Protokoll der Sitzung vom 20.07.2016

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 81. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.

Bevor wir nun in die Tagesordnung eintreten, darf ich noch einen Geburtstagsglückwunsch aussprechen. Heute feiert der Fraktionsvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Herr Kollege Ludwig Hartmann, Geburtstag. Im Namen des gesamten Hauses und persönlich wünsche ich ihm alles Gute und viel Erfolg für seine parlamentarischen Aufgaben. Ich gehe davon aus, dass ihm das seine Kolleginnen und Kollegen in geeigneter Weise mitteilen werden.

(Allgemeiner Beifall)

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:

Beratung der zum Plenum eingereichten Dringlichkeitsanträge

Zur gemeinsamen Beratung rufe ich auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Thomas Kreuzer, Karl Freller, Peter Winter u. a. und Fraktion (CSU) Unnötige Einschränkung der Kreditvergabe an bestimmte Verbrauchergruppen verhindern! (Drs. 17/12611)

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Hubert Aiwanger, Florian Streibl, Alexander Muthmann u. a. und Fraktion (FREIE WÄHLER) Junge Familien und Senioren bei Wohnungskrediten nicht diskriminieren (Drs. 17/12613)

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Andreas Lotte, Natascha Kohnen u. a. und Fraktion (SPD) Verbraucherschutz bei der Vergabe von Wohnungskrediten bestmöglich ausgestalten! (Drs. 17/12626)

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Erster Redner ist der Kollege Lorenz von der CSU. – Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

(Vom Redner nicht autori- siert) Sehr geehrter Herr Landtagsvizepräsident, werte Kollegen! Ich darf Sie zu dieser frühmorgendli

chen Stunde begrüßen und freue mich über all jene Kolleginnen und Kollegen, die zu diesem Thema gekommen sind.

(Allgemeiner Beifall)

Am 21. März 2016 wurde die EU-Wohnimmobilienkreditrichtlinie in ein nationales Gesetz umgesetzt. Die Intention des Gesetzgebers, Privatleute vor Überschuldung zu schützen, ist grundsätzlich begrüßenswert. Ebenso positiv ist zu vermerken, dass eine risikobewusstere Kreditvergabe auch die Kreditinstitute schützt und dem potenziellen Entstehen von Immobilienblasen vorbeugt. Aus verbraucherschutzpolitischer Sicht ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die deutschen Kreditinstitute bei der Kreditvergabe bereits bisher hohe Standards zugrunde gelegt haben und dass in Deutschland, anders als in anderen Ländern, im Zuge der Finanzkrise keine Immobilienblase durch eine zu laxe Kreditvergabe zu verzeichnen war.

Aktuelle Beispiele gibt es aus Italien, wo von einer Bankenkrise gesprochen wurde, wo von Ausfallrisiken in Höhe dreistelliger Milliardenbeträge die Rede war und wo im Raum steht, dass Vermögenswerte von 300 bis 400 Milliarden Euro im Feuer stehen. In Deutschland war dies schon immer anders. Die gesetzlichen Vorgaben in Deutschland gehen aber in einigen Bereichen deutlich über das Ziel hinaus. Kritisch ist insbesondere anzumerken, dass bei der nationalen Umsetzung der EU-Wohnimmobilienkreditrichtlinie die in Artikel 18 Absatz 3 eröffneten Spielräume für Kreditverträge, die zum Bau oder zur Renovierung einer Wohnimmobilie dienen, nicht ausgeschöpft wurden. Das heißt, die EU-Wohnimmobilienkreditrichtlinie wurde nicht eins zu eins umgesetzt, weil die bestehende Ausnahmeregelung eben nicht angewandt wurde.

Ich habe mich darüber in den vergangenen Wochen mit Experten, aber auch mit verschiedenen Kreditsuchenden unterhalten. Bereits in den ersten Wochen nach Inkrafttreten des Gesetzes hat sich gezeigt, dass sich viele Chancen von Kreditsuchenden, eine Finanzierung zu bekommen, verschlechtert haben und manche Bürger nun gar keinen Kredit mehr bekommen.

Die neuen Regelungen beinhalten weitgehende, sehr grundlegende Eingriffe in die Struktur und Vergabe von Verbraucherdarlehen in der Kreditwirtschaft und sind zudem mit einem hohen Umsetzungsaufwand verbunden. Die Kreditvergabe wird jetzt viel stärker auf das reine Einkommen und die Rückzahlungsmöglichkeit des Bürgers abgestellt. Der Wert der Immobilie wird hingegen bei der Kreditvergabe nicht mehr so stark wie früher berücksichtigt. Eventuelle künftige

Wertsteigerungen müssen gänzlich unberücksichtigt bleiben. Dies war allerdings in Deutschland schon immer der Fall. Ein sehr entscheidender Punkt ist: Auch der mögliche Verkauf der Immobilie zur Entschuldung darf von der Bank nicht mehr wie bisher als Sicherheit herangezogen werden. Zudem wird das Einkommen bzw. die Einkommensentwicklung auch noch wesentlich konservativer als bisher bewertet.

Ergo: Die Verschlechterung der Finanzierungsmöglichkeiten trifft eine ganze Reihe von unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen. Bei jungen Familien muss zum Beispiel der künftige Wegfall des Kindergeldes in einigen Jahren mit eingerechnet werden. Dass aber eine bisher mit der Kindererziehung beschäftigte Mutter auch später wieder arbeiten kann, darf natürlich nicht berücksichtigt werden.

Negativ von der Immobilienkreditrichtlinie sind insbesondere ältere Personen betroffen, die nur noch dann einen Kredit bekommen, wenn sie ihn innerhalb ihrer statistischen Lebenserwartung komplett zurückzahlen können. Hinzu kommt, dass das Gesetz von der Öffnungsklausel des Artikels 18 Absatz 3 der Richtlinie keinen Gebrauch macht. Dadurch wird der Weg verbaut, zumindest den altersgerechten barrierefreien Umbau eines Hauses oder einer Eigentumswohnung rechtssicher finanzieren zu können, wenn die Einnahmen eines Rentners zwar für die laufenden Zinsen, nicht aber für dessen vollständige Tilgung des Kredits reichen. Wenn das voraussichtlich verbleibende Restdarlehen bei der Laufzeit nicht bei Weitem durch den Wert der Immobilie abgedeckt ist, ist nach den neuen Regelungen eine Finanzierung unter Inanspruchnahme der grundpfandrechtlichen Regelungen nicht mehr zulässig.

Das bedeutet, dass beispielsweise ein einzelner Bürger, selbst wenn er ein Haus im Wert von 1 Million Euro besitzt, möglicherweise nicht mehr einen Kredit von 100.000 Euro aufnehmen kann, um einmalige Kosten für einen altersgerechten Umbau, geschweige denn für Reparaturen oder Instandsetzungsmaßnahmen zu decken. Der Senior mit geringer Liquidität kann dadurch faktisch gezwungen werden, sein Haus zu verkaufen. Dies widerspricht unserem politischen Ziel, den Verbleib älterer Menschen in ihrem Eigenheim nach Möglichkeiten zu unterstützen.

Einschneidende Konsequenzen aus der Verschärfung der gesetzlichen Vorgabe für Kreditvergaben können sich zudem für diejenigen Kreditnehmer ergeben, deren ursprünglicher Kreditvertrag noch vor Inkrafttreten des nationalen Umsetzungsgesetzes der Wohnimmobilienkreditrichtlinie abgeschlossen wurde, sobald der Kreditvertrag zur Prolongation ansteht. Daher sollte geprüft werden, ob es bezüglich der Anschlussfi

nanzierung bei Altfällen Übergangsregelungen gibt und ob der Ursprungskreditnehmer dann wieder einen Kredit erhält, wenn er unter den alten Regelungen schon einen erhalten hat.

Im Ergebnis verlieren insbesondere Verbrauchergruppen, die zwar Immobilienvermögen besitzen, aber nur über geringe laufende Einnahmen verfügen, ihre Kreditwürdigkeit. Dies schränkt die Kreditvergabe an Bürger bei altersgerechten Umbaumaßnahmen, bei der Altersvorsorge durch selbst genutztes Wohneigentum, die Kreditaufnahme für Konsumzwecke sowie die Anschlussfinanzierung in vielfältiger Weise ein.

Es zeigt sich zudem, dass eine unnötige Beschränkung der Vergabe von Immobilienkrediten aus wirtschaftspolitischen Gründen problematisch erscheint, da sich hierdurch negative Nachfrageimpulse zum Beispiel für die Bauwirtschaft und das Handwerk ergeben.

Ich habe mich daher bereits am 29. Mai 2016 mit einem Brief an den Bayerischen Ministerpräsidenten gewandt und ihn gebeten, sich dieses Themas anzunehmen, beispielsweise durch eine Bundesratsinitiative mit dem Ziel, die restriktive deutsche Umsetzung der EU-Richtlinie abzumildern. Darüber wurde, wenn auch in geringem Umfang, schon berichtet. Auch viele Kollegen, die beispielsweise in Aufsichtsräten der Stadtsparkassen sitzen, haben sich dieses Themas selbstverständlich ebenfalls angenommen und sind in der gleichen Zielrichtung bereits aktiv geworden.

Die Staatsregierung war auch nicht untätig. Sie hat sich bereits im Bundesrat dafür eingesetzt, dass nur diejenigen Verbraucher von Krediten ausgeschlossen werden sollen, bei denen weder aufgrund der persönlichen Verhältnisse noch unter Berücksichtigung der Immobilie von einer Rückzahlung ausgegangen werden kann, sodass die Kreditvergabe an bestimmte Zielgruppen, zum Beispiel Familien und Senioren, nicht unnötig eingeschränkt wird. Dabei wurde auch darauf hingewiesen, dass die Wohnimmobilienkreditrichtlinie aus guten Gründen die Möglichkeit vorsieht, bei Renovierungen auch dann einen Kredit zu gewähren, wenn er hauptsächlich auf den Wert der Immobilie gestützt ist. Ich darf hierzu auf die Bundesratsdrucksache 359/15 verweisen.

Die Bundesregierung jedoch sah keinen Spielraum für Änderungen an dem ursprünglichen Gesetzentwurf. Sie verwies darauf, dass die Verschärfung der Bestimmungen der Kreditwürdigkeitsprüfung erklärtes Ziel der Wohnimmobilienkreditrichtlinie ist, da den sich aus der Finanzkrise ergebenden Erkenntnissen Rechnung getragen und eine unverantwortliche Kreditvergabe erschwert werden soll.

Das Wirtschaftsministerium steht, was die Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie angeht, in engem Austausch mit Vertretern der bayerischen Wirtschaft. So hat sich Staatsministerin Aigner nach der Diskussion zur Thematik anlässlich der Frühjahrssitzung der "Finanzplatz München Initiative" mit Schreiben vom 29. Juni 2016 bereits an die Bundesminister Gabriel und Maas gewandt, um eine Korrektur des Umsetzungsgesetzes zu fordern, sodass künftig nur noch jene Verbraucher von Krediten ausgeschlossen werden, bei denen weder aufgrund der persönlichen Verhältnisse noch unter Berücksichtigung der Immobilie von einer Rückzahlung ausgegangen werden kann. Eine Rückantwort ist bisher noch nicht erfolgt.

(Zuruf von der SPD)

Anfang Juli haben sich dann die Industrie- und Handelskammer, der Arbeitsgemeinschaft der bayerischen Handwerkskammern, der Bankenverband, der Genossenschaftsverband und der Sparkassenverband mit einem gemeinsamen Positionspapier zum Umsetzungsgesetz der EU-Wohnimmobilienkreditrichtlinie an politische Vertreter gewandt. Dies haben die Fraktionen vermutlich zum Anlass genommen, verschiedenste Dringlichkeitsanträge zu diesem Thema zu stellen. Ich habe beispielhaft die Aktivitäten genannt, die hier in den vergangenen Wochen und Monaten bereits unternommen wurden, um zu zeigen, dass dieses wichtige Thema in der Politik angekommen ist.

Der Dringlichkeitsantrag der CSU dokumentiert zum einen unsere Haltung, zum anderen fordert er die Staatsregierung durch einen formalen Beschluss auf, auf eine Änderung des deutschen Umsetzungsgesetzes hinzuwirken, wenngleich sie das – wie eben dargestellt – bereits ohnehin tut.

Unser Antrag ist gegenüber den Anträgen der anderen Fraktionen unserer Meinung nach natürlich der sinnvollste,

(Zuruf von der SPD)

weil er die Intention klar aufzeigt. Das ist zum Beispiel bei dem Antrag der SPD nicht der Fall; dieser zielt ausdrücklich auf das Thema Verbraucherschutz ab. Aber dass die Kredite doch wesentlich eingeschränkt werden und welche Ziele zu verfolgen sind, wird dort sehr, sehr wenig ins Auge gefasst.

Der Antrag der FREIEN WÄHLER hingegen geht so weit ins Detail, dass wir diesem auch nicht nähertreten wollen,

(Bernhard Pohl (FREIE WÄHLER): Überfordert?)

um den weiteren Verhandlungen mit der Bundesregierung nicht zu sehr vorzugreifen.

Wir möchten Sie daher bitten, unseren Antrag zu unterstützen. Ich freue mich auf die weitere Beratung im parlamentarischen Fortgang.

(Beifall bei der CSU)

Danke, Herr Kollege. Als Nächster hat Herr Kollege Muthmann von den FREIEN WÄHLERN das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Lorenz, jetzt vor der Sommerpause wäre schon einmal Gelegenheit gewesen, von den üblichen Gepflogenheiten der CSU ein wenig Abstand zu nehmen und zu sagen, dass das, was Sie in Ihrem Antrag heute hier vorgelegt haben, und das, was unser Antrag zum Inhalt hat, im Kern die gleiche Zielrichtung verfolgen.

Wir sollten diese Thematik zusammen mit einem eindeutigen und breiten Votum des Bayerischen Landtags in Berlin vorstellen, um die gesetzgeberischen Fehler entsprechend zu korrigieren. Leider haben Sie diese Chance der Kooperation und einer vernünftigen Zusammenarbeit auch heute wieder nicht genutzt. Es ist schade, dass Sie nicht in der Lage sind, an dieser Stelle einmal zu sagen: Was Sie wollen und was wir wollen, ist politisch-inhaltlich das Gleiche; deswegen machen wir das auch zusammen. Wir jedenfalls haben keine Probleme damit, auch Ihren Antrag zu unterstützen.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Herr Lorenz hat gesagt, dass wir seit dem 21. März eine veränderte Rechtslage haben, insbesondere einen § 505b Abs. 2 BGB, der regelt,

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

dass bei Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträgen der Darlehensgeber die Kreditwürdigkeit auf der Grundlage notwendiger, ausreichender und angemessener Informationen zu Einkommen, Ausgaben sowie anderen finanziellen und wirtschaftlichen Umständen des Darlehensnehmers eingehend zu prüfen hat. Daran besteht ja auch kein Zweifel; das ist eine pure Selbstverständlichkeit.

Dann gibt es aber einen Satz 3, der besagt, dass die Kreditwürdigkeitsprüfung nicht hauptsächlich darauf gestützt werden darf, dass der Wert des Grundstücks, des Gebäudes oder grundstücksgleicher Rechte vo

raussichtlich zunimmt oder den Darlehensbetrag übersteigt. Das ist eben das Problem, weil die Richtlinie, die damit umgesetzt werden soll, den Zusatz enthält: "es sei denn, der Kreditvertrag dient zum Bau oder zur Renovierung der Wohnimmobilie." Davon hat der Bundesgesetzgeber bedauerlicherweise und fälschlicherweise keinen Gebrauch gemacht.