Protokoll der Sitzung vom 14.04.2015

(Beifall bei der CSU)

Sie sagen, man müsse der Studie folgen. Sie tun aber genau das Gegenteil. Deshalb sage ich: Diese Aktuelle Stunde war ein riesiges Eigentor der GRÜNEN.

(Anhaltender Beifall bei der CSU)

Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Rinderspacher das Wort.

(Ministerpräsident Horst Seehofer: Bitte was Neues! – Volkmar Halbleib (SPD): Ja, bisher gab es nur Altes, was Huber gesagt hat. Da haben Sie recht, Herr Ministerpräsident!)

Verehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Freistaat Bayern ist im siebten Jahrzehnt nach der Verabschiedung der Hoegner‘schen Verfassung in einer guten Konstitution. Viele Wirtschaftsdaten sind erfreulich. Die Arbeitslosigkeit ist auf einem weniger hohen Niveau als in anderen Landstrichen Europas. Darüber haben wir hier im Hause breiten Konsens. Wir freuen uns darüber.

Doch es wäre völlig falsch, sich mit dem Status quo zufriedenzugeben und die Seele baumeln zu lassen. Könnten wir als Abgeordnete sicher sein, dass Wohlstand und Lebensqualität in Bayern dauerhafte Selbstläufer sind, dann könnten wir unsere Mandate zurückgeben und den Landtag auflösen.

Ich hätte mir gewünscht, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Erwin Huber heute zum aktuellen Thema, nämlich zur McKinsey-Studie spricht, statt eine plumpe Parteitagsrede zu halten.

(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CSU)

Dass Sie den Kolleginnen und Kollegen der Bündnisgrünen die Ernsthaftigkeit absprechen, für unsere Heimat Politik machen zu wollen, ist schlicht eine bodenlose Unverschämtheit. Hierfür ist eine Entschuldigung fällig.

(Beifall bei der SPD und bei den FREIEN WÄH- LERN)

Da ist sie, die Arroganz der Macht, lieber Herr Huber. Ich finde, das ist nicht der Stil, den wir hier im Hohen Hause miteinander pflegen sollten.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die aktuelle McKinsey-Studie "Bayern 2025" hat herausgearbeitet, dass Bayern bei Indikatoren zur Zukunftsfähigkeit im nationalen und internationalen Vergleich nur Mittelmaß ist, dass der Freistaat in vielen Bereichen von der Substanz lebt, dass die CSU-Alleinregierung die Potenziale unseres Landes in manchen Bereichen brachliegen lässt und die Herausforderungen unserer Zeit ignoriert statt anzupacken. Die CSU-Alleinregierung schiebt wichtige Aufgaben auf die lange Bank. Insgesamt listen die McKinsey-Autoren 15 Themenfelder auf, in denen sich für Bayern Handlungsnotwendigkeiten ergeben. Herr Huber, ich hätte mir gewünscht, dass Sie nur zu einer einzigen Position Stellung beziehen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die Autoren fordern eine dezentrale Stromversorgung aus regenerativen Energien, eine smarte Agrarpolitik, die bodenschonend und tierschutzgerecht ist, die Etablierung einer erfolgreichen Gründerszene, so wie in Berlin. Wir werden die Fülle von Einzelthemen heute nicht in der Gänze behandeln können. Einzelanträge der Opposition werden in den kommenden Wochen und Monaten folgen.

Wegen meiner kurzen Redezeit werde ich mich auf vier zentrale Punkte beschränken, die aus unserer Sicht wesentliche Voraussetzungen dafür sind, um Bayern für die Zukunft wetterfest und sturmsicher zu machen.

Punkt 1: Soziale Gerechtigkeit. Für eine liberale Unternehmensberatungsgesellschaft ist es gewiss keine Selbstverständlichkeit, nicht nur rein ökonomische Eckwerte ins Blickfeld zu nehmen, sondern auch die Voraussetzungen für Prosperität im Lande und für wirtschaftlichen Erfolg in Gänze zu definieren. Als ein zentrales Betätigungsfeld und relevanten Zukunftsindikator beschreibt McKinsey erfreulicherweise die Notwendigkeit der Stärkung des sozialen Zusammenhalts im Land. Kern dessen ist die Frage, ob es im Land gerecht zugeht.

Die Mehrheit der Menschen in Bayern war laut einer Umfrage von TNS Infratest im Auftrag der SPD-Landtagsfraktion zu Beginn dieses Jahres der Meinung, es gehe in Bayern überwiegend nicht gerecht zu. So sind 58 % der Befragten der Meinung, Einkommen und Vermögen seien in Bayern eher ungerecht verteilt; gar 83 % der Befragten betonen, dass in Bayern mehr getan werden muss, um die Armut von Familien, Kindern und Rentnern zu bekämpfen. Die Studie zeigt auf, dass es nicht reicht, sich in ökonomischen Statistiken und abstrakten Exportkennziffern zu sonnen. Wir

dürfen nicht die tatsächliche soziale Lage vieler Menschen in unserem Land vergessen, die hart arbeiten, aber kaum von der eigenen Hände Arbeit leben können.

Bei der Einkommensverteilung sieht McKinsey Bayern nur auf Platz 9 im Bundesländervergleich. – Mittelmaß und deutlich hinter den skandinavischen Ländern. Das Maß an Einkommensspreizung berge die Gefahr sozialer Spannungen, heißt es in dem Bericht. Und tatsächlich: Die Zahl derer in Bayern, die jeden Euro zweimal umdrehen müssen, wird immer größer. Dabei handelt es sich nicht nur um Geringqualifizierte und Arbeitslose; vor allem Alleinerziehende und kinderreiche Familien wissen meist Mitte des Monats schon nicht mehr, wie sie bis Ende des Monats über die Runden kommen sollen. Die Lebenshaltungskosten steigen, die Mieten in den Ballungszentren sind für viele fast nicht mehr zu bezahlen. Selbst in Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs, im Jahr 2013, ist die Zahl der von Armut bedrohten Menschen in Bayern, eine Zahl der Staatsregierung, offiziell auf das Rekordniveau von 1,84 Millionen gestiegen. Die sogenannte Armutsgefährdungsquote liegt in Bayern bei 14,6 %. Das ist ein neuer Höchstwert. Und McKinsey prognostiziert nüchtern im Zuge der Digitalisierung der Arbeitswelt eine weitere Spreizung von Einkommen und Vermögen.

Wir müssen uns deshalb um bezahlbare Energiepreise, um eine anständige Entlohnung, um eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und um gerechte Bildungschancen von Anfang an bemühen. Es geht um bezahlbare Mieten. Ich sage auch: Auch der Traum von den eigenen vier Wänden sollte kein Privileg der oberen Zehntausend sein.

(Beifall bei der SPD)

Im Bund konnten wir als SPD schon einiges zur Bekämpfung und Vorbeugung von Armut durchsetzen, wovon auch die Menschen in Bayern ganz konkret profitieren: Mindestlohn, Stärkung der Tarifautonomie, Verbesserungen bei der Rente, Mütterrente, Elterngeld Plus, die Mietpreisbremse und das Bestellerprinzip bei Maklergebühren bedeuten eine Verbesserung der Lebenssituation von Millionen Menschen in Bayern. Wir verstehen diese Studie deshalb auch als einen politischen Auftrag, als politische Unterstützung unseres Kernanliegens, soziale Gerechtigkeit in Bayern in Großbuchstaben zu definieren. Wir arbeiten für eine echte Renaissance der Sozialen Marktwirtschaft nach Ludwig Erhard und Karl Schiller: Wohlstand für alle statt Reichtum für wenige.

(Beifall bei der SPD)

Punkt 2: Integration. Bis zum Jahr 2040 wird voraussichtlich ein Drittel der bayerischen Bevölkerung einen Migrationshintergrund haben. Was wir in Bayern nicht gebrauchen können – das schreibt auch McKinsey -, sind vergiftete, extrem rechte Parolen wie die Forderung nach einem Einwanderungsstopp für Türken und arabischsprachige Menschen, die der Ministerpräsident in einem Focus-Interview geäußert hat. "Wer betrügt, der fliegt", "Wir sind nicht das Weltsozialamt", bis zur letzten Patrone verteidige man Deutschland gegen Einwanderung in die Sozialsysteme: Solche Parolen nützen niemandem; sie bringen einzelne Bevölkerungsgruppen gegeneinander auf und schaden der Integration in unserem Lande.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FREI- EN WÄHLER)

Deshalb brauchen wir ein bayerisches Einwanderungsgesetz, ein Integrationsgesetz mit festen Regeln für das Zusammenleben, wie es unser Kollege Arif Taşdelen ausgearbeitet hat, und wir brauchen auch auf der Bundesebene ein Einwanderungsgesetz, das einen klaren Rahmen setzt, wer wann unter welchen konkreten Bedingungen bei uns einwandern können soll und wer nicht.

Punkt 3: Bildungsgerechtigkeit. Großen Handlungsbedarf sieht die neue Studie auch in der Bildungspolitik. Dies ist für uns keine Überraschung. Je dicker der Geldbeutel der Eltern, desto größer die Bildungs- und Zukunftschancen des Kindes. Das darf nicht der zentrale Leitsatz bayerischer Bildungspolitik bleiben.

(Beifall bei der SPD)

Die Schulabbrecherquote ist zu hoch – Rang 11 im Ländervergleich. Die Abiturientenquote bei Migranten ist zu niedrig – Rang 13 im Bundesländervergleich. Ganztagsgrundschüler – Rang 14 im Ranking der Länder. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind keine Werte, mit denen wir uns zufriedengeben können. So sieht nun auch McKinsey erheblichen Nachholbedarf bei der Bildungsmobilität. In Bayern stammen deutlich weniger Studierende an den Hochschulen aus einer Nichtakademikerfamilie als beispielsweise in Hessen, Nordrhein-Westfalen oder Niedersachsen.

Wenn McKinsey eine Renaissance des Staates fordert, erstaunlich für eine liberale Unternehmensgesellschaft, dann brauchen wir diese gerade in diesem zentralen Politikfeld der Bildung. Wir wollen, dass kein Kind in unserem Lande verloren geht. Das ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern auch volkswirtschaftliche Notwendigkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Mar- garete Bause (GRÜNE))

Punkt 4 – auch dazu schreibt McKinsey -: Partizipation und Bürgerbeteiligung. Grundvoraussetzung für politische Gestaltungs- und Wirkungsmächtigkeit ist ein neuer politischer Stil in Bayern, lieber Herr Huber, mit Offenheit statt Geheimniskrämerei, Zusammenarbeit statt Abschottung, Dialogfähigkeit und Gesprächsbereitschaft, anstatt die Menschen vor vollendete Tatsachen zu stellen. Die absolute Mehrheit in Bayern verführt zu Dickfelligkeit und Tatenlosigkeit, ja zu Passivität.

(Lachen bei der CSU)

Bayerische Politik darf aber kein selbstreferenzielles System einer einzelnen Partei sein, die bei der Willensbildung immer wieder nur um sich selbst kreist, anstatt die Probleme im Land anzupacken. Politische Konzepte im Landtag für mehr Bürgerbeteiligung und für mehr direkte Demokratie als Ergänzung der repräsentativen Demokratie liegen vor.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns deshalb die vorliegende Studie in den kommenden Wochen intensiv und, lieber Herr Huber, sehr ernsthaft diskutieren und spätestens nach der Sommerpause gemeinsam die notwendigen Weichenstellungen für mehr Modernität und mehr Menschlichkeit in Bayern vornehmen. Wir leben in einem lebens- und liebenswerten Land. Wir wollen als SPD, dass dies auch in Zukunft so bleibt. Dafür arbeiten wir gemeinsam.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank. – Jetzt darf ich für die Fraktion der FREIEN WÄHLER Herrn Kollegen Aiwanger das Wort erteilen. Bitte schön, Herr Kollege.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, Herr Ministerpräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute darüber, wie in Bayern die Weichen für die Zukunft gestellt werden sollen, weil uns wohl wieder einmal eine McKinsey-Studie aufgescheucht hat. Es ist bezeichnend, dass jeder das herausliest, was er hören will. Durch diese Studie fühlt sich jeder in seiner Richtung bestätigt. Aber wir sollten auch hinterfragen, was diese Leute bereits in der Vergangenheit von sich gegeben haben. Ich erinnere an die Aussage: Wir müssen Bayern metropolisieren und Leuchttürme aufbauen.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN und Abge- ordneten der CSU)

Jeder Euro, der in die Großstadt investiert worden ist, ist richtig investiert. Aber das Land gibt es quasi nicht mehr.

(Zuruf des Ministerpräsidenten Horst Seehofer)

Heute drehen wir das Rad zurück und verlagern die Behörden wieder aufs Land, die wir vor 20 Jahren, vielleicht aufgrund dieser Studie, in den Städten angesiedelt haben. Das heißt, wir sollten uns die Politik nicht nur von Gutachtern, ob bezahlt oder nicht, definieren lassen, sondern endlich bei dem ansetzen, was uns vor einiger Zeit der Herr Ministerpräsident angeboten hat, nämlich bei wichtigen Fragen parteiund fraktionsübergreifend Informationen auszutauschen. Ich würde das gerne wieder einfordern, nutze aber jetzt meine Zeit dazu, die Schwerpunktthemen zu definieren.

Wir reden von einer Stadt-Land-Thematik. Für den Raum München steht bis 2030 die Zahl von 1,7 Millionen Einwohnern im Raum; hierauf müssen wir vorbereitet und gewappnet sein. Dann müssen wir auch feststellen: Wir werden das schnelle Internet im Bayerischen Wald ebenso benötigen wie in der Stadt München einen neuen Konzertsaal. Das heißt, das eine tun und das andere nicht lassen. Ich will hier nicht die Stadt gegen das Land ausspielen; wir müssen beides gemeinsam weiterentwickeln. Das können wir nur, wenn wir genügend Geld erwirtschaften, um das Ganze bezahlen zu können.

Wir kommen zu dem kritischen und springenden Punkt in der Politik: Wir müssen jetzt, wie auch beim Aktienkauf, auf die Zukunftsfelder setzen und hoffen, dass wir die Richtigen erwischen. Das war vor 20 Jahren vielleicht nicht so. Damals hat man gesagt: Wir verkaufen die Energiepolitik und die Energieversorgung, weil dort kein Geld mehr zu verdienen ist, und kaufen dafür die Kärntner Landesbank. Da hat man das Geld für Dinge ausgegeben, die uns heute noch Geld kosten, und Wertschöpfungspotenziale aus der Hand gegeben, weil man damals die Situation falsch eingeschätzt hat. Niemand bewahrt uns davor, auch heute wieder eine Situation falsch einzuschätzen. Trotzdem glaube ich, dass wir keinen großen Fehler machen, wenn wir die Informationstechnik ganz groß vorne hinstellen. Ohne schnelles Internet in Stadt und Land werden wir viele Aufgaben aus der Vergangenheit nicht lösen können.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

So, wie wir es in den letzten 20 Jahren geschafft haben, jeden Einödhof Bayerns an einen Abwasserkanal anzubinden, müsste es doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir es nicht schaffen, in den nächsten Jahren jeden Einödhof Bayerns mit einem Glasfaser

kabel anzuschließen. Wenn wir Kanäle legen können, können wir auch Glasfaserkabel verlegen. Das ist wichtig, um vieles zu steuern, bis hin zur smarten Energiesteuerung, das heißt, Strom dann zuzuschalten, wenn er billig ist. Darauf pochen wir. Wir bleiben dran und drängen darauf, jeden Haushalt mit Glasfaserkabel anzuschließen.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Das Thema "Regionale Energiewende" kann als Gelddruckmaschine der Zukunft nicht hoch genug eingeschätzt werden, weil wir wissen, dass für jeden Einwohner jährlich ein Tausender die Landkreisgrenzen verlässt. Das heißt, ein Landkreis verliert jährlich durchschnittlich 100 Millionen Euro und mehr für Energieimporte. Wir können also quasi nicht viel falsch machen, wenn wir vor Ort möglichst viel selber erzeugen, ob es sich um Photovoltaik, Biomasse, Hackschnitzel oder dergleichen handelt. Es gilt also, diese Energie vor Ort selber zu erzeugen, anstatt Öl aus Krisengebieten zu importieren. Dann hat der Handwerker vor Ort Arbeit und wir haben eine gewisse Unabhängigkeit. Für uns FREIE WÄHLER ist also auch die regionalisierte Energiepolitik ein ganz großes Thema.