Wir müssen schauen, dass wir gerecht vorgehen. Wir dürfen diese Minderheit – es ist sehr wohl eine Minderheit – nicht vergessen, sondern müssen sie an Wahlen teilnehmen lassen. Ich gehe davon aus, dass Wahlergebnisse sich dadurch nicht fundamental ändern werden, sondern dass genauso vernünftige Ergebnisse zustande kommen wie – manchmal – bisher.
Danke schön, Herr Kollege. Als Nächste hat Kollegin Kerstin Celina von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.
"Das Heil der Demokratien, von welchem Typus und Rang sie auch immer seien, hängt von einer geringfügigen technischen Einzelheit ab: vom Wahlrecht. Alles andere ist sekundär." - Als ich das Zitat des spanischen Philosophen José Ortega y Gasset gelesen habe, habe ich mich gefragt, ob er nicht etwas übertreibe und ob die Art, in der das Wahlrecht ausgestattet ist, wirklich so entscheidend für den Bestand der Demokratie sei. Warum ist es denn so wichtig, wer alles zur Wahl gehen kann? Ganz einfach: Diejenigen, die wählen, entscheiden darüber, wie der Wohlstand in unserem Land verteilt wird und wer ihn verteilen darf. Daher macht es tatsächlich einen Unterschied, ob Gruppen bzw. einzelne Bürger vom Wahlrecht ausgeschlossen werden.
Es gibt verschiedene Gründe, Menschen vom Wahlrecht auszuschließen: Manche sind zu jung, andere stehen unter Betreuung oder brauchen aus anderen Gründen Hilfe. Wieder andere haben gezeigt, dass sie irgendwann in ihrem Leben nicht in der Lage waren, richtig zu entscheiden, oder dass sie nicht immer fähig sind, die Verantwortung für ihre Entscheidungen zu übernehmen. Dass es möglich ist, Menschen aus bestimmten Gründen vom Wahlrecht auszuschließen, wurde von Gerichten bestätigt. Klar ist auch: Bürger können, müssen aber nicht vom Wahlrecht ausgeschlossen werden. Die Entscheidung, wer alles wählen darf, liegt bei uns, bei den gesetzgebenden Parlamenten.
Es gibt gute Gründe, das Wahlrecht breit zu fassen. Wir debattieren immer wieder über das richtige Mindestwahlalter, darüber, ob Eltern für ihre minderjährigen Kinder ein zusätzliches Wahlrecht bekommen sollen. Manche in dieser Gesellschaft diskutieren leider auch darüber, ob nur noch Nettosteuerzahlern das Wahlrecht zugestanden, den Inaktiven und den Versorgungsempfängern – Beamten, Politikern, Arbeitslosen, Rentnern – aber aberkannt werden sollte.
Wichtig ist, dass uns Folgendes immer bewusst ist: Das Recht, zu wählen und gewählt zu werden, ist ein politisches Grundrecht. Wenn es um das Wahlrecht von Menschen mit Unterstützungsbedarf geht, darf also nicht die Frage im Mittelpunkt stehen, ob man sie vom Wahlrecht ausschließen möchte, sondern es muss die Frage im Mittelpunkt stehen, wie die notwendige Unterstützung realisiert und wie möglicher Missbrauch im Zuge dieser Unterstützung verhindert werden kann.
Werden ganze Personengruppen vom Wahlrecht ausgeschlossen, dann wird als Begründung dafür fast immer angeführt, ihnen fehle die Fähigkeit zur Wahl. Aber beim Wahlrechtsausschluss, wie er gegenwärtig gesetzlich normiert ist, wird die Fähigkeit zur Wahl überhaupt nicht individuell geprüft. Wie sollte man das auch tun? Welche objektiven Kriterien sind denn geeignet, um zu bestimmen, ob eine Person in der Lage ist, eine Wahl zu treffen? Welche Personengruppen sollten sich einer Wahlrechtsfähigkeitsprüfung unterziehen? Wer kann diese Prüfungen durchführen? Auf diese Fragen gibt es keine Antworten. Daher ist es nicht hinnehmbar, ganze Gruppen pauschal vom Wahlrecht auszuschließen.
Sollte man nicht eher darüber nachdenken, wie man diejenigen, die wählen möchten, unterstützen kann? Bürgerinnen und Bürger, die wählen dürfen, geben ihre Stimme einer oder mehreren politischen Parteien. Einige machen ihren Stimmzettel bewusst ungültig, andere wählen gar nicht. Menschen, die wählen dürfen, wählen nach ihren eigenen Maßstäben. Sie wählen in den Augen anderer manchmal vernünftig, manchmal unvernünftig. Sich für eine dieser Möglichkeiten zu entscheiden, ist das gute Recht aller wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger. Es gibt keinen Grund, dieses Recht Menschen mit Unterstützungsbedarf zu entziehen.
In Deutschland stehen etwa 10.000 Menschen unter Betreuung; sie dürfen nicht wählen. Andere Staaten haben andere Lösungen gefunden und die Forderungen der UN-Behindertenrechtskonvention in diesem Punkt schon umgesetzt. Wir hinken insoweit hinterher. - Dass nun darüber debattiert wird, ob unser Wahlrecht in diesem Punkt noch zeitgemäß ist, ist zu begrüßen. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass
die SPD-Fraktion einen guten Weg gefunden hat, dieses Problem anzugehen. Deswegen unterstützen wir den Gesetzentwurf.
Danke schön, Frau Kollegin. – Als Nächster hat Herr Staatsminister Joachim Herrmann das Wort. Bitte schön.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf fordert die SPDFraktion, im Landes- und im Kommunalwahlrecht die Wahlrechtsausschlüsse bei Totalbetreuung und bei Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen Schuldunfähigkeit aufzuheben. Diese Regelungen gelten – wohlgemerkt – nicht nur im Landesrecht, sondern auch bezogen auf Bundestags- und Europawahlen. Die Festlegung zum Wahlrechtsausschluss bei Totalbetreuung gilt nach wie vor in allen Ländern der Bundesrepublik Deutschland.
Es ist wichtig, dass wir uns mit dieser Thematik beschäftigen. Dafür haben wir uns bereits auf Bundesebene eingesetzt. Wir haben uns im Bundesrat im März letzten Jahres ausdrücklich dafür ausgesprochen, die bestehenden Wahlrechtsausschlüsse einer politischen Neubewertung zu unterziehen. Es ist gerade darauf hingewiesen worden, dass es auf Bundesebene eine Anhörung dazu gab. Man hat sich dort darauf verständigt, die Ergebnisse der in Auftrag gegebenen Studie abzuwarten. - Herr Kollege Arnold, ich verstehe nicht ganz, warum Sie so eine Schärfe in dieses Thema hineingebracht haben. Ich kann jedenfalls nicht erkennen, dass wir in dieser Frage zwischen den Parteien oder zwischen den Ländern und dem Bund einen riesigen Meinungsstreit hätten. Auf Bundesebene ist man dabei, das Thema konstruktiv und gemeinsam zu lösen. Selbstverständlich könnte man sagen: Wir beschließen allein in Bayern eine Gesetzesänderung: was die anderen machen, interessiert uns nicht. Wenn aber der Bund und einige andere Bundesländer dieses Thema zeitnah angehen – wir sollten uns dessen gemeinsam vergewissern –, scheint es mir nicht abwegig, sondern sinnvoll zu sein, eine gemeinsame Lösung zu erarbeiten: Was entscheidet in Zukunft ein Richter? Wie gehen wir damit um? Wo haben wir einen allgemeinen Ausschluss? Wo wird er individuell festgelegt? Über diese Dinge kann man ganz vernünftig reden. Vor dem Hintergrund der zu Recht angeführten Argumente wissen Sie aber auch, dass es nach außen und für die Betroffenen nicht besonders überzeugend wirkt, wenn wir am Schluss zu unterschiedlichen Regelungen kommen, sodass jemand aufgrund vergleichbarer Sachverhalte bei einer Bundestagswahl wahlberechtigt ist
und bei einer Landtagswahl nicht – oder umgekehrt. Am Schluss kann es Gründe geben, dies unterschiedlich zu regeln. Zunächst einmal erscheint es mir aber nicht völlig falsch, sich damit zu befassen.
Mit Verlaub, Herr Kollege Arnold, unsere Parteien stellen gemeinsam eine Bundesregierung. Somit gehe ich davon aus, dass die Koalition in Berlin dieses Thema nicht auf die lange Bank schieben, sondern auf jeden Fall regeln will. Ich gehe davon aus, dass die nächste Bundestagswahl sogar früher als die nächste Landtagswahl stattfindet. Die nächste allgemeine Kommunalwahl in Bayern findet noch später statt. Insofern besteht kein großer Zeitdruck.
Mein Petitum ist, in den weiteren Beratungen zu überlegen, ob wir uns die Ergebnisse der Studie auf Bundesebene doch noch einmal anschauen sollen. Ich sage ausdrücklich: Ich halte es für richtig, dass wir dieses Thema angehen und etwas geändert wird. Vielleicht erreichen wir noch ein gemeinsames Vorgehen in dieser Frage. Darüber sollte nachgedacht werden. Ich will ausdrücklich noch einmal sagen: Wir halten die gegenwärtige Regelung nicht für rechtswidrig. Das haben Gerichte schon entschieden. Wir halten es aber angesichts der zuvor schon vorgebrachten Argumente für klug, dieses Thema noch einmal zu überdenken. Für die Reduzierung der Zahl von Wahlrechtsausschlüssen mit einer überarbeiteten Gesetzgebung sprechen in der Tat viele Argumente. Damit sollten wir uns gemeinsam aufgeschlossen beschäftigen.
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit ist die Aussprache geschlossen. Im Einvernehmen mit dem Ältestenrat schlage ich vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuss für Kommunale Fragen, Innere Sicherheit und Sport als federführendem Ausschuss zu überweisen. Besteht damit Einverständnis? – Widerspruch sehe ich nicht. Dann ist so beschlossen.
Gesetzentwurf der Abgeordneten Margarete Bause, Ludwig Hartmann, Katharina Schulze u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Stärkung der Direkten Demokratie in Bayern Volksbegehren und Volksentscheid verbessern (Drs. 17/1600) - Erste Lesung
Gesetzentwurf der Staatsregierung zur Änderung des Landeswahlgesetzes (Einführung von Volksbefragungen) (Drs. 17/1745) - Erste Lesung
Der Gesetzentwurf wird von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN als Erste begründet. Im Anschluss erhält die Staatsregierung das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass wir im Plenum erneut über mehr Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern sprechen. Wir GRÜNE fordern das schon seit Jahren. In dieser Legislaturperiode hat die CSU-Fraktion das auch irgendwie für sich entdeckt und das angeblich neue Superthema Volksbefragungen in den Raum geworfen. Für mich ist das eher ein Beteiligungsplacebo. Im Folgenden möchte ich ausführen, warum ich das so sehe. Dann möchte ich unseren Gesetzentwurf vorstellen und erklären, wie wir uns die Stärkung von direkter Demokratie und damit eine Verbesserung der Volksentscheide und Volksbefragungen vorstellen.
Die bisherigen Regelungen, die schon viele Jahre gut laufen, gehören einmal auf den Prüfstand. Dann sieht man, dass wir noch ein paar Dinge verändern könnten. Wir GRÜNE wollen mit unserem Gesetzentwurf Volksabstimmungen in Zukunft zu allen Themen durchführen, zu denen auch der Landtag Beschlüsse fasst. Dabei kann es sich nicht nur um einen Gesetzentwurf, sondern auch um konkrete Sachfragen handeln. Wir möchten auch, dass Fragen mit finanziellen Auswirkungen zum Gegenstand von Volksabstimmungen gemacht werden. Selbstverständlich kann es keine Abstimmungen über den Gesamthaushalt geben. Jedoch möchten wir das insgesamt weitern und lockern und die Bürgerinnen und Bürger auch bei Fragen mit finanziellen Auswirkungen zu Wort kommen lassen.
In unserem Gesetzentwurf drehen wir bei den formalen Voraussetzungen ein bisschen an den Stellschrauben. Das betrifft einfache Dinge: Die Eintragungsfrist soll von zwei auf vier Wochen verlängert werden. Wir möchten, dass man sich auch brieflich für Volksbefragungen eintragen kann und die Hürde für die Zahl an Unterstützungsunterschriften, die eingereicht werden müssen, von 10 % der Stimmberechtigten auf 5 % gesenkt wird.
zur kommunalen Ebene, wo es das Modell des Ratsentscheides gibt, wie wir alle wissen, beschließen kann. Das möchten wir auch auf Landesebene. Das sind unsere Vorstellungen von mehr direkter Demokratie und mehr Beteiligung für die Bürgerinnen und Bürger.
Wenn ich mir den Gesetzentwurf der Staatsregierung, über den in den Medien schon lange spekuliert wird und der heute im Plenum beraten wird, einmal angucke, habe ich das Gefühl, dass sich der Gesetzentwurf nicht automatisch für direkte Demokratie einsetzt, nur weil man die Wörter "Volk" und "Befragung" in den Titel setzt.
Bei Ihrer Variante werden die Bürgerinnen und Bürger zwar gefragt, im Endeffekt haben sie jedoch nichts zu sagen. Das kann ich Ihnen an vier Punkten deutlich machen.
Zum einen können der Bayerische Landtag und die Staatsregierung zusammen mit einfacher Mehrheit beschließen, dass es zu einer Volksbefragung kommt. Eine kleine Nebenbemerkung: Wenn man mehr Beteiligung für die Bürgerinnen und Bürger erreichen will, wieso gibt man dann nur dem Landtag und der Staatsregierung die Möglichkeit, die Bürgerinnen und Bürger zu befragen? Warum gibt es nicht die Möglichkeit, dies von unten an den Landtag heranzutragen?
Weiter irritiert mich sehr, dass Sie über Dinge von landesweiter Bedeutung abstimmen möchten. Das haben Sie nicht näher ausgeführt. In Ihrem Gesetzentwurf steht – ich zitiere: "Von landesweiter Bedeutung sind insbesondere Vorhaben zur Herstellung und Sicherung einer für Bayern insgesamt relevanten Infrastruktur". Ich habe ein bisschen das Gefühl, dass Sie die Schmach des verlorenen Bürgerentscheids zur dritten Startbahn immer noch nicht überwunden haben. Wieso haben Sie gerade das Thema Infrastruktur aufgenommen? Das wundert mich etwas. Wenn ich weiterlese, denke ich mir, dass Ihr Kalkül nicht ganz aufzugehen scheint; denn Sie sagen, diese Volksbefragungen sollten am Ende ohnehin nicht bindend sein. Das finde ich etwas lächerlich und scheinheilig. Das ist für mich eher Scheindemokratie. Es ist unlogisch und albern, Bürgerinnen und Bürger nach ihrer Meinung zu fragen und das Ergebnis als nicht bindend zu erachten.
dend. Was durchaus politisch bindend bedeutet, habe ich nicht so ganz verstanden. Vielleicht kann mir das nachher erklärt werden. Man könnte das so verstehen: Wenn bei einer Volksbefragung das herauskommt, was Ihnen gut gefällt, beurteilen Sie es als bindend und nehmen es an. Wenn da aber etwas herauskommt, was Sie nicht für gut erachten, ist diese Volksbefragung eben nicht bindend, dann können Sie über diese hinweggehen. So funktioniert direkte Demokratie jedenfalls nicht.
Mich stört ein weiterer Punkt in Ihrem Gesetzentwurf. Zu diesem Punkt möchte ich Ihnen einen Tipp geben. Ich denke mal, das wissen Sie auch. Wenn Sie als CSU-Fraktion wissen möchten, was die Bürgerinnen und Bürger bewegt, können Sie entweder direkt mit ihnen reden oder Umfrageinstitute beauftragen. Diese kennen Sie sicher auch. Dort kann man eine Befragung in Auftrag geben und sich den Trend in der Bevölkerung abholen. Das halte ich für deutlich besser, als für 10 bis 15 Millionen Euro, wie Sie selber angegeben haben, jeweils eine Volksbefragung durchzuführen. Das kostet nur wahnsinnig viel Geld und soll am Ende ohnehin nicht bindend sein.
Außerdem schürt man hohe Erwartungen, wenn man die Bürgerinnen und Bürger zur Abstimmung bittet. Am Ende wissen diese nicht, ob das, worüber sie entscheiden, für Sie überhaupt Relevanz hat. Das ist aus demokratietheoretischer Sicht sehr schwierig.
All diese von mir eben genannten Auffassungen vertreten nicht nur wir als GRÜNEN-Fraktion, sondern auch der Bayerische Städtetag zum Beispiel hat sich mit diesem Thema beschäftigt. Dieser wird Ihnen diesbezüglich noch eine schriftliche Stellungnahme zukommen lassen; aus den genannten Gründen spricht er sich klar gegen diese Art der Volksbefragung aus. Der Bayerische Städtetag ist der Auffassung, dass das für die einzelnen Kommunen und für das gesamte Land eine Placebo-Beteiligung wäre, die im Endeffekt gar nichts nütze.
Ich freue mich auf die weiteren Debatten zu diesem Thema. Ich würde mich auch sehr freuen, wenn unser Gesetzentwurf Ihre Zustimmung fände; denn wenn ich Ihre Aussage ernst nehme, was ich sehr gern machen würde, dass auch Sie die direkte Demokratie weiterhin voranbringen und befördern möchten, dann bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als unserem Gesetzentwurf zuzustimmen. Wer für die Stärkung der Bürgerbeteiligung ist, der sollte nicht auf Demoskopie, sondern auf mehr Demokratie setzen.