Protokoll der Sitzung vom 18.06.2015

Dann will ich Ihnen schon einmal aufzeigen, wie schnell sich der Wind in der Diskussion dreht. Am 20. Dezember 2012 haben Sie von den FREIEN WÄHLERN zusammen mit der SPD und den GRÜ NEN eine Presseerklärung abgegeben: Winterab schiebestopp für Flüchtlinge aus Südosteuropa und aus Afghanistan. Ihr Sprecher Peter Bauer führte aus, dass er bei Flüchtlingen bestimmter Nationalität für einen Abschiebestopp im Winter sei.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Das war vor Weihnachten!)

Besonders Menschen aus dem Kosovo, aus Monte negro, Serbien und Albanien seien in der kalten Jah reszeit besonderen Härten ausgesetzt. Das war Ihre Flüchtlingspolitik vor zwei Jahren. Sie haben die The matik, um die es geht, überhaupt nicht begriffen.

(Beifall bei der CSU – Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Vier Tage vor Weihnachten!)

Bevor ich jetzt den Kollegen Pfaffmann zum Rednerpult bitte, teile ich Ihnen mit, dass die CSUFraktion für ihren Antrag namentliche Abstimmung beantragt hat. Bitte, Herr Pfaffmann.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schön, dass wir in diesem Parlament wieder über das Thema Asyl recht diskutieren. Es wird uns die nächsten Monate und möglicherweise auch Jahre begleiten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es stimmt, wir stehen vor einer Herausforderung, mit der wir vor Jahren noch nicht gerechnet haben. Die schwierige Lage der europäischen und weltweiten Flüchtlingsbewegungen erfordert Antworten. Da gebe ich Ihnen recht, Herr Kreuzer. Die schwierige Lage erfordert Antworten der verschiedenen Länder. Es müssen nur die richtigen Antworten sein, und die Antworten, die Sie heute vor tragen, sind schon längst in der Diskussion oder aus humanitären Gründen höchst fraglich, oder sie sind aus völker und europarechtlicher Sicht oder aufgrund verschiedener Diskussionen, die in der Europäischen Union geführt werden, nicht akzeptabel. Insofern wer den wir Ihren Antrag ablehnen. Wir werden ihn aber auch aus inhaltlichen Gründen ablehnen. Das will ich gleich darstellen.

Gestatten Sie mir aber zunächst ein Wort des Danke schöns für die letzten Monate an all diejenigen, die sich für die Flüchtlingspolitik in Bayern, Deutschland und Europa im Ehrenamt und auch bei den Institutio nen starkgemacht haben. Es ist viel passiert. Geld ist bereitgestellt worden. Die Bundesregierung hat rea giert, und dafür möchte ich jetzt die Gelegenheit nut zen, ein Dankeschön für diese Arbeit zu sagen.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Herr Kreuzer, ich habe überhaupt kein Verständnis für das unsolida rische Verhalten einiger europäischer Länder. Dabei haben Sie uns an Ihrer Seite. Es kann schlicht nicht akzeptiert werden, dass sich innerhalb der europä ischen Länder die einen abspatzen – das habe ich hier schon einmal gesagt – und die anderen die Hauptlast tragen. Das ist nicht mit der europäischen Struktur und dem europäischen Gedanken vereinbar. Da haben Sie uns an Ihrer Seite, lieber Herr Kreuzer.

(Beifall bei der SPD)

Andererseits ist es aber unredlich, auf andere Länder mit dem Finger zu zeigen, so zum Beispiel auf Italien oder auf Griechenland, die nun einmal das Pech haben, am Mittelmeer zu liegen, und welche die Hauptlast zu tragen haben. Diese Mittelmeeranrainer länder werden von der Europäischen Union bei der Bewältigung ihrer Probleme komplett alleingelassen. Das geht auch nicht. Diese Länder verdienen unsere solidarische Unterstützung. Deswegen ist eine euro päische Lösung für Italien, Griechenland und alle an deren Mittelmeeranrainerstaaten gefragt. Dazu höre

ich auch im europäischen Zusammenhang recht wenig seitens der Konservativen.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Herr Kreuzer, nicht gefallen haben mir die Zusammenhänge, die Sie hier oftmals darstellen. Ich verstehe sie zwar aus Ihrer Sicht, aber sie gefallen mir nicht. Wer versucht, einen Zusammenhang zwischen radikalen Islamisten, die wir auch nicht wollen, und dem Missbrauch des Asyl rechts einerseits und der allgemeinen Flüchtlingspoli tik andererseits herzustellen, handelt unredlich und zynisch.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie wirklich politisch seriös argumentieren wol len, können Sie nicht Menschen, die Flucht und Ver treibung, unendliches Leid, Krieg, Vergewaltigung und Trennung der Familien hinter sich haben, mit in der Tat nicht akzeptablen radikalen Islamisten oder sonsti gen Personen gleichsetzen. Das gefällt mir an Ihrer Argumentation nicht. Sie müssen in der Flüchtlingspo litik schon sauber unterscheiden und diskutieren.

(Zuruf von der CSU: Das tun wir ja! – Thomas Kreuzer (CSU): Sie müssen das noch einmal nachlesen, Herr Pfaffmann!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht auch noch ein Satz zu dem Abschiebestopp, den wir in der Tat gefordert haben. Lieber Herr Kreuzer, beim Abschie bestopp für Flüchtlinge aus den Balkanstaaten, der auch von uns gefordert wurde, ging es nicht um eine Lösung der europäischen Flüchtlingspolitik, sondern um humanitäre Hilfe im Winter für Familien mit Kin dern. Diese Familien hatten zu Hause kein Dach über dem Kopf, sie mussten in Zelten schlafen und wurden noch dazu verfolgt. Da, meine ich, ist ein Akt der hu manitären Hilfe auch dann, wenn es kein Asylverfah ren gibt, in einer zivilisierten Gesellschaft durchaus angemessen und angebracht.

(Beifall bei der SPD)

Ich will zur Ihrer grandiosen Forderung nach Asylzent ren in Nordafrika Stellung nehmen. Sie wurde in den Zeitungen mehrmals angekündigt. Lieber Herr Kreu zer, das hört sich gut an, aber man sollte schon seriös sagen, wie das eigentlich gehen soll. Sie wissen doch ganz genau, dass das nicht geht. Warum also stellen Sie diesen Antrag? – Sie stellen diesen Antrag, weil Sie sonst kein Konzept und keinen Lösungsvorschlag haben, wie das Flüchtlingsproblem in den Griff zu be kommen ist. Warum ist es nicht zu lösen? – Sie haben es selbst gesagt, es geht nicht, weil das Asylrecht ein individuelles Recht ist. Wenn Sie Menschen, die Asyl

beantragen wollen, in Länder zurückführen, die kein deutsches Hoheitsgebiet sind, dann können diese kei nen Asylantrag stellen. Es sei denn, Sie wollen, dass Flüchtlingslager in Nordafrika in der Tat hoheitliche Aufgaben übernehmen. Dann sollten Sie aber erklä ren, wie das geht. Wie sollen wir uns das vorstellen? Sind dann Richter und Mitarbeiter des Migrationsam tes vor Ort? Schicken wir Anwälte dorthin; denn die Antragsteller haben schließlich ein Recht auf Rechts beistand?

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Teilweise; warum nicht?)

Schicken wir Richter dorthin, die entscheiden? Was ist mit dem Widerspruchsrecht? Was ist mit dem Vertre tungsrecht? – Liebe Kolleginnen und Kollegen, diesen Vorschlag können Sie vergessen!

(Beifall bei der SPD)

Wir können über die Frage der Beratungszentren in den Hauptflüchtlingsländern dieser Welt reden. Darü ber können wir gerne reden. Wir können auch darüber reden, ob wir Menschen vor Ort unterstützen, die möglicherweise ihr Land verlassen. Wir können außerdem darüber reden, ob die Frage der Beschäfti gungspolitik, auch im Zusammenhang mit dem Fach kräftemangel, in den Hauptherkunftsländern bespro chen und diskutiert wird. Aber es ist doch völlig absurd, in Libyen, einem Land ohne staatliche Struk tur, ohne irgendwelche Sicherheiten und ohne eine funktionierende Regierung, ein Asylzentrum der Euro päischen Union aufzumachen,

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Warum nicht in Jordanien?)

ein Zentrum mit Richtern, Staatsanwälten, Prüfungen und Rechtsbeistand. Glauben Sie in der Tat, dass das funktioniert?

Ein anderer Aspekt: Ist es nicht so, dass Sie Länder wie Tunesien oder Libyen, die nordafrikanischen Län der eben, mit einem solchen Vorschlag zu einer Türs teherfunktion für Europa umfunktionieren? Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist nichts anderes als der Versuch der Abschottung. Sie wollen sozusagen die Grenzen dichtmachen, und die anderen – Libyen, Tunesien und sonstige nordafrikanische Staaten – sollen für uns die Probleme lösen. Das kann doch wohl nicht Ihr Ernst sein. In einer seriösen flüchtlings politischen Debatte hat diese Ansicht nichts zu su chen.

(Beifall bei der SPD)

Die Gefahr, dass riesige Lager in Tunesien entstehen, wäre gegeben. Was glauben Sie, was da los wäre? – Tausende von Menschen wären in einem Asyllager in Tunesien.

(Thomas Kreuzer (CSU): Jetzt sind sie bei uns!)

Dort gibt es keine staatliche Struktur. Mein lieber Herr Gesangverein, Sie können froh sein, wenn das nicht kommt. Das wäre dann auch ein EULager. Auch dort würden humanitäre Grundsätze gelten, deren Einhal tung Sie sicherstellen müssten.

(Josef Zellmeier (CSU): Es ist entscheidend, wo wir sie unterbringen!)

Oder wollen Sie sie in den nordafrikanischen Ländern in Zelten unterbringen? – Das ist ein nicht realisierba rer Vorschlag.

(Beifall bei der SPD)

Auch wir wollen ein entschiedenes Vorgehen gegen die Schleuserkriminalität. Wer sollte hier dagegen sein? Wer? – Ich sage Ihnen aber, der Antrag, den Sie heute vorgelegt haben, entbehrt eines jeglichen konzeptionellen Hintergrunds. Sie sagen beispielswei se, Sie sind gegen Schleuserkriminalität, wie 99 % der Bevölkerung in diesem Land. Sie sagen aber nicht, wie Sie die Schleuserkriminalität in Libyen be kämpfen wollen. Wir haben doch keinen Zugriff auf diese Strukturen. Das sind nur hehre Forderungen, die alle unterstützen können. Es wäre mir lieber, Sie würden konzeptionelle oder konkrete Maßnahmen for dern.

Kolleginnen und Kollegen von der CSU, Sie wollen eine effektive Seenotrettung. Wer will das nicht? Hier wird die Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit deutlich.

(Zuruf von der CSU)

Ich darf Sie daran erinnern, dass Sie im Landtag die Anträge auf Einrichtung einer humanitären Flotte im Mittelmeer abgelehnt haben.

(Beifall bei der SPD)

Wer hier im Plenum eine effektive Seenotrettung ver langt, in den Ausschüssen aber die entsprechenden Anträge dafür ablehnt, der handelt heuchlerisch. Genau das ist Ihr Antrag im Grundsatz. Sie machen keine Vorschläge, wie wir diese Probleme wirklich lösen können.

(Thomas Kreuzer (CSU): Ich habe von Ihnen aber auch noch keinen einzigen Lösungsvor schlag gehört! – Zuruf von der SPD: Das ist purer Populismus!)

Sie greifen die allgemeine Diskussion auf. Ich be fürchte, dass Sie mit diesem Antrag ein bestimmtes Ziel verfolgen, was die Sache auch so schwierig macht. Sie haben nämlich nicht das Ziel, das Problem seriös und konstruktiv zu lösen, sondern Sie haben das Ziel – und das sage ich jetzt durchaus politisch , Wähler zu erschließen, die wir nicht haben wollen. Das ist doch der Hintergrund Ihres Antrags.

(Karl Freller (CSU): So ein Blödsinn!)

Das ist der Hintergrund Ihres Antrag; zumindest ist er dafür geeignet. Sie wollen sichere EU beziehungs weise SchengenAußengrenzen. Wer will nicht siche re EU und SchengenAußengrenzen?

(Josef Zellmeier (CSU): Wenn die SPD so weiter macht, hat aber sie bald keine Wähler mehr!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, ich hätte mir gewünscht, dass Sie in den letzten Jahren nicht jeden Antrag zur Integration, zur Sprachförde rung, zur besseren Unterstützung junger Menschen, zur Arbeitsförderung oder für eine bessere Situation beim Auszug aus den Erstunterkünften abgelehnt hät ten. Sie haben aber jeden Antrag dieser Art in den letzten Jahren in diesem Haus abgelehnt. Ihre Zustim mung wäre effektiver gewesen als ein so populisti scher Antrag, der jeglicher Grundlage entbehrt.

(Anhaltender Beifall bei der SPD)

Herzlichen Dank. – Ich bitte nun die Kollegin Bause ans Redner pult.

Kolleginnen und Kolle gen! Herr Kreuzer, Sie haben zu Beginn Ihrer Rede auf die Dimension des weltweiten Flüchtlingselends hingewiesen.