Protokoll der Sitzung vom 09.06.2016

Der federführende Ausschuss empfiehlt Zustimmung mit der Maßgabe, dass in § 1 die Nummern 18 und 20 und in § 2 die Nummer 3 neu gefasst werden. Der Ausschuss für Verfassung, Recht und Parlamentsfragen stimmt bei seiner Endberatung der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses mit der weiteren Maßgabe zu, dass in § 1 Nummer 17 dem Artikel 52 Absatz 5 ein neuer Satz 6 angefügt und in Artikel 123 Satz 2 eine weitere Angabe eingefügt wird. Ergänzend schlägt er vor, in § 3 das Inkrafttreten der neu eingefügten Nummer 17 zu regeln. Im Einzelnen verweise ich hierzu auf die Drucksache 17/11721.

Wer dem Gesetzentwurf mit diesen Änderungen zustimmen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. – Das ist die CSU-Fraktion. Gegenstimmen bitte ich anzuzeigen. – Das sind die Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Stimmenthaltungen? – Bei Stimmenthaltung der FREIEN WÄHLER. Dann ist das so beschlossen.

Da ein Antrag auf Dritte Lesung nicht gestellt wurde, führen wir gemäß § 56 der Geschäftsordnung sofort die Schlussabstimmung durch. Ich schlage vor, sie in einfacher Form durchzuführen. – Widerspruch erhebt sich nicht.

Wer dem Gesetzentwurf seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. – Das ist die Fraktion der CSU. Gegenstimmen bitte ich auf die gleiche Weise anzuzeigen. – Das sind die Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Enthaltungen? – Das ist die Fraktion der FREIEN WÄHLER.

Damit ist das Gesetz so angenommen. Es hat den Titel: "Gesetz zur Änderung des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen und des Bayerischen Schulfinanzierungsgesetzes."

Mit der Annahme des Gesetzentwurfs in der soeben beschlossenen Fassung hat der Änderungsantrag auf der Drucksache 17/11545 seine Erledigung gefunden.

Ich rufe zur gemeinsamen Beratung die Tagesordnungspunkte 3 und 4 auf. In die Beratung

einbezogen werden die Listennummern 3 und 4 der Anlage zur Tagesordnung.

Gesetzentwurf der Abgeordneten Margarete Bause, Ludwig Hartmann, Katharina Schulze u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Verbesserung der Beteiligung Jugendlicher an demokratischen Entscheidungsprozessen Jugendbeteiligungsgesetz (Drs. 17/9735) - Zweite Lesung

und

Gesetzentwurf der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Dr. Linus Förster, Dr. Paul Wengert u. a. und Fraktion (SPD) zur Änderung der Verfassung, des Landeswahlgesetzes und des Gemeinde- und Landkreiswahlgesetzes Absenkung des aktiven Wahlalters auf 16 Jahre bei Wahlen, Volksbegehren, Volksentscheiden und Volksbefragungen sowie Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden (Drs. 17/9757) - Zweite Lesung

und

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Dr. Linus Förster, Inge Aures u. a. und Fraktion (SPD) Absenkung des Wahlalters auf 16 (Drs. 17/9379)

und

Antrag der Abgeordneten Dr. Linus Förster, Franz Schindler, Horst Arnold u. a. (SPD) Wahlalter 16 bei der Europawahl (Drs. 17/10274)

Bevor ich die Aussprache eröffne, weise ich darauf hin, dass die SPD-Fraktion zum Dringlichkeitsantrag betreffend "Absenkung des Wahlalters auf 16" auf der Drucksache 17/9379 namentliche Abstimmung beantragt hat.

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Erste Rednerin ist die Kollegin Stamm.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen, sehr geehrte Kollegen! In der Ersten Lesung zu unserem Gesetzentwurf, der zum Inhalt hat, dass Jugendliche ab dem Alter von 16 wählen können und in Bürgerversammlungen das Wort ergreifen können, wann immer sie das wollen, habe ich erzählt, dass ich sehr gerne und sehr oft Schulklassen bei mir habe und, wenn es irgendwie geht, auch zu Schulklassen gehe. Es ist tatsächlich so – –

(Unruhe)

Ich glaube, es war im Ältestenrat Thema, dass das Ratschen auf der Regierungsbank ziemlich stört, und ich fände es sehr schön, wenn man es nicht gleich am nächsten Tag wieder praktizieren würde.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich war in einer Grundschulklasse. Eigentlich bin ich zum Vorlesen gekommen. Stattdessen haben mich die Grundschülerinnen und Grundschüler zu Snowden gelöchert und gefragt, warum diejenigen, die Informationen weitergeben, bestraft werden und nicht die anderen. Sie haben mich gar nicht gehen lassen. Es war eine Dreiviertelstunde vorüber, es gingen alle Hände hoch, und es kam die nächste politische Frage. Ich muss feststellen: Je älter die Jugendlichen sind, desto weniger Enthusiasmus ist bei politischen Fragen feststellbar. Es ist zwar nicht empirisch belegt, was ich erzähle, aber es ist so. Es scheint bei der von mir besuchten Klasse so etwas wie eine natürliche Neugierde der Grundschülerinnen und Grundschüler an dem politischen Geschehen zu geben. Das betrifft auch das, was in diesem Landtag und der Politik passiert.

Ich möchte diese Neugierde erhalten und deswegen Möglichkeiten eröffnen, dass Kinder und Jugendliche partizipieren können. Sie sollen die Möglichkeit bekommen, bei den Bürgerversammlungen mitreden zu dürfen, und wir wollen, dass Jugendliche ab 16 wählen dürfen. Wir nehmen die Jugendlichen ernst. Nehmen Sie die Jugendlichen mit uns ernst und lassen Sie sie teilhaben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir können nicht auf der einen Seite beklagen, dass die Gesellschaft immer älter wird, dass die Gesellschaft vergreist, und auf der anderen Seite diejenigen, die diese Zukunft zu stemmen haben, nicht an den Entscheidungen teilhaben lassen. Wir müssen ihnen ein Mitspracherecht geben. Ich weiß, jetzt kommt wieder das Argument, man sei auch erst mit 18 volljährig. Es gab auch in der Historie schon einmal ein Auseinanderklaffen zwischen Volljährigkeit und Wahlalter, da war es umgekehrt.

Sie müssen wahrnehmen und erkennen, dass Kinder und Jugendliche heutzutage immer früher immer reifer werden. Das sage nicht ich als Claudia Stamm, das sagen die Entwicklungspsychologen. Nehmen Sie das endlich wahr.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es gibt die SINUS-Studie mit dem Titel: "Wie ticken Jugendliche 2016? – Lebenswelten von Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren in Deutschland". In die

sem Zusammenhang kann ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, die Angst vor den Wählerinnen und Wählern, die da kommen, nehmen. In der Studie kommt heraus, dass die Jugendlichen sehr wohl an einem Wertekanon und an Zweierbeziehungen interessiert sind. Das ist ihre Vorstellung von Liebe. Sie sind aber gleichzeitig für Toleranz und eine kulturelle Vielfalt der Gesellschaft. Aus meiner Sicht müsste man fast schon von Neokonventionalismus reden, wenn man liest, was die Jugendlichen als Antwort gegeben haben. Es ist nicht die revolutionäre Jugend, die zur Wahl gehen könnte, wie vielleicht auf dieser Seite des Saales befürchtet wird. Das Gegenteil ist der Fall, und deshalb frage ich Sie: Wovor haben Sie eigentlich Angst, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ehrlich gesagt: Ich hatte gehofft, dass wir bei der Beratung dieses wichtigen Themas auch interfraktionell und über die Fraktionen hinweg in Bayern etwas bewegen können. Ich hatte auch gehofft, dass eine Anhörung zur Jugend in Bayern dazu beitragen könnte. Nachdem die Anhörung aber auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben ist – auf jeden Fall ist immer noch kein Termin dafür anberaumt –, müssen wir jetzt die Initiative ergreifen und diesen Gesetzentwurf einbringen. Ich würde mich immer noch freuen, wenn Sie sich bewegen könnten. Es ist wichtig, und es geht gar nicht darum, ob Sie recht haben, Herr Minister Söder und Herr Ministerpräsident Seehofer, ob die CSU recht hat, ob die SPD recht hat, oder ob wir recht haben. Es geht einfach nur darum – das ist der Wert an sich –, unsere Demokratie zu stärken.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es geht darum, die beste und schönste Form des Zusammenhalts, die wir kennen, zu stärken und zu bewahren. Darum geht es, aber nicht darum, wer hier im Hohen Haus recht hat.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Förster.

(Vom Redner nicht autori- siert) Frau Präsidentin, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Andreas Lorenz, in Ihrer Rede bei der Ersten Lesung der Gesetzentwürfe am 2. Februar dieses Jahres haben Sie sich freundlich darüber beschwert, dass Sie sich alle zwei Jahre mit diesem Thema auseinandersetzen und dabei immer die gleichen Argumente hören müssen. Dazu möchte ich nur sagen: Wir bringen aktuelle Aspekte und neue Erkenntnisse, und natürlich wiederholen wir auch das

eine oder andere Argument; denn diese Argumente waren nicht nur 2005, 2010 und 2012 richtig; sie sind es immer noch. Nur Sie von der CSU haben sie noch nicht verstanden.

(Beifall bei der SPD)

Aus der Erfahrung in diesem Hohen Haus weiß ich, dass es bei bestimmten Themen nicht nur gute Argumente, sondern vor allem auch Zeit, Geduld und Beharrlichkeit braucht, bis die CSU einen Antrag als gut und richtig erkennt und ihn dann, wahrscheinlich auf eigenem Fraktionspapier, einbringt. Ich hoffe aber immer noch auf Ihre Zustimmung zu den Anträgen, die wir eingebracht haben; denn es geht nicht um einen Schaukampf hier im Plenum, sondern es geht um die jungen Menschen.

(Beifall bei der SPD)

Die Absenkung des Wahlalters ist ein gesellschaftspolitisches Thema. Sie ist aber kein rein bayerisches und auch kein rein deutsches Thema. Dabei haben die meisten anderen deutschen Bundesländer schon nachgezogen. 10 von 16 Bundesländern haben die Absenkung des Wahlalters auf 16 schon vollzogen. Vorreiter war 1996 Niedersachsen unter einer SPDRegierung. Die Absenkung des Wahlalters ist längst ein europäisches Thema. In seinem im November 2015 verabschiedeten Reformvorschlag empfiehlt das Europäische Parlament nicht nur eine Vereinheitlichung des Wahlrechts in Europa, sondern auch eine Absenkung des Wahlalters. Gleiches empfahl der Rat der Gemeinden und Regionen in Europa, RGRE, bei seiner 29. Sitzung in Straßburg. Kollege Taubeneder und ich waren bei diesem wichtigen Termin als bayerische Vertreter dabei.

Die Herabsetzung des Wahlalters auf 16 ist eine Chance zur Überwindung von Politikverdrossenheit. Darum geht es. Gerade mit Blick auf die EU ist es wichtig, dies wahrzunehmen; denn leider haben radikale oder gar extremistische Auswüchse in der EU immer mehr Zulauf. Die Bereitschaft der jungen Menschen in Europa, Parteien wie die Front National, die PiS oder bei uns die AfD zu wählen, entspringt nicht primär der Begeisterung für nationale Ideen, sondern beruht vielmehr auf der Enttäuschung junger Menschen über die etablierten Parteien, von denen sie sich nicht mehr wahrgenommen und vertreten fühlen. Das zumindest hat eine Studie der Landeszentrale für politische Bildung Bremen ergeben. Das ist eine neue Erkenntnis, dies sei extra für den Kollegen Lorenz gesagt.

Um dieser Enttäuschung entgegenzuwirken, hat die SPD ihren Antrag, das Wahlalter auch bei Europawahlen auf 16 herabzusetzen, hochgezogen, weil es

ihr um die europäische Dimension geht. Auch deswegen werbe ich um Ihre Zustimmung. Vor dem Hintergrund der sozio-ökonomischen Entwicklung in den letzten Jahrzehnten und der wachsenden Politikverdrossenheit ist ein niedrigeres Wahlalter in Europa, aber natürlich auch in den einzelnen Ländern, eine Frage des öffentlichen Interesses, dem wir verpflichtet sind. Mit der Senkung des Wahlalters wären wir, die politischen Verantwortungsträger, gezwungen, uns stärker an den Interessen der jungen Menschen zu orientieren.

Seien wir doch ehrlich: Wir machen hier Politik für die Älteren und verhindern damit, dass junge Menschen an Entscheidungen beteiligt werden können, die anders ausfallen würden, als wir es uns in der Vorstufe unserer Altersfreizeit erhoffen. Die letzten Jugendstudien – die Kollegin Stamm hat einige aufgeführt, egal, ob Shell, SINUS oder die Studien der Stiftungen der politischen Parteien – haben unisono die Sicht der jungen Menschen auf die Politik wiedergegeben. Abgeordnete und Parteien wollen gewählt werden, also sehen sie vor allem die Interessen derjenigen, die ihnen die meisten Stimmen bringen; das sind heute schon die Älteren, und dieser Trend wird sich aufgrund der Bevölkerungsentwicklung in Zukunft noch deutlich verstärken.

Dies sehen nicht nur die jungen Menschen so, sondern auch ältere Forscher. Ich zitiere aus dem Abschlussbericht des Kreisverwaltungsreferats München. Danach werden Themen der Jugendpolitik aufgrund der demografischen Überalterung der Wählerschaft nur peripher behandelt, wodurch das Desinteresse der Jugendlichen steigt. 69 % der Jugendlichen stimmten der Aussage zu, dass sich Politiker nicht darum kümmern, was Jugendliche denken. Kein Wunder, dass hier ein gewisser Frust aufkommt.

Überlegen Sie sich einmal, welche Signale wir bayerischen Politiker hier in diesem Hohen Haus aussenden. Ich nenne nur ein Stichwort: Jugendenquete! Wir waren uns einig, dass die 2008 veröffentlichten Ergebnisse der Enquetekommission in die Praxis umgesetzt und in der 16. Legislaturperiode hinterfragt werden sollten. Acht Jahre später ist wenig passiert. Ob wir das Hearing, mit dem wir die Bedürfnisse und Wünsche junger Menschen, wie Politik aussehen soll, abfragen wollen und das wir im Sommer letzten Jahres beschlossen haben, noch vor der Sommerpause 2016 durchführen können, wage ich zu bezweifeln. Das ist das Signal, das von uns ausgeht, wie wichtig uns die Meinung der jungen Menschen in Bayern ist.

Trotzdem wollen die jungen Menschen in Bayern mitgestalten und sich vermehrt politisch engagieren. Natürlich können sie es nur im Rahmen der Möglichkei

ten, die sie bei unserer Politik für sinnvoll sehen. Sie boykottieren Wahlen, unterschreiben Petitionen und nehmen auch an Demonstrationen teil. Die Identifikation mit und das Vertrauen in Parteien sind nicht vorhanden. So sehen es auch die drei Autorinnen einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung mit dem Titel "Lebensentwürfe junger Frauen und Männer in Bayern", die auch Kollegin Stamm schon erwähnt hat. Die Autorinnen leiten aus den Ergebnissen dieser Studie ebenfalls einen akuten Handlungsbedarf für die Politik ab, die ansonsten den Nerv dieser Generation nicht trifft. Wählen ab 16 wäre ein klares Signal, das wir senden könnten.

Natürlich muss die Absenkung des Wahlalters mit politischer Bildung innerhalb und außerhalb der Schulen und Jugendverbände kombiniert werden. Dadurch lässt sich dieses Ergebnis ausbauen. Das ist auch Bestandteil des Dringlichkeitsantrags auf Drucksache 17/9379. Dazu wollen wir eine namentliche Abstimmung durchführen, damit Sie auch nach außen zeigen können, wie wichtig Ihnen die Partizipation junger Menschen ist.

Die Relevanz politischer Teilhabe ist auch ein Bekenntnis zu unserem demokratischen System. Das bedeutet eine Abwehr von extremistischem und radikalem Gedankengut, das genau in dem Vakuum entstehen kann, das wir zulassen, wenn wir die jugendliche Partizipationsbereitschaft nicht in echte Teilhabe in Form von Wahlen münden lassen. Das bestätigt auch die Bertelsmann-Studie vom Dezember 2015, über die wir bereits in der Ersten Lesung der Gesetzentwürfe gesprochen haben. Kollege Lorenz, Sie kennen diese Studie. Mit Begeisterung zitieren Sie einen Part aus dieser Studie, wonach 80 % der Befragten gegen eine Absenkung des Wahlalters sind. Sie vergessen dabei aber zu erwähnen, dass dies 80 % der gesamten deutschen Bevölkerung waren. Das sind also die älteren Menschen.