Protokoll der Sitzung vom 18.06.2015

Kolleginnen und Kolle gen! Herr Kreuzer, Sie haben zu Beginn Ihrer Rede auf die Dimension des weltweiten Flüchtlingselends hingewiesen.

(Zuruf von der CSU: Zu Recht!)

Zu Recht, ja. Man spricht davon, dass derzeit fast 60 Millionen Menschen auf der Flucht vor Kriegen, von Folter, vor brutaler Gewalt, vor Vergewaltigung, vor Menschenrechtsverletzungen sind. Wir haben heute das größte Flüchtlingselend seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Man muss sich bewusst machen, welche Situation weltweit besteht. In diesem Lichte muss man sich die Vorschläge ansehen, die Herr Kol lege Kreuzer uns hier präsentiert hat. Die Frage ist, ob diese Vorschläge auch nur irgendeinen Beitrag dazu leisten, um diese Dimension in den Griff zu be kommen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die meisten Menschen fliehen innerhalb ihres eige nen Landes, und sie fliehen in ihre Nachbarländer. Sechs der zehn Länder mit der weltweit größten Flüchtlingsaufnahme sind Länder in Afrika. Das soll ten Sie zur Kenntnis nehmen. Nicht wir hier in Deutschland sind es. Sechs der zehn Länder, die im weltweiten Vergleich am meisten Flüchtlinge aufneh men, sind Länder in Afrika. Nur ein kleiner, wenn auch wachsender Teil der Schutzsuchenden kommt zu uns nach Europa. Und was passiert hier in Europa? Euro pa, das sind wir alle, das ist nicht weit weg in Brüssel. Das betrifft uns alle in unserer politischen Verantwor tung. Europa versagt kläglich in der Flüchtlingspolitik. Die EU hat den Landweg aus den Krisengebieten des Mittleren Ostens versperrt, unter anderem durch Sperrzäune zwischen Griechenland und der Türkei. Man zwingt die Schutzsuchenden durch diese Ver sperrung des Landweges auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer. Wenn diese Menschen dort er trinken, vergießt man Krokodilstränen darüber. Aber vorher hat man die Fluchtwege auf dem Land ver sperrt. Deswegen muss diese Politik grundlegend ge ändert werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Allein in diesem Jahr sind über 3.000 Menschen bei dem Versuch ertrunken, über das Mittelmeer zu flie hen. Nichts könnte das Versagen der europäischen Flüchtlingspolitik dramatischer vor Augen führen. Was da passiert, ist ein tödliches Versagen.

Was muss jetzt unsere Antwort darauf sein? – Unsere Antwort darauf muss in der Tat eine starke Politik sein, eine starke Politik der Menschlichkeit in Bayern, auf Bundesebene und in der Europäischen Union. Das ist die Antwort auf das weltweite Flüchtlingse lend.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Viele Menschen praktizieren das bei uns schon tag täglich.

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Wie viele Menschen gehen in die Unterkünfte, helfen den Flüchtlingen, den Schutzsuchenden, die zu uns kommen? – Sie spenden Geld, sie spenden ihre Zeit, sie betreuen Kinder, sie geben Nachhilfe, sie geben Deutschunterricht. Viele Menschen praktizieren in ihrem Alltag diese Politik der Menschlichkeit für sich ganz persönlich. Aber wir brauchen, damit diese Poli tik der Menschlichkeit dann auch tatsächlich Fuß fasst, die richtigen politischen Maßnahmen auf Bun desebene, auf Landesebene und auf europäischer

Ebene. Diese Maßnahmen sind Sie bisher schuldig geblieben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich hätte mir gewünscht, Herr Kreuzer, dass Sie neben all den starken Worten vielleicht auch einmal ein Wort des Dankes finden für all die Menschen, die sich auf der kommunalen Ebene,

(Dr. Florian Herrmann (CSU): Was machen wir denn laufend?)

in den Flüchtlingsorganisationen, in den Initiativen für diese Flüchtlinge einsetzen und sich ehrenamtlich en gagieren.

(Thomas Kreuzer (CSU): Das tun wir doch lau fend! – Weitere Zurufe von der CSU Unruhe Glocke der Präsidentin)

Sie sagen, sie machen das ständig? – Hier, in die sem Zusammenhang

Ich bitte doch um etwas mehr Ruhe.

Es wäre gut gewesen, Sie hätten das hier im bayerischen Parlament in Ihrer Rede an diesem heutigen Tage getan.

(Beifall bei den GRÜNEN – Dr. Florian Herrmann (CSU): Das hat er doch ständig getan!)

Was heißt jetzt eine Politik der Menschlichkeit?

Frau Bause, bitte warten Sie mal. – Frau Bause, die möchten sich erst einmal beruhigen. Denken Sie alle an Ihren Blut druck!

(Thomas Kreuzer (CSU): Ihren Blutdruck gefähr det Frau Bause selbst – so, wie sie redet! – Wei tere Zurufe)

Nein, bitte nicht immer dazwischenreden. Melden Sie sich halt zu einer Zwischenbemerkung; ist doch gar kein Problem. Dann hört Ihnen jeder zu. – Also, jetzt, Frau Bause.

Machen Sie sich keine Sorgen um meinen Blutdruck; den habe ich wunder bar im Griff. – Was heißt eine Politik der Menschlich keit? – Das heißt zuallererst, dass wir das individuelle Recht auf Asyl bewahren und wie unseren Augapfel hüten. Das individuelle Recht auf Asyl ist eine Lehre aus der Nazizeit, ist eine Lehre aus unserer eigenen Geschichte. Deswegen müssen wir alles tun, um die ses individuelle Recht auf Asyl zu erhalten, und die

ses Recht jedem Menschen, der bei uns um Asyl er sucht, zugestehen und seinen Anspruch prüfen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie sagen, wir brauchen schnellere Verfahren. Ich weiß nicht, wie lange ich das schon höre. Bitte schön: Warum handeln Sie hier nicht endlich? – Natürlich brauchen wir schnellere Verfahren.

(Dr. Florian Herrmann (CSU): … sichere Dritt staaten!)

Die Verfahren dauern ein, zwei, drei und noch mehr Jahre. Deswegen sollten Sie Ihrer Verantwortung end lich gerecht werden und alles dazu tun, damit wir die notwendigen Beamten und Mitarbeiter im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge endlich bekommen, die für eine zügige Bearbeitung der Verfahren sorgen können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir stehen zur Entscheidung des Bundesverfas sungsgerichts, das 2012 gesagt und Ihnen ins Stammbuch geschrieben hat, dass der Schutz der Menschenwürde nicht zu relativieren ist. Der Schutz der Menschenwürde steht allen zu, egal, woher sie kommen. Das Bundesverfassungsgericht hat auch ganz deutlich gemacht: Die Menschenwürde ist mi grationspolitisch nicht zu relativieren. – Das heißt: Sie dürfen das Existenzminimum nicht zum Zweck der Abschreckung zusammenkürzen. Das hat das Bun desverfassungsgericht eindeutig festgelegt. Deswe gen fordere ich Sie auf: Verhalten Sie sich endlich rechtskonform und verfassungskonform!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir haben in unserem Antrag viele Punkte aufgelistet, was wir auf bayerischer Ebene endlich tun müssen, um diese Politik der Menschlichkeit zu realisieren. Ich möchte jetzt aufgrund des Zeitmangels zu Ihrem aktuellen Lieblingsthema, der Einrichtung von Asyl zentren in Nordafrika, kommen. Herr Kreuzer, Sie wis sen doch: Sie sind mit dieser Forderung sogar in den eigenen Reihen isoliert. Vielleicht haben Sie heute früh Ihren Kollegen Gerd Müller aus dem Allgäu ge hört; Sie kennen ihn mit Sicherheit. Er hat deutlich ge macht, dass diese Idee völlig realitätsfremd ist. Ihr Kollege Müller hat deutlich gemacht: Das kann man gar nicht umsetzen, das ist realitätsfremd. Auch inner halb der Koalition sind Sie mit dieser Idee völlig iso liert. Herr Pfaffmann hat das schon ausgeführt. In wel chem Land sollen denn diese Zentren bitte schön entstehen? Wie wollen Sie dort die Sicherheit garan tieren? Wie wollen Sie dort den Rechtsschutz sicher stellen? Länder wie Libyen zerfallen. Erzählen Sie

mir doch nicht, dass Sie dort irgendwelche Asylzent ren aufbauen wollen. Ihr Vorschlag dient im Kern dazu, dass sich die Festung Europa noch mehr ab schottet, und das ist schäbig. So kommen wir nicht zu einer humanen Lösung in der Flüchtlingspolitik.

(Beifall bei den GRÜNEN – Dr. Florian Herrmann (CSU): Mit Ihren Vorstellungen aber auch nicht! – Thomas Kreuzer (CSU): Kommt vielleicht ein Lö sungsvorschlag?)

Mein Lösungsvorschlag sind in der Tat humanitäre Visa in den Herkunftsländern. Dort wird geprüft, ob ein Asylanspruch vorliegt. Dann können sie mit diesem humanitären Visum nach Deutschland kommen, und dann wird der Anspruch auf Asylrecht auf deutschem Boden geprüft. So garantieren wir das Recht auf Asyl, und nicht mit Ihrer Vorstellung, dort Zentren zu errich ten, die völlig realitätsfremd ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie reden von der DublinVerordnung und fordern, sie müsse konsequent umgesetzt werden. Im gleichen Atemzug sagen Sie: Wir wollen aber eine fairere Ver teilung der Flüchtlinge in ganz Europa. – Ja, bitte schön: Das beißt sich doch. Die DublinVerordnung besagt doch gerade, dass die Flüchtlinge dort bleiben müssen, wo sie zum ersten Mal registriert sind. Sie besser oder fairer über ganz Europa zu verteilen, geht dann gar nicht. Was auf den Prüfstand muss, was dringend geändert werden muss, ist genau diese DublinVerordnung. Ich würde mir mal wünschen, dass Sie sich da engagieren, anstatt so rechtspopulis tische Äußerungen von sich zu geben wie Herr Söder. Er hat sich bei der AfD und der NPD bedient, als er gesagt hat, wir müssen die SchengenVerordnung aussetzen. Ich hab nachgeschaut: Diese Forderung nach Aussetzung der SchengenVerordnung stammt aus dem letzten Landtagswahlkampf der AfD in Thü ringen; sie ist auch eine Forderung der NPD in Sach sen. Ich hoffe, dass Sie sich derartige Forderungen nicht länger zu eigen machen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie reden von Flüchtlingspolitik mit Augenmaß. Tat sächlich vergiften Sie durch Ihre zunehmend schrillen Töne und durch untaugliche und zum Teil rechtswidri ge Vorschläge zunehmend das gesellschaftliche Klima.

(Gudrun BrendelFischer (CSU): Aha, wir sind das!)

Sie müssen sich entscheiden, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU: Wollen Sie das gesellschaftli che Klima vergiften, wollen Sie Beifall von den

Rechtspopulisten, oder wollen Sie zusammen mit vie len Verbänden und Organisationen, mit den Flücht lingsorganisationen, mit den Ehrenamtlichen, mit den Kirchen und der Wirtschaft, wollen Sie zusammen mit diesen starken Partnern ein Bündnis für Menschlich keit in Bayern und in Deutschland? – Wir GRÜNE sind hier klar, und Sie sind herzlich eingeladen zu einem Bündnis für Menschlichkeit in der Flüchtlings politik.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Bitte bleiben Sie am Rednerpult, Frau Bause. Herr Professor Dr. Wa schler möchte eine Zwischenbemerkung machen.

Frau Kollegin Bause, Sie haben sehr eloquent

(Margarete Bause (GRÜNE): Danke für das Kom pliment! – Dr. Florian Herrmann (CSU): Na ja, mittelmäßig eloquent!)

versucht, Ihren Standpunkt darzulegen. Gleichzeitig haben Sie weit am Thema vorbei gesprochen und sich nicht vorab gründlich über die Sachverhalte infor miert. Unter anderem haben Sie der CSUFraktion un terstellt, sie würde den ehrenamtlich Tätigen, die bei der Asylproblematik eine segensreiche Arbeit leisten, nicht genügend danken. Jetzt frage ich Sie, ob Sie den Antrag, dessen Ablehnung Sie eben eloquent, aber argumentativ nicht sehr stimmig zu begründen versucht haben, gelesen haben; denn der Antrag lau tet, ich zitiere: