Protokoll der Sitzung vom 15.05.2018

(Reinhold Bocklet (CSU): Der Chefideologe von der SPD!)

"Der Chefideologe von der SPD!" – Ein Zwischenruf vom Vizepräsidenten. – Herr Kollege Streibl, es geht ausdrücklich nicht um einen einzelnen Gedenktag. Es geht um einen Demokratiegedenktag; denn das war nun einmal der 8. November 1918, als der Freistaat ausgerufen wurde, als 738 Jahre Wittelsbacher Monarchie zu Ende gingen. 150 Republiken, die sich in der UNO versammeln, gedenken ihrer Unabhängigkeit, ihrer Revolution und ihrer Demokratie ganz selbstverständlich. Der Tag der Deutschen Einheit, der 3. Oktober, ist kein Helmut-Kohl-Gedenktag.

(Reinhold Bocklet (CSU): Das haben wir nie behauptet! )

Der Tag der amerikanischen Unabhängigkeit ist kein Thomas-Jefferson-Gedenktag, an diesem Tag wird vielmehr der eigenen historischen demokratischen Wurzeln gedacht. Demokratieerinnerung, darum geht es in unserem Vorschlag. Es geht nicht darum, Kurt Eisner für die SPD zu vereinnahmen. Ich kann hier gleich den Wortbeitrag des Kollegen Dr. Dürr vorwegnehmen. Darum geht es mitnichten.

In Zeiten der Regression von Demokratie, in denen die Demokratie insbesondere auf dem europäischen Kontinent auf dem Rückzug ist, geht es darum, einen Demokratiegedenktag einzuführen. Die Stichworte wurden heute schon an anderer Stelle der Plenardebatte genannt: Orbán, Erdogan, Trump, Le Pen und wie sie alle heißen. Der Vizepräsident hat noch die Rumänen genannt. In einer solchen Zeit einen Demokratiegedenktag einzuführen, ist kein historischer Schnickschnack, sondern verdient eine bessere Würdigung, als ich das in dieser Zweiten Lesung im Moment erlebe.

(Beifall bei der SPD – Reinhold Bocklet (CSU): Eisner war der größte Fan der Räterepublik! – Markus Rinderspacher (SPD): Völliger Quatsch!)

Der 8. November 1918 war im Grunde der Übergang von der Monarchie zum Freistaat Bayern. Nach diesem 8. November kamen aber die Räterepublik, die Revolution, die Freikorps und Chaos in Bayern und in München. Erst später hat sich schließlich eine Verfassung herausgebildet.

Werter Kollege, die Verfassung kam erst ein Jahr später. Wenn uns die Demokratie etwas wert ist, können wir sie nicht nur mit einem einmaligen Feiertag begehen. Wenn uns die Demokratie etwas wert ist, müssen wir an 365 Tagen im Jahr dafür eintreten und nicht ein einziges Mal im Jahr. Sie wollen im Grunde einen Gründungsmythos für Bayern kreieren. Das funktioniert nicht mit einem einzigen Feiertag. Ein Gründungsmythos muss gelebt werden und aus innerer Überzeugung entstehen. Man kann ihn nicht per Feiertag verordnen. Von daher ist dieser Versuch, den Sie hier bringen, untauglich.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN und der CSU)

Danke schön. – Der nächste Redner ist Herr Kollege Dr. Dürr.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Streibl hat vorhin von einer "nachtschlafenden Zeit" gesprochen. Ich möchte nicht sagen, dass ich nicht müde wäre, aber Kurt Eisner und andere haben in der Nacht vom 7. auf den 8. November die Revolution ausgerufen. Deshalb werden wir es doch wohl schaffen, einigermaßen würdig auch zu dieser späten Stunde an diese Zeit zu erinnern.

(Bernhard Pohl (FREIE WÄHLER): Wir sollten keine Revolution ausrufen!)

Mit euch ist es momentan schwierig, eine Revolution auszurufen. – Die Staatsregierung und andere haben in diesem Jahr einige Veranstaltungen durchgeführt, mit denen sie angeblich Bayern und unsere glorreiche Geschichte feiern. Der Anlass dieser 100Jahr-Feiern, die Revolution selbst, wird von ihnen nicht gefeiert.

(Volkmar Halbleib (SPD): Da hat er recht, der Sepp Dürr!)

Meistens feiern sich die Veranstalter nur selbst. Man muss sich nur die Landesausstellung in Ettal an

schauen. Wer sie noch nicht angeschaut hat, dem kann ich sie nicht empfehlen.

(Heiterkeit bei den GRÜNEN)

Mit diesem "Mythos Bayerns" macht das staatliche Haus der Bayerischen Geschichte sich selbst und die Staatsregierung endgültig lächerlich. Als wäre es nicht schon skurril genug, die Abschaffung der Demokratie mit einer Hymne auf den "Königstraum" zu feiern, stellt man die albernsten Klischees über Bayern wie Devotionalien und Reliquien zur Verehrung aus. Da muss man wirklich lachen: Da hängt eine g‘stinkerte alte Lederhosn in der Vitrine drin. Das ist euer Bayernbild.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Bis jetzt fehlt ein würdiges Gedenken an die Revolution von 1918. Warum wird dieser Anlass ausgeblendet? – Weil die kollektive Erinnerung leider immer noch von der blutigen Niederschlagung der Republik geprägt ist. Dabei wird der Republik die gegen sie eingesetzte Grausamkeit angelastet, das heißt, die Tatsachen werden auf den Kopf gestellt.

(Reinhold Bocklet (CSU): Die Republik war grausam!)

Sie haben überhaupt keine Ahnung! Sie sind ja vollkommen ahnungslos! Deswegen seien Sie ruhig, oder gehen Sie raus. Sie haben noch ein paar Minuten zum Reden. – Bei all dem Blutvergießen: Denken Sie einmal zurück. Vorher gab es jede Menge Blutvergießen. Millionen von Leuten sind getötet worden.

(Reinhold Bocklet (CSU): Die Heiligsprechung einer Revolution!)

Danach gab es viel Blutvergießen. In dieser Zeit war die unblutige Revolution eine demokratische, eine friedliche Sternstunde. Das müssen Sie einmal zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Jetzt kommt ihr dran: Was danach kam, das Meucheln und Morden Hunderter, Hunderte willkürliche Erschießungen, die sogenannte Befreiung Münchens, war ein wirklicher Schandfleck der Geschichte.

(Markus Rinderspacher (SPD): Aber doch nicht von Kurt Eisner! Das war 45 Tage danach! – Zuruf des Abgeordneten Reinhold Bocklet (CSU))

Ich weiß nicht, was Du sagst, aber das ist mir auch wurscht. Ich bin laut genug. Johnny Cash hat einmal gesagt: Excuse me, I could not hear. I was talking.

Damals und heute wird viel gehetzt, die Revolution sei von "Landfremden" gemacht worden. Die sozialdemokratische Regierung Hoffmann hat zum Beispiel einen Aufruf zur Bildung bayerischer Freikorps veröffentlicht. Darin heißt es: "Bayern! Landsleute! In München rast der russische Terror, entfesselt von landfremden Elementen." – Das sind Fake News. Das ist Gräuelpropaganda. Wie so oft ging auch damals die Propaganda den Gräueln voraus. Buchstäblich landfremd waren nämlich die von sozialdemokratischen Regierungen berufenen Totschläger und Mörder. Das waren Reichstruppen aus dem Württembergischen, das waren Freikorps aus dem Württembergischen, aus dem Thüringischen und aus Preußen und zum geringsten Teil aus dem Oberland. Alle standen unter dem Oberbefehl eines preußischen Generalleutnants. Ihr habt gar keine Ahnung, aber das ist wurscht. Warum wurden Truppen von außerhalb Bayerns geholt? – Weil sich schon bei der Revolution niemand gefunden hat, auf die eigenen Landsleute zu schießen. Die waren damals nicht so blöd. Die Revolution war also nichts, was von außen hereingetragen worden wäre. Es war eine originär bayerische Revolution.

(Markus Rinderspacher (SPD): Lieber Gott!)

Abgesehen davon ist es bei einer guten Tat eigentlich egal, wer sie vollbringt, ob er landfremd ist oder nicht, Hauptsache, sie wird vollbracht!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wer hat die Revolution gemacht? – Es waren Arbeiter und Arbeiterinnen, vor allem aber – außer Kurt Eisner – Bauern. Es waren Ludwig und Karl Gandorfer, zwei niederbayerische Bauern. Darauf hat auch die "Staatszeitung" neulich hingewiesen.

Herr Dr. Dürr, bitte beachten Sie die Uhr.

Ich habe sie gesehen. Ich bin gleich fertig. Ich wollte nur Kollegen Streibl darauf hinweisen, dass es einmal weltoffene Bauern in diesem Land gab. Leider ist Kollege Aiwanger nicht da. Das wäre doch einmal ein Vorbild. So etwas gab es damals. Eisner war ein bayerischer Held. Die Revolution war eine Sternstunde. Damals haben wir richtig gescheite Bauern gehabt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Jetzt kommt Herr von Brunn mit einer Zwischenbemerkung dran.

Jetzt sei vorsichtig; denn ich habe noch viel in der Tasche.

Herr Kollege Dürr, das ist ein ernstes Thema. Die Niederschlagung verschiedener Aufstände 1918 und 1919 durch Freikorps ist tatsächlich kein Ruhmesblatt der sozialdemokratischen Geschichte. Ihre einseitige Sicht der Dinge wird der Geschichte aber auch nicht gerecht.

Erstens haben sich viele sozialdemokratische Historiker, auch die sozialdemokratische Partei selbst, sehr kritisch damit auseinandergesetzt. Es gibt viele Publikationen dazu.

Zweitens ist selbst die MSPD keine monogame –

(Allgemeine Heiterkeit)

es ist schon spät – keine monolithische Partei, kein monolithischer Block. Meine Urgroßtante Toni Pfülf war Angehörige der MSPD, eine entschiedene Gegnerin von Erhard Auer und eine der entschiedensten Gegnerinnen des Nationalsozialismus überhaupt. Sie hat 1933 Selbstmord begangen.

Ich bitte einfach darum, einen differenzierten Blick auf diese Zeit zu haben. Sie wissen, dass aus der Sozialdemokratie nicht nur die USPD und die MSPD hervorgegangen sind, sondern auch der Spartakusbund und die KPD. Die Entwicklung setzte sich sogar fort bis hin zu den GRÜNEN und den Linken. Alle diese Parteien haben sozialdemokratische Urwurzeln. Dem muss man auch durch eine differenzierte historische Betrachtung Rechnung tragen.

(Zurufe von der CSU)

Die CSU kann gar nicht mitreden, weil sie weder diese lange Geschichte noch einen vernünftigen Blick auf die Geschichte dieser Zeit hat.

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Wer sagt, dass das alles ein Problem der Republik gewesen sei, der vergisst, dass im Ersten Weltkrieg nicht nur Millionen Menschen starben, sondern dass aus diesem Krieg auch viele Menschen als Invaliden heimgekehrt sind. Es gab viele Witwen und Waisen. Die Leute haben gehungert. Wer das weiß, der weiß auch, warum es die Revolution gab und dass sie notwendig war.

(Beifall bei der SPD)

Ich wollte die Sozialdemokratie heute schonen. Diesem Vorsatz werde ich auch nach einigen Äußerungen, die wir heute gehört haben, nicht untreu.

Ich gebe Ihnen vollkommen recht – ja mei, so bin ich halt.