Protokoll der Sitzung vom 10.05.2016

Herr Kollege Vogel, ich versuche es noch einmal ganz einfach.

Sie können es auch kompliziert versuchen.

Wir haben uns schon in der vergangenen Woche unterhalten, damals auf dem Flur. Ich meine das nicht despektierlich, sondern versuche, unser Anliegen auf den Punkt zu bringen. Es geht uns nicht um die Behauptung, dass wir in Bayern keine Therapieangebote hätten. Unsere Fachstellen leisten tolle Arbeit.

Darin sind wir uns einig.

Das Problem ist, dass viele Familien keine Kenntnis davon haben. Fast 79 % der Eltern haben keine Information darüber, welch tolle Angebote wir in Bayern haben. Daraus folgt, dass wir in Bayern analog zu den Unterstützungsangeboten für Menschen, die ältere Angehörige pflegen, auch Strukturen brauchen, die die Beratungsangebote des Frei

staates den Eltern von Kindern mit chronischen oder seltenen Erkrankungen oder Behinderungen näherbringen. Diese eingehende Beratung als Brücke bzw. Mittelteil brauchen wir. Das Kind wird krank, und es folgt die Therapie. Dazwischen muss die Beratung stattfinden, weil anderenfalls die Eltern der Kinder mit chronischen oder seltenen Erkrankungen oder Behinderungen nur unzureichend von unseren wertvollen Angeboten erfahren. Um die bessere Bekanntmachung der Angebote geht es uns. Genau dafür hätten wir gern Ihre Zustimmung. Dieses Anliegen steht im Zusammenhang mit unserem Antrag, die Beratungsund Unterstützungsangebote für pflegende Angehörige generell zu analysieren. Nicht mehr und nicht weniger ist unser Ziel. Wir beantragen keine zusätzliche Therapiestunde oder -stelle, sondern wir wollen nur die Information besser an die Eltern heranbringen. Das ist die Essenz unseres Antrags. Dass Sie ihn heute wieder ablehnen wollen, ist nicht nachvollziehbar.

(Beifall bei der SPD und des Abgeordneten Ulrich Leiner (GRÜNE))

Danke schön, Frau Rauscher. – Herr Vogel, bitte.

Zunächst einmal nehme ich zur Kenntnis, dass auch Sie die Angebote, die es in Bayern für Familien gibt, in denen Kinder mit chronischer Erkrankung oder mit Behinderung leben, als vollkommen ausreichend ansehen. Es bedarf also auch nach Ihrer Einschätzung keiner weiteren Angebote. Das ist zumindest ein positives Signal. Dieser Einschätzung stimmen wir natürlich umfänglich zu.

Sie probieren aber erneut, die Erkenntnisse der Kindernetzwerk-Studie eins zu eins auf Bayern zu übertragen. Das ist einfach nicht redlich. Die Situation in manch anderem Bundesland ist eine andere als die bei uns. Da wir auch auf diesem Gebiet erhöhtes Engagement zeigen, sind bei uns auch die Angebote wesentlich bekannter als in Bundesländern, in denen es dieses hohe Engagement nicht gibt. Daher wehre ich mich dagegen – ich wiederhole es –, die Ergebnisse, die irgendjemand für ganz Deutschland ermittelt haben will, eins zu eins auf den Freistaat Bayern zu übertragen.

Wir haben bereits eine entsprechende Struktur und wollen keine Parallelstrukturen aufbauen. Unser derzeitiges Angebot ist vollkommen ausreichend und nach unserer Überzeugung auch ausreichend bekannt. Deshalb lehnen wir den Antrag zum dritten Mal ab. Das ist auch konsequent. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CSU)

Danke schön, Herr Vogel. – Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Schmidt. Bitte schön.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es schade, dass die CSU-Fraktion dem Antrag nicht zustimmen kann. Es geht um etwas anderes als das, was Sie vermuten, Herr Vogel. Ich möchte Frau Rauscher unterstützen, wenn sie betont, dass es um den Lebensanfang und den Anfang einer Familie geht. Wir haben leider selbst erlebt – Herr Kollege Vogel, Sie vielleicht nicht –, wie es ist, wenn eine junge Familie die Diagnose erhält, dass das Kind chronisch krank oder behindert ist. – Entschuldigen Sie, aber das bewegt mich auch nach so vielen Jahren immer noch.

In der ersten Zeit hat man oft nichts anderes als ein Krankenhaus um sich herum. In der restlichen Zeit versucht man, für die anderen Mitglieder der Familie den Alltag zu organisieren bzw. die Familie irgendwie zusammenzuhalten. Unsere ältere Tochter war eineinhalb Jahre alt, als ihre Schwester geboren wurde. Wir haben im Krankenhaus ein Vierteljahr lang keinerlei Information bekommen, wo später das andere Kind betreut wird, welche Fördermöglichkeiten es gibt und wie es generell weitergeht. Seitdem hat sich nichts verändert. Ich habe mich oft im Betreuungsdienst eines Krankenhauses engagiert. Der "Streicheldienst" ist für jene Kinder gedacht, die lange Zeit im Krankenhaus liegen. Dieses Angebot gibt es nicht überall. Auch ist nicht jeder Arzt gleich engagiert und gibt entsprechende Informationen an die Eltern weiter.

Außerdem ist es etwas anderes – das sage ich immer wieder –, wenn man am Anfang der Familiengründung steht und ein solcher Fall eintritt, als wenn man Pflege und Betreuung für die Oma organisieren muss; dann ist man erfahrener und reifer. Zudem entstehen noch andere Ängste, wenn ein Kind betreut werden muss.

Viele Familien verfügen schlichtweg nicht über ausreichende Informationen und kennen die Beratungsangebote nicht. Auch im Krankenhaus erfolgt oft keine Beratung. Dabei wäre das gerade bei chronischen Krankheiten und bei Behinderungen notwendig. Man ist aber in dieser Zeit meistens im Krankenhaus, nirgendwo sonst. Fragen Sie bitte betroffene Eltern!

Unserer Tochter – sie war ein Dreivierteljahr im Krankenhaus – geht es heute gut. Aber die anderen Kinder, die mit ihr auf der Säuglingsintensivstation waren, werden noch heute, 24 Jahre später, gepflegt. Dass die Eltern das jetzt im Griff haben und wissen, wo sie hinmüssen, ist klar. Ist das am Anfang des Lebens, am Anfang der Familie auch klar? Dann hat man

nämlich solche Erfahrungen noch nicht gemacht. Man weiß noch nicht, an welche Stelle innerhalb des Apparats man sich wenden muss, und ist vielleicht auch überfordert. Das müssen doch auch Sie von der CSU verstehen.

Herr Kollege Dünkel – ich sehe ihn gerade nicht – ist Vorsitzender der Lebenshilfe im Nürnberger Land. Herr Kollege Herold, Sie sind Leiter der Lebenshilfe Neustadt an der Aisch-Bad Windsheim. Auch Sie hören doch von den Eltern, wie lang der Weg ist, bis sie Informationen bekommen. Dann heißt es von dem Redner der CSU, wir hätten doch in Bayern schon alles. Wenn wir alles schon haben, dann machen Sie es doch bitte bekannter!

Herr Vogel, Sie haben gesagt, die Information funktioniere schon gut. Auf der Homepage des Ministeriums ist zum Beispiel zu lesen, dass wir den demografischen Wandel bewältigen und die Pflege bis zum Lebensende im Wunschumfeld der Menschen gewähren müssten. Wir wissen aber, dass dabei an die Pflege von älteren Menschen, nicht an die Pflege von Kindern gedacht wird. Auch von verunfallten oder kranken Menschen ist dort nicht die Rede. Die notwendige Verknüpfung zwischen den verschiedenen Pflegebereichen gibt es bisher nicht. Nicht einmal das Ministerium hat dieses Erfordernis im Bewusstsein.

Wenn Sie eine Verbesserung der Informationen schon nicht im Gesundheitsministerium verankern wollen, dann kümmern Sie sich doch bitte im Sozialministerium darum, Frau Ministerin und Herr Staatssekretär. Die Eltern brauchen einen erleichterten Zugang zu Informationen. Auch die Krankenhäuser sind entsprechend zu sensibilisieren.

Seien Sie doch stolz darauf, dass Ihnen die SPD zutraut, eigene Wege zu finden. Ich hätte Sie gar nicht für so kreativ gehalten, aber die SPD hat es getan. Sie traut Ihnen zu, den Eltern Hilfe anzubieten. Ich bitte Sie: Helfen Sie den Eltern! Lassen Sie die Eltern und die Kinder nach dem Schock der Diagnose besser ins Leben starten!

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Danke schön, Frau Schmidt. Frau Schmidt, bleiben Sie noch. Ich habe gesehen, dass Herr Vogel eine Zwischenbemerkung machen möchte.

Gern.

Bitte, Herr Kollege Vogel.

Frau Schmidt, eine kurze Frage: Auf welcher Homepage haben Sie nachgeschaut?

Moment, ich sage es Ihnen gleich. – Link auf der Homepage des Staatsministeriums für "Pflege zu Hause". Da geht es um die Pflege zu Hause.

Damit sind wir genau bei Ihrem Problem. Federführend für den gesamten Bereich der chronisch kranken Kinder und der Kinder mit Behinderung ist das Sozialministerium. Sie haben also die falsche Homepage erwischt. Aus dem genannten Grund spricht gleich Staatsministerin Emilia Müller und nicht Staatsministerin Melanie Huml. Auf jeden Fall spricht jemand aus dem Sozialministerium.

(Zurufe von der SPD)

Ich möchte das nur klarstellen, weil sie gesagt hat, sie fühle sich schlecht informiert. Wenn sie die Homepage des nicht zuständigen Ministeriums erwischt, dann kann es nicht anders sein.

Das Nächste ist: Ich verwahre mich gegen Ihre Unterstellung. Das, was Sie von Ihrer Tochter geschildert haben, ist höchst bedauerlich. Aber es ist, wenn ich Sie richtig verstanden habe, 23 Jahre her.

24. Es ist übrigens heute noch so.

Die Situation von vor 24 Jahren lässt sich nicht mit der heutigen gleichsetzen. Die Rahmenbedingungen haben sich verändert. In den vergangenen 24 Jahren ist unglaublich viel getan worden. Angesichts dessen finde ich es nicht in Ordnung, sich hier hinzustellen und so zu tun, als ob in den vergangenen 24 Jahren in der Behindertenarbeit insgesamt, insbesondere bei den Angeboten für Familien mit chronisch erkrankten oder behinderten Kindern, nichts passiert sei. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CSU)

Danke schön, Herr Vogel. – Bitte schön, Frau Schmidt.

Ich antworte Ihnen sehr gern. – Besuchen Sie einmal die Säuglingsintensivstation einer bayerischen Universitätsklinik. Dort ist man mit dem täglichen Geschäft ausgelastet. Dort warten andere Kinder, Geschwisterkinder, vor der Tür. Die Diagnose wird am Lebensanfang gestellt und hat viel Informationsarbeit zur Folge. Insoweit hat sich überhaupt nicht viel verändert. Es gibt auch Angebote, die die Krankenkassen organisieren. Aber viele El

tern wissen es nicht. Für sie steht die Gesundheit ihrer Kinder an erster Stelle. Aber sie haben in einer solchen Situation andere Probleme, als im Internet unterwegs zu sein, um nach diesen Angeboten zu suchen. Ich weiß nicht, wer von Ihnen Arzt ist und wer betroffene Menschen erlebt hat. Die Realität ist eine andere.

Herr Vogel, das ist nichts Großes. Das ist nur eine Verknüpfung und eine Freigabe von Informationen. Ich weiß nicht, welches Ministerium wann welchen Flyer und welche Homepage gestaltet. Hier geht es um eine Information für junge Familien, die ihnen auch zusteht. Springen Sie doch über Ihren Schatten. Sie verteilen zentnerweise Flyer für TTIP, dann werden Sie doch für diese Information auch ein paar übrig haben.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Danke schön, Frau Schmidt. Unser nächster Redner ist der Kollege Leiner.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Vogel, ich sage es Ihnen ganz ehrlich: Bei diesem ernsten Thema ist es mir völlig wurscht, welches Ministerium dafür zuständig ist. Das ist mir völlig egal.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und den FREIEN WÄHLERN)

Entscheidend ist, dass die Eltern wissen, wo sie Hilfe bekommen. Sie können sagen, was Sie wollen, wir haben dabei große Defizite. Eltern, die diese nicht leichte Aufgabe haben, sollten wir zumindest so unterstützen, dass sie Auszeiten nehmen können und von unnötiger Bürokratie entlastet werden. Wichtig dabei ist, dass sie wissen, wo sie verlässliche und objektive Informationen sowie auch Hilfen finden können. Pflegende Angehörige brauchen ein gebündeltes wohnortnahes Informations- und Beratungsangebot. Sie brauchen eine Beratungsstelle, an die sie sich rund um die Uhr wenden können, und sie brauchen kompetente Ansprechpartner, die die gesamte Bandbreite der Angebote und Leistungen abdecken. Dies gilt insbesondere für Eltern und ihre behinderten oder chronisch kranken Kinder.

Lieber Kollege Vogel, Sie sagen, alles sei gut. Sie haben mehrfach gesagt, dass die Bayerische Staatsregierung alles tut und dass es bei uns deutlich besser ist als in anderen Ländern. Es ist aber nicht so. Im Kindergesundheitsbericht des Gesundheitsministeriums für 2015 wird festgestellt, wo Defizite bestehen. 78 % der betroffenen Familien kennen eben die schon vorhandenen Angebote nicht. Wir fragen uns, warum

das so ist. Derzeit gibt es Beratungsangebote, die unstrukturiert und unübersichtlich sind. Die meisten Eltern nutzen diese Angebote tatsächlich nicht. Ich muss es immer wieder betonen: Es zeigt sich, dass eine zentrale Beratungsstelle wie zum Beispiel ein Pflegestützpunkt fehlt. Wir haben diese Einrichtung immer wieder gefordert. Sie wurde nie verwirklicht.

Herr Vogel und die CSU-Fraktion, wir sind auch der Meinung, dass wir keine neuen Einrichtungen brauchen. Wir müssen aber die bestehenden Einrichtungen unabhängig von ihrem Träger endlich einmal vernünftig zum Wohle der zu Beratenden miteinander vernetzen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wer sagt, es gebe keinen Handlungsbedarf, der weiß wirklich nicht, wovon er redet. Vier von zehn der betroffenen Kinder brauchen rund um die Uhr eine Beaufsichtigung. Sie sind mehrfach geistig und körperlich behindert. Sie haben in der Regel nicht eine, sondern mehrere Diagnosen. Auf der Suche nach zuverlässigen Informationen zur Erkrankung ihrer Kinder stoßen viele Eltern an ihre Grenze. Zwei Drittel aller Befragten empfinden jedenfalls in ihrem Fall die Informationen und die Beratung als nicht ausreichend. Zudem erhielt nur ein Viertel der Eltern Hinweise auf eine mögliche psychologische Unterstützung. Wenn überhaupt, dann kommen die hilfreichen Informationen von Selbsthilfegruppen, Klinikärzten und Klinikärztinnen. Das ist kein seriöses Beratungsangebot für diese Gruppe von Menschen.

Deshalb unterstützen wir beide Anträge der SPDFraktion. Wir wollten auch eine Konkretisierung des ersten Antrages. Diese Konkretisierung ist erfolgt. Heute sind wir deshalb in der Lage, beiden Anträgen zuzustimmen.