Protokoll der Sitzung vom 16.03.2016

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 68. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, sich von Ihren Plätzen zu erheben und eines ehemaligen Kollegen zu gedenken.

(Die Anwesenden erheben sich)

Am 9. März verstarb im Alter von 89 Jahren der ehemalige Abgeordnete und Vizepräsident des Bayerischen Landtags, Herr Bertold Kamm. Er gehörte dem Hohen Haus von 1966 bis 1986 an und vertrat für die SPD zunächst den Stimmkreis Nürnberg-Ost und ab 1970 bis zu seinem Ausscheiden den Wahlkreis Mittelfranken.

Während seiner Parlamentszugehörigkeit war er Mitglied unter anderem im Ausschuss für Sozial- und Gesundheitspolitik, im Ausschuss zur Information über Bundesangelegenheiten und Europafragen sowie im Ausschuss für Geschäftsordnung und Wahlprüfung. Darüber hinaus hatte er von 1972 bis 1978 das Amt des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden inne und prägte zudem über zwei Legislaturperioden hinweg als allseits geschätzter Erster Vizepräsident nachhaltig die politische Kultur dieses Hauses.

Bertold Kamm gehörte zu den Abgeordneten, die die Verfolgung durch die Nationalsozialisten noch selbst erlitten haben. Zeit seines Lebens setzte er sich darum mit großer Leidenschaft für unsere freiheitlichen und demokratischen Werte ein und gab als Zeitzeuge seine Erfahrungen immer wieder an die nachfolgenden Generationen weiter.

Über zwei Jahrzehnte hinweg bekleidete er auch führende Ämter in der Arbeiterwohlfahrt, zuletzt als Landesvorsitzender in Bayern. Er wusste um die Sorgen und Nöte der kleinen Leute und tat alles, um den Menschen zu helfen. Sein politisches Handeln gründete gleichermaßen auf praktischen Erfahrungen wie innerer menschlicher Anteilnahme. Dabei lag sein Augenmerk immer auf der direkten Umsetzung konkreter Hilfsangebote.

Bertold Kamm hat sich um die Sozialpolitik im Freistaat und um das Ansehen des bayerischen Parlaments besonders verdient gemacht. Für sein Wirken wurde er mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Bayerischen Verdienstorden und der Verfassungsmedaille in Gold. Der Bayerische Landtag trauert mit den Angehörigen und wird dem Verstorbenen

ein ehrendes Gedenken bewahren. – Sie haben sich zum Gedenken an den Verstorbenen von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, darf ich noch einen Geburtstagsglückwunsch aussprechen. Am 14. März feierte Herr Kollege Dr. Otto Hünnerkopf einen halbrunden Geburtstag. Ich wünsche Ihnen im Namen des gesamten Hauses und persönlich alles Gute und weiterhin viel Erfolg bei Ihren parlamentarischen Aufgaben.

(Allgemeiner Beifall)

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:

Gesetzentwurf der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Franz Schindler, Dr. Herbert Kränzlein u. a. und Fraktion (SPD) zur Änderung des Bayerischen Strafvollzugsgesetzes Überwachter Internetzugang für Gefangene (Drs. 17/10429) - Erste Lesung

Der Gesetzentwurf soll auf Wunsch der SPD-Fraktion von der heutigen Tagesordnung abgesetzt werden. – Widerspruch dagegen erhebt sich nicht. Dann ist so beschlossen.

Ich rufe zur gemeinsamen Beratung die Tagesordnungspunkte 2 und 3 auf:

Gesetzentwurf der Abgeordneten Margarete Bause, Ludwig Hartmann, Katharina Schulze u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Änderung des Bayerischen Petitionsgesetzes (Drs. 17/424) - Zweite Lesung

Gesetzentwurf der Abgeordneten Hubert Aiwanger, Florian Streibl, Prof. Dr. Michael Piazolo u. a. und Fraktion (FREIE WÄHLER) Gesetz über die Behandlung von Petitionen nach Art. 115 der Verfassung sowie über den Bürgerbeauftragten oder die Bürgerbeauftragte des Freistaats Bayern (Bayerisches Petitions- und Bürgerbeauftragtengesetz) (Drs. 17/8524) - Zweite Lesung

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Die Gesamtredezeit der Fraktionen beträgt 48 Minuten. Die Redezeit der Staatsregierung orientiert sich an der Redezeit der stärksten Fraktion. – Erste Rednerin ist Frau Kollegin Schulze vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir hatten in den letzten Monaten im Bayerischen Landtag eine interessante Debatte über ein ganz wichtiges Recht von Bürgerinnen und Bürgern, nämlich das Petitionsrecht. Wir GRÜNE wollen mit unserem Gesetzentwurf das bayerische Petitionswesen ins 21. Jahrhundert überführen; denn wir sind der Meinung, die Digitalisierung kann und darf vor Petitionen nicht haltmachen.

Vieles am bayerischen Petitionswesen finden wir sehr gut; das haben wir auch in der lang andauernden Debatte mehrfach formuliert. Wir finden es gut, dass das bayerische Petitionswesen sehr offen und sehr niedrigschwellig ist. Trotzdem sind wir GRÜNE der Meinung: Auch wenn etwas gut ist, können wir es noch besser machen. Deswegen möchten wir das jetzige System reformieren. Wir wollen also die positiven Aspekte behalten und bei ein paar anderen Sachen Verbesserungen einführen.

Wir GRÜNE haben dazu eine Anhörung beantragt, die auch im Mai 2015 durchgeführt wurde. Diese Anhörung war, wie ich auch in Rückmeldungen von Kolleginnen und Kollegen gehört habe, sehr, sehr spannend und aufschlussreich. Wir hatten namhafte Expertinnen und Experten da. Sie haben berichtet, wie das Petitionswesen in anderen Bundesländern und im Deutschen Bundestag aussieht.

Mit unserem Gesetzentwurf wollen wir sozusagen ein neues Instrument einfügen. Wir möchten nämlich, dass öffentliche Petitionen auch in den Bayerischen Landtag eingereicht werden können, über die dann online diskutiert werden kann; natürlich sind diese Diskussionen zu moderieren. Die Bürgerinnen und Bürger sollen also die Möglichkeit erhalten, Themen auch online in den Landtag einzubringen.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht; aber wenn ich als Politikerin im Land unterwegs bin, kommt oft ein Bürger oder eine Bürgerin auf mich zu und sagt: Ich habe doch diese Petition im Internet unterschrieben; wann behandelt ihr die im Landtag? – Dann muss man immer erklären, dass es ein Unterschied ist, ob man auf einem privaten Petitionsportal eine Petition einreicht bzw. dort seine Unterstützung bekundet oder ob man eine Petition an den Bayerischen Landtag sendet. Hier funktioniert das nämlich anders. Themen, die auf den großen Online-Diskussionsplattformen behandelt werden, landen nicht automatisch im Bayerischen Landtag.

Wir haben uns bei der Erarbeitung unseres Gesetzentwurfs an der im Bundestag geltenden Regelung orientiert. Dort gibt es bereits die Möglichkeit der öffentlichen Petition; die bisher gemachten Erfahrungen

sind gut. Ich möchte kurz Dr. Thomas Schotten, Leiter der Unterabteilung Petitionen und Eingaben des Bundestags, zitieren, der in der Anhörung im Bayerischen Landtag Folgendes gesagt hat:

Einer der Hauptgründe für die Einführung der veröffentlichten Petitionen war, dass wir auf diesem Diskussionsforum die Meinung aller Bürgerinnen und Bürger zu einem bestimmten Thema einholen können. Der Petent soll mit seinem Anliegen nicht alleine bleiben. Er stellt es zur Diskussion, er wirbt natürlich auch um Unterstützer und Mitzeichner, und jeder, der möchte, hat die Gelegenheit, zu dieser Petition seine Meinung abzugeben.

Wir GRÜNEN glauben, dass genau das auch für den Bayerischen Landtag und speziell für unser Petitionswesen sehr sinnvoll wäre.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir könnten auf diese Weise mehr Beteiligungsmöglichkeiten schaffen. Eine Neuregelung in diesem Sinne wäre ein weiterer Baustein einer lebendigen Demokratie. Da eine Moderation erfolgt, kann sichergestellt werden, dass rassistische Hetze oder die berühmten "Internet-Trolle" nicht überhand nehmen. Der Experte aus dem Bundestag hat uns in der Anhörung versichert, dass es wegen der Nachmoderation insoweit keinerlei Probleme gebe.

Zusätzlich zu der Möglichkeit der öffentlichen Petition fordern wir, dass die Vollversammlung des Landtags die Petition behandelt, sofern das Quorum von 12.000 Unterschriften erreicht ist. So könnten wir die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger noch besser in den Landtag hineintragen.

Schließlich ist es unser Anliegen, dass bei Erreichen des genannten Quorums der Erstunterzeichner oder die Erstunterzeichnerin Rederecht im Ausschuss erhält. Er soll zudem verlangen können, dass eine Sachverständigenanhörung und eine Ortsbesichtigung durchgeführt werden.

Wir GRÜNEN glauben, dass die von uns vorgeschlagene Weiterentwicklung des bayerischen Petitionswesens ein großer Schritt nach vorn wäre. Das bayerische Petitionswesen wäre endlich up to date und fortschrittlich. Deswegen bitten wir um Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf.

Auch die FREIEN WÄHLER haben einen Gesetzentwurf eingebracht. Über diesen haben wir in verschiedenen Ausschüssen mehrmals debattiert. Es war eine gute Debatte. Die verschiedenen Seiten sind fachlich abgewogen worden. Wir GRÜNEN haben uns nach

der Beratung dafür entschieden, uns zu dem Gesetzentwurf der FREIEN WÄHLER der Stimme zu enthalten. Wie so oft bei Enthaltungen gilt auch für diesen Gesetzentwurf: Wir finden einige vorgeschlagene Regelungen positiv, halten aber in Bezug auf andere Punkte die bestehenden Regelungen für besser.

Wir begrüßen es, dass auch die FREIEN WÄHLER das Thema öffentliche Petitionen vorantreiben wollen. Wir finden es auch gut, dass die Einreichungsmöglichkeiten unter Beachtung des Inklusionsaspekts erleichtert werden sollen. Das alles sind Punkte, die wir unterstützenswert finden.

Wir sehen es allerdings kritisch, dass Sie von den FREIEN WÄHLERN das Petitionswesen grundsätzlich umbauen wollen. Sie möchten einen Bürgerbeauftragten als ständigen Vertreter des Petitionsausschusses einführen. Nur wenn dieser keine Lösung erzielen kann, soll die Petition in den Petitionsausschuss gelangen. Das wäre eine massive Änderung im Vergleich zum jetzigen System. Die Möglichkeit, Petitionen in Fachausschüssen zu behandeln, wäre nicht mehr gegeben. Das halten wir GRÜNEN nicht für zielführend, weil wir es gut finden, dass auch die Abgeordneten in den Fachausschüssen durch die Petitionen quasi als Seismographen mitbekommen, was auf ihrem Fachgebiet gerade bei den Menschen los ist bzw. wo sie genau der Schuh drückt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich bitte zusammenfassend um Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf. Zu dem Gesetzentwurf der FREIEN WÄHLER werden wir uns der Stimme enthalten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Kollegin. – Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, darf ich Sie davon in Kenntnis setzen, dass die SPD-Fraktion zu Tagesordnungspunkt 8, Antrag auf Drucksache 17/9403, namentliche Abstimmung beantragt hat. Diese namentliche Abstimmung findet erst nach der Beratung der zum Plenum eingereichten Dringlichkeitsanträge statt. Aber ich wollte es korrekterweise schon an dieser Stelle ankündigen, damit Sie sich darauf einrichten können und damit die entsprechenden Fristen gewahrt sind. Noch einmal: Namentliche Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 8.

Jetzt hat Herr Kollege Streibl das Wort. Bitte schön. Ich bitte um Nachsicht.

Kein Problem. – Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Eines möchte ich gleich am Anfang klarstel

len: Die Anhörung zum Petitionsrecht hatten GRÜNE und FREIEN WÄHLER gemeinsam beantragt. Das möchte ich betonen.

Meine Damen und Herren, das Petitionsrecht ist in Bayern ein Verfassungsrecht. Jeder Bürger, sogar jedermann, hat das Recht, sich mit Bitten und Beschwerden an den Bayerischen Landtag zu wenden. Es ist im Grunde ein sehr starkes Recht. Die Erfahrungen mit Petitionen zeigen, dass diese oft der letzte Hilferuf sind von Menschen in Bayern, die ein Problem haben. Sie wenden sich mit ihren Bitten und Anliegen an den Landtag und hoffen auf Hilfe. Es ist gut, dass es dieses Recht gibt. Aber man kann alles im Leben noch besser machen.

Daher haben wir, die FREIEN WÄHLER, uns hingesetzt und nach Auswertung der Ergebnisse der Anhörung einen Gesetzentwurf erarbeitet, der so ziemlich alles beinhaltet, was nach unserer Meinung ein modernes Petitionsrecht braucht.

Es gibt einige Stellschrauben, die wir drehen können, um dem Bürger mehr Rechte zu geben, um den Bürger an der Demokratie bzw. an der demokratischen Meinungsbildung, um die es hier auch geht, besser zu beteiligen; denn auch beim Petitionswesen geht es um Teilhabe, um Demokratie. Die Ausgestaltung des Petitionsrechts ist ein Spiegel unseres Parlaments. In vielen Petitionen wird letztlich auch uns der Spiegel vorgehalten. Wir erfahren nämlich, wo es in unserem Land hakt, wo es Behördenversagen gibt und welche Gesetze vielleicht nachgebessert werden müssen. Auch deshalb müssen wir das Petitionsrecht ernst nehmen und stärken. Es sollte unser aller Wille sein, dass sich die Bürger noch intensiver auch durch Petitionen in den Landtag einbringen. Dadurch zeigen sie, dass der Bayerische Landtag ihr Landtag ist. Dadurch, dass wir die Petitionen bearbeiten, zeigen wir, dass wir für die Bürger da sind.

Letztlich ist das Petitionsrecht für uns auch ein Instrument der Kontrolle gegenüber der Staatsregierung, denn die Anliegen, die die Bürger uns vortragen, sind oft solche, bei denen wir sagen können: Hier hat die Exekutive versagt, und hier muss der Landtag tätig werden.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Daher haben wir ein ganzes Bündel an Maßnahmen geschnürt. Die erste Maßnahme ist die Erleichterung der Möglichkeiten, Petitionen einzureichen, gerade für Menschen mit Behinderungen. Deshalb haben wir gesagt, eine Petition soll auch mündlich, auch in Blindenschrift oder sogar in Gebärdensprache eingereicht werden können, sodass hier keine Hindernisse mehr vorhanden sind.

Dann muss man auch schauen, wie zum Beispiel Administrativpetitionen geregelt werden. Danach sollte der Petent auch einen Anspruch auf einen begründeten Bescheid haben, sodass er nicht nur eine Ziffer aus unserer Geschäftsordnung mitgeteilt bekommt, wie der Antrag behandelt worden ist, sondern dass auch eine Begründung geliefert wird, warum die Petition so behandelt worden ist; denn dann ist es auch für den Bürger nachvollziehbarer, warum seine Petition abgelehnt oder angenommen worden ist, oder er weiß, wie mit ihr weiter verfahren wird.