Protokoll der Sitzung vom 26.06.2018

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 135. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.

Bevor wir mit der Tagesordnung beginnen, darf ich noch drei Geburtstagsglückwünsche aussprechen: Am 20. Juni feierte Herr Kollege Ulrich Leiner einen halbrunden Geburtstag.

(Allgemeiner Beifall)

Und genau heute haben Frau Kollegin Martina Fehlner und Herr Kollege Thomas Mütze Geburtstag.

(Allgemeiner Beifall)

Ich wünsche Ihnen im Namen des gesamten Hauses und persönlich alles Gute und weiterhin viel Erfolg bei Ihren parlamentarischen Aufgaben.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich darf zudem noch auf einen runden "parlamentarischen Geburtstag" hinweisen: Am 19. Juni 1968 wurde vom Hohen Haus das Instrument der Aktuellen Stunde eingeführt, sodass es dieses mittlerweile 50 Jahre gibt. Damals sollte die Aktuelle Stunde "einen... Beitrag zur Belebung des Parlaments, zur Belebung der Verfahrensweise... und damit auch zur Verbesserung des Ansehens des Parlaments in der Öffentlichkeit" leisten, wie im Sitzungsprotokoll nachzulesen ist. Inwieweit diese Ziele immer erreicht werden, darüber können wir trefflich diskutieren. Einig sind wir uns aber sicher darin, dass die Aktuelle Stunde nach wie vor ein fester Bestandteil unseres Verfahrens hier im Haus sein sollte und auch bleiben soll. Wir werden auch gleich mit einer Aktuellen Stunde beginnen.

Ich rufe also Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde gem. § 65 BayLTGeschO auf Vorschlag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN "Handeln statt warten - für wirksamen Artenschutz"

In der Aktuellen Stunde dürfen die einzelnen Redner grundsätzlich nicht länger als fünf Minuten sprechen. Hat eine Fraktion das Benennungsrecht für mehrere Rednerinnen bzw. Redner, kann auf Wunsch der jeweiligen Fraktion eine ihrer Rednerinnen bzw. einer ihrer Redner bis zu zehn Minuten Redezeit erhalten. Dies wird auf die Anzahl der Redner der jeweiligen Fraktion angerechnet. Die fraktionslosen Abgeordneten Claudia Stamm, Günther Felbinger und Alexander Muthmann können jeweils bis zu zwei Minuten spre

chen. – Erster Redner unserer Aktuellen Stunde heute ist der Kollege Ludwig Hartmann. Bitte schön, Herr Hartmann.

(Vom Redner nicht au- torisiert) Sehr geehrtes Präsidium, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle hier im Hohen Hause kennen das Märchen vom Hasen und vom Igel. Da fordert ein hochnäsiger und vermeintlich schneller Hase einen kleinen, kurzbeinigen Igel zu einem Wettrennen heraus.

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Der Igel hat aber am Ende der Rennstrecke seine Frau, die ähnlich aussieht wie er selber, postiert. Der Hase merkt relativ schnell: Wenn er am Ziel ankommt, ist der Igel schon längst da. Er denkt, er habe das Rennen verloren. Das passiert 73 Mal, und beim 74. Mal bricht der Hase erschöpft zusammen.

Damit bin ich bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der CSU-Fraktion: Der Hase ist zusammengebrochen, weil er auf Hochmut und Naivität gesetzt hat. Das wurde ihm zum Verhängnis.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen der CSU, es wäre ganz nett, wenn Sie bei diesem Thema, das wirklich aktuell ist, auch zuhören würden. Darum würde ich Sie bitten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es mag sein, dass Sie meinen, dass gerade andere Themen aktuell sind. Wenn aber ein Thema in Bayern gerade ganz gravierend aktuell ist, dann ist es das Artensterben, das ein Ausmaß angenommen hat, wie wir es noch nie in Bayern erlebt haben. Da müssen wir jetzt gegensteuern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Und wie haben Sie in den letzten Monaten und Jahren gehandelt? – Das war wirklich naiv; das muss man ganz deutlich sagen. Sie glauben immer noch, dass Sie das Problem mit Freiwilligkeit und mit ein paar Förderprogrammen in den Griff bekommen. Das wird nicht funktionieren. Sie haben auch einen gewissen Hochmut, genauso wie ich es eben für den Hasen erwähnt habe: Sie wischen alle wissenschaftlichen Erkenntnisse und alle Ratschläge der Fachleute einfach zur Seite. Sie betreiben keine Politik für den Artenschutz. Sie betreiben eine Klientelpolitik rein für die Landwirte, und das ist falsch.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Übrigens ist der Igel – vielleicht ist Ihnen das gar nicht aufgefallen – in unserer Agrarlandschaft so gut wie nicht mehr vorhanden. Er ist dort bereits verschwunden. Man findet ihn vielleicht gerade noch in Baugebieten einer Stadtrandbebauung. Dass sich der Igel und der Hase in den Fluren unseres Landes nicht mehr treffen, zeigt das Versagen Ihrer CSU-Politik der letzten 10, der letzten 20 Jahre.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wer hätte gedacht, dass der Igel und der Hase nur einen Sprung davon entfernt sind, auf der Roten Liste der gefährdeten Säugetiere in unserem Land zu stehen? Wahrscheinlich sind der Hase und der Igel die Dinosaurier von morgen. Das weltgrößte Artensterben findet auch in Bayern statt. Bayern ist hier keine Ausnahme. Wir müssen jetzt gegensteuern. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Wenn Sie sich die Unterlagen für die Anhörung im Bayerischen Landtag einmal zu Gemüte geführt hätten, hätten Sie ganz schnell festgestellt, dass wir hier – man muss es so deutlich sagen – ziemlich knapp vor einer Katastrophe stehen.

Ein paar Zahlen dazu: Mehr als die Hälfte der beobachteten Brutvogelarten, also Feldlerche und Co., sind in einem ungünstigen Erhaltungszustand. Fast 60 % unserer bayerischen Schmetterlingssorten sind vom Aussterben bedroht. 43 % der wild lebenden Säugetiere und 50 % der Heuschreckenarten sind vom Aussterben bedroht. Da müssen doch auch bei Ihnen irgendwann einmal die Alarmglocken läuten. Man muss verstehen, dass die Politik, die Sie bis jetzt betrieben haben, nicht funktioniert hat, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir haben in Bayern ungefähr 80.000 Tier- und Pflanzenarten. Wenn man diese Zahlen hochrechnet, sind ungefähr 40.000 Tier- und Pflanzenarten in Bayern vom Aussterben bedroht. Vor dieser Zahl muss man nicht nur Angst haben; dies ist vielmehr eine Zahl, die das Versagen Ihrer Politik mehr als dokumentiert.

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, was haben Sie als Mehrheitsfraktion und als CSU-Regierung in den letzten Jahren im Bayerischen Landtag getan? Erinnern Sie sich einmal an die Biodiversitätsstrategie aus dem Jahre 2008. Sie ist keine zehn Jahre alt. Damals haben Sie sich selbst zum Ziel gesetzt, die Gefährdung der Tier- und Pflanzenarten, die auf der Roten Liste stehen, um eine Stufe zu reduzieren. Genau das Gegenteil ist eingetreten. Wir haben bereits das Jahr 2018. Die Liste wird nicht kürzer, sie wird ständig länger.

Ich komme zum Wiesenbrüter-Programm. Ich weiß nicht, ob einer der älteren Kollegen im Hohen Hause dem Landtag bereits seit 40 Jahren angehört. Vor fast 40 Jahren haben Sie ein Wiesenbrüter-Programm aufgelegt – vor fast 40 Jahren. Interessant ist die Stellungnahme der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft – LfL – zur Fachanhörung im Umweltausschuss. Dort heißt es: Bei den Wiesenbrütern konnte trotz 35 Jahren Wiesenbrüter-Programm der Abwärtstrend nicht gestoppt werden. – Da müssen Sie doch kapieren, dass Ihre eigene Politik nicht funktioniert hat. Das kommt von Ihren Behörden.

(Beifall bei den GRÜNEN – Manfred Ländner (CSU): Eure Politik funktioniert nicht!)

Machen wir weiter, und gehen wir zum nächsten Programm: Ihre Artenhilfsprogramme für Muscheln, Feldhamster und Krötenarten gingen oft auch daneben. Sie haben alle aus dem gleichen Grund nicht funktioniert. Sie haben nicht den Mut und die Entschlossenheit, konkrete Vorgaben zu machen, um das Artensterben in Bayern endlich zu stoppen. In der Neuauflage Ihres Biodiversitätsprogrammes Bayern 2030 – das müsste im Jahr 2014 in diesem Hohen Hause beschlossen worden sein – haben Sie selber zugegeben, dass bereits 5,7 % der heimischen Tierarten und 3,5 % unserer Pflanzenarten ausgestorben sind: 545 Tierarten, darunter die Sumpfohreule oder der Regensburger Gelbling, und 181 Pflanzenarten. So sieht die Wirklichkeit gerade in Bayerns Fluren aus.

Das ist Ihr Versagen. Positiv ist, dass die Menschen in Bayern längst verstanden haben, dass die Politik zum Guten geändert werden muss. Rund 92 % der Bürgerinnen und Bürger in Bayern finden es wichtig, mehr für den Schutz unserer Tier- und Pflanzenwelt zu tun, für die Igel, Feldhasen, für die Wildbienen und die Schmetterlingsarten. Rund 79 % der Bürgerinnen und Bürger finden, dass Bayern für den Schutz der Tiere und der Pflanzen viel mehr tun muss. Das ist ein deutliches Zeichen dafür, dass die Menschen mit Ihrer Politik nicht zufrieden sind.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Denjenigen, die immer noch in den Ausschüssen oder im Plenum des Hohen Hauses davon reden, dass alles mit Freiwilligkeit funktionieren müsse, kann man deutlich sagen: Die Mehrheit der Menschen in Bayern möchte klare gesetzliche Regeln, damit das Artensterben und der Artenschwund in Bayern gestoppt werden. Ziel muss es sein, eines Tages die Artenvielfalt zurückzugewinnen. Sie darf nicht weiter schrumpfen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Bayern ist sich auch darin einig, dass wir den Ackergifteinsatz deutlich reduzieren müssen. Wir müssen weg von den Ackergiften. Wir als GRÜNE-Landtagsfraktion haben eine Strategie vorgestellt, wie wir in den nächsten 30 Jahren den Ackergifteinsatz um 50 % reduzieren können. Von Ihnen habe ich gar nichts gehört. Sie plappern immer nur das nach, was die großen Pharmakonzerne und die großen Gifthersteller erzählen. Aber das funktioniert nicht mehr. Der Artenschwund findet täglich statt.

Was müssen wir machen? – Wir brauchen größere zusammenhängende Schutzgebiete. Die Schutzgebiete für seltene Tier- und Pflanzenarten müssen nicht nur erhalten und erweitert werden, es müssen auch neue geschaffen werden. Für uns GRÜNE heißt das: ein dritter Nationalpark in Bayern. Bayern kann mehr für den Artenschutz erreichen.

(Beifall bei den GRÜNEN – Manfred Ländner (CSU): Was hat der Nationalpark mit Artenschutz zu tun?)

Mein sehr geehrter Herr Kollege, davon haben Sie überhaupt keine Ahnung. Wenn wir irgendwo Hotspots des Artenschutzes in Bayern haben, dann in unseren Nationalparks. Deshalb ist es gut, wenn wir einen dritten, vierten oder fünften Nationalpark dazubekommen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die NATURA-2000-Gebiete machen 11 % der Landesfläche aus. Diese müssen endlich unter einen gescheiten Schutz gestellt werden. Das sind die europäischen Vogelschutzgebiete und die FFH-Gebiete. An dieser Stelle gibt es einiges zu tun. Die Menschen in Bayern sind bereit, für den Naturschutz und den Artenschutz mehr zu tun. Nein, sie erwarten es sogar.

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, wir wollen das Artensterben nicht nur stoppen, wir wollen die Artenvielfalt zurückgewinnen. Dafür braucht es eine Politik der Verbindlichkeit. Die CSU-Politik mit den schön klingenden Programmen, den vielen Fototerminen – heute hat wieder einer stattgefunden – und der Freiwilligkeit ist krachend gescheitert. Das hat nicht funktioniert. Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, Politik muss doch irgendwann einmal Realitäten anerkennen. Nachdem Freiwilligkeit nicht funktioniert hat, müssen wir einen anderen Weg gehen. Übrigens sind die Menschen in Bayern bereit, diesen Weg zu gehen. Sie haben sich im Rahmen einer Umfrage in der letzten Woche mit einer deutlichen Mehrheit dafür ausgesprochen. Sie wollen klare und verbindliche Gesetze, um das Aussterben einer

Tierart nach der anderen in unserem Lande endlich zu stoppen.

(Anhaltender Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Kollege Hartmann. – Nächster Redner ist Herr Kollege Dr. Hünnerkopf. Bitte schön.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Das Thema der heutigen Aktuellen Stunde lautet: "Handeln statt warten – für wirksamen Artenschutz". Uns verbindet sicher, dass die Signale zum Insektensterben gerade aus dem letzten Sommer uns betroffen gemacht haben. Herr Hartmann hat sich vollmundig über die negative Situation in Bayern geäußert. Überall dort, wo die GRÜNEN mitregieren oder in den zurückliegenden Jahren mitregiert haben, dürfte man dieses Phänomen überhaupt nicht kennen. Dem ist aber nicht so.

(Beifall bei der CSU – Widerspruch bei den GRÜ- NEN – Zuruf des Abgeordneten Ludwig Hart- mann (GRÜNE))

Ich finde: Wenn wir dieses Thema beleuchten wollen, müssen wir so ehrlich sein zu sagen, dass es uns deutschland-, europa-, weltweit betrifft, nicht nur in Bayern.

(Beifall bei der CSU)

Auf dieser Grundlage können wir miteinander reden, aber nicht unter dem Motto: Die CSU hat in Bayern die Biodiversität reduziert und das Artensterben herbeigeführt. Das ist unredlich.