Protokoll der Sitzung vom 19.07.2017

für die Menschen in Großbritannien, mit gravierenden Folgen für viele Menschen in Europa und mit gravier enden Folgen für die Europäische Union.

Auch wenn wir jetzt in die Verhandlungen über die Trennung dieser langjährigen, jahrzehntelangen Ge meinschaft eintreten, bleibt Großbritannien ein Teil Europas. Alleine das wird in diesem Dringlichkeitsan trag der FREIEN WÄHLER verkannt. Großbritannien bleibt eingewoben in die europäische Wirtschaft und bleibt auch ein Teil der Ökonomie der Bundesrepublik Deutschland und des Freistaates Bayern. All das gilt es zu berücksichtigen. Außerdem gilt es zu berück sichtigen, dass große Konflikte, die ein Stück weit be friedet worden sind – ich erinnere nur an Nordirland und die Republik Irland –, durch diese Verhandlungen nicht wieder so intensiv geführt werden, wie sie das Land im Prinzip jahrzehntelang als Terror, der viele Opfer gefordert hat, geplagt haben.

Wenn man sich den BrexitMinister David Davis an hört, weiß man, dass sich, nach meinem Kenntnis stand eigentlich zum ersten Mal in der Geschichte, die britische Regierung nicht auf dem Höhepunkt ihrer diplomatischen Fähigkeiten befindet.

(Beifall bei der SPD)

Es ist zwar wahrlich nicht britisch, aber man könnte sagen: Prime Minister Theresa May "eiert rum". Nach

Ansicht vieler Abgeordneter der Conservatives ist sie schon als Auslaufmodell gebrandmarkt. All das kann uns nicht zufriedenstellen, und all das sollte uns mit Sorge erfüllen, weil eine Regierung, die mit dem Rü cken zur Wand steht, nicht klar bei Verstand und in der Analyse nicht auf dem Höhepunkt dessen ist, was wir benötigen.

Es geht um die Rechte der EUBürger, um vielfältige Vertragsbeziehungen und um die Britinnen und Briten, die auch Rechte auf dem Kontinent haben. Es geht um eine kulturelle Identität, die hier an dieser Stelle aus kurzfristigen und kurzsichtigen Erwägungen geo pfert werden soll. All das spiegelt dieser Dringlich keitsantrag in keiner Art und Weise wider.

(Beifall bei der SPD)

Der Kollege Fahn sagt, es sei realpolitisch. Ich kann nicht ganz nachvollziehen, was er mit Realpolitik an dieser Stelle meint. Ich finde, Effekthascherei wäre der treffendere Begriff.

Natürlich müssen wir Gesicht zeigen und in den Ver handlungen die Interessen der Bürgerinnen und Bür ger Europas vertreten. Wir sollten aber auch nicht aus dem Blick verlieren, dass es ebenso um die Interes sen der Bürgerinnen und Bürger in Großbritannien geht. Nach all den Diskussionen zeigt sich, dass die Kampagnenlügen die Regierung in Großbritannien schneller einholen, als sie sich das wohl erträumt hat. Lügen gab es, als die Stimmen noch nicht ausgezählt waren. Da hat der Außenminister schon gesagt: Na ja, so ganz stimmt das mit den Einsparungen nicht. 350 Millionen Euro gesparte Mitgliedsbeiträge wö chentlich – das war ein bisschen eine falsche Darstel lung.

All das sollte uns in Verantwortung für Europa und in Verantwortung für die kulturelle Identität Europas mit Sorge erfüllen. Wir sollten faire Verhandlungen füh ren; denn man sieht sich immer zwei Mal im Leben, und faire Verhandlungen sind dringend erforderlich, damit es eine Perspektive für Großbritannien und eine Perspektive für Europa gibt, in der Tat ein Puls von Europa. Meine Fraktion stimmt deshalb diesem Dring lichkeitsantrag nicht zu. Wir lehnen diese Art der Ef fekthascherei ab. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. – Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Frau Kollegin Kamm. Bitte schön.

Sehr geehrte Frau Präsi dentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, insbe sondere liebe Kolleginnen und Kollegen der FREIEN

WÄHLER! Sie wurden im Europaausschuss gebeten, diesen Antrag zurückzuziehen. Möglicherweise haben Sie das noch nicht getan, weil Sie wohl gehofft haben, nach dem Motto "Bayerns Interessen first" am trüben rechten Rand einige Stimmen fangen zu können. Das wird aber nicht klappen, meine Kolleginnen und Kolle gen. Die Bürgerinnen und Bürger haben nach der fa talen BrexitEntscheidung Großbritanniens erkannt, dass Europa nur gemeinsam funktioniert und nur dann, wenn wir zusammenhalten. Auch die wirtschaft liche Situation Bayerns, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von den FREIEN WÄHLERN, hängt existen ziell davon ab, wie gut wir mit unseren Nachbarlän dern in Europa zusammenarbeiten und wie gut wir weiterhin mit Großbritannien zusammenarbeiten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die BrexitEntscheidung ist eine große Herausforde rung für Europa, die nur ganzheitlich betrachtet und angegangen werden kann. Es muss darum gehen, dass für die nicht wenigen Menschen, die aus Deutschland und aus Europa stammen und in Groß britannien arbeiten, eine Lösung gefunden wird. Es muss darum gehen, dass auch für die Menschen aus Großbritannien, die irgendwo auf dem Kontinent ar beiten und hier vielleicht sogar schon länger eine Hei mat gefunden haben, eine gute Lösung gefunden wird, wie es für sie persönlich weitergehen kann.

Weiter muss es darum gehen, wie es mit der wirt schaftlichen Zusammenarbeit mit Großbritannien wei tergehen kann. Vermutlich wissen Sie, dass deutsche und britische Unternehmen in ihren Beziehungen eng verflochten sind. Darüber hinaus haben wir eine Viel zahl weiterer gemeinsamer Interessen, die es zu lösen und anzugehen gilt. Diese sind weitaus gravier ender und wirken sich weitaus mehr aus, als die mög lichen fiskalischen Risiken, die Sie angedeutet haben.

Wir hatten diese Woche im Bayerischen Landtag Gäste aus dem schottischen Parlament zu Besuch, die berichtet haben, wie sehr sie die Probleme durch den Brexit belasten und wie sehr das seit einem Jahr ihre gesamte Sacharbeit lähmt. Ich denke, wir sollten uns um die Überwindung dieser Probleme kümmern und keine Details oder kleine Befürchtungen heraus picken, um hier auf Stimmenfang zu gehen. Wir hal ten es für verantwortungslos, das Thema so anzuge hen. Ich meine, die Bürgerinnen und Bürger wissen, dass wir die Probleme zusammen besser lösen kön nen als durch Rosinenpickerei und Populismus.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kol legin. – Für die Staatsregierung hat Frau Staatsminis

terin Dr. Merk um das Wort gebeten. Bitte schön, Frau Staatsministerin.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Fahn, ich sehe die Besorg nis, die hinter diesem Antrag steht. Ich möchte Ihnen ganz klar sagen: Natürlich kämpfen wir und kämpfe auch ich ganz persönlich in allen Verhandlungen und in allen Gesprächen für die Interessen Bayerns und für die Interessen unserer Steuerzahler.

Herr Rosenthal, das Wort "Effekthascherei" geht Ihnen ja sehr gut über die Lippen. Ich glaube, dies hat gezeigt, dass Sie sich mit diesem Thema gut ausken nen.

Ich möchte sagen: Brexit heißt nicht, dass Europa ge opfert wurde. Ich meine, wir müssen eine Entschei dung, die die Wählerinnen und Wähler, egal auf wel cher Grundlage, getroffen haben, respektieren. Es bringt nichts, nachzutreten; es bringt nichts, diese Dinge auszuschlachten; es bringt nichts, Politiker zu beleidigen. Wir müssen mit diesem Thema umgehen.

(Beifall bei der CSU)

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, es stimmt: Europa muss, wenn denn der Brexit kommt, mit weni ger Mitteln mehr Herausforderungen finanzieren. Die deutschen Nettobeiträge könnten steigen. Dieses Ri siko gibt es; das ist sehr offensichtlich. Deshalb müs sen wir von Anfang an für die Interessen unserer Steuerzahler kämpfen.

Dennoch bin ich der Meinung: Der Antrag wurde in den Ausschüssen zu Recht abgelehnt; denn er greift zu kurz. Wir wollen zum jetzigen Zeitpunkt eben gera de keine Vorfestlegung, wie man eine durch den Bre xit entstehende Haushaltslücke schließen kann. Da stimme ich mit dem Kollegen Rieger voll und ganz überein.

Sie sprechen von Einsparungen. Dies hat durchaus seine Berechtigung. Sehen wir uns doch an, wie der europäische Haushalt aufgestellt ist. Für Bayern steht bei diesem Thema sehr, sehr viel auf dem Spiel, und zwar in jeder Hinsicht. So sind zum Beispiel die EU Fördermittel, die angesprochen worden sind und die Bayern bekommt, immens. 2014 bis 2020 fließen nach Bayern allein 2,5 Milliarden Euro EUStrukturför dermittel. Ich kann Ihnen sagen: Diese brauchen wir; diese wollen wir weiter haben. Für deren Verbleib oder mehr über 2020 hinaus setzt sich die Staatsre gierung in den laufenden Verhandlungen mit aller Kraft ein. Zuletzt habe ich das auf dem großen Forum zur Kohäsionspolitik Ende Juni in Brüssel getan.

Natürlich sind wir – da spreche ich unsere Agrarpoliti ker ganz besonders an – bei der künftigen Ausgestal tung der EUAgrarförderung ganz besonders berührt und herausgefordert. Das sind die beiden großen Bat zen dieses Haushalts. Beides macht ungefähr ein Drittel des Haushalts aus. Kommissionsvizepräsident Günther Oettinger sieht sich bei der Gestaltung die ses künftigen EUHaushalts Anforderungen gegen über, die schon fast der Quadratur des Kreises glei chen: notwendige Einsparungen mit Schwerpunkten von Zukunftsthemen wie Digitalisierung oder auch den Sicherheitsthemen zu verbinden und zugleich wichtige Förderprogramme kraftvoll weiterzuführen. Ich bin überzeugt, dass es noch jede Menge Diskussi onen geben wird. Der Dialog über den EUFinanzrah men ab dem Jahr 2021 wird uns in den nächsten Mo naten massiv und intensiv beschäftigen.

Also: Wir wollen mögliche Gesamtpakete bei der Eini gung nicht von vornherein gefährden. Europapoliti sche Anträge im Landtag müssen immer das Gesamt gefüge unserer bayerischen Interessen im Blick haben. Wir dürfen vor allen Dingen nicht vorschnell angeblich einfache Forderungen aufstellen. Für sol che populistischen Impulse ist die Staatsregierung nicht zu haben.

(Beifall bei der CSU)

Liebe Kollegen und Kolleginnen, vorgestern habe ich in London hochrangige Gespräche zum Thema Brexit geführt. Ich habe für unsere Position bei den Staats ministern Sir Duncan und Walker und bei dem Vorsit zenden des Auswärtigen Ausschusses des Unterhau ses, Thomas Tugendhat, geworben. Auch da hat sich deutlich gezeigt: Die Dinge sind im Fluss.

Zum Stand heute steht noch gar nichts fest, auch nicht das Ob des Brexit. Wenn es ihn aber gibt, dann heißt dies, dass es bei den BrexitVerhandlungen um viel mehr geht als nur um den Haushalt, dass es um viel mehr geht als nur um Wirtschaftsbeziehungen.

Wir brauchen Großbritannien. Ich glaube, das war etwas, was alle Parteien hier doch einmütig festge stellt haben. Es liegt in unserem Interesse, dass wir mit Großbritannien auch nach einem Brexit intensive Verbindungen pflegen. Wir brauchen Großbritannien als starke Wirtschaftskraft; wir brauchen Großbritanni en als Partner für marktwirtschaftliche Politik und als Anwalt für solide Finanzen. Es geht um die zukünftige Zusammenarbeit bei der inneren Sicherheit – selbst verständlich! –, bei Steuerverfahren, in der Bildung und Forschung und vor allen Dingen auch bei Wis senschaftskooperationen.

Großbritannien ist unser wichtigster Exportpartner in Europa. 2016 haben wir Güter im Wert von rund

15 Milliarden Euro in das Vereinigte Königreich expor tiert, und weltweit steht Großbritannien noch vor Ös terreich und Frankreich auf Platz drei. Bayern impor tierte Güter im Wert von 5,6 Milliarden Euro.

Wir werden nicht profitieren, wenn die Briten verlieren. Wir verlieren mit ihnen. Was BMW, Siemens oder Air bus verlieren, das können Umorientierungen auf dem Finanzmarkt niemals ausgleichen. Wenn der Brexit schließlich eintritt, hat Bayern ein großes Interesse an einer nahtlosen Anschlussregelung, die allen Beteilig ten gerecht wird.

Klar ist: Die EU muss in den anstehenden Verhand lungen selbstbewusst ihre Interessen wahren. Wir müssen unsere bayerischen Interessen deutlich ver treten. Ich kann Ihnen sagen: Wir werden das auch tun. Wenn es so kommt, streben wir ein Handelsab kommen an, das möglichst nahe am Status quo ist, aber unberechtigte Sonderregelungen vermeidet. Wir wollen zum Wohl der Menschen in Bayern und in Eu ropa und eben auch in Großbritannien Chancen erhal ten und Schaden möglichst vermeiden.

Ein ungeordneter Brexit würde allen massiv schaden. Um dieses Risiko zu mindern, zu minimieren – dieses Risiko ist zwar gering, aber es existiert eben doch –, müssen wir daher sehr besonnen vorgehen und dür fen nicht Öl ins Feuer gießen, sondern müssen mit der Stimme der Vernunft sprechen.

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Für dieses gemeinsame Ziel brauchen wir ein durch dachtes Gesamtpaket. Ich danke dem Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten, dem Europaausschuss, ganz besonders dafür, dass er eine Anhörung durch führt; denn genau das ist der richtige Weg. Wir wer den auch Michel Barnier beim Wort nehmen, der uns zugesagt hat, den Landtag über die Verhandlungen zu informieren. Das heißt: Wir brauchen Klarheit und keine Schnellschüsse. Vielen Dank dafür.

Alles ist im Fluss, meine sehr geehrten Kollegen. Des wegen noch einmal: Für uns gilt: Wir haben das Ganze im Blick. Wir bleiben mit Großbritannien in engem Kontakt, und wir sind in der EU stark vertreten. Wir arbeiten für die bayerischen Interessen. Deshalb ist aus heutiger Sicht

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

meine Stimme kann gleich nicht mehr – der vorlie gende Antrag nicht hilfreich und vor allen Dingen den bayerischen Interessen nicht dienlich.

(Beifall bei der CSU)

Ich bitte um Verständnis: Wir lehnen den Dringlich keitsantrag ab.

(Anhaltender Beifall bei der CSU)

Vielen Dank, Frau Staatsministerin. – Mir liegen jetzt keine weiteren Wortmeldungen vor.

Wir kommen zur Abstimmung. Der federführende Ausschuss für Bundes und Europaangelegenheiten sowie regionale Beziehungen empfiehlt die Ableh nung des Antrags. Wer entgegen dem Ausschussvo tum dem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Fraktion der FREIEN WÄHLER und Herr Kollege Felbinger (fraktionslos). Gegenstimmen bitte ich anzuzeigen. – CSU, SPD Fraktion und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Stimment haltungen? – Keine. Damit ist dieser Dringlichkeitsan trag abgelehnt.

Ich darf jetzt das Ergebnis der namentlichen Abstim mung über den Antrag der SPDFraktion betreffend "Vogelgrippe und die Auswirkungen auf die Rassege flügelzüchter" auf Drucksache 17/16336 bekannt geben: Mit Ja haben 63 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 76. Stimmenthaltungen gab es keine. Damit ist dieser Antrag abgelehnt.