Protokoll der Sitzung vom 21.06.2017

okay, drei bei der CSU und die Kollegin Claudia Stamm. Gegenstimmen bitte! – Das sind die CSUFraktion und die Fraktion der FREIEN WÄHLER. Enthaltungen? – Enthaltungen sehe ich keine. Dann ist auch dieser Antrag abgelehnt.

Ich rufe zur gemeinsamen Beratung auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Katharina Schulze, Ludwig Hartmann, Dr. Christian Magerl u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Saubere Luft für Bayerns Städte (Drs. 17/17265)

und

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Florian von Brunn, Klaus Adelt u. a. und Fraktion (SPD) Überschreitung der Stickoxid-Grenzwerte: Wann kommen konkrete Maßnahmen statt heißer Luft? (Drs. 17/17270)

und

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Hubert Aiwanger, Florian Streibl, Thorsten Glauber u. a. und Fraktion (FREIE WÄHLER) Aktionsplan Luftreinhaltung: Bürger schützen - Fahrverbote verhindern (Drs. 17/17280)

(Unruhe)

Wir wollen denjenigen, die so lautstark rausgehen, Gelegenheit geben, den Saal zu verlassen. – Ich eröffne die Aussprache. – Der erste Redner ist der Kollege Dr. Magerl. Bitte schön.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Zuerst muss ich leider den Kollegen Huber Lügen strafen. Er hat gemeint, dass ich meine politische Existenz dem Flughafen zu verdanken habe. Es gibt aber auch noch andere Reizthemen oder besser gesagt Reizgase. Ich möchte saubere Luft in Bayern. Das Stichwort ist der Stickoxidgehalt in mehreren Großstädten und die Überschreitung von Grenzwerten. Ich habe durchaus noch andere Themen, als der Kollege Huber meint.

(Beifall bei den GRÜNEN und den FREIEN WÄH- LERN)

Das Thema Stickoxide ist eigentlich Jahrzehnte alt. Meine politische Laufbahn, mit den ersten Demonstrationen, hat nicht nur mit dem Thema Flughafen, sondern auch mit dem Thema Waldsterben zu tun. Hinsichtlich des Waldsterbens Ende der Siebziger- und Anfang der Achtzigerjahre waren der saure Regen, die Stickoxide und die Salpetersäure die Hauptthemen. Seit Ende der Siebziger- und Anfang der Achtzigerjahre behandeln wir dieses Thema als Dauerthema. Offensichtlich ist es der Mehrheit des Hauses, der Staatsregierung und der Bundesregierung bis heute nicht gelungen, die Einhaltung der Grenzwerte in den Griff zu bekommen. Das ist wirklich ein Skandal. Es gelingt nicht, von der EU festgelegte Grenzwerte, die auf lange Sicht eingeführt worden sind, einzuhalten. Diese Grenzwerte sich nicht plötzlich vom Himmel gefallen. Man wusste, dass man innerhalb eines gewissen Zeitraums auf Euro-4-, Euro-5-, Euro-6-Werte kommen muss. Das Nichterreichen dieser Werte ist ein klares Versagen der Regierenden, das heißt der Bayerischen Staatsregierung und dieser Bundesregierung.

(Beifall bei den GRÜNEN und den FREIEN WÄH- LERN)

Bei den Substanzen NO und NO2 handelt es sich nicht um eine geringe Luftbelastung, sondern um Gifte, die von Chemikern und Medizinern als hoch gefährlich für den Menschen eingestuft werden. Ob die Zahlen der Statistik stimmen, wonach wir in Deutschland über 10.000 zusätzliche Tote durch Stickoxide haben, sei dahingestellt. Die Erhebung dieser Statistiken ist schwierig. Aber es wird keiner bestreiten, dass Stickoxid gefährlich und in vielen unserer Städte in zu hohen Konzentrationen vorhanden ist.

Darüber hinaus ist es auch für die Pflanzen außerordentlich gefährlich. Hierzu empfehle ich die Betrachtung der Messwerte von Luftgütemessungen an der Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft. An vielen dieser Messstellen sind über 70 % zu hohe Stickoxidkonzentrationen festgestellt worden. Sie schädigen unsere Wälder nach wie vor. Letztendlich gelangen die Stickoxide als Nitrat in den Boden und das Grundwasser. Sie schädigen dort noch einmal die Umwelt. Mit anderen Worten: Zur Bekämpfung dieser Substanzen besteht dringender Handlungsbedarf. Es kann nicht sein, dass so weitergemacht wird, wie es diese Staatsregierung und diese Bundesregierung machen. Beide, vor allem die Bundesebene, haben in der Vergangenheit kräftig mit der Automobilindustrie zusammengearbeitet. Sie haben bei der Reduktion der Stickoxidwerte in Deutschland völlig versagt.

(Beifall bei den GRÜNEN und der FREIEN WÄH- LERN – Thomas Kreuzer (CSU): Wer ist denn in Stuttgart verantwortlich, Herr Kollege?)

In Stuttgart ist ebenfalls die Bundesregierung verantwortlich, weil sie den Kommunen die nötigen Instrumente verweigert. In unserem Antrag fordern wir die Blaue Plakette.

(Thomas Kreuzer (CSU): In Stuttgart ist also die Landesregierung nicht verantwortlich?)

Lesen Sie einmal das schöne Interview, das Frau Scharf gegeben hat. Das Interview ist im heutigen oder gestrigen Pressespiegel enthalten. Sie hat gesagt, dass alle – die Kommunen, die Bundesregierung und die Wirtschaft – verantwortlich seien. Dann schleicht sie sich raus und denkt: Ich bin nicht verantwortlich.

(Hans Ritt (CSU): In Europa!)

Europa ist zweifelsohne mitverantwortlich. Europa hat aber den Grenzwert festgelegt und hat gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Es wird uns teuer zu stehen kommen, wenn wir hier nicht in die Gänge kommen.

Zu den Verantwortlichkeiten sei gesagt: Die erste Verantwortlichkeit liegt für mich eindeutig bei der Automobilindustrie. Das möchte ich noch einmal klarmachen.

(Beifall bei den GRÜNEN und den FREIEN WÄH- LERN)

Die Automobilindustrie wusste seit Langem, was auf sie zukommt. Die Automobilindustrie hat teilweise betrügerische Methoden angewendet, um die Grenzwerte zu unterlaufen. Jetzt will sie sich mit absolut halbseidenen Erklärungen davonstehlen. Das ist die erste Verantwortung.

Die zweite Verantwortung liegt in allererster Linie bei der Bundesregierung, und zwar bei Alexander Dobrindt.

(Beifall bei den GRÜNEN und den FREIEN WÄH- LERN)

Seine Behörde, das Kraftfahrt-Bundesamt, hätte die entsprechenden Kontrollen durchführen müssen.

Die dritte Verantwortung liegt bei dieser Staatsregierung. Das Bayerische Landesamt für Umwelt hat in Zusammenarbeit mit den Kollegen aus Baden-Württemberg Messungen durchgeführt, die bereits vor Jahren im Fahrbetrieb ein Nichteinhalten der Grenzwerte ergeben haben.

Was ist seitdem passiert? – Nichts ist passiert! An diesem Punkt stehen wir momentan. Die Leidtragenden sind letztendlich die Käuferinnen und Käufer der Automobile, die sich auf die Kontrolle durch die Politik verlassen haben. Sie haben darauf vertraut, dass ihre Dieselfahrzeuge die Grenzwerte bei Euro 6 von 80 Milligramm pro Kilometer einhalten. Das sind die Leidtragenden der ganzen Geschichte. Wir müssen nun darüber diskutieren, dass diese Fahrzeuge nicht mehr in die Städte fahren dürfen. Diese Menschen haben im Vertrauen die Kaufentscheidung getroffen. Wir sollten diese Menschen jetzt nicht allein lassen. Sollten Nachrüstungen erforderlich werden, muss die Automobilindustrie in die Pflicht genommen werden. Die Automobilindustrie muss dafür aufkommen und bezahlen.

(Beifall bei den GRÜNEN und den FREIEN WÄH- LERN)

Die Automobilindustrie hat mit dem Verkauf dieser Fahrzeuge gute Gewinne gemacht. Sie kann sich jetzt nicht einfach davonstehlen.

Zur Beurteilung der Stärke der Lobby der Automobilindustrie und der Hörigkeit der Bundespolitik empfehle ich Ihnen den Bericht in der "Wirtschaftswoche". In diesem Bericht wird klar und deutlich der Umfang der Paktiererei aufgezeigt. Der "Wirtschaftswoche" liegt offensichtlich ein Untersuchungsbericht von 658 Seiten vor. Es treibt einem die Schamesröte ins Gesicht, wie die Politik – auch die Kollegin Aigner wird genannt – von BMW vor den Karren gespannt worden ist. Hier gab es eine unselige Paktiererei.

Sie haben zum großen Teil tatenlos zugesehen. Sie haben versucht und versuchen bis heute, die Sache auszusitzen. Sie wollen hier niemandem tatsächlich oder vermeintlich wehtun. Das mit dem Wehtun hat mit den Fahrverboten zu tun. Hierzu empfehle ich Ihnen die Umfrage, die der "Stern" veröffentlicht hat. 59 % der Bevölkerung in Deutschland sind für ein Fahrverbot für Nicht-Euro-6-Diesel. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen. 38 % sind dagegen. Das sind die Ergebnisse der Umfrage vom 21. Juni. Es ist nicht so, dass sich die Bevölkerung bei der Abwägung zwischen Fahrverboten und Gesundheit gegen Fahrverbote ausspräche. Darüber werden wir diskutieren müssen.

Mich stört an Ihren Forderungen vom Sonntag, dass wieder nichts rauskommen wird. Sie fordern zwar die Förderung der Elektromobilität und des öffentlichen Personennahverkehrs, aber das fordern wir schon seit Jahrzehnten. Ich bin hier völlig d’accord, leider Gottes ohne allzu großen Erfolg. Trotz einiger einstimmiger Beschlüsse zum Ausbau der Schienenstrecken in den

letzten 30 Jahren ist nichts geschehen. München – Mühldorf – Freilassing – Salzburg ist eine Dieselstrecke. München – Lindau ist eine Dieselstrecke. Hierzu hat es lauter einstimmige Beschlüsse gegeben, dennoch ist nichts geschehen. Ich wage zu behaupten, dass weiterhin nichts geschehen wird, selbst wenn Sie am Sonntag einen weiteren Ausbau gefordert haben.

Frau Staatsministerin Scharf und meine Damen und Herren von der CSU, Sie haben weder Konzepte noch Rezepte für die Reduzierung der vorhandenen Belastung mit Stickoxiden. Diese erhöhten Stickoxide atmen die Menschen jetzt ein. In diesem Bereich sind Sie blank. In diesem Bereich haben Sie keine Ideen. Eines der Mittel der Wahl wäre die Blaue Plakette. Das zweite Mittel wäre, dass wir beim TÜV reale Messungen durchführen und nicht nur den Computer auslesen.

Die Deutsche Umwelthilfe hat einen neuen Rekordwert veröffentlicht, einen Audi A8 mit einem Wert von 1.938 Milligramm NOx pro Kilometer. Das ist ein neues Fahrzeug nach der Euro-6-Norm. Hier liegt eine Überschreitung in einer unvorstellbaren Höhe vor. Herr Kollege Markus Ganserer fragt immer wieder ab, welche Fahrzeuge die Staatsregierung beschafft und die Minister fahren. Sieben oder acht dieser Fahrzeuge sind ein Audi A8 von dieser Kategorie. Haben Sie als Mitglieder des Kabinetts schon einmal bei Ihren Fahrzeugen nachgemessen, wie viele Stickoxide die Fahrzeuge ausstoßen, mit denen Sie selbst unterwegs sind?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir stellen hier dringenden Handlungsbedarf fest. Es müssen Sofortmaßnahmen eingeleitet werden. Wir sagen nicht, dass Fahrverbote das schönste Mittel sind oder dass es Einfahrtverbote geben muss. Wenn andere Möglichkeiten aufgezeigt werden, dann sind wir d’accord. Sie bleiben hier aber Antworten schuldig. Das Hohe Haus hat am 6. April dieses Jahres einstimmig den Beschluss gefasst, dass die Staatsregierung dem Landtag berichtet, was sie in der Vergangenheit getan hat, um die Stickoxidwerte herunterzubringen, welchen Erfolg diese Maßnahmen hatten, was sie in Zukunft zu tun gedenkt, um die Stickoxide zu verringern und wie sie das Urteil des Münchner Verwaltungsgerichts umsetzen will. Bis jetzt habe ich noch keine Reaktion auf diesen vom Plenum einstimmig beschlossenen Berichtsantrag gehört. Dieser Bericht ist überfällig. Geben Sie ihn heute, oder geben Sie ihn schnellstmöglich im Ausschuss. Wir können nicht mehr länger warten, in erster Linie aus gesundheitlichen Gründen. Wir müssen Sofortmaßnahmen in die Wege leiten, um die hohe Stickoxidbelastung in

unseren Großstätten zu reduzieren. Da geht es nicht nur um München, da geht es beispielsweise auch um die Von-der-Tann-Straße in Nürnberg und um viele andere Bereiche in Bayern. Bitte stimmen Sie unserem Antrag zu. Wir werden den anderen Anträgen auch zustimmen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Dr. Magerl. – Eine Zwischenbemerkung von Herrn Kollegen von Brunn.

Lieber Herr Kollege Christian Magerl, wir teilen Ihre Problemanalyse völlig. Wir würden den ersten beiden Punkten Ihres Antrags auch zu 100 % zustimmen. Ich will nur kurz erläutern, warum wir dem dritten Spiegelstrich nicht zustimmen können. Wir halten es für sehr problematisch, schon ab 1. Januar 2020 ein ganzjähriges Verkehrsverbot ins Auge zu fassen, und zwar vor dem Hintergrund, den Sie gerade selbst aufgezeigt haben. Viele Menschen, auch viele Menschen mit geringem Einkommen, haben im guten Glauben, dass Automanager großer Konzerne sich als ehrbare Kaufleute verhalten, ein Auto gekauft, von dem sie angenommen haben, dass es die Schadstoffgrenzwerte einhält. Das ist aber nicht der Fall. Diesen Leuten nun so kurzfristig, ohne Anpassungsfrist, ein ganzjähriges Verkehrsverbot zu verordnen, halten wir unter sozialen Gesichtspunkten nicht für richtig.

Außerdem wollen Sie an Belastungsstrecken abschnittweise Verkehrsverbote verhängen. Da sehen wir, auch nach den Ausführungen der Juristen der Landeshauptstadt München und vor dem Hintergrund, dass gerade die rechtliche Klärung dieses Tatbestands noch vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig anhängig ist, im Moment aus rechtlichen Gründen nicht die Möglichkeit, zuzustimmen.

Danke schön. – Herr Dr. Magerl, bitte.

Wir werden unseren Antrag nicht ändern. Ich meine, gerade dieser Punkt ist dringend notwendig. Wir müssen hier wirklich Druck ausüben, sonst sind wir im Prinzip fast auf der gleichen Stufe wie die CSU, die sagt: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Wir müssen hier schon konkret und deutlich an die Sache herangehen. Deshalb werde ich keinen Spiegelstrich unseres Antrags ändern oder streichen.

(Beifall bei den GRÜNEN – Florian von Brunn (SPD): Können wir spiegelstrichweise abstimmen?)

Das ist Sache der Präsidentin.

Danke schön, Herr Dr. Magerl. – Nächster Redner ist Herr Kollege von Brunn. Bitte schön, Herr Kollege.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Ballungsräume München, Nürnberg, Fürth und Erlangen haben ein großes Problem durch den Ausstoß des gesundheitsschädlichen Stickstoffdioxids. Durch den Straßen- und Autoverkehr werden die Grenzwerte massiv und dauerhaft überschritten. Deshalb hat die Europäische Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet. Dieses Verfahren kann Hunderttausende Euro pro Tag kosten, wenn es zu einer Verurteilung vor dem EuGH kommt.

Die Ursachen für das Problem sind uns allen bekannt. Es gibt zu viele Autos, insbesondere solche mit Dieselmotoren, die die vorgeschriebenen Abgasgrenzwerte – nein, die realistischen Abgasgrenzwerte – nicht einhalten. Was München angeht, so muss man feststellen: Der Großraum München wächst stetig. Demzufolge wächst auch die Zahl der dort zugelassenen Kraftfahrzeuge. Auch die Zahl der Pendler wächst. Auf bayerischer Ebene gibt es zu wenig umweltfreundliche, emissionsarme Mobilität.