Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die 103. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.
Am 25. März verstarb im Alter von 95 Jahren der ehemalige Kollege Dr. Sieghard Rost. Von 1970 bis 1990 war er Mitglied des Bayerischen Landtags und vertrat für die CSU-Fraktion den Stimmkreis Nürnberg-Ost/ Mittelfranken. Während seiner 20-jährigen Zugehörigkeit zum Hohen Haus engagierte er sich vor allem im Ausschuss für Kulturpolitische Fragen. Besonders am Herzen lagen ihm, der selbst Flucht und Vertreibung hatte erfahren müssen, die Belange der Vertriebenen, für die er sich sowohl im Bayerischen Landtag als auch darüber hinaus in zahlreichen Funktionen und Gremien einsetzte. Er hat maßgeblich dazu beigetragen, dass das Schicksal der Vertriebenen im öffentlichen Bewusstsein geblieben ist. Gerade in dieser Hinsicht galt er zeit seines Lebens als besonnener und versierter Ratgeber. Nicht zuletzt dank seines langen Atems konnte schließlich 1998 das Haus der Heimat in Nürnberg eröffnet werden. Als promovierter Philologe und Gymnasialdirektor brachte er sich zudem intensiv in die Bildungspolitik ein, wobei ihm die politische Bildung besonders am Herzen lag. Außerdem engagierte sich Dr. Sieghard Rost in der Kommunalpolitik, so als Mitglied des Nürnberger Stadtrats.
Sein Wirken wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit der Verfassungsmedaille in Gold, dem Bayerischen Verdienstorden und dem Großen Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.
Der Bayerische Landtag trauert mit den Angehörigen und wird dem Verstorbenen ein ehrendes Andenken bewahren. – Sie haben sich zum Gedenken an den Verstorbenen von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.
Bevor wir nun in die Tagesordnung eintreten, darf ich noch drei Glückwünsche aussprechen. Am 30. April feierte Herr Kollege Dr. Thomas Goppel einen runden Geburtstag. Am 8. Mai beging Herr Kollege Florian Ritter einen halbrunden Geburtstag. Heute dürfen wir Herrn Kollegen Reinhold Strobl zum Geburtstag gratulieren.
Ich wünsche Ihnen im Namen des gesamten Hauses und persönlich alles Gute und weiterhin viel Erfolg bei Ihren parlamentarischen Aufgaben.
Lassen Sie mich noch einen Gast aus dem befreundeten Nachbarstaat Freistaat Sachsen herzlich begrüßen. Auf Einladung der SPD-Fraktion befindet sich der stellvertretende Ministerpräsident und Wirtschaftsminister des Freistaates Sachsen, Herr Martin Dulig, hier in München und nimmt jetzt an der Plenarsitzung teil. Seien Sie uns herzlich willkommen! Wir freuen uns, dass Sie uns besuchen.
Gesetzentwurf der Abgeordneten Katharina Schulze, Ludwig Hartmann, Verena Osgyan u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Änderung des Bayerischen Hochschulgesetzes Studentische Selbstverwaltung ermöglichen (Drs. 17/16463) Erste Lesung
Für die Begründung des Gesetzentwurfs stehen fünf Minuten zur Verfügung. Die Gesamtredezeit der Fraktionen im Rahmen der Aussprache beträgt nach der Geschäftsordnung 24 Minuten. Die Redezeit der Staatsregierung orientiert sich an der Redezeit der stärksten Fraktion. Begründung und Aussprache werden miteinander verbunden. Damit sind zehn Minuten Redezeit für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vorgesehen. – Ich eröffne zugleich die Aussprache und erteile Frau Kollegin Osgyan vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben das Wort.
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Demokratie wird bei uns in Bayern ganz groß geschrieben, zumindest wenn ich mir Publikationen des Wissenschaftsministeriums ansehe. Ich lese: "Um unsere Demokratie zu erhalten und zu stärken, muss bei jungen Menschen das Demokratiebewusstsein gefördert werden", sagt Staatssekretär Eisenreich; ich sehe ihn gerade nicht. "Demokratie braucht politische Bildung", steht auf der Internetseite. Demokratie gehört sogar zur christlich-abendländischen Werteordnung, wenn ich Herrn Spaenle höre. Das heißt, Demokratie wird in Bayern ganz groß geschrieben, wenn Sonntagsreden gehalten werden, wenn Pressemitteilungen herausgegeben werden oder wenn neue Flyer gedruckt werden.
Wenn wir uns aber unsere Schulen und Hochschulen konkret anschauen, habe ich leider nicht den Eindruck, dass dort Demokratie und Demokratiebildung wirklich willkommen sind und dass sie vor allem entsprechende Unterstützung erfahren. Meine Damen und Herren, Demokratie ist ein Wert, für den wir täglich streiten müssen. Wenn wir uns die aktuelle politische Lage anschauen, muss ich unseren Gesetzentwurf eigentlich nicht groß begründen. Wir haben eine AfD, die zentrale demokratische Werte ablehnt und die in zwölf Landesparlamenten sitzt, vielleicht bald auch in Bayern, wenn wir es nicht abwenden können. Die Anzahl der Nichtwählerinnen und Nichtwähler wird immer größer. 44 % der Menschen in Bayern – das muss einen, finde ich, besonders traurig stimmen – fühlen sich politisch nicht genug informiert, und 48 % zeigen sich sogar mit unserer Demokratie unzufrieden.
Das sollte uns nicht nur zu denken geben, das sollte uns alarmieren. Das bedeutet eben, dass wir nicht nur im Parlament reden und in Broschüren das Wort Demokratie groß schreiben dürfen. Wir müssen auch mit unserem Bildungswesen anfangen, das bei jungen Menschen von Anfang an Demokratie verinnerlichen lassen soll, und müssen vor allem die Möglichkeit geben, Demokratie auszuprobieren und zu üben.
Wer nicht von früh auf versteht, wie Demokratie funktioniert, kann sie später auch nicht verinnerlichen und vor allem nicht offensiv nach außen vertreten. Die Kolleginnen und Kollegen im Schulbereich haben immer wieder Forderungen eingebracht, die politische Bildung schulisch und außerschulisch zu stärken. Dies wurde aus fadenscheinigen Gründen immer wieder abgelehnt, obwohl dies finanziell gar nicht so viel ausmachen würde. Ich finde es schade, dass Sie von der Mehrheitsfraktion ein so wichtiges Thema in der gewohnten Manier der Arroganz der Macht ablehnen.
Sprechen wir jetzt aber über den Hochschulbereich, um den es heute geht. Die CSU und die Staatsregierung haben sich noch viel dickköpfiger angestellt; denn seit 35 Jahren haben wir in Bayern keine Verfasste Studierendenschaft mehr. Studentische Selbstverwaltung ist in Bayern seit knapp 35 Jahren nicht mehr möglich.
Blicken wir zurück. In Bayern gab es bereits eine Verfasste Studierendenschaft. In der Nachkriegszeit war sie durchaus ein Erfolgsmodell. Erinnern wir uns: Sie wurde von den Alliierten im Zuge der Redemokratisierung in der Nachkriegszeit eingeführt. Betrachtet man
die Erfahrungen mit der Gleichschaltung der Hochschulen unter dem Nazi-Regime, kommt man zum Schluss, dass ihre Einführung auch bitter notwendig war.
Sie war ein echtes Erfolgsmodell. 1973/1974 wurde sie in Bayern von der CSU-Staatsregierung abgeschafft. Ich kann mir das auch heute nur so erklären, dass die Verfasste Studierendenschaft der Staatsregierung vielleicht nicht politisch nach dem Mund geredet hat, aber vor allem durch ihre finanzielle Hoheit und ihr politisches Mandat auch in der Lage war, ihre Meinung öffentlich zu artikulieren. Das ist, glaube ich, der Punkt, um den es uns heute gehen muss.
Die unabhängigen und selbstverwalteten Vertretungsorgane der Studierenden sind nämlich seither durch Gremien ersetzt worden, die den Hochschulleitungen unterstellt sind und letztlich vom guten Willen der Hochschulleitung abhängig sind, wenn sie finanzielle Mittel einsetzen wollen oder zum Beispiel einfach nur Räume für politische Veranstaltungen in Anspruch nehmen wollen. Sie sind auf Gedeih und Verderb bei jeder Aktivität auf die Hochschulverwaltungen angewiesen. Wenn man dies genauer betrachtet und mit anderen Gremien vergleicht, stellt man fest, dass es sich um eine völlig absurde Situation handelt. Stellen Sie sich vor: Ein Betriebsrat, der einen Tacker anschaffen will, müsste zur Personalleitung gehen. Das wäre doch absurd. Wir haben aber genau diese Situation. Das Tacker-Beispiel gab es an einigen Hochschulen.
Man stelle sich vor, das Finanzministerium würde bestimmen, was der Oberste Rechnungshof prüfen kann. Ich kann mir vorstellen, dass dies einigen im Finanzministerium gefallen würde, uns aber, glaube ich, bestimmt nicht.
Studierendenvertretungen müssen ebenso wie Personalvertretungen oder eine Rechnungsprüfung die Möglichkeit haben aufzuzeigen, wo es Probleme gibt, und vor allem auch Lösungen erarbeiten können. Das ist keine Nestbeschmutzung; das ist einfach eine Grundlage unserer Demokratie.
Ich glaube, solche demokratischen Prozesse machen unsere Hochschulen besser und unsere Wissenschaftslandschaft leistungsfähiger. Aufgrund der fehlenden Unabhängigkeit, Handlungskompetenz und Fi
nanzhoheit können die Studierendenvertretungen in Bayern ihre Aufgaben aber nur eingeschränkt und unzureichend wahrnehmen.
Ich frage mich: Waren 35 Jahre nicht genug, um sich eines Besseren zu besinnen, dass nämlich eine starke Verfasste Studierendenschaft notwendig ist? Bayern ist das letzte Bundesland, das keine Verfasste Studierendenschaft hat – das allerletzte Bundesland! Sonst halten wir uns doch immer zugute, dass wir stark sind, dass wir vorangehen, dass wir auch neue Wege gehen wollen. Hier hinken wir aber hinterher. Ich meine, das können wir uns einfach nicht mehr länger gefallen lassen.
Selbstverwaltung ist ein essenzieller Teil unserer Demokratie. Gerade mit Blick auf die Kommunen sprechen ja auch Sie von der CSU immer davon, dass es Sinn macht, Aufgaben auf diejenigen zu verlagern, die sich damit auch auskennen. Das baut Bürokratie ab und stärkt insgesamt unser Gemeinwesen. Gerade aber die Studierenden an den Hochschulen dürfen sich nicht selbst verwalten, als ob sie Kinder wären. Das sind aber mündige Erwachsene, die den Landtag wählen dürfen, die geschäftsfähig sind, die in ganz vielen anderen Bereichen zeigen, dass sie sich selber verwalten können und dass sie vor allem für sich selber eintreten können.
Unser Gesetzentwurf sieht deswegen eine Wiedereinführung der studentischen Selbstverwaltung als Teilkörperschaft des öffentlichen Rechts vor, so wie auch andere Vertretungen, wie zum Beispiel Industrie- und Handelskammern organisiert sind – also ein ganz normales, übliches Modell. Es ist auch vorgesehen, dass Satzungshoheit besteht. Das heißt, die Studierendenvertretungen können selbst bestimmen, wie hoch die Mitgliedsbeiträge sein sollen, wie sie damit umgehen wollen, wie sie organisiert sein wollen. Das können erwachsene Menschen selbst entscheiden. Es wird wirklich Zeit, dass wir das in Bayern jungen Menschen auch zugestehen.
Berlin, Baden-Württemberg und Bayern haben Ende der Sechzigerjahre, Anfang der Siebzigerjahre die Verfasste Studierendenschaft abgeschafft. Alle anderen Bundesländer haben sich aber längst eines Besseren besonnen. Es hat doch keinen Sinn, einen Fehler aus rein ideologischen Gründen nicht zu berichtigen, obwohl dies gerade in der Praxis so viele Vorteile mit sich bringen würde.
Wenn Sie sagen, dass es eine akademische Frage ist, ob man eine Verfasste Studierendenschaft braucht oder eine Lösung, wie wir sie jetzt haben, kann ich Ihnen nur entgegnen: Das ist mitnichten so; denn die konkreten Auswirkungen in der Praxis schwächen die Selbstverwaltung von Tag zu Tag. Man muss nur einmal zurückblicken, wie es war, als in Nürnberg, in München und in Regensburg Semestertickets eingeführt werden sollten. Die Studierendenvertretungen hatten nicht einmal Vertragshoheit, um darüber selbst verhandeln und Verträge abschließen zu können. Man musste ein rechtlich fragwürdiges und auch ein ultraaufwendiges Konstrukt wählen, dass die Studentenwerke all das verhandeln mussten und eine Urabstimmung in der Studierendenschaft stattfinden musste, um die Verträge zu legitimieren. – Ein Wahnsinn und ein riesiger Bürokratieaufwand! Gerade Sie wollen doch immer Bürokratieabbau.
Es kommt auch immer wieder das Argument, dass die Studierenden keine Mitbestimmung, keine Selbstverwaltung wollen, was man daran sehen könne, dass die Beteiligung an Hochschulwahlen so niedrig sei. Wir hatten vor zwei Wochen eine Interpellation im Landtag. Die Staatsregierung hat in ihrer Antwort geschrieben, dass die geringe Wahlbeteiligung möglicherweise auf die fehlenden Mitwirkungsmöglichkeiten der Studierenden zurückgeht.
Da beißt sich doch die Katze in den Schwanz. Wenn Studierende mitbestimmen können, bestimmen sie auch mit. Das zeigt zum Beispiel die Wahlbeteiligung bei der Urabstimmung über das Semesterticket. Zwei Drittel der Münchner Studierenden haben daran teilgenommen. Zum Vergleich: Bei der letzten OB-Stichwahl lag die Wahlbeteiligung nur bei 38,5 %. Das zeigt doch: Wenn Mitbestimmung möglich ist, wird sie auch genutzt.
Die studentische Selbstverwaltung ist nicht nur ein akademisches demokratisches Konstrukt. Es geht auch darum, den Studierenden ganz praktisch zu ermöglichen, ihre Arbeit gut und professionell auszuführen. Deshalb ist auch vorgesehen, dass zum Beispiel gewählte Ehrenamtliche eine Aufwandsentschädigung erhalten können, wenn sie sehr viel ihrer Freizeit aufwenden oder zum Beispiel auch teilweise im Studium zurückstecken müssen, weil sie für diese wichtigen Aufgaben Zeit brauchen. Sie müssen mit finanziellen
Mitteln ausgestattet sein, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigen zu können, um Geschäftsstellen entsprechend ausstatten zu können und die Arbeit weiter professionalisieren zu können. Gerade dadurch können Service-Angebote unterbreitet werden, die insbesondere finanziell schwächer gestellten Studierenden zugutekommen. Ich nenne zum Beispiel unabhängige Studien-, BAföG- und Sozialberatungen. Derzeit ist es ja so, dass die Studentenwerke BAföGBeratungen anbieten und gleichzeitig auch über BAföG-Anträge entscheiden. Ich finde, auch das ist keine wirklich saubere Trennung im Sinne einer unabhängigen Beratung.
Ich könnte noch sehr viel über die Vorteile einer Verfassten Studierendenschaft sagen, ich glaube aber, dass sie eigentlich auf der Hand liegen.