Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. – Wir fahren in der Debatte fort. Ich darf den Verantwortlichen der Fraktionen sagen, die neuen Redezeiten sehen Sie auf Ihrem Display. Jetzt hat sich Herr Kollege Rinderspacher gemeldet. Anschließend kommt dann Frau Kollegin Bause. Bitte schön, Herr Kollege Rinderspacher.
Werte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Ministerpräsident, zunächst möchte ich mich auch seitens meiner Fraktion sehr herzlich dafür bedanken, dass es uns heute offensichtlich gelingt, mit großer Ernsthaftigkeit über die Flüchtlingspolitik in Bayern und in Deutschland zu reden. Das war vor der Sommerpause nicht immer der Fall. Es gab auch die eine oder andere Einlassung, die durchaus emotional war. Wenn wir das heute mit kühlerem Kopf machen, dann steht das dem Hohen Hause gut an.
Sie haben heute auch anders gesprochen, als das noch vor zwei Wochen in der Pressekonferenz hörbar war. Da war nämlich von Notmaßnahmen und von Notwehr die Rede und davon, dass Bayern gewissermaßen im Alleingang Notmaßnahmen ergreifen muss, um sich gegen die Untätigkeit des Bundes und Europas zur Wehr zu setzen. Es war von einer Verfassungsklage des Freistaats Bayern gegenüber der
Das klang heute alles ganz anders. Ich habe den Eindruck, die Drohkulisse, die Sie aufgebaut haben, ist heute völlig in sich zusammengebrochen.
(Thomas Kreuzer (CSU): Jetzt hört aber auf! – Weitere Zurufe von der CSU – Unruhe – Glocke der Präsidentin)
- Selbstverständlich, und das möchte ich jetzt kurz ausführen. Wir nehmen zur Kenntnis, dass Sie heute auch Handlungswirksamkeit in Ihrem Kabinett eingefordert haben. Offensichtlich hat Sie der Artikel der "BILD-Zeitung" vom vergangenen Samstag außerordentlich geärgert. Sie erinnern sich: Da war Horst Seehofer auf Seite 2 der "BILD-Zeitung" groß zu sehen. Die Überschrift hieß "Große Klappe, nix dahinter?". Da war genau die Rede von Ihrem Punkt eins, dass nämlich der Freistaat Bayern auch im Bundesländervergleich bei den Rückführungen ganz gewiss nicht so gut dasteht, wie dies mitunter öffentlich formuliert wird. Damit meine ich "so gut" aus Ihrer Perspektive. Sie sagten heute, es müsste eigentlich 14.000 Rückführungen geben. Es hat bislang nur 2.500 Rückführungen gegeben. Dass Sie hier im Hohen Haus heute öffentlich Ihren Innenminister so hart an die Kandare nehmen, ist durchaus etwas Neues und zum Teil als Selbstkritik zu verstehen. Zumindest war dies heute unüberhörbar.
Sie haben über verschiedene Punkte gesprochen, so von Verteilmechanismen in Europa. Da kann man Ihnen nur vollumfänglich zustimmen. Es kann nicht sein, dass nur drei, vier, fünf oder sechs Länder in Europa ihre Verantwortung in der Flüchtlingspolitik wahrnehmen und andere sich völlig aus der Verantwortung stehlen. Wir brauchen hier als Bundesrepublik Deutschland eine einheitliche Haltung. Wir müssen die Bundeskanzlerin stärken, wenn sie solche Gespräche wie jetzt in der Türkei oder beim EU-Gipfel führt. Zur Organisation dieser Solidarität brauchen wir Einheitlichkeit in der Bundesregierung. Wir dürfen die Position Deutschlands nicht schwächen.
Sie haben heute wahrscheinlich auch deshalb sieben Punkte zur Flüchtlingspolitik zur Aussprache gebracht, um ein Stück weit von dem Hauptthema, das heute hier diskutiert werden sollte, von den Transitzonen, abzulenken; denn tatsächlich hatten Ihr Fraktionsvorsitzender und Ihr Innenminister zuletzt den Eindruck erweckt, die Transitzonen wären dazu geeignet, die Flüchtlingsbewegung nach Bayern wirksam einzudämmen. Heute klang der Innenminister schon ganz
anders: Viele der Flüchtlinge würden selbstverständlich in das normale Asylverfahren weitergeleitet; es werde wahrscheinlich auch künftig Sonderzüge von Bayern in andere Bundesländer geben, möglicherweise sogar mit unregistrierten Flüchtlingen, wie das auch gegenwärtig der Fall ist. Das klang heute alles gar nicht mehr zwingend nach den Transitzonen, Herr Innenminister,
sondern nach dem, was längst, am 24. September, vereinbart worden ist, nämlich nach Warte- und Registrierungszentren. Tatsächlich sind die vielen Fragen unseres Antrags offengeblieben.
(Dr. Florian Herrmann (CSU): Sie könnten auch mal zuhören! – Petra Guttenberger (CSU): Wenn er nicht aufpasst, ist das nicht unser Problem! – Weitere Zurufe von der CSU)
- Sie können gerne noch das Wort ergreifen. Ich glaube, Sie haben noch Zeit. Diese Fragen sind tatsächlich offengeblieben. Wie wollen Sie die Transitzonen organisieren?
Wer für sich in Anspruch nimmt, die Lösung zu haben, und auf einem Parteikongress in Erding und an anderer Stelle sagt, wir haben die Lösung und finden es bedauerlich, dass die in Berlin nicht mitwirken wollen, soll diese Lösung heute erklären. Diese Erklärung sind Sie, Herr Innenminister, und auch Sie, Herr Ministerpräsident, heute ein Stück weit schuldig geblieben. Aber wir sind selbstverständlich gern dazu bereit und greifen Ihr Gesprächsangebot auf, auch über Fraktionsgrenzen hinweg im Innenausschuss oder an anderer Stelle über diese Fragen zu diskutieren. Ich fürchte nur, wir sind nicht weitergekommen, weil Sie heute nicht gesagt haben, worum es Ihnen eigentlich wirklich geht. In einem Punkt muss man Ihnen widersprechen. Sie sagten, Dublin III - -.
Beruhigen Sie sich doch, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das werden Sie wohl noch ertragen. Wir haben auch zugehört, als Ihr Minister und Ihr Ministerpräsident gesprochen haben.
- Jetzt hören Sie doch auf mit diesem Theater! Wir hatten doch eine ganz gute Debatte. Da werden Sie es wohl ertragen, wenn es ein Stück weit Widerspruch gibt, Herr Kollege Herrmann.
(Thomas Kreuzer (CSU): Sie starten ständig Angriff und reden von guter Debatte, Herr Rinderspacher! Das ist doch die Wahrheit!)
- Nein, hören Sie zu. Das ist doch kein Angriff, wenn ich hier feststelle, dass die 18 Fragen der Opposition, der SPD, hier heute unbeantwortet geblieben sind. Sie müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass ich das hier für diese SPD-Fraktion so feststellen darf.
Da hilft auch keine Aufregung. Es gibt einen grundlegenden Dissens. Sie sagen, wir müssen zu Dublin III zurück. Das sieht die SPD durchaus anders. Sie sagen, die Hotspots an der Außengrenze in Griechenland und Italien wären eigentlich der Wiedereinstieg in Dublin III. Aus unserer Sicht ist das Gegenteil richtig. Diese Hotspots sind als Einstieg in den europäischen Verteilmechanismus geschaffen worden, weil die Flüchtlinge aus diesen Hotspots heraus auf die 28 Mitgliedstaaten Europas verteilt werden sollen. Das hat mit Dublin III überhaupt nichts zu tun. Bei Dublin III müssten die Flüchtlinge in Griechenland oder in Italien bleiben. Aber für das neue Modell, für das auch die Kanzlerin in Europa wirbt, brauchen wir in der Koalition Einigkeit.
- Aber es geht doch jetzt darum, darauf hinzuwirken und nicht so zu tun, als könnte man zurück in ein Zeitalter, das de facto nicht mehr existiert, im Übrigen auch hier in Bayern nicht.
Sie sprechen davon, der Rechtsstaat müsse sich durchsetzen, und alles müsse sein Recht und seine Ordnung haben. Der Freistaat Bayern leitet Züge mit nicht registrierten Flüchtlingen von der bayerischen Grenze in die anderen Bundesländer durch. Das hat mit Dublin III überhaupt nichts zu tun, sondern ist schlicht und ergreifend die momentane Realität, weil es offenbar nicht anders geht. Man muss ein Stück weit in Frage stellen können, dass diejenigen permanent Recht und Ordnung einfordern, die selbst in ihrem eigenen Bundesland offensichtlich ganz anders handeln, wie auch die "BILD-Zeitung" am Samstag geschrieben hatte.
(Dr. Florian Herrmann (CSU): Was wollen Sie eigentlich? Sind Sie ein bayerischer Politiker? Ich verstehe überhaupt nicht, was Sie wollen! – Ministerpräsident Horst Seehofer: Wollen Sie jetzt, oder wollen Sie nicht? Das ist die Frage!)
(Ministerpräsident Horst Seehofer: Wollen Sie jetzt eine gemeinsame Lösung oder nicht? – Zu- rufe von der CSU)
- Wir wollen eine gemeinsame Lösung. Herr Ministerpräsident, Sie haben sich eben schon das Recht herausgenommen, gewisse Schwierigkeiten, zum Beispiel mit der Türkei, anzusprechen: Da sind wir auf einer Linie. Ich sehe das auch mit großer Sorge, dass plötzlich die Türkei, die zuletzt wirklich nicht als Rechtsstaat Nummer eins in dieser Region bekannt war und beim Kurdenthema offene Fragen hat, plötzlich als sicheres Herkunftsland deklariert werden muss.
- Wie bitte? Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU. Ich merke schon, Sie mögen es einfach nicht, dass nach Ihrem Ministerpräsidenten noch jemand das Wort ergreift und ein paar neuralgische Punkte aufgreift. Das ist aber in Ordnung.
Ich wollte die Gelegenheit nutzen, mich für die Ernsthaftigkeit in der Debatte zu bedanken, und wollte noch einmal deutlich machen,
wo es durchaus ein gutes Einvernehmen zwischen Ihrer Partei und meiner Partei geben könnte; denn eines ist klar, das sage ich in der dritten Plenardebatte in Folge: Wir sehen die angespannte Situation bei uns im Freistaat. Kein anderes Bundesland trägt mehr Lasten als wir in Bayern. Das ist ein Fakt. Es ist klar, dass die anderen Bundesländer ihrer Verantwortung nach dem Königsteiner Schlüssel gerecht werden müssen. Es ist klar, dass wir innerbayerische Solidarität benötigen. Bisher hat ein Drittel der bayerischen Gemeinden noch keinen einzigen Flüchtling aufgenommen. Auch das gehört zu unserer Aufgabe, auf diesem Gebiet ein Stück weit mehr Solidarität zu organisieren, liebe Kolleginnen und Kollegen. Darum muss es jetzt gehen.
Deshalb greifen wir Ihr Gesprächsangebot sehr gerne auf mit den Maßgaben, die wir als SPD mitgeben. In aller Ernsthaftigkeit sollten wir doch dazu in der Lage sein, ein Stück weit mehr Problemlösung gemeinsam zu erarbeiten; denn eines möchte ich noch einmal feststellen. Wie gesagt, ich formuliere das bereits in der dritten Plenarsitzung in Folge: Wir haben die Not
wendigkeit, die Flüchtlingsbewegung nach Bayern und nach Deutschland zu ordnen, zu verlangsamen und perspektivisch zu verringern. Das muss unser gemeinsames Interesse sein. Das sagen wir aus einer empathischen Grundhaltung den Flüchtlingen gegenüber, aus einer solidarischen Grundhaltung heraus, aber auch mit der Überzeugung und dem historischen Wissen, dass gelingende Integration nur dann funktionieren kann, wenn unser Staat und die Organisationen, die mit Integration zu tun haben, nicht überfordert sind. Vor diesem Hintergrund sollte eigentlich ein Stück weit mehr Gemeinsamkeit möglich sein. Unsere Fraktion ist auf jeden Fall zu guten Gesprächen bereit, unabhängig davon, ob wir dann sofort zu den Lösungen kommen, die Sie stets propagieren. Deshalb noch einmal ein herzliches Dankeschön für die Ernsthaftigkeit in der heutigen Debatte!
Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen, Herr Ministerpräsident! Auch wir nehmen die Einladung zum Gespräch gern an. Ich habe hier schon vor der Sommerpause ein Bündnis für Menschlichkeit angemahnt. Wenn wir das jetzt unter dem Eindruck der großen Herausforderung zusammen hinbekommen, würde mich das sehr freuen. Wir begrüßen es, wenn wir ernsthaft und an rechtsstaatlichen Grundsätzen orientiert gemeinsam nach Lösungen suchen und wenn wir, durchaus auch kritisch, diskutieren und schauen, wo wir gemeinsam handeln und wo wir Unterschiede haben. Ich hätte mich gefreut, wenn uns das beim letzten Asylgipfel schon gelungen wäre. Wir hatten kritisiert, dass Sie uns nicht eingeladen haben.
Ich glaube, es wäre beim nächsten Asylgipfel an der Zeit, Ihr Angebot wahrzumachen und alle gesellschaftlichen Kräfte dazu einzuladen.
Vorhin haben Sie gesagt, man dürfe Probleme nicht verschweigen. – Selbstverständlich, in diesem Punkt gebe ich Ihnen völlig recht. Es gibt kein Thema, über das im Moment überall, sei es im privaten Bereich, im Freundeskreis, bei der Arbeit, in politischen Parteien und in Organisationen, so intensiv geredet wird wie über die Flüchtlingspolitik – egal, wo Sie hinkommen. Das wird Ihnen so gehen, und es geht mir so. Bei welcher Organisation und bei welchem Verband Sie auch immer sind, nach drei Sätzen kommt sofort das
Thema Flüchtlingspolitik auf und was die jeweilige Organisation oder der jeweilige Verband dazu beitragen kann. Letzte Woche hatten wir einen Parlamentarischen Abend der Hochschule Bayern. Wir waren sofort beim Thema Flüchtlinge und haben besprochen, wie diese in die Hochschulen integriert werden können. Überall ist dieses Thema auf der Tagesordnung und präsent. Deswegen kann doch keine Rede davon sein, irgendetwas solle verschwiegen werden.
Aber es ist auch wichtig, wie wir darüber reden. In allen meinen Reden habe ich deutlich gemacht, dass es um Menschen geht, die zu uns kommen. Das sind keine Nummern und keine anonymen Massen. Jeder Einzelne, der hierher kommt, bringt ein Schicksal mit.