Wir werden in der anschließenden Haushaltsdebatte die Gelegenheit haben, Ihre Ankündigungen nochmals Punkt für Punkt zu debattieren. In der Generalaussprache ist nicht der Platz für haushalterische Zahlenspiele. Deshalb von meiner Seite ein paar ganz konkrete Punkte, die wir in Bayern jetzt auf den Weg bringen können und sollten. Auch die Bevölkerung an den Bildschirmen soll nach der Rede des Ministerpräsidenten nicht den Eindruck gewinnen, wir seien hilfund machtlos.
(Kerstin Schreyer-Stäblein (CSU): Das hat sie nach Ihrer Rede, aber nicht nach der des Ministerpräsidenten! – Inge Aures (SPD): Unverschämtheit!)
Punkt eins. Bayern muss jetzt erstens alles daransetzen, eine Massenobdachlosigkeit von Flüchtlingen im Winter zu verhindern. Die kalten Monate stehen vor der Tür. Wir müssen in einem gemeinsamen Kraftakt, partei- und funktionsübergreifend, alle Hierarchien der politischen Ebenen außer Acht lassend, dafür Sorge tragen, dass sich der Herbst 2014 nicht wiederholt. Vor zwölf Monaten mussten Flüchtlinge in der Bayernkaserne des nächtens bei einstelligen Temperaturen auf Isomatten unter freiem Himmel schlafen. Das darf 2015 nicht mehr passieren. Wir bedanken uns bei den bayerischen Kommunen, bei den Beamten, bei den Ausländerbehörden, beim Lenkungskreis des Freistaats, Herr Huber, für die große Kraftanstrengung, die damit verbunden ist.
Nicht nur in Europa und im Vergleich der Bundesländer geht es um eine gerechte Verteilung der Lasten. Wir stellen fest: In Bayern hat bis heute über ein Drittel der Gemeinden noch nicht einen einzigen Flüchtling aufgenommen. Während Freilassing, Passau, München und andere weit über ihrer Belastungsgrenze sind, verharren andere Kommunen in der Komfortzone.
In einem bemerkenswerten Brandbrief an die Landtags-SPD formuliert der CSU-Landrat und Sprecher der schwäbischen Landkreise nach einer übergreifenden Sondersitzung mit den Oberbürgermeistern und dem Regierungspräsidenten seinen Unmut, die Flüchtlingsverteilung in Bayern sei ungerecht und mit vielen Fragezeichen verbunden. Ich zitiere aus dem Brief Ihres CSU-Kollegen: Freiwillige Angebote zur Unterbringung würden selten gemacht; viele Gemeinden verhielten sich abwartend, und bei den Zuweisungen würden vielleicht dann doch viele übersehen; einige wehrten sich auch aktiv gegen eine Unterbringung in ihren Orten; das habe zur Folge, dass die anderen Gemeinden in Bayern verhältnismäßig viele Flüchtlinge und Asylsuchende aufnehmen müssten; das könne nicht länger hingenommen werden.
Herr Ministerpräsident, es reicht nicht aus, hier davon zu sprechen, Sie sähen von einer Beschlagnahmung von Wohneigentum ab oder man müsse jetzt den Bund in die Pflicht nehmen. Es ist Ihre unmittelbare Führungsaufgabe, als bayerisches Kabinett für eine
gerechtere Verteilung der Flüchtlinge im Freistaat Bayern zu sorgen und damit auch jene Kommunen zu entlasten, die bereits vollkommen überfordert sind.
Punkt zwei. Bayern muss alles tun, um einen eigenen Beitrag dazu zu leisten, die Asylverfahren zu beschleunigen. Die Flüchtlinge haben ein Anrecht, möglichst schnell zu erfahren, wie es mit ihnen weitergeht.
Im Moment besteht ein Antragsstau von knapp 300.000 unbearbeiteten Asylanträgen im BAMF in Nürnberg. Die Bundesregierung hat beschlossen, mehrere Tausend neue Personalstellen zu schaffen, um damit die Defizite der Amtszeiten der Innenminister Hans-Peter Friedrich, CSU, und Thomas de Maizière zu beheben. Ich denke, wir müssen dies um drei Maßnahmen erweitern.
Erstens müssen wir Landesbeamte auch aus Bayern in weit höherem Maße, als das bislang geschieht, für eine Übergangszeit an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge abordnen. Dabei kann es nicht nur um pensionierte Beamte gehen. Herr Innenminister, bitte schnüren Sie ein kompaktes Halbjahrespaket auf unbürokratischem Weg und loben Sie entsprechende Prämien aus.
Zweitens. Vergleichbare Abordnungen muss es auch schnell aus der Bundesarbeitsagentur geben. Herr Weise kennt die freien Kapazitäten in seiner Behörde sehr genau. Hier kann für eine Übergangszeit Unterstützung von einer Bundesbehörde für die nächste Bundesbehörde geleistet werden.
Beschleunigen wir drittens die Verfahren im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bei den Syrern mit hoher Bleibewahrscheinlichkeit, indem wir Fälle, die sich schon länger als ein Jahr auf den Schreibtischen türmen, als Altfälle deklarieren, geben wir ihnen einen Aufenthaltsstatus, der zwei Jahre später überprüft wird.
Punkt drei. Bayern muss alles tun, um die ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer besser zu unterstützen. Sie sind ein maßgeblicher Pfeiler zur Bewältigung der Flüchtlingssituation. Doch wir erhalten bei den vielen Flüchtlingshelfergesprächen unserer Fraktion in den Regionen immer wieder die Rückmeldung, dass sich die Ehrenamtlichen alleingelassen fühlen. Zur Koordinierung der ehrenamtlichen Arbeit müssen deshalb hauptamtliche Stellen geschaffen werden, damit ein Kollaps vermieden wird.
Im Übrigen wollen wir das Ehrenamt im Gesamten aufwerten. Es geht uns nicht nur um die Flüchtlingshelfer, sondern um die 3,8 Millionen Ehrenamtlichen im Freistaat Bayern, die jedes Jahr 710 Millionen unbezahlte Arbeitsstunden leisten. Ich verweise auf das Ehrenamtsgesetz meiner Fraktion unter der Federführung meiner Kollegin Ruth Waldmann, das wir vor wenigen Wochen in den Landtag eingebracht haben. Es geht darum, das Ehrenamt im Gesamten aufzuwerten und bürgerschaftliches Engagement auf eine rechtlich und finanziell sichere Basis zu stellen.
Punkt vier. Bayern muss alles tun, um die Integration an den Schulen voranzutreiben. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass das Parlament heute neue Lehrerstellen beschließt, es war jedoch kein Akt der Weitsicht, dass der Kultusminister noch im Jahr 2014 – das liegt erst ein Jahr zurück – 800 Lehrerstellen in Bayern streichen wollte. Nur in einem gemeinsamen Kraftakt war es der Opposition, Lehrer- und Elternverbänden gelungen, diesen bildungspolitischen Kahlschlag zu verhindern. Heute haben wir die Sorge, dass die Stellen nicht sofort besetzt werden können. Es rächt sich jetzt, dass Bayern in den letzten Jahren viel zu wenigen jungen Lehrkräften zu einer Anstellung verholfen hat. Sie haben sich mittlerweile alle einen anderen Job gesucht. Das Signal muss jetzt sein: Wir brauchen alle Lehrkräfte, ob nun in den Grundschulen, in den Volkshochschulen oder in den beruflichen Schulen.
Es rächt sich auch, dass wir die Ausbildung auf starre Lehrämter hin ausrichten. Das führt jetzt zu einem Problem. Über 2.000 Realschullehrkräfte aus dem laufenden Prüfungsjahrgang sind auf Wartelisten, aber die Flüchtlingsbeschulung findet an den Grundund Mittelschulen und an den beruflichen Schulen statt, nicht an den Realschulen. Es gibt jetzt noch ein völlig falsches Signal zur Unzeit, wenn der Kultusminister eine Wartezeit zwischen Studienabschluss und Referendariat ankündigt. Wir brauchen auf absehbare Zeit jede junge Lehrkraft, und der Kultusminister beschließt Zugangsbeschränkungen! Das ist der falsche Weg. Nötig ist vielmehr eine flexiblere Ausbildung, die einen bedarfsgerechten Wechsel zwischen Fächern und Schultypen möglich macht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Punkt fünf - Integration von Anfang an. Fangen wir bei den Kleinsten an. Jeder vierte Flüchtling - auch in Bayern - ist im Kindesalter. Deshalb, aber auch, weil wir heute schon zu wenige Kinderbetreuungsplätze in Bayern haben, benötigen wir Investitionen in eine ver
besserte frühkindliche Bildung. Noch immer hat der Freistaat Bayern einen deutlichen Nachholbedarf bei Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren. Im Vergleich der Bundesländer belegt Bayern, gleichauf mit dem Saarland, die letzte Position. In keinem anderen Bundesland ist die Kinderbetreuungsquote im Jahr 2014 so gering angestiegen wie bei uns im Freistaat Bayern. Es fehlen fast 20.000 Krippenplätze.
Deshalb heißt es jetzt: Ja zum Krippenausbau, ja zu mehr Qualität in der frühkindlichen Bildung und nein zur Prämie für eine Nichtinanspruchnahme der öffentlichen Kinderbetreuung. Wir können jeden Euro nur einmal ausgeben. Deshalb werden wir das geplante CSU-Betreuungsgeld kippen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Punkt sechs. Wir sind uns einig, dass wir zusätzliche Anstrengungen beim Wohnungsbau in Bayern unternehmen müssen, um soziale Verteilungskonflikte auf dem Wohnungsmarkt zu vermeiden. Nach unseren Berechnungen brauchen wir bis 2020 rund 100.000 neue und vor allem bezahlbare Wohnungen im Freistaat. Wir sind enttäuscht, dass außer den Bundesmitteln wirklich nur ein ganz geringer Teil an Landesmitteln für den sozialen Wohnungsbau bereitgestellt wird. Die Gesamtsumme der bayerischen Landesmittel für Wohnraumförderung sank seit 1993 von knapp 350 Millionen Euro auf aktuell 160 Millionen Euro. Dieser Landesanteil ist zu gering; das darf so nicht bleiben. Da müssen wir noch mal ran.
Wir sagen: Die immer wieder geforderte Senkung des Mindestlohns für Flüchtlinge wird es mit der SPD nicht geben. Den Mindestlohn für die Schwächsten der Schwachen – für die Flüchtlinge – abzusenken, bedeutet auch, das Lohnniveau anderer Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmer zu attackieren. Zugleich bedeutet es, ein Grundprinzip der sozialen Marktwirtschaft zu missachten, nämlich dass Arbeit auch Ausdruck menschlicher Würde ist.
Punkt acht. Wir müssen in Bayern alles tun, den wieder aufkeimenden Rechtsextremismus – kein Wort haben Sie darüber verloren, Herr Ministerpräsident! – zu bekämpfen, statt ihn mit ausländerfeindlichen Ressentiments anzufeuern und das gesellschaftliche Klima zu vergiften.
Im ersten Halbjahr 2015 hat die Zahl der Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte in Bayern dramatisch zugenommen. Wir beobachten hier einen ganz besorgniserregenden Trend. Die Zahl der Taten mit rechtsextremistischem Hintergrund nimmt ständig zu. Das sind keine Kavaliersdelikte; die Palette reicht von der Sachbeschädigung bis hin zur Brandstiftung. Diese Straftaten müssen mit Nachdruck verfolgt und die Täter zur Rechenschaft gezogen werden.
Wir müssen Verbotsverfahren auch von Parteien wie Der III. Weg oder DIE RECHTE und einzelner Kameradschaften prüfen. Wir müssen das zivilgesellschaftliche Engagement gegen Rechts stärken. Wir müssen die Prävention gegen Rechtsextremismus ausbauen und den Neonazis in unserem Lande die Stirn bieten. Keine Toleranz für Fremdenfeinde, meine Damen und Herren!
Letzter Punkt im Maßnahmenkatalog: Mit Interesse nehmen wir als Landtags-SPD zur Kenntnis, dass Sie jetzt plötzlich doch ein Integrationsgesetz für nötig und für sinnvoll erachten. Die SPD-Fraktion hatte bereits 2011 und dann noch vor wenigen Monaten, zu Beginn dieses Jahres, zwei Anläufe für ein bayerisches Integrationsgesetz gestartet. Das zweite Mal liegt erst wenige Monate zurück.
Sie hatten das Ganze barsch zurückgewiesen und gemeint, Integration brauche kein Gesetz. Wir bleiben dabei: Sprachkenntnisse, Deutschkurse, Integrationsseminare, Demokratieschulung, Wertevermittlung bis hin zu Fragen der Chancengerechtigkeit und der konkreten Teilhabe in allen gesellschaftlichen Bereichen gehören gesetzgeberisch gebündelt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bürgerinnen und Bürger erwarten zu Recht, dass der Staat seine Handlungsfähigkeit beweist. Wir werden in dieser Woche auch im Deutschen Bundestag ein ganzes Paket von Gesetzen beschließen, mit denen wir einen gewaltigen Schritt nach vorne machen. Mit der monatlichen Pauschale des Bundes für die Länder in Höhe von 670 Euro pro Flüchtling für die Dauer des Asylaufenthalts ab 2016 sorgen wir dafür, dass die Kosten zwischen Bund, Ländern und Kommunen etwas fairer verteilt werden.
Unser Land darf sich nicht in zwei Lager spalten, die einander sprach- und verständnislos gegenüberstehen. Das gilt im Übrigen auch für das Hohe Haus. Die Landtags-SPD versteht es deshalb als ihre vornehme
Aufgabe, ihren Beitrag dazu zu leisten, unsere Gesellschaft in dieser schwierigen Situation zusammenzuhalten und auch hier im Hohen Hause die Dialogfähigkeit über Fraktionsgrenzen hinweg zu pflegen und zu bewahren. Platter Stimmungsmache setzen wir eine ehrliche Debatte entgegen – eine Debatte, die ohne Illusionen die gewaltigen Aufgaben beschreibt, die vor uns liegen.
Bundespräsident Johannes Rau mahnte bereits vor 15 Jahren in einer überaus bemerkenswerten Rede vor falschen Ängsten, aber auch vor Illusionen in der Integrationspolitik. Er sagte:
Erfolgreich können wir dann handeln, wenn wir zwei Haltungen überwinden, die zu weit verbreitet sind
wir müssen Unsicherheit und Angst überwinden, die manchmal zu Fremdenfeindschaft, zu Hass und Gewalt führen.
Wir müssen eine falsch verstandene Ausländerfreundlichkeit überwinden, die so tut, als gebe es überhaupt keine Probleme und Konflikte, wenn Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenleben.
So warb Johannes Rau für eine Politik ohne Ängste und ohne Illusionen. Lassen Sie uns eine solche Flüchtlings- und Integrationspolitik gemeinsam und parteiübergreifend gestalten – ohne Ängste und ohne Illusionen.