Protokoll der Sitzung vom 15.05.2018

(Markus Rinderspacher (SPD): Hört, hört!)

Die nachfolgenden Staatsminister Dr. Huber

hier anwesend –

und Staatsministerin Scharf wurden zum Beispiel im Rahmen von Abteilungsleiterbesprechungen mündlich informiert.

Also: Die Behörden, vom Landratsamt über das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit bis hinauf zum Ministerium und den Ministern, kannten das Problem. Das ist an dieser Stelle festzuhalten.

(Beifall bei der SPD)

Sie wussten sicher auch, was die Trinkwasserkommission des Umweltbundesamtes bereits 2006 empfohlen hat – ich zitiere wieder wörtlich –:

Gemäß TrinkwV (§ 6 (3) – Minimierungsgebot) – ist darüber hinaus immer so rasch wie möglich und nach Maßgabe des vertretbaren Aufwandes die Unterschreitung des GOW

also des Gesundheitlichen Orientierungswertes –

von 0,1 µg/l durch die Summe aller PFT anzustreben.

Aber im Gegensatz dazu gab man sich in Bayern damit zufrieden, in der Nähe des Richtwerts von 0,3 Mikrogramm zu bleiben, der bis vor Kurzem gegolten hat, also bei einem dreimal so hohen Wert. Herr Dr. Huber, hat das Minimierungsgebot überhaupt jemanden von den Verantwortlichen hier in Bayern interessiert? Das würde mich auch interessieren.

(Beifall bei der SPD)

Es geht aber noch weiter. In dem gleichen Dokument steht auch:

Zusätzlich empfiehlt die TWK ein Human-Biomonitoring... von Blutproben per Trinkwasser exponierter Bevölkerungsgruppen.

Das heißt, die Trinkwasserkommission hat schon im Jahr 2006 empfohlen, bei Betroffenen Blutuntersuchungen durchzuführen und ihre Belastungen genau im Auge zu behalten. In Bayern wurde aber offensichtlich wieder einmal erst gehandelt, als man durch Zufall 2016 bzw. 2017, also über zehn Jahre später, feststellte, dass das Blut von Menschen aus Emmerting hoch belastet ist. Im Durchschnitt liegt die Belastung um das Zehn- bis Zwanzigfache höher als beim Blut von Münchnern aus einer Vergleichsgruppe. Die Höchstwerte lagen um das Einhundertfünzigfache über den Münchner Werten. Erst Anfang dieses Jahres, fast zwölf Jahre nach der Empfehlung der Trinkwasserkommission des Umweltbundesamtes, führten endlich auch die Verantwortlichen in Bayern Bluttests durch. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das ist ein unglaublicher Skandal, eine schier unfassbare Verantwortungslosigkeit.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Hier haben bayerische Umweltminister und Behörden mit der Gesundheit der Bevölkerung Roulette gespielt. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, damit nicht genug. Bis heute gibt es keine weitergehenden Blutuntersuchungen bei Kindern und Babys und keine Untersuchungen der Muttermilch in der betroffenen Region. Erst jetzt, auf Druck der SPD, werden in einigen Orten Untersuchungen der Muttermilch angeboten. Dabei ist wissenschaftlich bekannt, dass es bei Säuglingen, die gestillt werden, zu sehr hohen PFOA-Werten im Blut kommen kann. Deren Werte sind weit höher als bei ihren Müttern: um das Drei- bis Fünffache.

Ein Kinderarzt aus der Region schreibt – ich zitiere wieder wörtlich –: Zahlreiche wissenschaftliche Studien zeigen, dass derart hohe PFOA-Plasmakonzentra

tionen zu einem verringerten Geburtsgewicht bei Neugeborenen, zu einem verminderten Kopfwachstum bei Säuglingen und Kleinkindern, zu Schilddrüsenfunktionsstörungen bei Kindern und Jugendlichen und zu einem verminderten Impfschutz bei Diphtherie-Tetanus-Impfungen führen können. –

Das sind Studien aus den Jahren 2007 bis 2016. Ich halte es für unfassbar, dass die zuständigen Behörden vor diesem Hintergrund nicht schon längst gehandelt haben.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Herr Dr. Huber und Frau Huml – ich würde auch gerne den Ministerpräsidenten und ehemaligen Umweltminister fragen, aber er drückt sich heute –, wann nehmen Sie diese Gefahren ernst, und wann stellen Sie einmal wirtschaftliche Profitinteressen nicht vor den Schutz der Bevölkerung? Machen Sie den Schaden, den Sie angerichtet haben, jetzt wenigstens teilweise wieder gut. Wir können mit Rücksicht auf die betroffenen Menschen und Kinder nicht länger warten.

(Beifall bei der SPD)

Wir brauchen in der Region die komplette Filterung des Wassers. Vor allem brauchen wir aber den vollständigen Schutz der Bevölkerung. Ganz dringend brauchen wir weitergehende Untersuchungen und endlich Transparenz. Deswegen stellen wir heute diesen Antrag.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen wissen, warum Sie nicht schon längst Blutuntersuchungen durchgeführt haben, was mit dem Minimierungsgebot passiert ist, warum man nicht versucht hat, bei diesen Werten nach unten zu kommen, und warum nur in bestimmten Gemeinden Muttermilchuntersuchungen angeboten wurden. Wir wollen, dass Sie für Kinder unter sieben Jahren Blutuntersuchungen anbieten, und zwar kostenfrei. Hier geht es darum, dass Sie sich nicht aus der Verantwortung stehlen können. Die Bevölkerung muss das Angebot bekommen. Nicht jeder ist darüber informiert. Nicht jeder kann zu seinem Hausarzt gehen und sagen: Mach das mal, ich zahl das selber. Deswegen ist es wichtig, dass der Staat und die Behörden hier handeln.

Wir wollen, dass Sie sich für Untersuchungen einsetzen, wie sich PFOA gesundheitlich auf den wachsenden Organismus von Kindern und Säuglingen auswirkt. Die Ergebnisse solcher Studien müssen schnellstmöglich bekannt gemacht werden. Wir wollen, dass Sie in Zusammenarbeit mit der Nationalen Stillkommission eingehend untersuchen, ob das Stil

len tatsächlich weiterhin uneingeschränkt empfohlen werden kann, unabhängig davon, welcher PFOA-Wert vorliegt. Die Ergebnisse dieser Prüfung müssen ebenfalls unverzüglich veröffentlicht werden.

Sie müssen sich auch dafür einsetzen, dass die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, die EFSA, prüft, ob die tägliche Aufnahmemenge für PFOA noch den neuen Erkenntnissen entspricht, insbesondere den neuen Erkenntnissen zur Toxizität, zur Immuntoxizität, zur Entwicklungstoxizität und zu Störungen der Fertilität.

Wir werden den Anträgen der GRÜNEN und der FREIEN WÄHLER zustimmen.

Erlauben Sie mir noch ein PS zum nachgezogenen Antrag der CSU. Wir wissen, dass Sie Anträge von uns abschreiben. Dass Sie aber einen Antrag zu 90 % kopieren, inklusive der Überschrift, und nur zwei Spiegelstriche weglassen, das ist schon peinlich. Sie schreiben so schlecht ab, dass ein Abschnitt sogar den Sinnzusammenhang verloren hat. Das zeigt, dass Sie sich selbst mit diesem Thema überhaupt nicht auseinandergesetzt haben, sondern dass Sie auf die Zuarbeit der Opposition angewiesen sind. Das ist ein Armutszeugnis für Ihre Umwelt- und Verbraucherschutzpolitik. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön, Herr Kollege von Brunn. – Der nächste Redner ist Herr Kollege Zierer. Bitte schön, Herr Zierer.

Sehr geehrtes Präsidium, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir alle haben perfluorierte Chemikalien in unserem Blut, weil sie sich in unserer Kleidung, im Teppich oder in der Teflonpfanne befinden. Die Belastungen, denen wir ausgesetzt sind, stehen jedoch in keinem Verhältnis zu der Belastung der Menschen, die dort leben, wo diese Chemikalien hergestellt oder verwendet wurden. Im Chemiepark Gendorf im Landkreis Altötting wurde 40 Jahre lang PFOA hergestellt und verwendet – legal, mit Genehmigung; das sollte man durchaus dazusagen –, weil man lange Zeit nicht wusste, welche gesundheitsschädlichen Auswirkungen dieser Stoff hat. Heute wissen wir, dass PFOA unter anderem Schilddrüsenerkrankungen und Erkrankungen des Darms begünstigt, ebenso Hoden- und Nierenkrebs.

(Ingrid Heckner (CSU): Er hat andere genannt!)

Frau Kollegin, es ist peinlich genug, dass man es so viele Jahre wusste und nichts getan hat. Das ist auch

Ihre Verantwortung. Halten Sie sich also einfach zurück!

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN – Ingrid Heckner (CSU): Wissen Sie, wer die Ersten waren, die aktiv geworden sind?)

Es ist peinlich genug, dass man so viele Jahre von diesen Auswirkungen wusste, nicht reagierte und dann noch versucht, hier einen Wortbeitrag zu stören. Einfach ruhig sein und zuhören! Wenn man nicht lernfähig ist, wird man es auch mit dem Alter nicht mehr. Das ist eigentlich das Problem.

(Unruhe bei der CSU)

Dass die Verunsicherung in Altötting so enorm hoch ist, haben Sie zu verantworten. Die Verunsicherung ist da, weil Tatsachen lange verschwiegen worden sind und Hinweisen nicht nachgegangen worden ist.

Die Menschen wollen wissen, welch gefährlicher Stoff in ihrem Körper ist. Deshalb begrüßen wir die Blutuntersuchungen. Zum Glück haben sich über 900 Menschen freiwillig gemeldet. Sie wollen Transparenz haben. Sie wollen wissen, was in ihrem Blut ist. Solche Untersuchungen hätte es viel früher geben müssen. Seit 2006 ist bekannt, wie stark die Alz und das Trinkwasser in der Region mit Chemikalien belastet sind.

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Die Behörden haben daraufhin Lebensmittel, Trinkwasser und Boden untersuchen lassen und belastete Brunnen gesperrt. Sie haben aber keine Menschen untersucht. Das haben besorgte Bürger auf eigene Kosten tun müssen.

Wir verstehen auch nicht, warum im Rahmen der aktuellen Untersuchungen Kinder unter sieben Jahren nicht getestet werden sollen. Es ist doch klar, dass junge Eltern besonders besorgt sind, vor allem deshalb, weil bekannt ist, dass PFOA durch die Muttermilch auf die Kinder übergeht.

Was die gesundheitlichen Auswirkungen einer PFOABelastung auf Säuglinge und Kleinkinder betrifft, so gibt es noch Forschungsbedarf, weil zu wenige Daten vorhanden sind. Deshalb muss man jetzt die Gelegenheit nutzen. Leider sind im Landkreis Altötting erhöhte Werte festgestellt worden. Dort sind gewisse Dinge weiterhin zu untersuchen. Es gibt auch neue Erkenntnisse aus der Wissenschaft.

Wir werden selbstverständlich den Anträgen der SPD und der GRÜNEN zustimmen. Wir werden aber auch dem Antrag der CSU zustimmen.

Es ist bedauerlich und bemerkenswert, dass nach Feststellung der Belastung ein Human-Biomonitoring nicht stattgefunden hat. Das müssen Sie auf Ihre Kappe nehmen. Es ist unklar, warum Sie darauf verzichtet haben. Wir könnten zwar einen der Minister fragen, die damals zuständig gewesen sind; aber sie wissen bereits Bescheid. Der Skandal an der ganzen Geschichte ist, dass nichts gemacht worden ist, obwohl man schon lange davon gewusst hatte.

Ich hoffe, dass bei den jetzigen Untersuchungen Ergebnisse herauskommen, mit denen wir etwas anfangen können. Leider Gottes können wir die Zeit nicht zurückdrehen und das Ganze ungeschehen machen. Wir sollten wenigstens jetzt richtig reagieren, um den Leuten dort die Unsicherheit zu nehmen. Dafür braucht es Transparenz und Offenheit. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Danke schön, Herr Kollege Zierer. – Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Brendel-Fischer. Bitte schön, Frau Brendel-Fischer.