Protokoll der Sitzung vom 12.04.2016

An der umfangreichen Begründung, die Sie hier vorgelegt haben, zeigt sich auch die soziale Spaltung der Gesellschaft. Diese Spaltung wird erst deutlich, wenn man die heutige Situation mit der im Jahr 1951 vergleicht. Damals haben sich die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer zur paritätischen Finanzierung der Krankenversicherung durchgerungen. Das war richtig. Das war ein Meilenstein in der Sozial- und Gesundheitspolitik. Ich frage die Vertreter der Wirtschaft: War damals, im Jahr 1951, die Wirtschaft stärker als heute? Wie konnten die das damals schaffen, die Parität herzustellen? – Sie sagen, wegen der Lohnnebenkosten schaffen wir das heute nicht mehr, wir können das nicht mehr stemmen. Das ist unglaubhaft und trifft nicht zu.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Die Wirtschaft ist heute wesentlich stärker und könnte das ohne Probleme stemmen.

Beide Seiten – das ist ein gewisser Vorteil der Parität – haben Interesse daran, dass die Krankenversicherung weiterhin zum Wohle der Versicherungsnehmer funktioniert.

Ich möchte noch weiter gehen mit der Forderung, die gerechte Finanzierung der Krankenversicherung wiederherzustellen. Was ist denn in den letzten Jahren noch alles passiert? – Die Schere zwischen den finanziellen Belastungen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer geht immer weiter auf; die Arbeitnehmer werden immer mehr einseitig belastet. Von einer Parität sind wir jetzt in einer Disparität gelandet.

Ich weise auf die Situation bei den Heil- und Hilfsmitteln hin. Wie schaut es da aus? – Auch das gehört für mich zu einer gerechten Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Heil- und Hilfsmittel waren noch nie paritätisch finanziert, das ist richtig. Es zeigt sich aber die Tendenz, dass die Arbeitnehmer immer mehr belastet werden.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Denken Sie auch an die Rentnergeneration. Die von der Großen Koalition beschlossene Absenkung des

durchschnittlichen Rentenniveaus auf 43 % trifft die Rentnergeneration. Das fördert Altersarmut.

Die Zuzahlungen auf Medikamente kommen noch hinzu. Auch sie müssen die Rentner leisten, ebenso Zuzahlungen zu zahnprothetischen Leistungen. Ich möchte Sie, Frau Kollegin Sonnenholzner, korrigieren – ich will die CSU nicht verteidigen; ich war damals aber selbst von der Änderung betroffen –: Die Herausnahme der gesamten Zahnmedizin aus dem Leistungskatalog der GKV stand niemals zur Diskussion, sondern nur die Herausnahme zahnprothetischer und kieferorthopädischer Leistungen. Die zahnmedizinische Grundversorgung, die Schmerztherapie, stand nie zur Diskussion. Das muss man ganz klar feststellen. Füllungen oder die konservierende Therapie standen nicht zur Diskussion.

(Kathrin Sonnenholzner (SPD): Zahnersatz!)

Das habe ich ausgeführt. Sie sagten: "die Zahnmedizin". Das ist nicht richtig, deswegen wollte ich das hier korrigieren.

Die Agenda 2010 war, wie Sie selber gesagt haben, der negative Höhepunkt, und das dürfen wir nicht so weitergehen lassen. Deswegen ist auch das Einfrieren des Arbeitgeberanteils fatal. Das ist ein Desaster und eigentlich eine Bankrotterklärung einer Gesundheits- und Sozialpolitik. Das müssen wir ändern.

Aber Sie wissen genau, dass die GKV und die PKV extrem miteinander verknüpft sind. Wenn man an einem Rädchen dreht, bewegen sich damit fünf andere Rädchen. Was dabei herauskommt, merkt man vielleicht erst später. Deswegen noch einmal die Position der FREIEN WÄHLER: Das GKV/PKV-System ist reformunfähig und reformresistent. Wir können mit diesem System in den nächsten 10 und 20 Jahren nicht mehr vernünftig weiterarbeiten.

Wir stellen deswegen noch einmal die Soziale Gesundheitsversicherung der FREIEN WÄHLER vor. Das ist unser Alternativangebot, eine Neuaufstellung von GKV und PKV, ohne, wie es die Bürgerversicherung macht, in Eigentumsrechte einzugreifen. Das ist eine völlig andere Struktur. Das ist unser Alternativangebot. Folgen Sie uns. Beschäftigen Sie sich einmal mit der Sozialen Gesundheitsversicherung der FREIEN WÄHLER. Dann kommen wir weiter. Mit diesem Antrag kommen wir nicht weiter. Dennoch stimmen wir ihm zu, weil er in die richtige Richtung geht. Ich wollte aber ausdrücklich auf meine Einwände hinweisen.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Danke schön, Herr Kollege. – Als Nächster hat der Kollege Leiner vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegen von der CSU, die Situationen ändern sich, und dann müssen auch die Situationen im sozialen Bereich mit geändert werden. Als vor über zehn Jahren die paritätische Finanzierung beendet und der Zusatzbeitrag für die Versicherten eingeführt wurde, hatten wir wirtschaftlich eine völlig andere Situation. In der damaligen Konjunkturlage – das wurde schon erwähnt – war es vielleicht unbedingt notwendig, die Wirtschaft in einer schwierigen Situation zu unterstützen. Immerhin waren damals – ich nenne die Zahl – über fünf Millionen Arbeitnehmer arbeitslos. Damals hat man die Kraft gefunden, eine nicht populäre Maßnahme durchzusetzen, die uns allen – damals zusammen mit der SPD – nicht leicht gefallen ist.

Heute sehen wir, dass die ergriffenen Maßnahmen – das ist schon angeklungen – nicht ganz falsch waren und dass sie im Hinblick auf den Arbeitsmarkt auch funktioniert haben. Aber weder damals noch 2013 war bei den Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene beabsichtigt, weiterhin ausschließlich die Versicherten mit den steigenden Kosten zu belasten. Davon war nie die Rede.

Seit Anfang 2016 sind die durchschnittlichen Beiträge für die Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung so hoch wie nie zuvor in der Geschichte, und das trotz bislang guter Konjunktur und sehr guter Arbeitsmarktlage. Die Wirtschaft ist robust, die Arbeitslosenquote ist niedrig. Das gilt insbesondere auch für Bayern. Die Arbeitslosigkeit in Bayern hat sich seit 2005 mehr als halbiert, und die Beschäftigung befindet sich auf Rekordniveau. In Bayern sind viele neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstanden. Deshalb ist es notwendig, dass wir im Moment gerade von Bayern aus das Signal senden, dass wir hier die Initiative ergreifen und die Parität der Krankenkassenbeiträge wiederherstellen können.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, man kann sich sicher eine noch bessere Konjunktur wünschen. Aber wir haben – ich sage es noch einmal – heute eine andere Situation. Es besteht überhaupt kein Grund mehr dafür, die Mehrbelastung nur den Mitgliedern und Versicherten zuzumuten. Von den bevorstehenden jährlichen Beitragssteigerungen sind insbesondere die Geringverdiener betroffen, die seit 2015 keine gesetzlichen Belastungsgrenzen und keinen

Sozialausgleich bei zu hoher Belastung haben. Wollen Sie, meine Damen und Herren, wirklich ein System, das auf Kosten der Ärmeren finanziert wird?

Im Übrigen hat der Deutsche Bundesrat im Januar die Bundesregierung per Entschließung zu einer Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der GKV-Beiträge aufgefordert. Darüber hinaus wäre es auch günstig, einmal grundsätzlich die Situation der Krankenkasse insgesamt zu beleuchten und – der Kollege von den FREIEN WÄHLERN hat es gerade angesprochen – über eine andere Art der Krankenversicherung, zum Beispiel über eine Bürgerversicherung, nachzudenken.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Was die Wirtschaft jetzt braucht, ist kein niedrigerer Krankenkassenbeitrag. Die Wirtschaft braucht jetzt vor allem qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. 45 % der Betriebe sehen genau darin ein Risiko für ihre Geschäftsentwicklung. Der Durchschnittsverdiener zahlt schon heute nur für den Zusatzbeitrag 400 Euro pro Jahr, ein freiwillig Versicherter je nach Krankenkasse bis zu 650 Euro. Die Kassen gehen davon aus, dass sich der Betrag bis 2020 verdoppelt. Die Ausgaben und Belastungen werden auch in den kommenden Jahren erheblich ansteigen, und ich frage Sie: Sollen den bis 2019 auf bis zu 12 Milliarden Euro prognostizierten Anstieg der Gesundheitskosten wirklich auch in Zukunft alleine die Arbeitnehmer tragen? Ich sage Ihnen: Nein, das darf nicht sein.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der medizinische Fortschritt und eine gute Gesundheitsversorgung kosten Geld, sogar jede Menge Geld. 2005 wurden die Arbeitgeber entlastet. Jetzt ist es an der Zeit, die Arbeitnehmer ganz wesentlich zu entlasten.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Wann sonst, wenn nicht in diesen guten Zeiten, sollen wir das in Erwägung ziehen und können wir das leisten? Heute können wir hier in Bayern mit der Forderung an den Bund ein soziales Zeichen setzen, die paritätische Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung wiederherzustellen. Wir werden dem Antrag der SPD zustimmen und fordern besonders die CSU-Fraktion auf, das Gleiche zu tun, nämlich ein soziales Signal aus Bayern zu senden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Kollege. – Als Nächster hat der Kollege

Seidenath von der CSU das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben nun viel über den Antrag der SPD gehört, dass sich die Staatsregierung auf Bundesebene für die Wiedereinführung der paritätischen Finanzierung in der GKV einsetzen soll. Auch haben wir einen Hauch von Vorwahlkampf durch das Haus wehen gespürt. In der Tat belastet es die Versicherten, dass die Erhöhung der Zusatzbeiträge um durchschnittlich 0,2 Prozentpunkte in diesem Jahr allein von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern getragen wird. Eine Belastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist nie gut. Daran müssen normalerweise wir Sie – etwa in der Steuerpolitik – oft genug erinnern.

Aber wir – damit meine ich die SPD und die CSU – haben uns darauf im Koalitionsvertrag für diese Legislaturperiode geeinigt, und das ist ein ganz formales Argument: Pacta sunt servanda. Sie verwenden in Ihrem Antrag ein wirklich schwaches Argument, nämlich: Die Bundesländer sind nicht Partner dieser Vereinbarung; deshalb steht es ihnen frei, andere Regelungen vorzuschlagen.

Meine Damen und Herren, ich habe ein anderes Verständnis von Verträgen, als dass sofort Ausflüchte und Hintertüren gesucht werden. Es gibt – das können Sie uns glauben – einige Punkte im Koalitionsvertrag, bei denen auch wir uns bessere Regelungen vorstellen könnten. Unser Verständnis von Verträgen und Verlässlichkeit hat uns aber bisher davon abgehalten, über Landtagsanträge hiergegen zu opponieren. Somit haben Sie mit dem Antrag viel über sich und Ihre Verlässlichkeit ausgesagt.

Ein weiteres Argument, nun ein inhaltliches. Die Beiträge für die Arbeitnehmer sind gestiegen. Das würden wir uns anders wünschen; das liegt aber an höheren Leistungsausgaben der GKV, etwa wegen des medizinischen Fortschritts, des demografischen Wandels oder wirksamerer Arzneimittel. Davon haben auch und gerade die Versicherten, also die Arbeitnehmer, etwas. Sie schreiben dagegen in Ihrem Antrag, die Arbeitgeber seien an den ansteigenden Krankenkassenbeiträgen schuld, und zwar wegen "der immer schmaler werdenden Finanzierungsbasis der GKV durch niedrige Lohnabschlüsse und prekäre Beschäftigungsverhältnisse", und dafür trügen die Arbeitgeber die Mitverantwortung.

Dies kann man nur als Verdrehung der Tatsachen bezeichnen. Lohnabschlüsse werden durch die Tarifpartner, also durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer ge

meinsam, ausgehandelt. Die höheren Zusatzbeiträge sind durch die Ausgabenseite, nicht aber durch die Einnahmenseite bedingt. Wir leben in so großer wirtschaftlicher Prosperität wie selten zuvor, was sich auch auf der Einnahmenseite niederschlägt.

Bedauerlich und schwierig ist, dass die Arbeitnehmer höher belastet werden. Es gibt aber keinen Grund, die Arbeitgeber für irgendetwas zu bestrafen, wie das bei Ihnen anklingt. Dem können wir in keiner Weise folgen.

Her Professor Bauer und Herr Leiner, die Belastbarkeit der Wirtschaft ist nicht unendlich. Daran sei auch erinnert: Die Arbeitgeber leisten über den hälftigen Anteil des allgemeinen Beitragssatzes von 7,3 % hinaus vieles für die GKV. Herr Kollege Klaus Holetschek hat es ausgeführt. 2014 haben die Arbeitgeber insgesamt 7 % mehr Sozialversicherungsbeiträge gezahlt als die Arbeitnehmer.

Noch eines: Lohnnebenkosten sind in dieser Periode bewusst durch das Gesetz gestiegen, nämlich um 0,5 Prozentpunkte, und zwar durch die Pflegestärkungsgesetze I und II, was für Leistungsverbesserungen für die Pflege dringend nötig war. Diese Erhöhung wird paritätisch durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber getragen.

Ihr Antrag – es ist schon angesprochen worden – ist auch eine Nebelkerze. Schließlich waren es der SPDBundeskanzler Schröder und die SPD-Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt, die die Abkehr von der Parität 2004 vollzogen haben, wie es dann im Jahr 2005 in Kraft getreten ist. Sie waren, liebe Frau Sonnenholzner, als SPD nicht daran beteiligt, sondern Sie waren initiativ.

Und schließlich: Sie wollen, dass wir die Staatsregierung auffordern, dem Antrag auf der Bundesratsdrucksache 40/16 zuzustimmen. Dieser Antrag liegt im Bundesrat aktuell auf Eis. Der Gesundheitsausschuss hat ihn auf unbestimmte Zeit vertagt. Das geschah sicher nicht ohne Grund. All dies sind gute Gründe, Ihren Antrag abzulehnen, was wir nun auch tun werden.

(Beifall bei der CSU)

Herr Kollege Seidenath, Herr Professor Bauer hat sich noch zu einer Zwischenbemerkung gemeldet. Bitte schön, Herr Professor Bauer.

Herr Kollege Seidenath, ich habe die Frage aufgeworfen, ob die Wirtschaft 1951 stärker war, als das heute der Fall ist, und deshalb die paritätische Finan

zierung schultern konnte. Das war meine Frage. Ich habe nie davon gesprochen, dass die Belastbarkeit der Wirtschaft unendlich groß ist. Sehen Sie es so, dass die wirtschaftliche Kraft 1951 stärker oder schwächer war, als das heute der Fall ist?

Danke schön. – Herr Kollege Seidenath, Sie haben das Wort.

Herr Professor Bauer, ich habe das sehr wohl vernommen, aber Sie können die Verhältnisse in der Krankenversorgung und der Gesundheitsversicherung heute nicht mit den Verhältnissen von 1951 vergleichen. Ich glaube auch, dass Sie nicht in die Zeit von vor 65 Jahren zurück wollen. Wir sind einen Quantensprung weiter, und ich hatte ausgeführt, woran die Leistungsausgabensteigerungen der GKV liegen. Sie liegen eben gerade im medizinischen Fortschritt begründet und sind durch den demografischen Wandel sowie durch die Leistungssteigerungen in der GKV bedingt. Deswegen, Herr Professor Bauer, ist das ein schwaches Argument, auf das ich schon deswegen nicht eingegangen bin. Alles andere habe ich dargelegt. Sie haben meine Argumente gehört. Wir werden deshalb den Antrag der SPD ablehnen.

(Beifall bei der CSU)