Protokoll der Sitzung vom 29.11.2017

verständlich beteiligen, wenn es um die Ausarbeitung der neuen Richtlinien geht. Wir können gemeinsam zielgerichtete Angebote für Jugendliche entwickeln. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir schätzen die Arbeit, die in den Einrichtungen geleistet wird, nicht nur, sondern nehmen sie auch sehr ernst. Das werden wir auch in Zukunft tun.

Wir brauchen jedoch eine differenzierte Betrachtung. Wir dürfen nicht alle über einen Kamm scheren. Wir müssen den Jugendlichen, der zu uns kommt, einzeln betrachten. Wir dürfen ihm nicht Maßnahmen eröffnen, die er gar nicht braucht. Die Maßnahmen sollten vielmehr zielgerichtet auf den Jugendlichen abgestellt werden, selbst wenn es sich nur um eine "WG-Lösung" handelt. Deswegen stehen wir hinter dem Gesetzentwurf der Bayerischen Staatsregierung. Die Zustimmung sowohl der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege als auch der Kommunen zeigt, dass wir wirklich auf dem richtigen Weg sind.

Im Endeffekt können wir stolz auf das sein, was in Bayern von allen Beteiligten auf allen Ebenen, von den Ehrenamtlichen, von den Hauptamtlichen und von der Verwaltung, geleistet wird. Diese Anerkennung werden wir unseren Einrichtungen auch weiterhin zugutekommen lassen. Wir sehen uns weiterhin als Partner sowohl der Bezirke als auch der Einrichtungen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen bei den Flüchtlingen, die zu uns kommen, auch differenzieren. Damit komme ich zum zweiten Teil dieses Gesetzespakets mit dem Änderungsantrag der CSU-Fraktion. Wir müssen zwischen Menschen mit Bleibeperspektive und Menschen ohne Bleibeperspektive differenzieren. Wir müssen zwischen Menschen, die schnell ankommen und sich integrieren müssen, und Menschen, die keine Bleibeperspektive haben, unterscheiden. Zu den Menschen ohne Bleibeperspektive müssen wir sagen: Macht euch damit vertraut, dass ihr wieder in eure Heimatländer zurückkehrt. Macht euch damit vertraut, wir ihr am besten daheim ankommt. Bei uns habt ihr keine Perspektive, dauerhaft Asyl zu bekommen. An dieser Stelle müssen wir zielgerichtete Lösungen finden. Diesen Beitrag leisten wir mit dem Änderungsantrag der CSU-Fraktion. Wir nutzen eine Öffnungsklausel, die uns durch den Bund ermöglicht wurde.

Alle demokratischen Parteien im Deutschen Bundestag mit Ausnahme der LINKEN und der AfD – von der AfD gab es noch keine Äußerungen hierzu – wollen Ordnung in der Asylpolitik. Menschen, die eine Perspektive haben, wollen wir das Bleiben ermöglichen. Andererseits wollen wir denjenigen, die keine Bleibeperspektive haben, ehrlich ins Gesicht sagen: Wenn

ihr keine Perspektive habt, erkennt dies auch an. Wir wecken keine falschen Erwartungen. Stattdessen konzentrieren wir uns auf diejenigen, die wirklich Hilfe brauchen. Mit der Verlängerung des Aufenthalts in Erstaufnahmeeinrichtungen erleichtern wir selbstverständlich auch die Rückführung der Menschen in ihre Heimatländer. Wir erleichtern den Weg zurück. Auf diese Weise fokussieren wir die Leistung auf diejenigen Menschen, die sie wirklich brauchen.

Deshalb bitte ich Sie, dem Gesetzentwurf der Staatsregierung in der geänderten Form zuzustimmen. Die Änderungsanträge der SPD und der GRÜNEN werden wir ablehnen. Die Jugendhilfe bleibt zuständig. Es besteht weitgehender Konsens darüber, zunächst den unbegleiteten Minderjährigen zu helfen. Wir werden eine Kostenerstattung auf den Weg bringen. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem Gesetzespaket.

(Beifall bei der CSU)

Danke schön, Herr Kollege. – Als Nächste hat Frau Kollegin Weikert von der SPD das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Gesetzentwurf, der in Zweiter Lesung vorliegt, werden unterschiedliche Themen angesprochen. Herr Kollege Reichhart hat in das Thema eingeführt.

Ich möchte vorweg eine Bemerkung machen. Über diesen Gesetzentwurf wurde im Ausschuss, in der Ersten Lesung und in einer Anhörung diskutiert. Dem Ganzen ist die Ankündigung vorausgegangen, dass es auf Bundesebene eine Neufassung des SGB VIII geben soll, die sowohl Sie von der CSU als auch wir von unserer SPD im Entwurf nicht als sinnvoll beurteilt haben. Unabhängig davon ist die Reform des SGB VIII auf Bundesebene aufgrund der bekannten Ereignisse – Jamaika ist geplatzt – zunächst verschoben. Wann es eine neue Bundesregierung gibt, steht im Moment in den Sternen. Eine Gesetzesänderung wird es so schnell nicht geben. Herr Kollege Reichhart, da Bundesrecht Vorrang vor Landesrecht hat, sind die heute in der Zweiten Lesung vorliegende Gesetzesänderung und die Schlussabstimmung sinnlos. Das sollte zunächst einmal zurückgestellt werden, bis es auf Bundesebene eine andere Lösung gibt. Das haben alle Experten im Fachausschuss deutlich gemacht. – Dies nur vorab.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Reichhart, unabhängig davon ist es mit dem Worthalten so eine Sache. Sie standen gegen

über den Kommunen und vor allem den Bezirken im Wort, haben jedoch etwas anderes in den Gesetzentwurf geschrieben. Von Ihnen möchte ich nicht viel versprochen bekommen. Was Sie den Kommunen und den Bezirken versprochen haben, findet sich im Gesetzentwurf in keiner Weise wieder.

Kolleginnen und Kollegen, ich nehme auf die Einbringungsrede von Sozialministerin Emilia Müller im Rahmen der Ersten Lesung Bezug. Die Vorstellung des Gesetzentwurfs in der Ersten Lesung hat den Gesamteindruck vermittelt, dass für den Freistaat Bayern die Einsparungen von Kosten im Vordergrund stehen, nicht die notwendige und sinnvolle Jugendhilfe zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Ihnen ging es schlicht und einfach um Kostenersparnis. Frau Staatsministerin, ich habe mir Ihre Plenarrede zur Ersten Lesung noch einmal angeschaut. Sie haben das Wort Kostenersparnis ganze elfmal in den verschiedensten Variationen bei der Einbringung dieses Gesetzentwurfs genannt. Wir waren von Anfang an skeptisch. Um was geht es? Geht es um ein Spargesetz, oder geht es um eine wirklich sinnvoll praktizierte Jugendhilfe, die junge Menschen ermutigt und begleitet, damit sie ihr Leben eigenständig gestalten können?

Herr Kollege Reichhart, ich darf Sie direkt ansprechen. Ich habe Ihnen auch zugehört. Ich bitte Sie wirklich aufzupassen. Sie haben nur die halbe Wahrheit gesagt. Sie haben gesagt, Sie würden machen, was die Kommunen wollen. Die kommunalen Spitzenverbände wehren sich in ihrer gemeinsamen Stellungnahme gegen Leistungseinschränkungen. Das ist der erste Punkt. Außerdem bedauern sie, dass die Kosten für junge Volljährige nicht im Gesetzentwurf enthalten sind, obwohl im Dezember 2016 ein Kompromiss zur teilweisen Kostenübernahme geschlossen wurde. Das sage ich zum Thema Worthalten.

(Beifall bei der SPD – Volkmar Halbleib (SPD): Hört, hört!)

Während unserer Anhörung haben die Vertreterinnen des Bezirketags deutlich gesagt: Junge Volljährige werden weiter ausgeklammert. Für die Zeit von Mitte 16 bis Ende 18 wird eine pauschale Kostenerstattung gezahlt. Das sind ab Januar 2018 40 Euro. Die Pauschale wird auf 30 Euro reduziert. Der Tagessatz, der bei den Kommunen tatsächlich anfällt, beläuft sich jedoch durchschnittlich auf 110 bis 120 Euro. Davon sollen 30 Euro ersetzt werden. Hier zu behaupten, man ersetze den Kommunen die Kosten, ist schlicht und einfach gelogen. Das stimmt einfach nicht.

(Beifall bei der SPD)

Die groß angekündigte Entlastung der Kommunen hat bisher nicht stattgefunden. Es sind Gespräche ange

kündigt. Ich frage jetzt einfach: Wann hat überhaupt das letzte Gespräch mit den Kommunalvertretern stattgefunden? – Ich weiß, dass Ihre Mannschaft viel in Berlin war. Dennoch kann man die Landespolitik nicht weit wegschieben oder ganz auf Eis legen.

Die Staatsregierung hat mehrfach angekündigt, dass sie eine exakte Kostenaufstellung will und anschließend Gespräche führen wird. Diese Gespräche stehen aus. Sie wurden noch nicht geführt. Die Aufstellung allerdings liegt seit Mitte dieses Jahres vor. Es ist offensichtlich, dass für die Staatsregierung weder die Entlastung der Kommunen noch das Wohl der Kinder und der Jugendlichen im Vordergrund steht, sondern der eigene Etat.

Der nächste Punkt: Sie haben gesagt – und das ist besonders ärgerlich –, dass die Angebote flexibilisiert werden sollen. Ich sage Ihnen: Sie sprechen gegenüber allen Jugendämtern ein generelles Misstrauen aus. Ich sage es noch einmal: Das ist ein generelles Misstrauen gegenüber allen Jugendämtern. Ich zitiere Staatsministerin Emilia Müller:

Bisher lag der Schwerpunkt auf betreuungsintensiven heilpädagogischen Angeboten. … Viele der jungen Menschen sind sehr selbstständig, und deswegen müssen wir unsere bisherigen Angebote um weniger betreuungsintensive, aber zielgerichtete Grundangebote erweitern.

Das wird doch getan, das ist Praxis. Jeder einzelne Fall wird von den Jugendämtern geprüft. Es wird ein Jugendhilfeplan erstellt, und zwar gemeinsam mit der zu betreuenden Einrichtung und den Vormündern. Es handelt sich um eine ganze Gruppe von Menschen, die mit den fachkompetenten Jugendämtern über den Jugendhilfeplan für die Jugendlichen entscheidet. Nur die Hilfe, die in diesem Jugendhilfeplan festgestellt wurde, wird dem Jugendlichen dann auch gewährt. Wenn das in der Vergangenheit nicht immer passgenau der Fall war – und darüber haben wir, Herr Kollege Unterländer und Herr Kollege Reichhart, im Ausschuss heftig diskutiert –, dann lag es daran, dass es diese differenzierten Angebote in der jetzt gegebenen Breite vor dem Hintergrund der hohen Zugangszahlen damals in Bayern noch nicht gab. Inzwischen haben sich aber alle darauf eingerichtet. Inzwischen wird sehr genau differenziert. Es ärgert mich, dass Sie alle Wohlfahrtsverbände, alle Betreuungsvereine, all diejenigen, die sich mit diesem Thema beschäftigen, die tagtäglich mit den Jugendlichen arbeiten, die durch Flucht, Verfolgung, Versklavung, Vergewaltigung auf der Flucht traumatisiert sind, permanent unter Verdacht stellen. Sie gehen nämlich immer davon aus, dass nur das Teuerste gewählt und nicht differenziert vorgegangen wird. Das ist – ich sage es noch einmal

ein generelles Misstrauen gegenüber allen Jugendämtern.

(Beifall bei der SPD)

In der Verbändeanhörung ist einvernehmlich, auch vom Caritas-Verband – ausdrücklich auch von diesem –, vorgetragen worden, dass sehr wohl differenziert und die Jugendhilfe angemessen gewährt wird.

Dieses Gesetz ist diskriminierend. Es widerspricht allen geltenden Grundsätzen der Jugendhilfe. Kolleginnen und Kollegen, dieses Gesetz darf auf keinen Fall beschlossen werden. Ich will aus einem eindringlichen Appell der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in Bayern zitieren. In dem Brief werden die Abgeordneten des Landtags eindringlich aufgefordert, dem vorliegenden Gesetzentwurf auf keinen Fall zuzustimmen. Es wird gefordert, dass das kommunale Gestaltungsrecht der Träger der öffentlichen Jugendhilfe nicht unterminiert werden darf. Eine Ermächtigung der Ministerien zur inhaltlichen Ausgestaltung des Jugendhilfeangebots wird ausdrücklich abgelehnt. Alle Kinder und Jugendlichen haben, so schreibt die Landesarbeitsgemeinschaft, dieselben Rechte, und eine herkunftsspezifische Sonderstellung für junge Flüchtlinge ist diskriminierend. Die Kosten für die jungen Volljährigen müssen voll erstattet werden, so wird gefordert.

Kolleginnen und Kollegen, was aber, ich sage es jetzt einmal, wirklich ein bisschen niederträchtig ist, das ist, dass Sie mit einem Änderungsantrag, also durch die Hintertür, in diesen Gesetzentwurf den längeren Verbleib bis zu 24 Monaten in den Erstaufnahmeeinrichtungen eingefädelt haben, obwohl Sie alle sagen: Die Verfahren sollen schneller gehen; die Zusammenarbeit mit den Jugendämtern soll schneller gehen; die Hilfe soll bedarfsgerecht zur Verfügung gestellt werden. – Hier aber fordern Sie den Verbleib in den Erstaufnahmeeinrichtungen für bis zu 24 Monaten. Das geht hier wirklich über die Hintertür, und deshalb ist der Änderungsantrag der CSU abzulehnen. Wenn man ihn dreimal ablehnen könnte, dann müsste man das tun.

(Beifall bei der SPD)

Ich komme zum Schluss. Dieses Gesetz darf so, wie es hier vorliegt, nicht beschlossen werden. In dieser Frage sind sich die Kommunen, die öffentliche und die freie Wohlfahrtspflege und viele andere einig. Dieses Gesetz ist aber bezeichnend für die Flüchtlingspolitik der Staatsregierung und der CSU. Ich zitiere hier noch einmal Finanzminister Söder – gerade habe ich ihn noch gesehen –, der vor eineinhalb oder zwei Jahren – es ist schon länger her – gesagt hat: Es kann nicht sein, dass am Ende ein deutscher Rentner weni

ger vom Staat erhält, als ein unbegleiteter Jugendlicher kostet. – Diese Aussage ist so niederträchtig, ist so sachfremd

(Beifall bei der SPD)

und führt nur dazu, die Vorurteile in unserer Gesellschaft und letztlich auch den Anteil der AfD-Wähler in unserer Gesellschaft zu erhöhen. Ich hoffe, Sie haben bei der Bundestagswahl hinzugelernt. Ich hoffe, Sie haben beim Thema Asyl und Flucht, beim Thema Integration und bei allem, was gesellschaftspolitisch dahinter steht, hinzugelernt. Ich hoffe, in Zukunft werden Sie solche Aussagen vermeiden.

Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal deutlich formulieren: Eine über die Jugendämter festgestellte, sachlich richtig ausgestaltete Jugendhilfe zur rechten Zeit am rechten Ort, in der Form, wie die Jugendlichen sie brauchen, führt die Jugendlichen in die Selbstständigkeit. Im weiteren Verlauf ihres Lebens können sie dann in unserer Gesellschaft zu Steuerzahlern und zu Beitragszahlern der Sozialversicherung werden. Bitte stimmen Sie diesem Gesetzentwurf nicht zu. Unsere zwei Änderungsanträge sind deutlich. Wir wollen die Gestaltungshoheit der Jugendämter nicht einschränken. Wir wollen außerdem die Kostenerstattung für junge Volljährige in diesem Gesetzentwurf enthalten wissen.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön, Frau Kollegin Weikert. Bleiben Sie bitte am Rednerpult, Herr Kollege Unterländer – –

Ich habe es gesehen.

(Joachim Unterländer (CSU): Das war eine reguläre Wortmeldung!)

Ach so. Dann kann ich gehen.

Gut. Herzlichen Dank, Frau Kollegin Weikert.

(Beifall bei der SPD)

Als Nächster hat Herr Kollege Dr. Fahn von den FREIEN WÄHLERN das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Weikert, Sie haben drei- oder viermal das Wort niederträchtig gebraucht. Sie wollen das Gesetz dreimal ablehnen. Es genügt aber, wenn Sie es einmal ablehnen.

(Volkmar Halbleib (SPD): Jetzt sagen Sie erst mal, was eure Meinung ist!)

Genau, die bekommen Sie jetzt. Auch wir sagen, wir wollen niemand unter Verdacht stellen, und wir wollen auch kein generelles Misstrauen gegenüber den Jugendämtern.

(Volkmar Halbleib (SPD): Aber Ihr seid der Meinung der CSU!)

Trotzdem kommen wir in diesem Fall zu einem anderen Ergebnis.

(Volkmar Halbleib (SPD): Eigenständigkeit ist etwas Anderes!)

Das muss erlaubt sein. Man muss auch Fragen stellen können. Wir beraten den Gesetzentwurf in Zweiter Lesung. Gut ist beispielsweise die neue Regelung bei der Kostentragung. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wir begrüßen, dass künftig die Kosten unabhängig vom Aufenthaltsstatus der unbegleitet Schutzsuchenden von den Bezirken erstattet werden. Das ist der erste Schritt, und er geht in die richtige Richtung. Wir sagen allerdings auch: Das muss noch verbessert werden. Wir wollen – auch das haben wir schon immer gesagt – die volle Kostenerstattung für die volljährigen Jugendlichen. Die 30 % genügen uns nicht. Das ist ein Drittel, und das ist insgesamt betrachtet zu wenig.