Kolleginnen und Kollegen von der CSU-Fraktion, selbstverständlich ist es gut und richtig, zu diesem Thema einen Dringlichkeitsantrag einzubringen. Sie führen jedoch ein absolutes Scheingefecht. Die Forderungen, die Sie stellen, richten sich zu 100 % an den Bund. Obwohl die "Bild"-Zeitung heute etwas anderes geschrieben hat, darf ich Sie daran erinnern: Sie sind noch Mitglied der Großen Koalition. Ich bin es auch. Deswegen stelle ich auch keine Anträge, mit denen ich die Regierung wachsweich auffordere, sich beim Bund für etwas einzusetzen. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie diejenigen Forderungen einbringen, die Sie hier einbringen könnten.
Sie haben völlig zu Recht das Schulgeld genannt. Das ist ein Thema, auf das das Kultusministerium Einfluss nehmen kann. Warum ist denn das Schulgeld in Ihren Forderungen nicht enthalten? Warum steht denn in Ihrem Dringlichkeitsantrag nicht, dass Sie fordern oder die Hochschulen bitten, einen Lehrstuhl für Physiotherapie einzurichten, damit in dieses Thema auch auf der wissenschaftlichen Seite Bewegung kommt? Das wären Themen, die in Bayern und in diesem Hause geregelt werden könnten.
Ihre Forderungen sind 1 : 1 in dem bereits beschlossenen Berichtsantrag der SPD-Fraktion enthalten, den wir jedoch bescheidenerweise im Ausschuss und nicht als Dringlichkeitsantrag im Plenum beraten haben. Wir wollen einen Bericht der Staatsregierung. Selbstverständlich stehen auch wir dahinter, dass das Blankorezept ausgeschrieben wird. Ich bin davon überzeugt, dass der Direktzugang ein gangbarer und guter Weg wäre. Über dieses Thema müssen wir jedoch in erster Linie mit den Physiotherapeuten selbst diskutieren, weil es auch Haftungsfragen nach sich zieht.
Ich weiß nicht, wer von Ihnen das schöne Kartenspiel Watten beherrscht. Bevor man bei diesem Spiel einen Trumpf ausspielt, wird die Frage "Schotter?" gestellt. Diese Frage stelle ich auch zu Ihrem Antrag. Dieser Dringlichkeitsantrag wird zwar nichts nützen, aber weil er nicht schadet, werden wir ihm zustimmen. Wir werden uns im Ausschuss in aller Ernsthaftigkeit mit diesem Thema beschäftigen, sobald wir den im Antrag der SPD-Fraktion geforderten Bericht der Staatsregie
rung bekommen. Dann werden wir die Konsequenzen ziehen, die zur Verbesserung der Situation nötig sind.
Danke schön, Frau Kollegin Sonnenholzner. Bleiben Sie bitte noch am Rednerpult. - Herr Kollege Holetschek hat sich zu einer Zwischenbemerkung gemeldet. Bitte schön.
Sehr geehrte Frau Sonnenholzner, ich bin des Wattens mächtig, kenne auch die drei Trümpfe und weiß, dass das ein niederbayerisches Spiel ist. Wir können darüber bei anderer Gelegenheit gern einmal reden. Aber ich habe das Gefühl, dass es Ihnen bei dem Antrag eher um das Prozedere als um die Sache geht. Wir wollten einfach – diesen Eindruck hatte ich damals bei unserer Podiumsdiskussion beim Verband – noch einmal ein deutliches Signal setzen und das, was wir in der Großen Koalition in Berlin gemeinsam vertreten, deutlich machen, nämlich dass hier unmittelbarer Handlungsbedarf besteht.
Das Schulgeld habe ich angesprochen. In den Schulen des Freistaats gibt es kein Schulgeld, sondern nur bei den Privaten. Wir werden das Thema auch sicher nicht aus dem Auge verlieren. Das ist für mich eine Perspektive. Aber man muss erst einmal die Einkommenssituation der Therapeuten verbessern und ihnen Perspektive und Zukunft geben; dann werden sich diesem Beruf, glaube ich, wieder mehr widmen, wenn sie sehen, dass sie auch für die Zukunft ein Auskommen haben. Das hat für mich Priorität, und das wollten wir mit dem Antrag deutlich machen.
Herr Kollege Holetschek, über unmittelbare Reaktionen kann man strittiger Meinung sein. Herr von Esebeck darf leider nicht von da oben aus sprechen. Ich weiß auch nicht mehr ganz genau, wann die Diskussion war. Aber unmittelbar war sie jetzt nicht. Es war im frühen Frühjahr. Die SPD-Fraktion hat eine unmittelbare Reaktion in Form des erwähnten und schon lange beratenen Berichtsantrags auf den Weg gebracht. Aber das halte ich tatsächlich auch für die richtige und ernsthafte Herangehensweise, weil wir die Fragen gestellt haben, die die Grundlage dafür bilden, um beurteilen zu können, was es in Bayern noch braucht.
Ich bin Ihnen dankbar, noch einmal darauf hinweisen zu können, dass Sie Forderungen an den Bund zu Themen stellen, die der Bund – mit Ausnahme der Grundlohnsummenanpassung; das gebe ich gerne zu
ohnehin schon behandelt. Deswegen stimmen wir dem Antrag auch zu. Aber ich finde, eine ernsthafte Befassung kann auch anders ausschauen.
Danke schön, Frau Kollegin. – Als Nächster hat nun der Kollege Dr. Vetter von den FREIEN WÄHLERN das Wort. Bitte, Herr Kollege.
Kolleginnen und Kollegen, nachdem ich meinen zwei Vorrednern zugehört habe, weiß ich jetzt endlich, was GroKo heißt, nämlich nicht Große Koalition, sondern Große Kollision. Das war mir bis jetzt nicht so bekannt.
Kolleginnen und Kollegen, das Thema ist zu ernst. Herr von Esebeck war vor ein paar Wochen auch bei meinen Kollegen und bei mir. Es geht tatsächlich um die Zukunft des Berufes der Therapeuten und vor allem der Physiotherapeuten. Das Problem ist durchaus richtig erkannt, und ich halte es auch für vernünftig, dass es heute im Bayerischen Landtag behandelt wird.
Auch bei mir zu Hause – Sie wissen, dass ich von Beruf Orthopäde bin – werden mittlerweile Praxen von Physiotherapeuten geschlossen, weil sie nicht mehr existieren können. Therapeuten können ihre Mitarbeiter manchmal nur im Bereich der Mindestlöhne beschäftigen. Der Nachwuchs – auch an unserer Physiotherapeutenschule in Cham – bleibt aus. Ich kann das aus meiner Sicht nur bestätigen. Ich weiß aus meiner Erfahrung von früher und aus persönlichen Gesprächen auch, dass sehr gute Physiotherapeuten und Spitzentherapeuten jetzt gezwungenermaßen Arbeitszeiten von 6 Uhr früh bis 10 Uhr nachts haben. Das kommt ja nicht von ungefähr, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Jetzt zum Antrag, den die CSU, wie ich festgestellt habe, mehr oder weniger von der CDU/CSU-Fraktion vom März übernommen hat: Die Forderung, die Ausbildungsstandards und die Qualifikation auszubauen, unterstütze ich. Als Zusatzqualifikation ist das sogenannte Screening erwähnt. Für die, die nicht so in der Materie stecken, erkläre ich, was Screening heißt. Es bedeutet zum Beispiel, dass sich der Physiotherapeut am Patienten überlegen muss, welche Techniken er
anwendet, ob das Problem zum Beispiel auch mit Physiotherapie zu behandeln ist, ob er vielleicht auch eine ärztliche Diagnostik benötigt und ob vielleicht eine bedrohliche Erkrankung dahintersteckt. Das wird für die Physiotherapeuten mehr Verantwortung bedeuten, und dafür braucht es eine Verbesserung in der Qualifikation und in der Ausbildung.
Auch zu den "Blankoverordnungen" sage ich Ja. Ich berichte aus meiner Erfahrung. Früher musste ich, wenn ich ein Rezept ausgestellt habe, zum Beispiel nach einer Kreuzbandoperation, wenn der Patient frisch operiert war und drei Tage später aus dem Krankenhaus entlassen wurde, immer angeben: 3 x Lymphdrainage, 2 x Elektrotherapie und 6 x Krankengymnastik oder manuelle Therapie. Das ist aber nicht sachdienlich. Der Therapeut, der die Diagnose "Zustand nach Kreuzbandoperation" hat, weiß am allerbesten, was er zu tun hat. Deshalb sage ich zu "Blankoverordnungen" eher Ja. Die Diagnose sollte aus meiner Sicht aber zumindest bestätigt sein und vielleicht auch beim Arzt liegen.
Beim Direktzugang bin ich skeptischer als der Kollege von der CSU. Bei Fragen, wer für einen Schaden, der am Patienten passiert ist, verantwortlich ist, bei Haftpflichtversicherungsfragen und bei Fragen, bei wem die Budgetverantwortung liegt, befinden wir uns ziemlich am Anfang der Diskussion. Das sind aber wichtige Dinge, die einfach überlegt werden müssten.
Auch zur Entkoppelung von der Grundlohnsumme sage ich Ja, zum Beispiel bei der Morbidität. Warum auch nicht? Dafür bin ich absolut. Das würde auch die Einkommenssituation vor allem unserer niedergelassenen Physiotherapeuten erheblich verbessern.
Zum Abschluss, Kolleginnen und Kollegen: Ja, wir brauchen in der Therapiekette unsere Physiotherapeuten nötiger denn je. Wir brauchen sie unbedingt. Herr Holetschek und Kolleginnen und Kollegen von der CSU, Sie haben uns FREIE WÄHLER immer an Ihrer Seite, wenn Sie die Bayerische Staatsregierung auffordern, längst überfällige Maßnahmen zu ergreifen.
Danke schön, Herr Kollege. – Als Nächster hat der Kollege Leiner vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.
Sehr geehrtes Präsidium, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Heilmittelerbringer haben eine wichtige Funktion in unserem Gesundheitssystem. Damit mich niemand falsch versteht: Auch wir sind eindeutig für die Stärkung der therapeutischen und Assistenzberufe in unserem Gesundheitssystem. Ich bin inzwischen auch der Meinung, dass es anders gar nicht mehr geht. Nur mithilfe einer koor
dinierten und sektorenübergreifenden Zusammenarbeit aller Gesundheitsberufe werden wir den Herausforderungen in Zukunft gerecht werden.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang die gleiche Augenhöhe. Da möchte auch ich auf das Gespräch hinweisen, das wir mit den Physiotherapeuten geführt haben. Eine Verkammerung dieser Berufe ist vonnöten, und dafür werden wir uns auch einsetzen.
Wir müssen uns auch endlich über die Delegation und die Substitution der ärztlichen Tätigkeiten unterhalten. Das deutsche Gesundheitssystem genießt zwar international einen guten Ruf, aber es hat die große Schwäche des Mangels an sektorenübergreifender Zusammenarbeit. Deutschland hinkt hier meilenweit hinterher. Die Zukunftsfähigkeit unseres Gesundheitssystems hängt davon ab, dass die Gesundheitsberufe gestärkt werden und sektorenübergreifend zusammenarbeiten.
Da stellt sich schon die Frage – Herr Holetschek, Sie haben das angesprochen –, warum ein Physiotherapeut eine Person mit Muskelschmerz abweisen und zum Arzt schicken soll. Der Therapeut benötigt aber auch umfassende medizinische Kenntnisse, ob zum Beispiel bei einem Schmerz im Rücken vielleicht auch eine Nierenentzündung vorliegen könnte. Dies muss er erkennen, und dem muss seine Ausbildung angepasst werden. Wenn wir eine direkte Behandlung ohne Überweisung durch einen Arzt wollen, müssen wir in der Ausbildung dieser Heilberufe ganz dringend nachlegen und müssen sie wesentlich verstärken.
Dazu brauchen wir aber auch Erkenntnisse. Wir brauchen dazu valide Studien und Modellvorhaben zur Substitution von ärztlichen Leistungen, die Sie ja auch gefordert haben. Vor allem müssen die Qualifikation sowie die Qualität der Ausbildung und der Weiterbildung stimmen.
Wir würden es aber auf jeden Fall für sinnvoll erachten – Sie haben es in Ihrem Antrag nicht geschrieben, aber in Ihrer Rede gesagt, Herr Holetschek, und dafür bin ich dankbar –, dass endlich das Schulgeld wegfällt und es jetzt zur Einführung einer Ausbildungsvergütung kommt. Die Ausbildungsvergütung ist ein wichtiger Anreiz, um diesen Beruf zu erlernen. Andernfalls wird es zu einem Mangel in diesem Beruf kommen.
Kritischer sehen wir die Grundlohnsummenanbindung. Hierzu gab es zahlreiche Verhandlungen, deren Ergebnisse für die Heilmittelerbringer in den letzten Jahren wenig vorteilhaft waren. Die Neuregelung zu diesem Themenfeld wird sich als sehr schwierig erweisen. Das wissen wir nur zu gut. Auch wir haben
mit den Physiotherapeuten gesprochen. Wir kennen deren Probleme und wissen, dass sie finanziell in größten Schwierigkeiten stecken.
Die Prüfung der Abkopplung der Honorare von der Grundlohnsummenentwicklung ist Gegenstand der Vergütungsverhandlungen der Selbstverwaltung. Dies käme von Ihnen, Herr Holetschek, garantiert als Gegenargument, wenn wir insoweit eine Verantwortungsverlagerung fordern würden. Würde die Bindung an die Grundlohnsummenentwicklung aufgehoben, benötigte man zudem eine andere Richtgröße, das heißt einen Ersatz. Wie sonst sollten die Kosten in Zukunft kontrolliert werden? Diesen Punkt sehen wir fast als den kritischsten des gesamten Antrags an.
Meine Damen und Herren, das Thema ist zwar wichtig, aber auch mit vielen Fragen verbunden. Ich frage mich, wieso die CSU nicht den von der SPD beantragten Bericht abwartet. Die SPD hat zwar mittlerweile Zustimmung zu dem Antrag der CSU zugesagt; aber es sind noch zahlreiche Fragen offen. Die GRÜNEN sind der Meinung, dass wir die Antworten auf den Berichtsantrag abwarten sollten, ehe wir uns in Bayern entscheiden, in welche Richtung wir einen Antrag stellen.
Konsequenterweise werden wir uns – anders als die SPD-Fraktion – zu diesem Antrag der Stimme enthalten.
Danke schön, Herr Kollege. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit ist die Aussprache geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Dringlichkeitsantrag der Fraktion der CSU auf Drucksache 17/8680 seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der CSU, der SPD und der FREIEN WÄHLER. Gegenstimmen! – Ich sehe keine. Stimmenthaltungen? – Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Damit ist der Dringlichkeitsantrag angenommen.
Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Dr. Linus Förster, Hans-Ulrich Pfaffmann u. a. und Fraktion (SPD) Koordination. Kooperation. Keine Konfrontation: Durch direkte Zusammenarbeit zwischen Bayern und Österreich krisenhafte Flüchtlingssituation an gemeinsamer Grenze entschärfen (Drs. 17/8681)
Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Hubert Aiwanger, Florian Streibl, Prof. (Univ. Lima) Dr. Peter Bauer u. a. und Fraktion (FREIE WÄHLER) Sicherstellung der Einbindung Bayerns bei Umsetzung der Beschlüsse des EUSondertreffens vom 25. Oktober 2015 (Drs. 17/8694)
Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Margarete Bause, Ludwig Hartmann, Thomas Gehring u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Humanität wahren, Flüchtlingssituation an der bayerischen Grenze lösen (Drs. 17/8695)
Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Erster Redner ist Herr Kollege Rinderspacher. Herr Kollege Rinderspacher, Sie haben das Wort. Bitte schön.