Protokoll der Sitzung vom 22.04.2015

(Namentliche Abstimmung von 17.16 bis 17.19 Uhr)

Ich schließe die namentliche Abstimmung und bitte, die Plätze wieder einzunehmen.

Die Dringlichkeitsanträge auf den Drucksachen 17/6214 bis 17/6219 und 17/6232 werden in die zuständigen federführenden Ausschüsse verwiesen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:

Antrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Florian Ritter, Franz Schindler u. a. und Fraktion (SPD), Margarete Bause, Ludwig Hartmann, Katharina Schulze u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Einsetzung einer Kommission zur parlamentarischen Begleitung der Konsequenzen aus der NSU-Mordserie (Drs. 17/2295)

Ich eröffne die Aussprache. Gesamtredezeit der Fraktion ist 24 Minuten. Erster Redner ist Kollege Ritter. Bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Nach der Selbstenttarnung des NSU hat es nicht nur

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

im Deutschen Bundestag, sondern auch im Bayerischen Landtag einen Untersuchungsausschuss gegeben. Zehn Menschen wurden ermordet, fünf davon in Bayern. Die Fragen, die sich im Zusammenhang mit den Ermittlungen, mit der Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörden, aber auch im Umgang mit den Hinterbliebenen und Angehörigen ergeben haben, machten eine öffentliche Aufarbeitung der Vorgänge notwendig.

Wir haben uns hier zusammengefunden in dem einstimmigen Beschluss, diesen Untersuchungsausschuss einzusetzen, und haben auch in weiten Teilen hier sehr konstruktiv zusammengearbeitet. Die Punkte, Fragen von Behördenversagen, von Fehlentscheidungen und von Mängeln, wurden alle in einem gemeinsamen Untersuchungsausschussbereich der Öffentlichkeit vorgestellt, auch wenn wir in einigen Punkten sicherlich zu unterschiedlichen Ergebnissen in der Einschätzung gekommen sind.

Die Aufarbeitung und die Verhinderung zukünftiger Fehler gehören aber ebenfalls in eine öffentliche Debatte und dürfen nicht einfach nur an die Verwaltung delegiert werden.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Besonders wenn wir darüber reden wollen und müssen, wie wir die Konsequenzen in den betroffenen Behörden ziehen, stehen wir als Bayerischer Landtag in einer besonderen Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit, weil die Morde der NSU auch einen massiven Vertrauensverlust in die Sicherheitsbehörden nach sich gezogen haben, in einer Verantwortung gegenüber den Opfern, aber auch in einer Verantwortung gegenüber den Hinterbliebenen, die ja selbst wieder Opfer geworden sind, nämlich Opfer der Ermittlungen, weil sie einem massiven Ermittlungsdruck ausgesetzt waren.

Es hat im Zusammenhang mit unserem Antrag einen weiteren Antrag der CSU auf Berichterstattung im zuständigen Ausschuss gegeben. Dieser Bericht ist auch gegeben worden. Aber nach diesem Bericht bleibt eine große Fülle an Fragen offen. Wer sich den Bericht anschaut, stellt fest, dass die Bayerische Staatsregierung dort gehandelt hat, wo es auf der Grundlage von Beschlüssen der Bund-Länder-Kommission und des Deutschen Bundestages keine andere Möglichkeit mehr gab, als zu handeln.

Darüber hinaus wurden bei Fragen wie beispielsweise zur interkulturellen Kompetenz in Sicherheitsbehörden oder zum Umgang mit den Hinterbliebenen so getan, als hätte es nie ein Problem gegeben. Der Umgang mit V-Leuten, die Grundlagen der realistischen Einschätzung rechtsextremistischer Gewaltbereitschaft und eines Terrorpotenzials innerhalb der rechtsextremistischen Szene sowie die Frage der Prüfung, wie mögliche rechtsextremistische Tathintergründe bei Verbrechen angegangen werden können, wurden nur oberflächlich behandelt. Das liegt sicherlich auch in der Natur eines solchen Antrags, der im Innenausschuss irgendwo zwischen Fragen der kommunalen Wasserversorgung behandelt wird. Ein Bericht, der da alle zwei Jahre gegeben wird, kann natürlich nicht in die Tiefe gehen. Ich frage Sie, ob das aufgrund der Hintergründe der Taten und der Versäumnisse innerhalb der Behörden angemessen ist. – Nein, angemessen ist es nicht, weder in Bezug auf die Vorgänge rund um die Morde und auf dringend notwendige Reformen im Sicherheitsapparat noch in Bezug auf das verloren gegangene Vertrauen in die Sicherheitsbehörden.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Der Eindruck für die Betroffenen – sowohl für die Hinterbliebenen als auch für die gesamte MigrantenCommunity in Bayern, die hierhergezogen ist und hier ihre Heimat gefunden hat –, dass es bei der Verbrechensbekämpfung Verbrechensopfer erster und zwei

ter Klasse gibt, Migrantinnen und Migranten ihres Lebens nicht sicher sind und nicht geschützt werden, entstand nicht zu Unrecht.

Unsere Aufgabe ist es nicht, Verwaltungspapiere zur Kenntnis zu nehmen und durchzuwinken, sondern ist es, bei der Umsetzung der Konsequenzen aus dem Bericht des Untersuchungsausschusses unter Hinzuziehung von externen Fachleuten in die Tiefe zu gehen. Die Geschichte zeigt, dass das Braten im eigenen Saft den Sicherheitsbehörden nicht gutgetan hat. Es ist unsere Aufgabe, den Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses im Bayerischen Landtag in Bezug auf die darin vorgestellten Konsequenzen durchzugehen und gemeinsam unter Hinzuziehung von wissenschaftlicher Expertise den besten Weg zu finden, um die Arbeit der Sicherheitsbehörden zu verbessern und Vertrauen zurückzugewinnen. Stimmen Sie zu. Lassen Sie uns diese Begleitkommission gemeinsam einrichten und gemeinsam für die notwendigen Reformen arbeiten!

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Kollege Ritter. – Für die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Frau Kollegin Schulze, bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bombenanschläge, Raubüberfälle, zehn Morde – davon fünf in Bayern –, das ist die bisher bekannte schreckliche Bilanz der rechtsterroristischen Vereinigung Nationalsozialistischer Untergrund – NSU. Erst durch die Selbstenttarnung ist sie ans Licht gekommen. Im Zuge dessen wurde deutlich: Unsere Sicherheitsbehörden haben versagt.

Der Bayerische Landtag hat sich in der letzten Legislatur mit den Fehlern und Versäumnissen der Sicherheitsbehörden im Untersuchungsausschuss "Rechtsterrorismus in Bayern – NSU" auseinandergesetzt. Parteiübergreifend wurden ein großer Maßnahmenkatalog und Reformen beschlossen, zum Teil mit gemeinsamen Handlungsempfehlungen. Die Aufklärung über den Rechtsterrorismus in Bayern und vor allem darüber, ob die Reformen und Ideen richtig umgesetzt sind, ist mit Beginn der neuen Legislaturperiode noch lange nicht vorbei.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Derzeit nehmen in ganz Deutschland fünf neue Untersuchungsausschüsse ihre Arbeit auf, um weiter Licht in die Hintergründe der Mordserie und die Ursachen des Versagens der Sicherheitsbehörden zu bringen. Immer wieder kommen neue erschütternde Details

ans Tageslicht. Auch der Prozess gegen Beate Zschäpe vor dem OLG München wird noch mindestens bis ins Jahr 2016 fortgesetzt. Ich finde, dass es der Bayerische Landtag den Hinterbliebenen der Opfer schuldig ist, nicht den Aktendeckel zu schließen, während die Aufklärung weiter voranschreitet.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir brauchen also im Bayerischen Landtag die NSUKommission, die die Umsetzung von notwendigen Reformen und Empfehlungen bei der Arbeit der Polizei und der Justizbehörden begleitet. Wir brauchen eine Kommission, die in Dialog mit Untersuchungsausschüssen in den anderen Bundesländern tritt und die Aufklärung weiter vorantreibt. Sie soll für alle öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Stellen, die sich mit der Aufklärung der Mordserie befassen, Gesprächspartnerin sein; denn eine Sache darf nicht passieren: Das Staatsversagen darf sich bei der Aufklärung nicht weiter fortsetzen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Florian Ritter und ich sind am Anfang der Legislaturperiode auf alle Fraktionen zugegangen, weil wir an diesem Thema gemeinsam weiterarbeiten wollen; denn es ist ein Gebot der Vernunft, bei diesem Thema fraktionsübergreifend für bessere Ideen und für die Umsetzung der Reformen zu kämpfen. Wir dachten, das wäre eigentlich kein Problem. Doch leider wurden wir eines Besseren belehrt: Die Rückmeldungen und die Debatte in den Ausschüssen über unseren Antrag waren erschütternd. Der Haupttenor war: Das brauchen wir alles nicht; das ist schon erledigt; in Bayern läuft doch alles super.

Das ist beschämend; denn in Bayern läuft bei der Bekämpfung des Rechtsterrorismus eben nicht alles super. Auch bei der Umsetzung der zahlreichen Reformen aus dem Untersuchungsausschuss und bei der Diskussion darüber, welchen zusätzlichen Handlungsbedarf es in den Sicherheitsbehörden gibt, läuft nicht alles super. Es gibt immer mehr Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte, immer mehr Einschüchterungsversuche gegenüber politischen Gegnerinnen und Gegnern und zunehmende Fälle von NaziSchmierereien. Der Rassismus ist in der sogenannten Mitte der Gesellschaft in Bayern vorhanden. All das gibt es hier in Bayern. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, Sie verharmlosen regelmäßig die Gefahr, die von rechtsextremen Tätern ausgeht. Wer guten Gewissens behauptet, in Bayern bestehe kein Handlungsbedarf, wir bräuchten keine NSU-Kommission, leidet an Realitätsverzerrung.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Ganz abgesehen von der inhaltlichen Notwendigkeit einer NSU-Kommission, brauchen wir diese NSUKommission unserer Meinung nach auch für ein starkes Zeichen: Wir sind es den Angehörigen und den Hinterbliebenen der Opfer schuldig; denn sie haben nicht nur geliebte Menschen verloren. Sie haben sich auch oft genug bei unseren eigenen Sicherheitsbehörden schutzlos gefühlt, weil sie häufig selbst im Mittelpunkt der Ermittlungen standen.

Wir sind der Meinung, dass der Bayerische Landtag mit einer solchen Kommission ein deutliches Zeichen an die Öffentlichkeit hinaussenden würde: Wir sind eben nicht zur Tagesordnung übergegangen. Wir arbeiten daran, dass solche schrecklichen Taten in Zukunft besser verhindert werden können. Vor allem: Es tut uns leid, dass der bayerische Staat seine Mitbürgerinnen und Mitbürger nicht besser schützen konnte.

Wir sind der Meinung, dass es keine guten Gründe gibt, weshalb man eine NSU-Kommission ablehnen sollte. Ich kann mich nur wiederholen: Wir haben mit allen Fraktionen im Landtag unzählige Gespräche geführt, weil wir gemeinsam, fraktionsübergreifend, an diesem Thema weiterarbeiten wollten. Bisher haben wir von Ihnen nur negative Signale vernommen. Vielleicht sind Sie noch einmal in sich gegangen und haben sich eine andere Meinung gebildet. Das würde uns sehr freuen. Wir bitten um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Danke schön. – Für die CSU-Fraktion hat sich Herr Kollege Heike gemeldet. Bitte sehr.

Herr Präsident, meine Damen und Herren Kollegen! Liebe Frau Schulze, lassen Sie doch bitte die Kirche im Dorf. Sie stellen sich hierher und sagen, in Bayern wäre die Sicherheit nicht gewährleistet gewesen.

(Katharina Schulze (GRÜNE): Das war sie ja auch nicht! Fünf Morde! – Florian Ritter (SPD): Fünf Tote! Ermittlungen in alle Richtungen, nur nicht in die richtige!)

Ich muss Ihnen sagen: Es gibt nicht nur den NSU. Wir haben bei unseren Sicherheitsbehörden eine ganze Reihe von hervorragenden Ergebnissen. Hier schließe ich unsere Polizei und unseren Verfassungsschutz ein. Wenn Sie hier alles schlechtreden, machen Sie damit nichts besser. Denen, die Sie unterstützen wollen, geben Sie Steine statt Brot.

(Beifall bei der CSU – Florian Ritter (SPD): Was soll man denn bei dem NSU-Skandal noch schlechtreden?)

So wollen wir die Diskussion nicht führen.

(Florian Ritter (SPD): Was soll man denn an dem NSU-Skandal noch schlechtreden? Entschuldigung!)

- Herr Kollege Ritter, was haben denn Sie so Schlaues gewusst, dass Sie diese Fälle hätten verhindern können? - Sie waren genauso wenig informiert wie wir auch. Sie wollen im Nachhinein alles richtig machen.

(Katharina Schulze (GRÜNE): Um zu lernen! Sie wollen nicht lernen! Das ist das Problem!)

- Da sind wir uns einig. Wir wollen lernen. Allerdings kann man nicht leugnen, dass bisher gute Arbeit geleistet worden ist. Herr Ritter, das haben nicht Sie gesagt, sondern Frau Kollegin Schulze.

Wir haben Konsequenzen gezogen. Es werden auch weiterhin massive Konsequenzen gezogen. Die Zusammenarbeit zwischen der Polizei und den Sicherheitskräften wurde nicht nur in Bayern, sondern bundesweit auf den Prüfstand gestellt. Hier ist einiges geschehen. Übrigens ist diese Reform in der Innenministerkonferenz und in den Ausschüssen des Bundes, die wir alle kennen, abgesprochen und auf den Weg gebracht worden. Das wird auch weiterentwickelt. In Bayern haben wir dieses Thema im Kommunalausschuss aufgearbeitet und nicht zuletzt im Untersuchungsausschuss.

(Florian Ritter (SPD): Das waren einmal 1,5 Stunden!)

Dieser Untersuchungsausschuss war richtig und wichtig. Er hat einige Probleme aufgezeigt, die wir abgeschafft haben. Wie Sie sagen: Wir lernen aus der Situation. Unsere Sicherheitsbehörden haben nicht versagt, sondern lernen. Ich maße mir nicht an zu behaupten, dass ich anders als die Sicherheitsbehörden reagiert hätte. Wir alle haben etwas erleben müssen, was wir uns so vorher nicht hätten vorstellen können. Wir lernen daraus, und wir haben daraus Konsequenzen gezogen.

Frau Kollegin Schulze, wir schließen auch nicht die Akten. Wir sind weiter an diesem Thema dran, nicht nur wir, sondern auch der gesamte Bund. Es gibt einen Verbesserungsvorschlag zum Informationsaustausch zwischen den Polizeibehörden, der Justiz und den Nachrichtendiensten. Außerdem ist das Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus/-terrorismus erweitert worden. Dort wird gut gearbeitet.

Sie vergessen gern, dies zu erwähnen. Zusätzlich gibt es noch informationelle Zusammenarbeit bei den Sicherheitsbehörden, die auf neue Beine gestellt worden ist. Wir werden nicht nur das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz unterstützen, sondern auch die Berichtspflichten gegenüber dem Staatsminister des Innern auf diesem Wege weiterentwickeln.