. Große Schlagworte sind: alternative Fakten, Populisten, Wissenschaftsfeinde. Man könnte einige nennen, die inzwischen vieles infrage stellen, was auch die Wissenschaft bewegt und was sie in den letzten Jahren vorangebracht hat.
Ein zweiter Punkt, mindestens genauso besorgniser regend, aber vielleicht sogar am Thema näher dran, betrifft das, was Viktor Orbán in den letzten Wochen in Bezug auf die Hochschulpolitik seines Landes ge macht hat. Ich kann ganz klar sagen: Mit der Hoch schulpolitik, die Viktor Orbán im Moment in Ungarn betreibt, ist dort die Freiheit der Wissenschaft bedroht. Ich will an dieser Stelle gerade auch an die Kollegen der CSU schon die Frage richten, wie lange man noch in einer gemeinsamen Fraktion im Europäischen Par lament sitzen möchte, nämlich in der EVPFraktion, wenn von Herrn Orbán Werte negiert werden, für die auch die Europäische Union an vorderster Stelle steht. Wenn eine internationale Universität wie die Central European University in Ungarn nicht mehr funktionieren kann, wenn sie verboten werden soll, dann ist das nicht nur ein Alarmzeichen, sondern dann ist das aus meiner Sicht auch spätestens der Schuss, der reichen müsste, um zu sagen: Das war’s mit einer gemeinsamen Fraktion im Europäischen Parlament, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Insofern gibt es eine ganze Reihe von Gründen, warum man über Hochschulpolitik im Allgemeinen und auch über Hochschulpolitik in Bayern sprechen kann.
Das ist auch mein dritter Punkt. Ich glaube, dass es in Bayern in der Hochschulpolitik eine ganze Reihe von Defiziten gibt, dass sie teilweise, zumindest hinsicht lich der politischen Aufmerksamkeit, in die Nische ge raten ist. Das lag zum einen schon daran, dass es kein eigenständiges Wissenschaftsministerium mehr gibt, seit 2013 das Schul und das Wissenschaftsmi nisterium zusammengelegt worden sind. Allein die Verwaltung richtig zusammenzuführen, hat ein Jahr gedauert.
In den letzten Jahren merkt und sieht man auch häu fig und deutlich, worum sich der Minister intensiv küm mert. Ich freue mich selbstverständlich über die An wesenheit beider Staatssekretäre des Hauses. Ich will das überhaupt nicht kleinreden, sondern ich freue mich, dass Kollege Sibler und Herr Eisenreich da sind. Man merkt, dass Schulthemen in den letzten Jahren deutlich Vorrang hatten. Ich nenne die Debatte zum G 8/G 9 und auch das Thema Konzertsaal, die Schulung von Flüchtlingen und vieles mehr. Dies mag auch daran liegen, dass die CSU und die Staatsregie
rung gerade bei den Themen Schule und Konzertsaal sehr lange geschlafen haben und deshalb nicht zu an deren Themen gekommen, sondern an diesen The men hängen geblieben sind.
Es ist bezeichnend, dass man sich mit einem Thema wie der Hochschule wesentlich weniger beschäftigt hat, als das in der letzten Legislatur der Fall gewesen ist. Man kann eine ganze Reihe von entsprechenden Beispielen nennen. Vielleicht ist auch ein gewisser Er schöpfungszustand eingetreten.
In der letzten Legislatur war die Abschaffung der Stu diengebühren das große Thema. Daran waren wir nicht ganz unschuldig. Weitere Themen waren der doppelte AbiJahrgang, der BolognaProzess und die Exzellenzinitiative. Vieles ist bewegt worden. Im Mo ment hat man das Gefühl, dass das Thema Hoch schule bei der Staatsregierung etwas in den Hinter grund geraten ist – deshalb auch diese Interpellation.
Ich möchte einen weiteren Punkt kurz anführen. Im Hochschulausschuss erleben wir häufig, dass die ur sprünglich von der Staatsregierung gar nicht so be tonte Autonomie der Hochschulen und Universitäten dauernd zu einem Argument gemacht wird, warum man politisch in vielen Bereichen doch sehr zurück haltend reagiert – indem man nämlich "Autonomie der Hochschule" sagt. Beim Thema wissenschaftliche Mit arbeiter wird eigentlich immer gesagt: Das machen wir mit den Verbänden; das ist Hochschulautonomie. Auch im Zusammenhang mit dem BolognaProzess wird vieles den Hochschulen zugeschrieben. Zu den Befristungen, aber auch überhaupt zu der schwierigen Situation der wissenschaftlichen Mitarbeiter kommt immer wieder als Entschuldigung: Da greifen wir gar nicht so stark ein, weil das die Hochschulen selber machen sollen.
Man muss einen weiteren Faktor konstatieren: Inzwi schen wird Wissenschaftspolitik am goldenen Zügel der Bundesregierung geführt. Der Bund kauft sich mit viel Geld eine gewisse Leitlinienkompetenz in der Wissenschaftspolitik. Das merken wir bei der Exzel lenzinitiative, das merken wir beim Hochschulpakt, das merken wir im Bereich der Drittmittel – dort ist es auch die EU. Schon einiges hat sich verschoben. Wenn man sich auch noch die Idee von Bundesuni versitäten oder Bundeshochschulen, die wieder ein gepackt worden ist, vor Augen führt, merkt man, wohin die Richtung teilweise geht. Natürlich ist auch zu konstatieren, dass es viele Bundesländer gibt, die finanziell sehr, sehr klamm sind und auch in dieser Richtung argumentieren.
Durch die Interpellation ist auch deutlich geworden, dass es an einem klaren Leitbild fehlt. Man kann deut
lich sehen: In der Wissenschaftspolitik verfolgt die Staatsregierung eher den Grundsatz: verwalten statt gestalten. Sicherlich wird einiges für die Hochschulen getan. Teilweise wird durch einige Verlagerungen, durch einige Neugründungen auch der ländliche Raum bedient. Das ist alles ganz sinnvoll. Es gibt auch eine zunehmend hohe Akademisierung. All das kann man konstatieren. Folgendes ist aber nicht klar, ist durch die Antworten auf die Interpellation auch nicht klar geworden und wird auch nicht klar werden: Wohin geht die Reise? Was wollen wir in der Hoch schulpolitik, was wollen wir in der Wissenschaftspolitik erreichen? Meines Erachtens ist da vieles zu wenig ambitioniert und auch zu wenig beschrieben.
Wir FREIE WÄHLER sind anders. Wir haben klare Vorstellungen, wohin wir mit Hochschulen und Univer sitäten wollen. Wir sehen die Defizite klar, und wir können sie auch beschreiben. Ich will in der gebote nen Kürze auch einige wenige benennen. Ich glaube, dass wir im Moment an einer gewissen Zeitenwende stehen, dass große Herausforderungen auf unsere Gesellschaft zukommen und dass es nicht reicht, nur Rahmenbedingungen zu schaffen. Das bloße Abar beiten von Hausaufgaben genügt in Zeiten eines grassierenden Populismus, der Zunahme von Fake News und vielem mehr nicht. Ich glaube – nein, ich bin mir sicher –, dass sich die Hochschulen darauf einstellen und entsprechend reagieren müssen. Die Hochschulen bekommen neue Aufgaben. Es reicht nicht mehr aus, dass sie – in Anführungszeichen – "nur" lehren und forschen. Ich bin der festen Überzeu gung, dass die Hochschulen offener werden müssen. Wir fordern – ähnlich wie Open Science – eine offene Hochschule.
Es ist richtig, dass viel Geld in die Hochschulen fließt. Die Hochschulen müssen aber deutlich machen, dass sie dafür der Gesellschaft etwas zurückgeben. Der Kampf gegen alternative Fakten muss auch von der Wissenschaft und damit auch von den Hochschulen geführt werden. Es genügt nicht – das sage ich durch aus kritisch in Richtung des einen oder anderen –, dass der unvermeidliche Politikwissenschaftler am Wahlabend etwas analysiert, was viele andere auch analysieren könnten. Es darf nicht mehr sein, dass in der Wissenschaft ein Fernsehauftritt vor fünf Millionen Zuschauern als anrüchiger angesehen wird als ein Fachaufsatz, den nur fünf Kollegen lesen. Die Hoch schulen sollten mehr in die Öffentlichkeit hinein wir ken, das heißt mehr hinausgehen, statt zu viel Spezi alistentum zu betreiben. Eine offene Hochschule – das ist eine Forderung, ein Leitbild der FREIEN WÄH LER, dessen Umsetzung wir in der nächsten Zeit in tensiv vorantreiben wollen.
Unser zweites Leitbild sind finanzstarke Hochschulen. Wer die Antwort der Staatsregierung aufmerksam durchliest, stellt fest, dass der Tropf der Drittmittel immer größer wird, während sich der Anteil der Grundfinanzierung verringert. Die Entwicklung der Zahlen von 2000 bis 2014 zeigt, dass die Grundfinan zierung prozentual gesunken ist. Hochschulen – –
(Die Abgeordneten Karl Freller (CSU), Gudrun BrendelFischer (CSU) und Ingrid Heckner (CSU) unterhalten sich – Glocke des Präsidenten)
Das ist so, weil die Fraktion sonst wahrscheinlich zu wenig miteinander redet. Dann ist es halt hier notwen dig.
(Gudrun BrendelFischer (CSU): Wir sind ein paar Leute mehr als Sie! – Ingrid Heckner (CSU): Wir sind zu groß!)
Ja, ihr seid zu groß. Das haben wir bei der Hoch schulpolitik, aber insbesondere bei der Bildungspolitik gemerkt.
(Ingrid Heckner (CSU): Wir sind zu groß, um uns dauernd miteinander zu unterhalten! Sie sollten schon korrekt sein!)
Auch der nächste Punkt – wissenschaftsbasierte Hochschulen – ist für uns sehr wichtig. Das Bachelor studium wird teilweise nicht mehr als wissenschaftlich angesehen. Mit diesem Studienabschluss kann man zum Beispiel nicht in den höheren Dienst aufgenom men werden.
Wir FREIE WÄHLER sind der Auffassung, dass insbe sondere beim Bachelorstudium eine größere Band breite eröffnet werden muss. Wir sagen immer noch sehr deutlich: Die Abschaffung des Diplomstudiums war einer der größten, wenn nicht der größte Fehler der Hochschulpolitik der vergangenen Jahre.
Wir sind – auch darüber werden wir in der nächsten Zeit intensiv diskutieren – für demokratische Hoch schulen. Wir wollen, dass die Studierenden beteiligt werden. Entsprechende Anträge und Gesetzentwürfe liegen vor. Inzwischen studieren beinahe 60 % eines Jahrgangs. Man kann sagen, die Hochschulen sind in vielen Bereichen zur neuen Volksschule geworden. Es geht darum, auch dort Demokratie einzuüben.
Unsere Hochschulen müssen digitale Hochschulen werden. Unsere diesbezüglichen Vorstellungen haben wir heute auch der Presse vorgestellt. An einigen Uni versitäten in den USA werden mittlerweile zwei Drittel bis drei Viertel der Vorlesungen ins Netz gestellt be ziehungsweise über das Netz übertragen. Insoweit sind wir in Bayern noch weit zurück.
Lassen Sie mich als Schlussbemerkung ausführen: Die bayerische Hochschulpolitik spielt nicht in der Champions League, auch wenn dies von der Regie rung häufig behauptet wird. In Bezug auf das Verhält nis zwischen Studierendenzahl und Einwohnerzahl sind uns Länder wie NordrheinWestfalen und Baden Württemberg, die Stadtstaaten sowieso, weit voraus. Da ist in Bayern noch viel zu tun. Bei der Betreuungs relation zwischen Professoren und Studierenden liegt Bayern auf dem 13. Platz. Die Ausgaben für den Hochschulbereich erreichen bei uns nur einen Anteil von 0,6 % am Bruttoinlandsprodukt. Damit liegt Bay ern auf dem 12. Platz. Auch bei den Bildungsausga ben liegen wir in der Rangliste der 16 Länder im zwei stelligen Bereich.
Das alles ist kein Ruhmesblatt. Bayern erreicht damit noch nicht einmal einen Platz in der Europa League. Es ist noch kein Abstiegsplatz, aber wir bewegen uns, wenn wir die Bundesligasprache verwenden wollen, im grauen Mittelfeld. Bayern ist ein Land, das auf die Köpfe der Menschen und deren Potenziale angewie sen ist. Daher muss die Staatsregierung in vielen Be reichen nachlegen.
Insbesondere ist die Frage zu klären – dazu besteht jetzt die Gelegenheit –: Wohin will die bayerische Wis senschaftspolitik? In den vergangenen Jahren ist es nicht gelungen, entsprechende Leitbilder zu entwi ckeln.
Danke schön, Herr Kollege Piazolo. – Nächster Redner ist Herr Kol lege Jörg. Bitte schön, Herr Jörg.
Ich erwähne dies, damit Sie keine Angst bekommen. Es wird jetzt nicht stundenlang um dasselbe Thema gehen, obwohl wir Hochschulpolitiker daran Freude hätten. Das, was Sie hier sehen, ist vielmehr das Er gebnis der Interpellation. Angesichts des Umfangs der Antwort haben Sie sicherlich ein Gefühl davon be kommen, wie viel Arbeit dahintersteckt.
Zunächst geht mein Dankeschön an die Kollegen der FREIEN WÄHLER. Sie haben die Initiative ergriffen, um auf der Grundlage einer Interpellation das Thema Hochschulen und Studieren in Bayern hier im Landtag präsent zu machen. Damit haben wir die Möglichkeit, mit etwas mehr Ruhe als sonst über die entsprechen den Themenfelder zu sprechen.
Noch größeren Dank sage ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Wissenschaftsministeriums. Das war gigantisch viel Arbeit. Die Erstellung der Antwort hat über viele Monate hinweg erhebliche Ressourcen gebunden, und der normale Job ging weiter. Das, was im Wissenschaftsministerium geleistet wurde, ist nicht selbstverständlich. Nochmals vielen herzlichen Dank für die Arbeit!
Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, ich will mit Ihnen gemeinsam die aktuellen Rahmenbedingungen für unseren akademischen Nachwuchs und für die ge samte Forschungs und Wissenschaftsszene beleuch ten. Mein Vorredner hat uns unterstellt, wir kümmer ten uns um die Bildungspolitik viel intensiver als um die Hochschulpolitik. Dem widerspreche ich. Wir haben die richtigen Schwerpunkte gesetzt. Ich erinne re nur an unsere Beschlüsse aus der jüngsten Ver gangenheit, zum Beispiel über den Doppelhaushalt. Daran wird deutlich, wohin es gehen soll.
Wir stehen für Regionalisierung, wollen aber auch weltweit exzellent unterwegs sein. Wir nehmen die Herausforderungen an, die aus den demografischen Veränderungen und aus der Notwendigkeit der weite ren Digitalisierung resultieren. Auch die Ausbildung an unseren Hochschulen muss sich daran ausrichten.
Der Wissenschaftsstandort Bayern ist nicht auf einem absteigenden Ast, sondern hoch attraktiv. Wir stehen trotz weltweiter Konkurrenz sehr gut da. Wir können uns nicht nur sehen lassen, sondern auch stolz mit marschieren.