Danke schön, Herr Kollege Hanisch. – Nun hat Frau Kollegin Schulze für das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort. Bitte sehr.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Enver Simsek, Abdurrahim Özüdogru, Süleyman Tasköprü, Habil Kilic, Mehmet Turgut, Ismail Yasar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubasik, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter, das sind die Namen der zehn Toten, die der NSU auf dem Gewissen hat. Fünf dieser Morde fanden in Bayern statt. Was hat das mit unserem Thema zu tun? – Der NSU musste sich selbst enttarnen. Die Sicherheitsbehörden haben jahrelang in die falsche Richtung ermittelt und versagt.
Über den Rechtsterrorismus im Land waren und sind die Bestürzung, das Entsetzen und die Wut groß. Es gab viele Untersuchungsausschüsse, auch im Bayerischen Landtag. Dort wurden konkrete Veränderun
gen für das Landesamt für Verfassungsschutz entwickelt. Einige Vorschläge waren sogar interfraktionell. Aber was macht die CSU? – Sie nimmt die Punkte aus dem Untersuchungsausschuss nicht in ihren Gesetzentwurf auf, sondern bringt einen Gesetzentwurf ein, in dessen Einleitung nur vom hohen Bedrohungsund Gefährdungspotenzial durch den islamistischen Terrorismus die Rede ist, jedoch kein Wort dazu, dass in Bayern die rechtsextremistischen Bestrebungen stärker werden, kein Wort dazu, dass Flüchtlingsunterkünfte fast wöchentlich angegriffen werden, kein Wort dazu, dass rassistische Stimmungsmache online wie offline immer mehr wird, und kein Wort dazu, dass die rechte Szene immer größer wird. Auch das ist für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eine massive Gefahr.
Wer das nicht erkennt und formuliert, argumentiert einseitig. Mit dem Gesetz, das Sie vorgelegt haben, kann der Verfassungsschutz auch weiterhin einen Großteil der im Umfeld des NSU tätigen V-Leute anwerben. Das ist unmöglich. Haben Sie denn aus der Selbstenttarnung des NSU nichts gelernt?
V-Leute im rechtsextremen Bereich bleiben Rechtsextreme. Neonazis und Rassisten bleiben auch dann Neonazis und Rassisten, wenn sie vom Staat bezahlt werden.
Die Erfahrungen haben uns schmerzlich gezeigt, dass die V-Leute zwar reden, aber keine verwertbaren Informationen über ihre Kameraden weitergeben, sondern mit dem Geld des Staates und den Informationen natürlich ihre Kameraden im Untergrund fleißig unterstützen. Auch kommen immer mehr Fälle ans Licht, in denen Täter durch V-Leute und Strukturen des Verfassungsschutzes sogar gedeckt wurden, in denen man Unterlagen geschreddert hat oder Unterlagen verschwunden sind. Handys und SIM-Karten, die V-Leuten gehört haben, werden, nach vielen Jahren in irgendwelchen Schränken des Bundesverfassungsschutzes gefunden,. Der V-Mann Kai Dalek hat aktiv mitgeholfen, hier in Bayern die rechtsextreme Szene aufzubauen.
Was machen Sie mit diesen Erkenntnissen? – Die CSU schreibt in ihr Gesetz hinein, dass sie bei der Auswahl der V-Leute nicht zimperlich sein werde. Nur verurteilte Mörder und Totschläger seien von der Anwerbung als V-Leute ausgeschlossen. Aber eine Person, die eine Körperverletzung mit Todesfolge, einen schweren Raub oder eine Vergewaltigung begangen
hat, darf nach wie vor beschäftigt werden. Für die GRÜNEN ist klar: V-Leute gehören abgeschafft und nicht auch noch staatlich subventioniert.
Außerdem räumt die CSU den verdeckten Mitarbeitern die Möglichkeit ein, unter bestimmten Umständen Straftaten zu begehen. Wir GRÜNE sind der Überzeugung: Wenn verdeckte Mitarbeiter während ihrer Beschäftigung erhebliche Straftaten begehen, müssen sie abgeschaltet werden.
Der Gesetzentwurf ist aber nicht nur wegen der Artikel über die V-Leute und die verdeckten Mitarbeiter abzulehnen. Sie haben als CSU noch viele weitere verfassungsrechtlich hoch bedenkliche Knaller eingebaut. Spätestens nach dem Verfassungsgerichtsurteil vom 20. April zum BKA-Gesetz war klar, dass Sie noch viel nachbessern müssen. Das, was Sie mit dem Änderungsantrag geliefert haben, überzeugt nicht. Beispielsweise bekommt der Verfassungsschutz neue Befugnisse; denn er soll jetzt auch auf die Vorratsdaten zugreifen können. Das steht in krassem Widerspruch zu den Vorgaben des Bundesgesetzes. Ganz nebenbei sei angemerkt, vielleicht haben Sie es noch nicht mitbekommen: Kein Verfassungsschutz, weder auf Bundesebene noch in den anderen Ländern, hat diese Befugnisse. Der bayerische Sonderweg ist verfassungswidrig.
Wir GRÜNE sagen ganz klar: Die Vorratsdatenspeicherung war falsch, ist falsch und bleibt falsch. Sie münzen dieses Landesamt kurzerhand zur Gefahrenabwehrbehörde um; denn nur solche Behörden dürfen laut Bundesgesetz auf die Vorratsdaten zugreifen. Damit missachten Sie das verfassungsrechtlich verankerte Trennungsgebot von Polizei und Verfassungsschutz. Ich wiederhole es gerne: Die Polizei hat die Aufgabe der Gefahrenabwehr. Der Verfassungsschutz hat die Aufgabe der Beobachtung verfassungsfeindlicher Bestrebungen.
Wir haben im Landtag dieses Thema hoch und runter diskutiert und eine Expertenanhörung durchgeführt, in der Ihnen auch die Expertinnen und Experten erklärt haben: Die operative Gefahrenabwehr ist ebenso wenig wie die Verhütung von Straftaten Aufgabe des Nachrichtendienstes. Ein Verfassungsschutz hat keine Befugnisse, einzugreifen. Deshalb ist es keine Gefahrenabwehrbehörde.
Mit dieser Trennung fahren wir in Deutschland seit 1949 sehr gut. Es ist absolut unverständlich, dass Sie in Ihrem Gesetzentwurf explizit darauf verzichten, das
Der nächste Hammer, der sich im Gesetz versteckt, ist, dass Sie das Mindestalter von 14 Jahren zur Datenspeicherung komplett abschaffen. Das bedeutet konkret, dass der Verfassungsschutz Daten über Bestrebungen und Tätigkeiten von Personen ab der Geburt speichern kann. Ganz ehrlich: Das ist eine massive Verschlechterung der Grundrechtslage der betroffenen Personen. Junge Menschen stehen unter einem besonderen Schutz. Insbesondere Minderjährigen steht ein Recht auf Resozialisierung zu.
Zum Schluss möchte ich Sie noch persönlich etwas fragen: Ist Ihnen eigentlich klar, worüber Sie hier abstimmen?
Sie stimmen bei diesem Gesetzentwurf darüber ab, dass die parlamentarische Kontrolle, also auch unsere Kontrollrechte, geschwächt werden. Wenn man aus den zahlreichen Geheimdienstskandalen der letzten Jahre eines gelernt hat, dann doch hoffentlich das, dass es eine starke Kontrolle der Geheimdienste und eine Ausweitung des Auf-die-Finger-Schauens braucht, was die Nachrichtendienste treiben. Aber beim Blick auf Artikel 20 Ihres Gesetzentwurfs wird deutlich, dass die Berichtspflicht an das Parlamentarische Kontrollgremium, das PKG, über die Ortung von Mobilfunkgeräten von halbjährlich auf jährlich heraufgesetzt wird. Das geheim tagende PKG darf dem Landtag über den Einsatz von verdeckten Mitarbeitern und V-Leuten nicht berichten. So geht das nicht.
Nein, so geht das nicht. Es ist nett, dass Sie Ihre Kontrollrechte gerne selbst beschneiden. Aber wir als Opposition haben von einem starken Parlament und einer starken Kontrolle eine andere Vorstellung. Deshalb halten wir Ihre Vorschläge für abstrus.
Wir lehnen den Gesetzentwurf mit den von der CSU beantragten Änderungen ab. Bei den Änderungsanträgen der SPD und der FREIEN WÄHLER werden wir uns enthalten. Bei diesen Änderungsanträgen geht zwar einiges in die richtige Richtung, aber sie gehen noch nicht weit genug. Wir GRÜNE sind nämlich der Meinung, dass der Verfassungsschutz viel umfassender reformiert und verändert werden muss. Den Gesetzentwurf im Sinne der CSU kann man mit ein paar Änderungsanträgen auch nicht mehr retten.
Wir möchten die V-Leute abschaffen. Wir fordern die Gründung eines Instituts, das zum Schutz der Verfassung demokratie- und menschenfeindliche Bestrebungen beobachtet, und zwar zusammen mit der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft. Wir brauchen eindeutig mehr Transparenz und stärkere Kontrollen. Was Sie von der CSU hierzu vorgelegt haben, überzeugt nicht.
Eine rechtsterroristische Gruppierung zog jahrelang mordend durchs Land. Unsere Sicherheitsbehörden konnten unsere Mitbürger und Mitbürgerinnen nicht schützen. Wir müssen alles dafür tun, dass so etwas nicht mehr passiert. Der Gesetzentwurf in der Fassung der CSU zeigt, dass man aus den Fehlern der Vergangenheit nichts gelernt hat.
Vielen Dank, Frau Kollegin Schulze. – Bevor ich Herrn Staatsminister Herrmann das Wort erteile, darf ich nochmals darauf hinweisen, dass wir die namentliche Abstimmung über den vorherigen Tagesordnungspunkt im Anschluss an die Abstimmung zu diesem Gesetzentwurf durchführen. Das wird bezüglich dieser Änderungsanträge also ein etwas längerer Prozess werden.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! "Wer den Rechtsstaat zuverlässig schützen will, der muss innerlich auch bereit sein, bis an die Grenzen dessen zu gehen, was im Rechtsstaat erlaubt und geboten ist...". Dieses Zitat mit dieser Erkenntnis stammt nicht von mir, sondern vom ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt, der sich vor fast 40 Jahren der Bedrohung durch die RAF, die "Bewegung 2. Juni" und andere linksextremistische Terrororganisationen stellen musste. An anderer Stelle erklärte Schmidt weiter: "Ohne die nachrichtendienstliche Arbeit des Verfassungsschutzes in Bund und Ländern würden polizeiliche Ergebnisse zu einem erheblichen Teil vom Zufall abhängen."
Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute stehen wir erneut einer großen terroristischen Bedrohung gegenüber. Europa ist zur Zielscheibe des internationalen und transnationalen Terrorismus geworden. Skrupellose religiöse Fanatiker töten wahllos Menschen und zielen damit ganz bewusst auf unsere freiheitliche demokratische Gesellschaft. Gleichzeitig sind Rechtsextremisten mit radikaler Gesinnung und hoher Gewaltbereitschaft in unserem Land unterwegs.
Meine Damen und Herren, für die Bayerische Staatsregierung ist seit jeher klar: Jeder Bürger und jede Bürgerin in unserem Land hat ein Recht auf Sicherheit, und dieser Staat hat eine Schutzfunktion, die er bestmöglich wahrzunehmen hat. Nur wer sicher ist und sich sicher fühlt, kann seine persönliche Freiheit nutzen und sein Leben aktiv gestalten. Freiheit, lieber Herr Kollege Schindler, bedingt immer ein Mindestmaß an Sicherheit. Deshalb kann es, bei richtigem Verständnis, echte Freiheit in unserem Land ohne ein Mindestmaß an Sicherheit gar nicht geben. Es soll gerade darum gehen, die Freiheit mithilfe der Sicherheit zu gewährleisten. Darüber, glaube ich, besteht durchaus ein grundlegendes Einvernehmen zwischen uns.
Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf und den von der CSU-Fraktion empfohlenen Änderungen, die ich ausdrücklich begrüße, bekennen wir uns klar zu einem starken Verfassungsschutz. Wir haben das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz schon in den letzten zwei Jahren mit über hundert zusätzlichen Mitarbeitern personell verstärkt. Mein Dank geht auch noch einmal an den Landtag für die entsprechenden Bewilligungen im Haushalt. Nun wollen wir den Verfassungsschutz auch rechtlich auf die aktuellen Bedrohungen und Gefahren ausrichten. Der Verfassungsschutz ist für uns die vorderste Brandmauer der Gefahrenabwehr. Natürlich hat er, Frau Kollegin, auch die Aufgabe, Gefahrenabwehr zu betreiben – was denn anderes? Wir betreiben doch Verfassungsschutz nicht als Selbstzweck, um irgendwelche Erkenntnisse zu gewinnen und sie irgendwo abzuspeichern. Auch der Verfassungsschutz dient mit seiner Arbeit der Sicherheit der Menschen in unserem Land.
Wir haben die Erkenntnisse aus den Untersuchungen zu den NSU-Morden genutzt, um strukturelle Verbesserungen vorzunehmen. Es handelt sich um eine moderne, in der Tat scharf konturierte Gesetzesfassung. An vielen Stellen gibt es dynamische Verweise auf rechtsstaatliche Standards des Bundesrechts. Ich bin der festen Überzeugung, dass auf diese Weise die einheitlichen Grundsätze von Bundes- und Landesrecht leichter erkennbar werden. Transparenz und Sicherheit werden also erhöht.
Es ist schon merkwürdig, dass, nachdem dieses Bundesgesetz mit einer großen Mehrheit der Großen Koalition im Bundestag beschlossen worden ist, einige in diesem Haus – bei den GRÜNEN wundert mich das nicht, aber bei der SPD-Fraktion doch etwas mehr – es für bedenklich halten, dass wir auf genau diese, erst vor Kurzem gemeinsam in Berlin beschlossenen Grundsätze in unserem Landesgesetz Bezug nehmen. Was soll daran, bitte schön, falsch sein?
Ebenfalls in Anlehnung an das Bundesrecht schaffen wir klare Rechtsgrundlagen für die Auswahl und den Einsatz von V-Leuten. Die punktuellen Anpassungen, die wir gegenüber den Regelungen im Bundesverfassungsgesetz vorgenommen haben, sind aufgrund unterschiedlicher Aufgaben von Bundes- und Landesamt für Verfassungsschutz notwendig. Während der Bund die Priorität vor allem bei gewaltorientierten Bestrebungen setzt, kommt den Ländern die Aufgabe zu, auch die legalistischen Bestrebungen zu beobachten, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, zum Beispiel bestimmte Pegida-Ableger oder die Identitäre Bewegung Deutschland.
Lieber Kollege Schindler, es ist zwar sehr nett, wenn Sie regelmäßig die "Tagesschau" verfolgen – ich tue das auch –, aber wenn ich mir allein die Fülle von Anfragen sowohl aus Ihrer Fraktion als auch aus den Fraktionen der FREIEN WÄHLER und der GRÜNEN in den letzten zwei Jahren anschaue und diese im Hinblick auf dieses Thema immer nur damit beantworten würde, was in den letzten Sendungen der "Tagesschau" gesagt worden ist, dann hagelte es von Ihrer Seite ganz schnell Kritik nach dem Motto: Außer dem, was Sie in der "Tagesschau" erfahren, wissen Sie nichts!
Das kann doch nicht der Maßstab sein, wenn wir solche Organisationen beobachten. Natürlich gibt es auch Gruppierungen, die sich nach außen scheinbar gewaltfrei darstellen, die sich bei genauer Beobachtung jedoch als böser Wolf im Schafspelz erweisen. Damit Sie zu diesen Erkenntnissen kommen, müssen Sie aber erst einmal mit der Beobachtung beginnen.
Eine weitere Aufgabe des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz, die vom Bund nicht abgedeckt wird, ist die Beobachtung verfassungsgefährdender Tätigkeiten im Bereich der Organisierten Kriminalität. Schon seit Langem setzen wir den Verfassungsschutz gezielt auch in diesem Bereich ein, weil es nun einmal viele Überschneidungen zwischen Terrorismus, Extremismus und Organisierter Kriminalität gibt. Das ist im Übrigen in den allermeisten Ländern Europas Standard. Wir können den ausländischen Behörden mit unserem Landesamt für Verfassungsschutz auch einen Ansprechpartner auf Augenhöhe bieten. Aus gutem Grund halten wir daher an der Beobachtung der Organisierten Kriminalität durch den Verfassungs