Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich eröffne die 56. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.
Bevor wir nun in die Tagesordnung eintreten, darf ich noch drei Geburtstagsglückwünsche aussprechen. Am 21. Oktober feierte Frau Kollegin Alexandra Hiersemann einen halbrunden Geburtstag. Einen runden Geburtstag feierte am 22. Oktober Herr Staatsminister Professor Dr. Winfried Bausback.
Ebenso herzlich gratulieren wir unserer Kollegin Vizepräsidentin Ulrike Gote. Sie feierte am 26. Oktober auch einen runden Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch!
Gesetzentwurf der Staatsregierung zur Änderung des Bayerischen Berufsqualifikationsfeststellungsgesetzes und anderer Rechtsvorschriften (Drs. 17/8457) - Erste Lesung
Der Gesetzentwurf soll ohne Aussprache an den Ausschuss für Arbeit und Soziales, Jugend, Familie und Integration überwiesen werden. Wer mit der Überweisung an den federführenden Ausschuss für Arbeit und Soziales, Jugend, Familie und Integration einverstanden ist, den bitte ich um sein Handzeichen. – Danke schön. Gibt es Gegenstimmen? – Keine Gegenstimmen. Stimmenthaltungen? – Keine Stimmenthaltung. Der Gesetzentwurf wird damit dem Ausschuss zur Federführung zugewiesen.
Gesetzentwurf der Abgeordneten Margarete Bause, Ludwig Hartmann, Ulrike Gote u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Markus Rinderspacher, Franz Schindler, Horst Arnold u. a. und Fraktion (SPD), Hubert Aiwanger, Florian Streibl, Peter Meyer u. a. und Fraktion (FREIE WÄHLER) zur Einführung einer Berichtspflicht bei Todesfällen von Gefangenen, Sicherungsverwahrten, Untersuchungsgefangenen und untergebrachten Personen in den Justizvollzugsanstalten, den Einrichtungen für Sicherungsverwahrung und den
Der Gesetzentwurf wird vonseiten der Antragsteller begründet. Zur Information: Die Redezeit beträgt 24 Minuten. Die Redezeit der Staatsregierung orientiert sich an der Redezeit der stärksten Fraktion. – Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist die Kollegin Vizepräsidentin Gote.
Vielen Dank, Frau Präsidentin, auch für die Glückwünsche von allen. Auch Ihnen, Herr Minister, einen herzlichen Glückwunsch! Wir werden gleich in ein Scharmützel eintreten; zunächst aber gratulieren wir uns gegenseitig noch einmal herzlich.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir GRÜNE, SPD und FREIE WÄHLER schlagen Ihnen heute eine, wie wir meinen, kleine Gesetzesänderung vor, aber eine, die doch, wie wir finden, sehr viel Sinn macht. Das möchte ich kurz begründen. Wir schlagen vor, dass im Bayerischen Strafvollzugsgesetz, im Bayerischen Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz, im Bayerischen Untersuchungshaftvollzugsgesetz und im Bayerischen Maßregelvollzugsgesetz eine Berichtspflicht der Staatsregierung über Todesfälle von Gefangenen, Sicherungsverwahrten, Untersuchungsgefangenen und untergebrachten Personen eingefügt wird.
Warum ist uns das so wichtig? – Sie wissen alle – vielleicht aus der Erinnerung an Vorfälle in den vergangenen Jahren –, dass es in diesen Einrichtungen natürlich immer wieder zu Todesfällen kommt, zu ganz natürlichen Todesfällen, aber auch zu Suiziden. Häufig oder manchmal – das mag man je nach Warte unterschiedlich sehen – gibt es auch Diskussionen über solche Todesfälle. Wir als Abgeordnete bekommen mitunter Briefe von Angehörigen, von Freunden oder auch von Pressevertretern, die sagen: Das sieht komisch aus, was ist daran, ging alles mit rechten Dingen zu, warum hat zum Beispiel dieser Person keiner geholfen, obwohl erkennbar war, dass sie eventuell suizidal ist?
Solche Fragen, denke ich, haben Sie alle schon einmal erreicht. Wir meinen, dass es uns allen miteinander guttäte, wenn der Staat bei den Menschen, für die er eine besondere Fürsorgepflicht hat – das sind eben die, die sich in irgendeiner Art in staatlichem Gewahrsam befinden –, genauer hinschaut und auch den Landtag informiert.
Häufig ist es so, dass wir beim Justizminister Anfragen oder Nachfragen stellen: Gibt es da irgendetwas, was nicht so in Ordnung war, wie es hätte sein sollen, was man hätte verhindern können und worauf wir
achten müssen? Das könnten wir uns sparen, wenn es eine reguläre Berichtspflicht gäbe. Das wäre ein großer Schritt in Richtung Bürgerfreundlichkeit und Transparenz und auch ein Zeichen dafür, dass wir bei diesen Einrichtungen und ganz besonders diesen Einrichtungen, die wir ja in unserer Staatlichkeit ganz dringend brauchen, eine den Menschen zugewandte Haltung einnehmen. Es wäre uns sehr wichtig, dass man jeden Todesfall in diesen Einrichtungen so ernst nimmt, dass man darüber einen Bericht an den Landtag gibt. Ich betone: einen Bericht an den Landtag, weil ich weiß, dass die Staatsregierung selbstverständlich Berichte zu diesen Vorfällen erhält, weil sie selber natürlich daran interessiert ist, was in ihren Einrichtungen passiert.
Insofern wäre es auch kein großer Aufwand, die Berichtspflicht einzuführen. Es wäre nur so, dass die Staatsregierung diese Berichte, bevor große Aufregung entsteht, jeder alleine losläuft und eine Anfrage stellen muss, einfach regulär an den Landtag weitergibt. Was dieser damit macht, ob er sich das anschaut oder ob er einen Grund zum Nachhaken sieht, kann man aufgrund des Gesetzesvorschlags überhaupt noch nicht sagen. Aber es wäre, wie gesagt, ein gutes Zeichen von Bürgerfreundlichkeit und Transparenz und ein Ausdruck der besonderen Fürsorgepflicht und Zugewandtheit gerade diesen Personenkreisen gegenüber.
Ein weiterer Punkt ist mir ganz wichtig. Wir haben uns in den letzten Jahren zum Beispiel mit dem Maßregelvollzug befasst. Wir müssen uns auch, denke ich, wieder mit der Sicherungsverwahrung und damit befassen, wie man den Bedürfnissen der Menschen, die lange untergebracht sein müssen und sich – je nachdem, wie man es sehen will – in der Obhut oder in der Gewalt des Staates befinden, gerecht wird.
Da ist insbesondere der Suizid immer wieder ein Problem. Uns ist es insgesamt – nicht nur den rechtspolitisch Interessierten, sondern auch den sozialpolitisch Interessierten – ein Anliegen, jeden Suizid zu vermeiden. Deshalb ist es natürlich wichtig, aus den Fällen, in denen in solchen Einrichtungen Suizide passieren, zu lernen. Das würde uns leichter fallen, wenn wir regelmäßig solche Berichte hätten, sie anschauen könnten und überlegen könnten, ob es für uns als Gesetzgeber Konsequenzen zu ziehen gibt. Das wäre ein wichtiger Puzzlestein für unsere Arbeit, die wir im Sinne der Menschen, die untergebracht sind, und der Bevölkerung ausüben. Ich bitte um Zustimmung und gute Beratung des Gesetzentwurfs.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorgeschlagene Gesetzentwurf ist nicht deswegen sinnvoll, weil er möglicherweise mehr Bürokratie schafft, sondern weil er für das Parlament, für alle Parlamentarierinnen und Parlamentarier eine Grundlage bietet, der Aufgabe gerecht zu werden, aus dem Haushalt heraus, der gerade zur Beratung ansteht, sinnvolle Maßnahmen zu erkennen und zu definieren, um Vorrichtungen in den Justizvollzugsanstalten, in Untersuchungshaft und in der Forensik so weit mit Finanzen zu bedienen, dass sie optimiert und verbessert werden und Standards schaffen, damit die Bevölkerung, ob es sich um Angehörige oder im Bereich von freiheitsentziehenden Maßnahmen selber Betroffene handelt, weiß, dass die Situation ständig und nicht von der Presse und vom öffentlichen Interesse abhängig auf dem Schirm der verantwortlichen Politikerinnen und Politiker ist. Die Anstaltsbeiräte bei den Justizvollzugsanstalten haben zwar bereits die Möglichkeit, nach Todesfällen einen Bericht zu erhalten; sie sind aber laut den Satzungen lediglich zweimal im Jahr zusammenzurufen. Dies wird auch für die Maßregelvollzugsbeiräte gelten, die demnächst zusammenkommen werden.
Falls diese Informationen ausreichen, wäre das zu begrüßen. Oft steckt aber der Teufel im Detail. Wenn etwas passiert, dann ist die öffentliche Aufregung groß. Insofern stellt sich schon die Frage, ob und, wenn ja, auf welche Weise jeder Anstaltsbeirat informiert worden ist. Allen Dramatisierungen bzw. Überpointierungen könnte von vornherein entgegengewirkt werden, wenn jeder wüsste, dass dem Landtag ohnehin berichtet wird.
Der Anstaltsbeirat ist nach wie vor sinnvoll und wichtig, um Einzelmaßnahmen vor Ort besprechen zu können. Aber durch die von uns vorgeschlagene Berichterstattung an den Landtag ergibt sich ein bayernweiter Überblick, und ein hoher bayerischer Standard liegt uns sehr am Herzen.
Wir wissen, dass die Anstalten jeweils unterschiedliche bauliche und personelle Voraussetzungen haben. Uns ist auch bekannt, dass schon viel dafür getan wird, um durch Prophylaxe Suizid zu vermeiden. Wir haben festgestellt, dass mancher Todesfall trotz Ausübung äußerster, maximaler Sorgfalt bedauerlicherweise nicht zu vermeiden ist. Manchmal wird der Ver
such so geschickt eingeleitet, dass der Suizid nicht vermieden werden kann. Auch das ist ein Punkt, auf den ich besonders hinweisen möchte: Nicht jeder Suizid, so bedauerlich jeder einzelne ist, kann in den Bereichen, um die es hier geht, verhindert werden. Wenn das Parlament von vornherein darüber aufgeklärt wird, dann ist das umso besser.
Die Justiz hat Probleme mit der Besetzung von Arztstellen. Sie kämpft mittlerweile regelrecht um die Einstellung von Gefängnisärzten. Das Problem ist zum einen die niedrige Bezahlung, zum anderen das hohe Risiko, mit einem Ermittlungsverfahren überzogen zu werden, wenn etwas schiefgelaufen ist.
Über all diese Erkenntnisse verfügen wir. Von einem ausführlichen, sachlichen Bericht versprechen wir uns, dass die Diskussion nicht nur in Fachkreisen stattfindet, sondern geöffnet wird. Auch im Gesundheitsausschuss sowie im Ausschuss für Kommunale Fragen, Innere Sicherheit und Sport müssen diese Fragen eine Rolle spielen. Damit wäre in den Fraktionen genügend Material vorhanden, ohne dass die eine oder der andere Abgeordnete sich auf die Hinterbeine stellen müsste, um Informationen zu erhalten; denn eine Nachfrage verursacht viel Arbeit.
Wir erreichen durch diesen Gesetzentwurf zudem einen standardisierten Zuschnitt der Arbeit, die ohnehin schon erledigt wird. Informiert wird dann aber nicht mehr nur die Ministerialebene, sondern auch das Haus, in dem die Haushaltsentscheidungen getroffen werden, nämlich das Parlament.
Mit dem Gesetzentwurf haben die drei Fraktionen eine gute Grundlage für die Diskussion geschaffen. Ich bitte darum, in den Ausschüssen positiv darüber zu beraten. Ergänzungs- bzw. Verbesserungsvorschläge werden hoffentlich unterbreitet. Der Gesetzentwurf würde aber schon in der vorliegenden Fassung für die Praxis taugen. Ich gehe davon aus, dass auch der Jubilar, der Herr Justizminister, sich unserem Anliegen nicht widersetzen kann.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen! Hintergrund unseres Gesetzentwurfs ist die Tatsache, dass der bayerische Staat besondere Verantwortung für die Personen hat, die in Anstalten des Staates untergebracht sind. Dies betrifft insbesondere Justizvollzugsanstalten, Einrichtungen der Sicherungsverwahrung und Einrichtungen des Maßregelvollzugs.
Wenn es dort zu Todesfällen kommt – diese sind stets tragisch und können nicht immer verhindert werden –, dann muss der Landtag die Möglichkeit haben, hierüber detaillierte Informationen zu erhalten. Nach unserer Kenntnis werden die zuständigen Stellen der Staatsregierung über solche Vorfälle ohnehin unterrichtet, das heißt, ein entsprechender Bericht liegt vor. Dann ist es nur recht und billig, wenn das Parlament ebenfalls informiert wird und nicht auf die Berichterstattung der Medien angewiesen ist, das heißt, nur zufällig etwas erfährt. Aus dem Kollegenkreis kommen garantiert Nachfragen und Berichtsanträge, sobald ein Fall öffentlich wird.
Wir wollen im Grunde nur offen und aufrichtig von der Staatsregierung unterrichtet werden. Die Berichte können sicherlich eine Grundlage sein, um über haushaltsmäßige Verbesserungen in Bezug auf die Justizvollzugsanstalten und die anderen Einrichtungen nachzudenken; möglicherweise wird in der einen oder anderen Einrichtung mehr Personal benötigt.
Die Berichte sind auch deshalb sinnvoll, weil daraus effektive Präventionsmaßnahmen abgeleitet werden können.
Wenn wir die Berichterstattung einfordern, kommen wir auch unserem verfassungsgemäßen Auftrag der Kontrolle der Staatsregierung nach. Bevor jeder einzelne Abgeordnete einen Bericht fordert, wäre es besser, wenn der Landtag ihn ohnehin erhielte. Damit würde auch unnötige Arbeit in der Verwaltung vermieden.
Unsere Forderung nach einer Berichtspflicht ist nicht Ausdruck eines grundsätzlichen Misstrauens gegenüber der Staatsregierung. Wenn die Staatsregierung offen mit solchen Fällen umgeht, wird einem etwaigen Misstrauen vielmehr entgegengewirkt. Die Staatsregierung könnte offen kommunizieren, was passiert ist, und damit verdeutlichen, dass sie nichts zu verheimlichen hat.
Nun kommt vonseiten der CSU-Fraktion wahrscheinlich der Einwand, dass der Datenschutz tangiert sei. Hierzu ist zu sagen, dass diese Frage wohl nicht mehr so relevant ist, nachdem die Medien schon öffentlich darüber berichtet haben. Falls es sich um Fälle von besonderer Schwere oder Tragik handelt, kann dem Landtag auch ein nicht öffentlicher Bericht zugeleitet werden. Diese Sensibilität ist bei uns durchaus vorhanden.
Wir sind für Anregungen zu unserem Gesetzentwurf offen und freuen uns auf interessante Diskussionen in den Ausschüssen.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Streibl, Sie reden von "Kontrolle". Jetzt frage ich Sie: Was konkret soll mit diesem Gesetzentwurf erreicht werden? Welcher Missstand soll beseitigt werden? Welche bestehende Intransparenz soll aufgehoben werden? Welche Defizite der Suizidprävention sollen ausgeglichen werden? – Sie sehen mich hier vorn einigermaßen ratlos.
Zweifelsohne kommt es auch in den Haftanstalten des Freistaats Bayern vor, dass Menschen sterben. Sterbefälle gehören zur Lebenswirklichkeit dazu. Davon sind zweifelsohne die Fälle zu unterscheiden, in denen das Sterben nicht auf eine erkennbare Vorerkrankung zurückgeht. Das muss man differenziert betrachten. Ich sage Ihnen aber, es geht nicht um die Beseitigung von Intransparenz, sondern mit dem Gesetzentwurf soll der Eindruck erweckt werden, dass es eben nicht der Öffentlichkeit preisgegeben wird, wenn die Todesursache nicht auf einer Vorerkrankung beruhte, dass man vielleicht etwas geheim halten will, dass man vielleicht etwas vertuschen will. Ich sage Ihnen unumwunden: Das halte ich für eine Unterstellung, die durch nichts, wirklich durch gar nichts zu rechtfertigen ist.
Was passiert denn bei einem Todesfall mit ungeklärter Todesursache? Der wird, wenn der Betreffende in einer Haftanstalt ist, dem jeweiligen Anstaltsbeiratsvorsitzenden und dessen Stellvertreter mitgeteilt. Kollege Arnold, Sie sind doch selber in einem Anstaltsbeirat vertreten.
Es wird also zeitnah und umfassend unterrichtet. Man hat ein umfassendes Fragerecht. Intransparenz ist wohl Fehlanzeige. Übrigens sind die Fraktionen vertreten: Den Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden eines Anstaltsbeirats wählt der Bayerische Landtag.