Protokoll der Sitzung vom 22.04.2015

(Unruhe)

Ich bitte doch um etwas Ruhe.

Wir müssen mehr Möglichkeiten haben, als es im Moment der Fall ist. Die Operation Triton bietet diese Möglichkeiten nicht, obwohl mir die Verantwortlichen vor Kurzem gesagt haben, dass sie im Moment nichts anderes tun, als Menschenleben zu retten. Sie können sich aber selbst ausrechnen, was passiert, wenn die Schiffe erst von Italien bis kurz vor die libysche Küste fahren müssen.

Ich sage auch klipp und klar – andere haben es schon gesagt –: Wir brauchen den konsequenten Kampf mit allen Mitteln gegen Schlepper.

(Beifall bei der CSU)

Das sind Verbrecher, das sind Mörder, das sind Leute, die Terroristen unterstützen.

Dann müssen wir uns überlegen, was wir tun können, damit die Menschen nicht in die Boote steigen und gar nicht erst in Gefahr kommen. Das werden wir so schnell nicht hinbekommen. Dennoch müssen wir das Problem massiv angehen. Ich bin froh, dass der Entwicklungshilfeminister Gerd Müller die gesamte Entwicklungszusammenarbeit auf neue Beine stellt, anders arbeitet und sich den Fluchtursachen intensiv widmet.

Die Entwicklungszusammenarbeit muss sich vor allem auf die Länder konzentrieren, aus denen die Flüchtlinge kommen. Wir müssen dabei helfen, dass

dort aus politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten wieder Chancen für die Menschen entstehen können. Die – stabileren – Nachbarstaaten der Staaten mit schwierigen Verhältnissen bedürfen unserer besonderen Unterstützung, da sie schon viele Menschen aufgenommen haben. Einige Nachbarländer Syriens beherbergen momentan Tausende von Flüchtlingen. Sie brauchen noch mehr Hilfe als bisher. Wir müssen uns auch dort einsetzen, wo politische und religiöse Grundkonflikte entstehen – das ist gerade im Nahen Osten der Fall -, die es dem IS überhaupt ermöglichen, auf seine grausame Art zu wirken. Das ist eine enorme Herausforderung für die Weltgemeinschaft.

In diesem Zusammenhang nenne ich natürlich auch Libyen. Wir müssen alle Bemühungen unterstützen, die darauf zielen, aus den zersplitterten Gruppen mit jeweils eigenen Regierungen eine zentrale Regierung zu formen. In Libyen funktioniert manches noch. In einigen Bereichen der Wirtschaft verzeichnen wir eine gewisse Stabilität. Wir können dort noch etwas erreichen, müssen uns aber massiv darum kümmern.

Wir müssen uns auch über Folgendes im Klaren sein – ich hoffe, das sind wir alle hier –: Europa kann nicht alle Menschen, die sich auf den Weg machen, aufnehmen. Das schaffen wir nicht. Wir müssen ganz ehrlich sagen, wen und wie viele Menschen wir aufnehmen können.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Dafür brauchen wir ein Einwanderungsgesetz!)

Um Zahlen nennen zu können, brauche ich kein Einwanderungsgesetz. Ich brauche keine Kodifizierung, wenn es längst legale Einwanderungsmöglichkeiten, zum Beispiel über Visa-Verfahren, gibt. Ein Einwanderungsgesetz brauchen wir dafür nicht. Wir brauchen sehr wohl sehr viel Geld für die Entwicklungszusammenarbeit. Wir brauchen sehr viel mehr Initiativen, um zerrüttete Herkunftsstaaten zu stabilisieren.

(Unruhe)

Ich bitte darum, das Reden einzustellen und der Ministerin das Wort zu gönnen.

Wir brauchen nicht nur den Schutz unserer Außengrenzen, sondern auch den Schutz der afrikanischen Grenzen. Wir sehen doch, dass aus Tunesien und Ägypten so gut wie keine Flüchtlinge kommen, während die 1.700 Kilometer lange Grenze Libyens nicht geschützt ist.

Noch etwas muss ich klar sagen: Wir betreiben keine Abschottungspolitik. Die Zahlen für Deutschland und für ganz Europa sprechen eine andere Sprache. Wir brauchen nur die Zahlen für das gesamte Jahr 2014 und das erste Quartal 2015 zu vergleichen. Wir verzeichnen eine deutliche Steigerung. Im gesamten Jahr 2014 kamen 200.000 Flüchtlinge nach Deutschland. Allein im ersten Quartal 2015 waren es 85.000. Daran sehen wir schon, dass sich in diesem Jahr die Zahl gegenüber dem Vorjahr verdoppeln wird. Nach Bayern kamen im ersten Quartal 2015 13.000 Menschen, während es im gesamten Jahr 2014 "nur" 29.000 waren. Daraus können wir hochrechnen, was noch auf uns zukommen wird. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir werden noch viele Menschen aufnehmen müssen. Wenn wir uns anschauen, was im Umkreis von Syrien passiert, was in Ländern passiert, in denen es möglicherweise jetzt auch zu massiven Ausreisen kommt, weil es Bürgerkrieg gibt, dann wissen wir, dass diese Menschen bei uns auch Asyl haben müssen.

Aber eines müssen wir einfordern, und das ist meines Erachtens etwas, was wir sehr laut und sehr stark einfordern müssen: europäische Solidarität. Es kann nicht sein, dass allein fünf Länder in Europa den großen Teil von 75 % der Flüchtlinge aufnehmen. Das kann und darf nicht sein.

(Beifall bei der CSU)

Wenn andere Länder in Europa in anderen Beziehungen, ob das Wirtschaftsbeziehungen oder sonstige Beziehungen sind, Solidarität der Europäischen Union verlangen, dann müssen wir auch, wenn es um die Aufnahme von Flüchtlingen geht, insgesamt von europäischen Ländern Solidarität verlangen. Das ist ein humanitäres Gebot an Europa.

Wir müssen humanitäre Hilfe bei uns leisten, wie gesagt, für die Menschen, die einen Asylgrund haben – es wird sehr viele von ihnen geben –, und wir müssen humanitäre Hilfe leisten in den Herkunftsländern und in den Nachbarländern, in den sogenannten Drittländern. Da geht es um den Schutz von Menschen aus Kriegsgebieten wegen Folter, wegen Verfolgung, um Menschen, die nicht anders leben können, als dass sie zu uns kommen, weil sie sonst ermordet werden. Die Differenzierung zwischen denjenigen, die in Haft gekommen sind, die im Krieg waren, die in Folter waren, die verfolgt worden sind, und denjenigen, die aus wirtschaftlichen Gründen kommen, so schwerwiegend auch wirtschaftliche Gründe sein mögen, ist und bleibt richtig, und an ihr muss sich auch unsere Flüchtlingspolitik orientieren.

In diesem Sinne bitte ich um ein Zusammenhalten. In diesem Sinne bitte ich darum, die Forderungen laut zu erheben und sich stark hinter eine Kanzlerin zu stellen, die morgen für uns auf dem Flüchtlingsgipfel sprechen wird. Ich hoffe sehr – das ist mein ganz, ganz großer Wunsch –, dass dieser Krisengipfel so schnell wie möglich im Mittelmeer für Hilfe sorgt, aber uns auch die Möglichkeit gibt, in den Herkunftsländern ein Vielfaches von dem zu tun, was wir bisher geleistet haben.

(Beifall bei der CSU)

Frau Staatsministerin, kleinen Moment bitte. Wir haben noch eine Zwischenbemerkung vom Kollegen Dr. Fahn. Bitte sehr.

Frau Ministerin, ich bin froh, dass der Integrationsbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung jetzt auch anwesend ist. Er hat gestern auch verschiedene Vorschläge genannt. Da möchte ich gern wissen, ob Sie diese auch unterstützen:

Erstens, offensives Einsetzen nach nachvollziehbaren Kriterien,

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

verbindliche Quoten, nach denen Flüchtlinge gerecht den Mitgliedstaaten zugeteilt werden; zweitens, einheitliche europäische Standards bei der Errichtung und Betreuung der Flüchtlingsunterkünfte; drittens, eine zeitnahe Rücksendung abgelehnter Asylbewerber; viertens, ein neues Konzept – wir haben kein Einwanderungsgesetz – für die Einwanderung, damit mehr Menschen die Möglichkeit erhalten, legal nach Europa zu kommen, und fünftens, eine gemeinsame europäische Entwicklungspolitik, um die Lebensbedingungen in den Herkunftsländern deutlich zu verbessern.

Was sagen Sie zu diesen fünf Punkten? Unterstützen Sie diese? Sie sind übrigens auch Teil des Antrags der FREIEN WÄHLER, Punkte, die wir von Herrn Neumeyer übernommen haben. Er nickt jetzt gerade.

Ich habe Ihnen, Herr Fahn, die Punkte gesagt, die mir wichtig sind. Ich kann mir zum Beispiel auch nicht vorstellen, dass wir überall in Europa die gleichen Standards erreichen können, wenn es um die Unterbringung von Flüchtlingen geht. Das sage ich ganz klar, weil ich die europäischen Länder kenne und weil ich weiß, welche Möglichkeiten sie haben. Wir müssen insgesamt Themen, die über die Punkte,

die ich jetzt genannt habe, hinausgehen, miteinander diskutieren und uns da auf einen Weg begeben.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Danke schön, Frau Staatsministerin. – Frau Kollegin Kamm hat sich noch zu einem Redebeitrag gemeldet. Frau Kamm, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist richtig, wir müssen sehr aktiv werden, und wir haben hier einen Konsens wenigstens dahin gehend, dass Menschen gerettet werden müssen und dass mehr Entwicklungsarbeit geleistet werden muss. Aber wir hoffen doch sehr, dass das auch wirklich dazu führt, dass bei dem europäischen Gipfel tatsächlich auch die entsprechenden Beschlüsse gefasst werden. Der derzeitige Zehn-Punkte-Plan reicht definitiv nicht und ist in der vorliegenden Form abzulehnen.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Frau Ministerin, Sie haben erwähnt, es gebe legale Einreisemöglichkeiten. Es gibt sie vielleicht für manche, aber es gibt sie keineswegs in ausreichendem Maße und vor allen Dingen nicht für die, die dringend der Hilfe bedürfen. Es war richtig, dass Deutschland ein Kontingent für syrische Flüchtlinge aufgelegt hat, und es war nicht richtig, dass dieses Kontingent nicht aufgestockt worden ist. Ich denke, wir müssen hier mehr tun. Wir brauchen in Europa eine solidarische Aufnahme von Flüchtlingen. Das ist eine große Aufgabe in dieser Krisensituation, die nicht alltäglich ist. Deswegen dürfen wir auch nicht zu Business as usual zurückkehren und uns nicht wie in dem CSU-Antrag lediglich auf Grenzschutz konzentrieren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Kollegin Kamm.

Meine Damen und Herren, ich habe jetzt eine kurze Pause gemacht, weil die Fraktion der FREIEN WÄHLER zu ihrem Antrag auch noch namentliche Abstimmung beantragt hat. Ich schlage jetzt folgende Vorgehensweise vor: Wir stimmen jetzt über die Anträge von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CSU und SPD in einfacher Form ab. Das würden wir jetzt gleich machen. Dann hätten wir noch die namentliche Abstimmung vorzunehmen zum Dringlichkeitsantrag der FREIEN WÄHLER betreffend "Wahl der Eltern und Schüler ernst nehmen: Alle Anmeldungen auf G9 umsetzen und niemand abweisen!" – Ich bitte um Ihre Zustimmung, dass wir diese namentliche Abstimmung jetzt gleich mit hineinnehmen und nicht extra die

15 Minuten noch in Anspruch nehmen. Wenn dem zugestimmt wird, bitte ich um ein Handzeichen. – Das scheint mir dann doch ein allgemeiner Konsens zu sein. Vielen Dank.

Ich schließe die Aussprache, weil keine weiteren Wortmeldungen vorliegen.

Wir kommen zur Abstimmung. Dazu werden die Anträge getrennt. Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 17/6213 – das ist der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FREIE WÄHLER, SPD. Gegenstimmen? – CSU-Fraktion. Enthaltungen? – Keine. Damit ist dieser Antrag abgelehnt.

Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 17/6234 – das ist der Antrag der CSU-Fraktion – seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – CSU-Fraktion, FREIE WÄHLER. Gegenstimmen bitte! – BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN. Enthaltungen? – Die SPD. Damit ist dieser Antrag angenommen.

Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 17/6235 – das ist der Antrag der SPD-Fraktion – zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – SPD, FREIE WÄHLER, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN. Gegenstimmen bitte! – Das ist die CSU-Fraktion. Enthaltungen? – Keine. Damit ist dieser Antrag abgelehnt.

Ich schlage vor, dass wir jetzt in die namentliche Abstimmung über den Dringlichkeitsantrag der Fraktion der FREIEN WÄHLER auf Drucksache 17/6236 eintreten. Anschließend gibt es eine namentliche Abstimmung zu dem vorhergehenden Tagesordnungspunkt. Ihnen stehen fünf Minuten zur Verfügung. Ich eröffne die namentliche Abstimmung.

(Namentliche Abstimmung von 17.10 bis 17.15 Uhr)

Meine Damen und Herren, die fünf Minuten sind um. Ich schließe die Abstimmung und bitte, das Ergebnis außerhalb des Sitzungssaals zu ermitteln.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Damit komme ich zur namentlichen Abstimmung über den Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 17/6212 der Fraktion der FREIEN WÄHLER betreffend "Wahl der Eltern und Schüler ernst nehmen: Alle Anmeldungen auf G9 umsetzen und niemand abweisen!"

Ich eröffne hierzu die namentliche Abstimmung. Es stehen drei Minuten zur Verfügung.

(Namentliche Abstimmung von 17.16 bis 17.19 Uhr)