Protokoll der Sitzung vom 15.10.2014

Im Moment ist Asyl das brennende Thema. Jeden Tag finden sich zwei bis drei Seiten in den Zeitungen. Ich stimme dem Ministerpräsidenten zu, wenn er heute im "Münchner Merkur" sagt, dass wir eine gemeinsame Kraftanstrengung aller Beteiligten, Bund, Länder und Gemeinden, bräuchten, um dieses Problem zu lösen. Herr Ministerpräsident, Sie haben von einer "Gemeinschaftsaktion" gesprochen. Ich bitte Sie deshalb, auch alle einzubeziehen. Ich bin schon gespannt auf die Beratung der anderen Anträge. Früher war es so, dass die CSU Anträge der SPD, der FREIEN WÄHLER oder der GRÜNEN abgelehnt hat, weil sie bereits tätig geworden sei und das ganze Thema im Griff habe. Derzeit lesen wir in den Zeitungen, dass Sie dieses Thema noch nicht ganz im Griff haben. Das jedoch nur am Rande.

Wir sind bereit, uns der Verantwortung zu stellen. In diesem Gesetzentwurf sind drei kleine Neuerungen enthalten. Gemeinschaftsunterkünfte sollten zentral liegen, erreichbare Einkaufsmöglichkeiten haben, an regelmäßig verkehrende Verkehrsmittel angebunden sein, Ärzte und Schulen in der Nähe haben usw. Sie haben in Ihrem Gesetzentwurf jedoch geschrieben, dies müsse so sein. Das ist für uns ein Problem. "Müssen" heißt, dass diese Voraussetzungen geschaffen werden müssen. Bei der heutigen Vielzahl von Asylbewerbern wäre es besser, die Formulierung "soll angestrebt werden" zu verwenden.

Die anderen beiden Neuerungen können wir unterstützen. Ich meine, dass es bei der Verteilung oder Umverteilung gilt, ein Mindestmaß an gesellschaftlicher und kultureller Teilhabe zu gewährleisten. Der Artikel 6 ist gut: Bei der Verteilung sind die Interessen der Betroffenen zu berücksichtigen. Die FREIEN WÄHLER haben im Jahr 2009 einen Gesetzentwurf eingebracht, der als Grundsatz eine dezentrale Unterbringung vorsieht. Wir müssen noch einmal darüber diskutieren, was "dezentral" bedeutet. Das können aber keine großen Gemeinschaftsunterkünfte mit 300 bis 400 Personen sein; denn dort sind soziale Spannungen häufiger als in kleineren Einheiten. Kleinere Einheiten bedeuten aber auch einen größeren Aufwand bei der Asylsozialberatung. Wir haben damals gesagt, es müsste möglich sein, dass nicht nur Familien ausziehen, denen die Staatsregierung dies erlaubt hat, sondern auch Alleinerziehende, Schwangere oder Schwerbehinderte.

Uns ist wichtig, dass die Personen nach 12 Monaten ausziehen dürfen. Richtig ist, dass es leider das Wohnungsproblem gibt. Dieses Problem gibt es vor allen Dingen in den großen Städten. Auf dem Land ist es zum Teil besser. Wir müssen jedoch die Realität sehen: Laut Angaben der Staatsregierung leben 15 % aller Asylbewerber länger als fünf Jahre in einer Gemeinschaftsunterkunft, 5 % sogar länger als zehn Jahre. Deshalb begrüßen wir die Initiative von Bundesinnenminister de Maizière, der ein Bleiberecht für Flüchtlinge fordert, nämlich für abgelehnte Personen, die nicht mehr abgeschoben werden können und aus humanitären Gründen hier sind. Über diese Initiative der Bundesregierung sollten wir auf jeden Fall reden.

Was kritisieren wir? Wir berücksichtigen die Kommunen zu wenig. Ein zusätzlicher Verwaltungsaufwand entsteht, der mit Sicherheit aus der Vorgabe erwächst, dass die Behörden die Flüchtlinge bei der Wohnungssuche unterstützen müssen. Dadurch, dass die Wohnungsunterbringung zur Regel und die Gemeinschaftsunterkunft zur Ausnahme erklärt wird, wird der Verwaltungsaufwand weiter in Richtung Kom

munen verschoben. Dieses Problem müsste konkret finanziell gelöst werden.

Abschließend komme ich zu Artikel 7 des Gesetzentwurfs der GRÜNEN, nach dem eine Zuständigkeit der Gemeinden für die Unterbringung von Leistungsberechtigten außerhalb von Gemeinschaftsunterkünften vorgesehen ist. Verschiedene unserer Landräte haben sich gefragt, ob es sich hier um redaktionelles Versehen oder um eine absichtliche Formulierung handelt. Bisher sind nämlich nur die Landkreise und kreisfreien Städte dafür zuständig. Diese Zuständigkeit würde manche Gemeinde völlig überfordern. Deswegen wünschen wir hier eine Veränderung.

Fazit: Der Gesetzentwurf geht unserer Meinung nach durchaus in die richtige Richtung, lässt aber in Bezug auf die praktische Umsetzung und vor allem im Hinblick auf die Auswirkung auf die Kommunen vieles offen.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Danke schön, Herr Kollege. Frau Kollegin Christine Kamm hat noch einmal das Wort. Sie hat noch zwei Minuten. Bitte schön.

Danke schön, Herr Präsident, und danke schön für die Beiträge, die doch etwas Hoffnung machen, dass Bewegung in die Sache kommt. Herr Unterländer, Sie haben die Sorge geäußert, wenn Flüchtlinge aus den Gemeinschaftsunterkünften ausziehen dürfen, komme es zu Konflikten beim Wohnraum, insbesondere beim preisgünstigen Wohnraum in Ballungsregionen. – Diese Situation erkennen wir auch, aber sie wird ohnehin eintreten; denn Sie können Flüchtlinge nicht unbegrenzt in Gemeinschaftsunterkünften festhalten.

Wenn Sie die Situation wirklich so deutlich sehen, sollten Sie darüber nachdenken, ob Sie die Wohnbaufördermittel im Staatshaushalt wirklich deutlich absenken wollen, wie Sie es im Haushaltsentwurf 2014/2015 vorgesehen haben, und ob man in dieser Situation nicht wesentlich mehr für den sozialen Wohnungsbau in Ballungsregionen tun muss. Es wäre der falsche Schluss, vorzugeben, wir müssen die Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften halten, weil wir Wohnbauprobleme haben.

Als Nächstes komme ich auf das Thema der sogenannten Fehlbeleger zu sprechen. Flüchtlinge kommen mit viel Initiative und Schwung hierher. Ich kenne Fälle, in denen Flüchtlinge beispielsweise zehn Jahre in Gemeinschaftsunterkünften leben müssen, ohne eine Auszugsberechtigung zu haben. Sehen Sie sich einmal an, wie viel Schwung diese Flüchtlinge nach

Jahren in einer Gemeinschaftsunterkunft noch haben; dazwischen liegen Welten. Ich sage Ihnen: Sie sollten die Initiative der Menschen wirklich nutzen. Diese Menschen können viel dazu beitragen, die Situation zu verbessern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Lieber Herr Kollege Fahn, es stimmt zwar, dass die Staatsregierung zuständig ist, doch was nützt das den Kommunen? – Die Kommunen bekommen nun jeden Montag ein Schreiben, wonach sie in der kommenden Woche sechs, sieben oder acht Flüchtlinge aufnehmen müssen. Was tun sie dann? Sie mieten Wohnungen an und nehmen die Flüchtlinge auf. Die Verantwortung liegt zwar bei der Staatsregierung, aber die Arbeit haben die Kommunen. So verhält es sich derzeit bei den Erstaufnahmeeinrichtungen und bei den Gemeinschaftsunterkünften. Inzwischen habe ich gesehen, dass die Kommunen sogar wesentlich dazu beitragen, die Situation bei der Erstaufnahme zu entschärfen, was die Staatsregierung offenbar derzeit nicht leisten kann. – Der finanzielle Ausgleich ist in unserem Gesetzentwurf sehr wohl geregelt; er soll nach wie vor bei der Staatsregierung liegen. – Diejenigen, die handeln, sollten mehr Möglichkeiten und Kompetenzen bekommen. - Ich hoffe auf gute Beratungen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Kollegin. Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen mehr. Damit ist die Aussprache geschlossen. Ich schlage vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuss für Arbeit und Soziales, Jugend, Familie und Integration als federführendem Ausschuss zu überweisen. Besteht damit Einverständnis? – Widerspruch erhebt sich nicht. Dann ist es so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 e auf:

Gesetzentwurf der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Franz Schindler, Horst Arnold u. a. und Fraktion (SPD) zur Änderung des Gesetzes über den Bayerischen Verfassungsgerichtshof (Drs. 17/3232) - Erste Lesung

Der Gesetzentwurf wird vonseiten der Antragsteller begründet. Das Wort hat Herr Kollege Franz Schindler von der SPD. Bitte schön, Herr Kollege.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich räume ein, dass wir diesen Gesetzentwurf schon einmal, nämlich im Dezember 2009, eingebracht haben. Aber im neuen Landtag haben wir eine neue Initiative ergriffen, damit

die neuen Kolleginnen und Kollegen, die es damals nicht miterleben konnten, die Chance bekommen, sich mit diesem Problem auseinanderzusetzen.

Worum geht es? - Gemäß Artikel 25 Absatz 5 des Gesetzes über den Bayerischen Verfassungsgerichtshof hat jeder Richter das Recht, seine von der Entscheidung oder von deren Begründung abweichende Ansicht in einem Sondervotum schriftlich niederzulegen. – Hiervon wird gelegentlich Gebrauch gemacht; am auffälligsten war dies zuletzt bei der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs über den Zuschnitt der Landtagsausschüsse. Dieser Streitpunkt ergab sich zu Beginn der letzten Legislaturperiode. Damals haben vier der neun Richter ein Sondervotum abgegeben. So weit, so gut. – Allerdings heißt es im Gegensatz zu der entsprechenden Vorschrift über das Bundesverfassungsgericht im Gesetz über den Bayerischen Verfassungsgerichtshof, dass das Sondervotum ohne Angabe des Verfassers der Entscheidung anzuschließen ist. - Die Öffentlichkeit erfährt also nicht, ja, darf gar nicht erfahren, wer ein Sondervotum abgegeben hat. Im Übrigen kann das Bundesverfassungsgericht im Gegensatz zum Bayerischen Verfassungsgerichtshof auch das Abstimmungsergebnis in der Entscheidung bekannt geben; in Bayern ist das nicht zulässig.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind der Auffassung, dass die genannten Vorschriften im Gesetz über den Bayerischen Verfassungsgerichtshof antiquiert sind und insbesondere nicht dem Gebot der Transparenz entsprechen.

(Beifall bei der SPD)

Die hiergegen im Laufe der Beratungen vor mittlerweile fünf Jahren und möglicherweise jetzt wieder eingebrachten Einwände greifen und überzeugen nicht. Insbesondere greift das Argument nicht, dass die Unabhängigkeit des Gerichts und der einzelnen Richter in Gefahr gerate, wenn die Richter ein Sondervotum mit ihrem Namen kennzeichnen müssen. Niemand ist jemals auf die Idee gekommen, dies beim Bundesverfassungsgericht auch nur in Erwägung zu ziehen.

Als weiteres Argument wird vorgebracht, man müsse doch bedenken, dass Richter am Bayerischen Verfassungsgerichtshof nicht auf Lebenszeit gewählt werden und nicht nur eine Amtsperiode ableisten dürfen, sondern wiedergewählt werden möchten, und weil sie wiedergewählt werden möchten, haben sie möglicherweise Angst, bekannt zu geben, wie sie in ihrem Innersten denken, und deswegen unterlassen sie ein Sondervotum. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, welche Meinung haben Sie eigentlich von den

Damen und Herren Verfassungsrichtern in Bayern? – Wir haben eine sehr hohe Meinung von ihnen und sind fest davon überzeugt, dass jeder Richter und jede Richterin seine beziehungsweise ihre innerste Überzeugung zum Ausdruck bringt und nicht auf eine mögliche Wiederwahl schielt.

(Beifall bei der SPD, den FREIEN WÄHLERN und den GRÜNEN)

Wir haben offensichtlich eine viel höhere Meinung von dem Selbstbewusstsein und der Selbsteinschätzung der Richter als Sie.

Außerdem wird argumentiert, dass nicht die einzelne Person Recht spreche, sondern die Urteile im Namen des Volkes und beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof im Namen des Freistaates Bayern ergingen. Auch dieser Einwand überzeugt nicht. In jedem Amtsgericht und in jedem Landgericht steht selbstverständlich der Name des Richters vor der Verhandlung außen am Aushang, und der Richter steht selbstverständlich mit seiner ganzen Person für das Urteil, das er unterschreibt. Er steht also zu der Entscheidung, die er im Namen des Volkes fällt. Warum soll sich das bitte beim Verfassungsgerichtshof anders verhalten? Warum braucht man hier diese Anonymität?

(Beifall bei der SPD)

Letztlich geht es um einen Akt der Emanzipation des Gerichts und der Herstellung von Transparenz. Deswegen hoffe ich, dass der neue Landtag reif für eine Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf ist.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön, Herr Kollege. Als Nächster hat Herr Kollege Jürgen W. Heike von der CSU das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Herr Präsident, meine Damen und Herren Kollegen! Herr Kollege Schindler, wir sind bei den aufgeworfenen Fragen immer noch verschiedener Meinung, und das wird sich auch so schnell nicht ändern.

(Volkmar Halbleib (SPD): Ja, das ist sehr bedauerlich!)

Wir haben bei der letzten Gelegenheit durchaus lange und fundiert darüber diskutiert. Wir haben das im Ausschuss noch einmal diskutiert. Was hat sich geändert, dass Sie eine Änderung brauchen? Sicherlich meinen Sie die Mehrheitsverhältnisse.

(Markus Rinderspacher (SPD): Ihre Meinung hat sich auch bei der Atomkraft geändert!)

Tatsache ist, dass eine eindeutige Situation vorliegt: Für die Urteile des Verfassungsgerichtshofs in Bayern gilt, dass jeder Richter ein Sondervotum abgeben kann, mit dem er seine eigene abweichende Meinung niederlegt. Das ist richtig. Das ist wichtig. Das ist auch bereits vorhanden. Der Name des Verfassers und das Stimmenverhältnis werden nicht bekanntgegeben. Sie nennen die Argumente schon selber. Sie sagen, der einzelne Richter könne mutig sein und eine andere Meinung vertreten. Wir haben von unseren Richtern eine andere Meinung. Wir halten unsere Richter für so stark und mutig, dass sie das gar nicht nötig haben.

(Widerspruch bei der SPD)

Richtig ist, dass die Beispiele, die Sie bisher genannt haben, nämlich den Bund und Hamburg, an dieser Stelle überhaupt nicht verwendet werden können. Erstens: Ich wiederhole mich. In Bayern hat sich die Regelung wiederholt bewährt. Zweitens: Wir stärken die Unabhängigkeit der Richter. Drittens: Das Kollegialorgan Gericht steht im Mittelpunkt und nicht der Einzelne. Viertens: Der Antrag ist nicht sauber. Das sollte man nicht vergessen. Schauen Sie sich doch einmal Artikel 19 Absatz 4 des Verfassungsgerichtshofgesetzes an. Es ist übersehen worden, dass dieser auch verändert werden müsste. Das ist nicht zustimmungsfähig.

Im Endeffekt ist es ganz deutlich: Ich vergleiche die Unterschiede zu Hamburg und dem Bund. Der Bundesverfassungsgerichtshof wählt seine Richter für zwölf Jahre ohne Wiederholung. Der Hamburger Verfassungsgerichtshof wählt seine Richter für sechs Jahre und kann allerhöchstens eine zweite Periode gewähren. In Bayern werden die Berufsrichter für acht Jahre gewählt. Diese acht Jahre können fortgesetzt werden. Die ehrenamtlichen Richter, die auch aus dem Landtag rekrutiert werden, werden für eine Legislaturperiode gewählt; eine Wiederholung ist möglich.

Nach allem, was Sie uns heute erzählt haben, kann ich zusammenfassend feststellen: Änderungen, die uns dazu zwingen würden, etwas anders zu machen, gibt es nicht. Es gibt aber sehr wohl erfolgreiche und gute Arbeit. Deshalb bleiben wir dabei und lehnen Ihren Antrag ab.

(Beifall bei der CSU)

Danke schön. - Als Nächster hat Herr Kollege Florian Streibl

von den FREIEN WÄHLERN das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Neuer Landtag, neues Glück. Den Gesetzentwurf kennen wir bereits aus der letzten Legislaturperiode. Er geht auf die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs zu den Ausschussbesetzungen zurück, die erdenklich knapp erging. Man sollte sich einmal die Frage stellen, warum sich ein Richter, der ein Mindervotum abgibt, auch in einem Kollegialorgan nicht mit Namen dazu bekennen können sollte.

(Jürgen W. Heike (CSU): Müssen!)

Ja, müssen oder können, das ist die Frage.