Protokoll der Sitzung vom 22.04.2015

glücks im Mittelmeer vor Augen. Ich glaube, die Erschütterung über das Geschehene verbindet uns alle. Das Leid der vielen Menschen, die zwischen Verzweiflung und Hoffnung einen höchst riskanten Weg auf sich genommen haben und dabei ums Leben gekommen sind, ist unvorstellbar. Jedes einzelne Schicksal ist tragisch, und wir fühlen mit den Opfern und den Angehörigen, die vielleicht nie von dem Schicksal ihres Sohnes, ihrer Tochter, ihrer Geschwister oder Enkel erfahren. Wir haben heute zu Beginn der Sitzung in einer Schweigeminute ihrer gedacht.

Ich bin aber davon überzeugt, dass das Problem der Fluchtbewegungen nur zu lösen ist, wenn man die Fluchtursachen in den Herkunftsländern bekämpft. Deutschland ist hier schon tätig. Zum Beispiel leistet das Bundesentwicklungsministerium mit unserem Minister Gerd Müller in diesem Jahr zum afrikanischen Entwicklungsfonds und an die afrikanische Entwicklungsbank einen Beitrag in Höhe von 176 Millionen Euro.

(Zuruf von den GRÜNEN: Unglaublich!)

Die deutschen bi- und multilateralen Nettoleistungen in der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit belaufen sich allein für Afrika auf über 3,7 Milliarden Euro pro Jahr. Hinzu kommt das große Engagement von zahlreichen Stiftungen, der Wirtschaft und von Zivilpersonen aus Deutschland, die in Afrika vor Ort Unterstützung leisten und Hilfe zur Selbsthilfe bieten. All diesen ehrenamtlichen Helfern sei auch hier an dieser Stelle herzlich gedankt. Sie leisten großartige Arbeit und setzen sich nicht selten Gefahren aus, die ihnen vielleicht gar nicht bewusst sind.

Trotz unserer Hilfen können wir nicht verhindern, dass Menschen fliehen, weil sie woanders bessere Zukunftsperspektiven vermuten oder weil ihnen viel versprochen wird. Sie gehen erhebliche Risiken ein, vielleicht ohne es zu wissen. Besonders schlimm ist hierbei, wenn ganze Dörfer ihr weniges Geld zusammenlegen, um für einen jungen Mann die Schleusung nach Europa zu bezahlen. Wenn man sich überlegt, was mit Summen von über 5.000 Euro und mehr in dem Heimatland erreicht werden könnte, wird es noch dramatischer.

Ja, es ist die Aufgabe der Europäischen Union und von uns allen, die Menschen an unseren Außengrenzen im Mittelmeer nicht ertrinken zu lassen, sondern Leben zu retten. Italien hat das ein Jahr lang im Rahmen der Operation Mare Nostrum erfolgreich praktiziert und über 100.000 Menschenleben gerettet. Die EU-Grenzschutzagentur Frontex hat nach dem Ende

von Mare Nostrum die Operation Triton gestartet, die auch den Schutz der Außengrenzen zum Inhalt hat.

Angesichts der schrecklichen Ereignisse, die sich zur Zeit im Mittelmeer abspielen, muss die Europäische Union aus unserer Sicht verstärkt in der Seenotrettung tätig werden. Zur Stärkung der Europäischen Seenotrettung ist eine EU-Rettungsflotte mit einem umfassenden Handlungsauftrag zu versehen. Dazu müssen alle europäischen Länder ihren Beitrag leisten. Die EU und Deutschland waren auch in der Vergangenheit an den EU-Außengrenzen engagiert. Italien hat eine Soforthilfe in Höhe von 13,7 Millionen Euro erhalten. Insgesamt erhält Italien von der EU mehr als 500 Millionen Euro für den Zeitraum von 2014 bis 2020, um auf den Migrationsdruck reagieren zu können. Auch Deutschland leistet im Rahmen der Operation Triton seinen Beitrag und stellt Einsatzmittel und Einsatzpersonal zur Verfügung. Diese Beiträge müssen nun ausgeweitet werden. Die Seenotrettung muss stärker berücksichtigt werden.

Wir stellen uns vor, dass die Europäische Rettungsflotte eng mit der EU-Agentur Frontex zusammenarbeiten sollte. Wir sagen auch ganz deutlich: Grenzschutz und Seenotrettung müssen Hand in Hand gehen. Man kann das nicht voneinander trennen. Der Schutz der EU-Außengrenzen ist ein zentraler Punkt, weil dieser zusätzliche Auftrag eine erhebliche Sogwirkung verhindert. Wäre der Auftrag auf die Seenotrettung beschränkt, würden noch viel mehr Menschen das große Risiko auf sich nehmen, eine Mittelmehrüberfahrt anzustreben, weil sie dann ja von einer Rettung ausgehen können. Eine erhebliche Zunahme dieser lebensgefährlichen Fahrten wäre die Folge.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen die Schleuser nicht in ihren kriminellen Machenschaften unterstützen, sondern wir wollen Menschenleben retten, indem wir sie schon vor dem Betreten des Bootes bewahren. Auf europäischer Ebene müssen außerdem Maßnahmen ergriffen werden, um den verbrecherischen Schleusern das Handwerk zu legen. Dies kann zum Beispiel durch verstärkte Grenzschutzkooperationen der EU mit den Staaten Nordafrikas, mit Tunesien oder Ägypten geschehen. Dadurch kann verhindert werden, dass Menschen diese waghalsige Überfahrt antreten. Wenn sie es doch tun und in Seenot geraten, ist es unsere Pflicht, sie vor dem Ertrinken zu retten. Ich glaube, da besteht überhaupt kein Dissens. Aber die vorliegenden Anträge der GRÜNEN, der SPD und der FREIEN WÄHLER fordern mehr legale Einwanderungen bzw. ein Einwanderungsgesetz. Da muss man klipp und klar sagen: Ein Einwanderungsgesetz bedeutet mehr Zuwanderung.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Nicht unbedingt! – Katharina Schulze (GRÜNE): Ja und?)

Wenn Sie das wollen, dann müssen Sie das den Menschen ehrlich sagen.

(Katharina Schulze (GRÜNE): Demografischer Wandel!)

Angesichts der hohen Flüchtlingszahlen dürfen wir die Solidarität unserer Bevölkerung nicht überstrapazieren. Wenn wir die positive Stimmung und die Hilfsbereitschaft der einheimischen Bevölkerung behalten wollen,

(Zuruf von der SPD)

dürfen wir nicht mehr Zuwanderung verlangen, sondern müssen Lösungen für diejenigen Flüchtlinge finden, die bereits da sind und einen Asylgrund haben. Meine Damen und Herren von der SPD und von den GRÜNEN, anstatt ein Einwanderungsgesetz und mehr legale Zuwanderung zu fordern, hätte Rot-Grün im Bundesrat auch der Initiative Bayerns zustimmen können, weitere Staaten als sichere Herkunftsstaaten einzustufen.

(Beifall bei der CSU – Unruhe bei den GRÜNEN)

Aus Albanien, aus dem Kosovo und aus Montenegro kommen keine Kriegsflüchtlinge.

(Beifall bei der CSU)

Aus diesen Ländern kommen keine Menschen, die bei uns einen Asylgrund haben.

(Thomas Gehring (GRÜNE): Die kommen doch nicht über das Mittelmeer!)

Unser Asylrecht ist nicht dazu da, die wirtschaftlichen Probleme in den Herkunftsländern zu lösen. Wer aber aus Kriegsgebieten kommt, zu uns flüchtet und hier Schutz sucht, der soll auch Schutz bekommen.

(Unruhe bei den GRÜNEN – Zuruf von den GRÜ- NEN: Jetzt weiß er nicht mehr weiter!)

- Ich weiß schon weiter, mir ist nur ein Spruch eingefallen; und ich sage ihn jetzt doch: Politik mit dem Kopf machen, nicht mit dem Kehlkopf. Das sollten Sie sich manchmal überlegen!

(Beifall bei der CSU)

Wer aus Kriegsgebieten kommt und zu uns flüchtet, wer hier Schutz sucht, der muss diesen Schutz auch bekommen. Wir dürfen aber nicht zulassen, dass unberechtigte Asylsuchende den wirklich Schutzbedürfti

gen den Platz und die Solidarität der Bevölkerung wegnehmen. Gerade in der derzeitigen Situation müssen wir darauf achten, dass die Stimmung in der Bevölkerung gegenüber den Flüchtlingen positiv bleibt.

(Thomas Gehring (GRÜNE): Da hat die Politik Verantwortung!)

Da hilft es nicht, wenn wir immer mehr Zuwanderung fordern.

(Unruhe bei den GRÜNEN)

Dabei hilft kluges und sachliches Handeln: Hilfe dort, wo Hilfe gebraucht wird, und Rettung dort, wo Menschenleben gerettet werden müssen. Wir können aber nicht alle Probleme dieser Welt innerhalb Europas lösen. Wir können nicht alle Probleme dieser Welt auf europäischem Boden lösen. Das können wir nicht, und das kann auch unsere Bevölkerung nicht mehr schultern. Wir fordern in unserem Antrag deshalb, die Seenotrettung zu stärken und gleichzeitig den Schutz der EU-Außengrenze zu verbessern und Schleusern das Handwerk zu legen. Die Anträge von der SPD, den FREIEN WÄHLERN und GRÜNEN lehnen wir ab. Wir bitten um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei der CSU)

Herr Dr. Huber, bitte bleiben Sie am Rednerpult. Wir haben zwei Zwischenbemerkungen, zunächst Herr Kollege Stümpfig, dann Herr Kollege Dr. Fahn.

Herr Kollege Huber, ich möchte erst einmal fragen, auf welchem Weg die Balkanstaaten übers Mittelmeer zu uns kommen sollen. Thema war eindeutig das Problem, das wir in den letzten Tagen haben, und zwar, dass viele Menschen im Mittelmeer ertrinken. Das hat doch nichts mit Montenegro zu tun. Bitte vermischen Sie hier keine unterschiedlichen Themen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Ich habe noch eine Frage an Sie, es ist auch Ihre Initiative. Die CSU möchte also Gespräche mit den Machthabern in Nordafrika führen. Nennen Sie mir doch einmal den derzeitigen Machthaber in Libyen, wenn das für Sie so einfach ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Noch eine Frage zur Entwicklungshilfe: Ich war zweieinhalb Jahre als Entwicklungshelfer in Mali tätig. Was wir als Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklungshilfe machen, ist beschämend. Wir krebsen bei 0,38 % von unserem Bruttoinlandsprodukt herum.

Die Zusagen umfassen eigentlich 0,7 %. Wir tun also viel zu wenig, um in den Ländern wirklich Aufbauarbeit zu leisten. Was machen denn die Menschen beispielsweise in Mali, wenn sie nicht mehr von dem leben können, was ihre tägliche Arbeit erbringt? Was haben die denn für Alternativen? – Da sind wir als reiches Industrieland doch wirklich gefragt, ein bisschen mehr abzugeben. Da könnte auch Bayern ein gutes Vorbild sein. Nennen Sie also bitte nicht Zahlen, die belegen sollen, was die Bundesrepublik alles getan hat. Wir müssen vielmehr bei dem nachbessern, was wir derzeit tun. Wir tun einfach viel zu wenig.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Kollege Stümpfig, der Anfang Ihrer Wortmeldung war bezeichnend und zeigt eigentlich schon Ihr Grundproblem auf, dass Sie nämlich die Dinge nur isoliert betrachten und sich immer das Kleine heraussuchen, anstatt das große Ganze zu sehen. Wenn wir heute über Flüchtlinge und Migration sprechen und wenn wir darüber sprechen, dass Sie in Ihrem Antrag explizit ein Einwanderungsgesetz fordern, dann können wir doch nicht so tun, als gäbe es Flüchtlinge, die aus dem einen Teil der Erde kommen, und Flüchtlinge, die aus dem anderen Teil der Erde kommen.

(Beifall bei der CSU – Zuruf der Abgeordneten Christine Kamm (GRÜNE))

Das muss man schon im Zusammenhang sehen. Die Aussage passt deshalb sehr wohl in meinen Redebeitrag hinein. Wenn Sie sich vor der Verantwortung drücken und nicht wahrhaben wollen, dass Sie, nämlich die rot-grünen Länder im Bundesrat, die Einigung verhindert haben, dann verstehe ich das. Ich möchte das an Ihrer Stelle draußen vor Ort auch nicht vertreten müssen. Jetzt aber so zu tun, als hätte das in dieser Debatte nichts zu suchen, ist einfach nur Augenwischerei.

(Beifall bei der CSU)

Nun bitte die nächste Wortmeldung. Das ist Herr Kollege Dr. Fahn.

Ich habe aber noch nicht gesagt, dass ich fertig bin. - Zum Thema Entwicklungshilfe: Natürlich ist das Ziel, die 0,5 % zu erreichen. Ich habe auch nicht gesagt, dass wir am Ende der Fahnenstange angelangt sind. Da brauchen wir uns nicht misszuverstehen. In der aktuellen Debatte sind wir immer wieder mit den Fluchtursachen vor Ort konfrontiert, und wenn wir die bekämpfen wollen, dann dürfen wir in der Entwicklungshilfe nicht den Status quo festschreiben. Natürlich brauchen wir da mehr Initiativen; das bestreitet auch niemand.

(Christine Kamm (GRÜNE): Das sagen Sie schon lange, aber Sie tun nichts!)

Nun noch zu Ihrer Frage betreffend Libyen. Ohne Zweifel ist Libyen das größte Problemfeld, weil es dort keine Strukturen mehr gibt. Libyen habe ich aber gar nicht erwähnt. Ich habe Tunesien erwähnt und Marokko. Von Libyen habe ich gar nichts gesagt. Libyen ist ohnehin ein starker Brennpunkt. Auch in dieser Frage sind wir uns einig. Es freut mich aber, dass Sie wenigstens das eine oder andere realistisch anerkennen. Das ist schon einmal ein guter Schritt.

(Beifall bei der CSU)

Jetzt bitte Herr Dr. Fahn.

Herr Dr. Huber, Sie haben angekündigt, den Dringlichkeitsantrag der FREIEN WÄHLER abzulehnen. Hier schießen Sie ein Eigentor, und das werde ich jetzt belegen. Haben Sie die gestrige Pressemitteilung des Integrationsbeauftragten Martin Neumeyer gelesen? Die müssten Sie eigentlich um 16.42 Uhr auch bekommen haben. Hier steht es, Pressemitteilung: "Besser spät als nie." – Wir FREIEN WÄHLER haben in unserem Antrag die Punkte, die der Integrationsbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung fordert, wortwörtlich aufgenommen. Wir haben diese Forderungen in unserem Antrag gebracht. Bitte sagen Sie, warum Sie diese Forderungen Ihres Integrationsbeauftragten, der sogar in der Staatskanzlei einen Platz haben soll, ablehnen? – Sie brüskieren hier Martin Neumeyer doch im extremen Maße. Das möchte ich bei dieser Gelegenheit schon einmal sagen.