Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ich finde aber – ehrlich gesagt -, das reicht auch. Ich will nämlich nicht, dass Bayern Letzter ist, dass Bayern Schlusslicht ist, wenn es darum geht, Unrecht etwas abzumildern. Wie sagte Kollege Blume heute? – Jetzt ist er, glaube ich, gerade nicht da.
Wir wollten Bayern schlechtreden. – Ach, da sind Sie, ich habe Sie dort vermutet. – Nein. Wir wollen, dass Bayern sich bewegt.
Wir wollen, dass wir aus Bayern ein starkes Signal in Sachen Gerechtigkeit senden. Wir wollen, dass sich in und für Bayern etwas bewegt. Glauben Sie mir, meine Kolleginnen und Kollegen: Es würde Bayern gut anstehen, in der Gleichstellungspolitik nicht immer die Hardliner-Positionen einzunehmen und nicht immer als Schlusslicht zu agieren.
Worüber reden wir? – Wir reden über nichts anderes als Unrecht. Da ist es egal, ob das Unrecht vor 1945 oder nach 1945 geschehen ist. Es ist kein Unrecht, einen anderen Menschen zu lieben. Das gilt, egal, ob zwei Frauen, ein Mann und eine Frau oder zwei Männer sich lieben. Das ist kein Unrecht.
Dass der § 175 während der Zeit der Nationalsozialisten Unrecht war, das hat der neue Gesetzgeber, die Bundesrepublik Deutschland, anerkannt. Die Opfer wurden rehabilitiert, und man hat ihnen zugestanden, dass es Unrecht war.
Wie unlogisch ist es dann, dass das Gleiche jenen nicht zugestanden wird, die nach 1945 aufgrund des § 175 verurteilt wurden? Wenn ein Rechtsstaat Gesetze zur Grundlage hat, die eben nicht den Grundwerten entsprechen, die eben nicht dem Grundgesetz entsprechen, dann ist es an der Zeit, diese Menschen, schwule Männer, zu rehabilitieren und ihnen für das Unrecht eine Entschuldigung entgegenzubringen, ihnen für das Unrecht einmal klipp und klar zu sagen: Es tut uns leid, dass wir als Staat Ihnen dieses Unrecht angetan haben. Es tut uns leid.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, geben Sie sich einen Ruck und machen Sie Bayern etwas fortschrittlicher! Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Vielen Dank, Frau Kollegin Stamm. – Die nächste Wortmeldung kommt vom Kollegen Dr. Rieger. Bitte schön.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Legt man unsere heutigen Wertmaßstäbe zugrunde, so ist es aus heutiger Sicht nicht nachvollziehbar, dass es in der jungen Bundesrepublik Deutschland einen Straftatbestand gegeben hat, der freiwillige sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte, und deswegen bis 1969 Zigtausende Männer verurteilt wurden.
Noch schwerer tun wir uns mit dieser historischen Tatsache, wenn man sich vor Augen führt, dass der Deutsche Bundestag die diesbezüglichen Urteile aus der Zeit vor 1945 als Ausfluss eines Unrechtsstaates aufgehoben hat, die Urteile aus der Zeit nach 1945 aber Bestand haben. Das heißt, die vor 1945 Verurteilten haben damit eine gewisse Rehabilitation erfahren; die nach 1945 verurteilten Männer bleiben bis heute rechtskräftig festgestellt Straftäter.
Ich brauche nicht besonders zu betonen, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, dass diese Situation beschämend ist und unseren heutigen Moralvorstellungen natürlich nicht entspricht. Deswegen hege ich für den Antrag der Fraktion der GRÜNEN eine gewisse Sympathie.
Die entscheidende Frage, meine Damen und Herren, die sich bei der Bewertung dieses Antrags stellt, ist aber eine ganz andere, nämlich die, ob wir, gerade auch als Landesparlament, noch mehr tun können, um zur Rehabilitation der damals verurteilten Männer beizutragen, vor allem noch mehr, als der Bundestag schon getan hat. Insbesondere stellt sich die Frage, ob wir juristische Sachverhalte und Verurteilungen von vor 50, 60 oder 70 Jahren durch die Brille von heute betrachten oder gar abändern können. Rechtlich ist die Antwort auf diese Fragen eindeutig: Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahre 1957 festgestellt, dass der einschlägige § 175 des Strafgesetzbuches alte Fassung verfassungsgemäß ist und die darauf beruhenden Urteile rechtmäßig sind. Ebenso hat das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2006 entschieden, dass Urteile, die deutsche Gerichte auf der Grundlage unseres Grundgesetzes gefällt haben, nicht aufgehoben werden können. In dieser Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich aufgeführt, dass nur solche Urteile aufgehoben werden können, die – ich zitiere – "zur Förderung eines Unrechtsregimes gegen die elementaren Grundgedanken der Gerechtigkeit verstoßen … sowie Urteile von Institutionen, die wie der Volksgerichtshof zwar als Gerichte bezeichnet, aber aufgrund ihrer Stellung und Aufgabe keine Organe einer unabhängigen rechtsprechenden Gewalt waren …".
Würde man nun mit den Urteilen nach 1945 ebenso verfahren wie mit denen von vor 1945, so würde man unterstellen, dass auch die Gerichte der Bundesrepublik Deutschland bis zur endgültigen Aufhebung des § 175 des Strafgesetzbuches im Jahr 1994 Teil eines Unrechtsregimes waren.
Nein. Ich möchte zu Ende reden. – Mit der Aufhebung gerichtlicher Entscheidungen, die in der Bundesrepublik gefällt wurden, würde der Gesetzgeber also nicht nur gegen das Gewaltenteilungsprinzip und die Unabhängigkeit unserer Gerichte verstoßen; er würde auch die Rechtssicherheit gefährden und durch die Verstöße einen Präzedenzfall schaffen. Würde man dies tun, meine Damen und Herren, und die heutigen Wertmaßstäbe an die Vergangenheit anlegen, würde sich die Frage stellen, inwieweit wir dies auch in anderen Bereichen tun müssten. Müssten wir dann auch Menschen rehabilitieren, die früher wegen Kuppelei oder Ehebruch verurteilt wurden? Noch problematischer eine Frage in die Zukunft gerichtet: Was tun wir mit heutigen Urteilen, wenn sich unsere heutigen Moralvorstellungen und Wertvorstellungen in 10, 20, 30 oder 40 Jahren ändern? Müssen wir auch all diese Urteile aufheben, oder wie wird unsere gesetzliche Regelung zum Schwangerschaftsabbruch von der nächsten Generation beurteilt?
Allein diese Fragen zeigen uns, dass uns nicht nur rechtlich, sondern auch tatsächlich die Hände gebunden sind, alte Urteile zu ändern, und dass wir das akzeptieren sollten. Genau aus diesen Gründen konnte auch der Deutsche Bundestag bisher unabhängig davon, wie er sich zusammensetzte, nicht mehr zur Rehabilitierung beitragen, als er ohnehin schon getan hat. Der Deutsche Bundestag – die Frau Kollegin hat es schon erwähnt – hat bereits im Jahr 2000 einstimmig einen Beschluss gefasst, in dem die Fortgeltung der betreffenden Straftatbestände bedauert und ausdrücklich anerkannt wurde, dass hierdurch homosexuelle Menschen und Bürger in ihrer Menschenwürde verletzt worden sind.
Ebenso hat der Deutsche Bundestag, wie bereits erwähnt, schon im Jahr 2002 die Urteile aus der Zeit vor 1945 aufgehoben. Darüber hinaus hat sich der Deutsche Bundestag auch in den Jahren 2008, 2009 und 2012 immer wieder intensiv und nachhaltig mit Fragen der Rehabilitation beschäftigt und im Jahr 2013 sogar im Rechtsausschuss eine Sachverständigenanhörung durchgeführt. Ergebnis war immer, dass – auch und gerade wegen der begrenzten rechtlichen Möglichkei
Im Ergebnis, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, können wir hier das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen. Anderenfalls würden wir ein Fass aufmachen, das unser Rechts- und Justizsystem infrage stellen würde. Ich bitte Sie deshalb, den Antrag, auch wenn es schwerfällt – das gestehe ich zu –, abzulehnen.
Danke schön, Herr Kollege Rieger. - Für eine Zwischenbemerkung hat sich die Kollegin Stamm gemeldet. Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Kollege Rieger, zunächst einmal danke ich Ihnen, dass Sie unserem Antrag Sympathien entgegenbringen können. Ich hätte mir allerdings ein bisschen mehr gewünscht.
Ich könnte jetzt die Länder noch einmal aufzählen, die sich entschlossen haben, ein klares und starkes Signal zu zeigen und zu sagen: Wir müssen die Menschen, denen Unrecht geschehen ist, rehabilitieren. Das sind nicht wenige Bundesländer. Ich frage mich, warum sich zum Beispiel die schwarz-gelbe Landesregierung in Hessen trotz der Argumente, die Sie vorgetragen haben, dazu durchringt, den Menschen, die nach 1945 verurteilt worden sind – die vor 1945 Verurteilten sind ja schon rehabilitiert –, eine Rehabilitierung zugutekommen zu lassen. Das ist unlogisch, ganz abgesehen davon, dass ich finde, dass auch Teile Ihrer Rede unlogisch waren.
Sehr verehrte Kollegin, es ist doch schon schön, wenn ich Ihnen Sympathie entgegenbringe. Das haben Sie ja gesagt.
Zur Sache selbst. Zum Ersten haben wir im Rechtsausschuss einem Berichtsantrag zugestimmt, nach dem die Sache sozusagen historisch aufgearbeitet werden soll. In den wissenschaftlichen Instituten ist ja auch schon etwas im Gange.
Es geht hier – ich habe das nicht erwähnt, weil ich nicht zu tief einsteigen wollte – um eine gesamtdeutsche Problematik. Betroffen ist nicht nur die ehemalige Bundesrepublik, sondern auch die ehemalige DDR. Dort haben wir die gleiche Problematik. Einzelne Länder haben schon lange Anträge gestellt, und
Wir sind, so nützlich Ihr Anliegen vielleicht ist – das gestehen wir ja zu –, der Ansicht, dass das auf Bundesebene geregelt werden sollte. Denn es handelt sich um eine gesamtdeutsche Angelegenheit, und es nützt nichts, wenn Länder, welcher politischen Couleur auch immer, Anträge stellen und dann nichts herauskommt.
Das Problem muss auf Bundesebene gelöst werden. Der Bundestag müht sich – ich habe Ihnen das ja vorgetragen – schon die letzten eineinhalb Jahrzehnte an diesem Problem ab. Er hat es aber immer wieder, auch das letzte Mal, vertagt. Deshalb sollte die Angelegenheit auch auf Bundesebene bleiben. Ich habe ja am Anfang gesagt, gerade wir als Landesparlament sollten hier nicht weiter einsteigen. Im Rechtsausschuss haben wir ausführlich diskutiert und damit alles uns Mögliche getan. Wir haben den Antrag angenommen, dass einmal berichtet werden soll, wie das Problem historisch und wissenschaftlich aufgearbeitet wird. Der Bericht kommt. Dem haben wir zugestimmt, aber diesen Antrag lehnen wir aus den Gründen ab, die ich vorher vorgetragen und die ich jetzt genannt habe. Ich glaube, wir sollten das Problem auf Bundesebene belassen.
Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Der § 175 des Strafgesetzbuches ist keine Erfindung der Bundesrepublik Deutschland. Er ist ein Relikt aus dem Kaiserreich, im Nazi-Reich extrem verschärft. Er blieb, zunächst etwas abgemildert, auch nach 1949 im Strafgesetzbuch und wurde eigentlich erst 1994 gänzlich gestrichen.
Wenn wir uns über Rehabilitation unterhalten, wird hier der Eindruck erweckt, dass es nur um eine Formalie ginge, weil die Urteile, die zurückliegen, in der Tat möglicherweise eingedenk der heutigen moralischen Anschauungen gar nicht mehr relevant sind. Wenn wir uns aber vorstellen, dass in dieser Zeit 50.000 Männer, und nur Männer – denn es wurde nur die Homosexualität zwischen Männern als strafbar bezeichnet –, verurteilt worden sind, wird es schon etwas deutlicher. Man muss sich auch anschauen, welche Strafen verhängt worden sind und zu welchen Konsequenzen es, auch hier in Bayern, gekommen ist. Dann wird noch deutlicher, wie zwingend die Gedanken über eine Rehabilitation sind. Es geht aber nicht nur um Gedanken, also einen Bericht, wie die
Ich weise darauf hin, dass auch Verurteilungen zu Freiheitsstrafen von mehr als einem und teilweise von über zwei Jahren erfolgt sind und damals der Beamtenstatus bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr weg war. Wegen solcher Handlungen sind, wie teilweise auch den Urteilsbegründungen zu entnehmen ist, bis auf diesen Bereich unbescholtene Männer ihrer beruflichen, persönlichen und damit auch sozialen Existenz beraubt worden. Das waren nicht nur pittoreske Einzelfälle, sondern das wirkt bis in die heutige Zeit nachhaltig.
Ich frage Sie, was dies für ein Staat ist, der den Leuten sagt: Pech gehabt, möglicherweise zur falschen Zeit verurteilt worden; wir wissen zwar, dass die Verurteilung heute unmöglich wäre, können aber nichts weiter tun. Das ist kein Staat, der menschlich ist, sondern ein Staat, der sich auf Formalia zurückzieht. Das ist der Rechtsstaat, den wir nicht wollen; denn er wird draußen nicht mehr verstanden.
Sie, Herr Dr. Rieger, heben mit Sicherheit darauf ab, dass das Bundesverfassungsgericht den § 175 für verfassungsgemäß erklärt hat. Schauen Sie bitte einmal auch in die Begründung. So würde ein Bundesverfassungsgericht heute nicht mehr begründen können; denn der § 175 ist mit Verweis auf die körperliche Bildung von Geschlechtsorganen – wörtlich –, deren Funktion beim Mann eine drängende und fordernde und bei der Frau eine zur Hingabe bereite ist, für verfassungsgemäß erklärt worden. So etwas in den Entscheidungsgründen des Bundesverfassungsgerichts ist für dieses Gericht und für diese Geschichte nichts Schönes. Deswegen ist es in der Tat veranlasst, diese Rechtsprechung aufs Korn zu nehmen.
Wenn das nicht hilft, muss man erwähnen, dass die Europäische Menschenrechtskonvention schon seit Langem gilt. Danach – damals ist noch nicht entschieden worden – könnte man durchaus sagen, dass es sich schon damals um objektiv falsche Gesetzesgrundlagen gehandelt hat und damit eine permanente Rechtswidrigkeit gegeben war.
Nun habe ich natürlich Verständnis, dass die Diskussion um die Aufhebung von Urteilen im Bundestag zu Recht geführt wird. Man könnte über seinen Schatten springen. Aber die Präzedenzfälle in diesem Zusammenhang geben uns in der Tat zu denken. Doch was
sind das für Präzedenzfälle? – Man muss sich vorstellen, dass noch bis 1969 Menschen wegen Kuppelei verurteilt wurden, weil sie sich unverheiratet in einem befriedeten Besitztum einander zugewandt hatten