Protokoll der Sitzung vom 08.12.2016

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Erstens. Es fällt dem Mitglied einer Partei, die seit 153 Jahren für die Freiheit des Einzelnen da ist, für sie kämpft, deren Mitglieder mehrfach gegen die Nazis gestimmt haben, die einen Wilhelm Hoegner in ihren Reihen hatten, der im Reichstag und im Bayerischen Landtag – er hatte zwei Mandate – gegen die Ermächtigung der Nazis gestimmt hat,

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

schwer, bei den Worten des Mitglieds einer Partei ruhig zu bleiben, deren politische Vorgänger damals diesen Mut nicht hatten. Von Ihnen müssen wir uns das nicht sagen lassen. Von Ihnen nicht!

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Zweitens ist beim Einwand von Herrn Dr. Goppel, wir seien schon halb somalisch, zu fragen: Wo leben Sie eigentlich, wenn Sie das so verstehen?

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Aber ich will eigentlich zur Präambel dieses Gesetzchens reden. Wie Sie selbst in der Begründung zu dem Gesetzentwurf schreiben, ist es nichts Gewöhnliches, dass einem Gesetz, noch dazu einem kleinen Gesetz mit 19 Artikeln, eine Präambel vorangestellt wird: "Präambeln sind in einfachen Gesetzen nicht üblich und nach allgemeinem Usus... den Verfassungen... vorbehalten." Siehe Bayerische Verfassung und siehe Grundgesetz.

Jetzt bin ich mir nicht ganz sicher, aber ich behaupte einmal, dass seit 70 Jahren, seit dem 1. Dezember 1946, in Bayern kein Gesetz mehr beschlossen

worden ist, dem eine Präambel vorangestellt wurde. Kein einziges. Wollen Sie denn dieses Gesetzchen mit seinen 19 Artikeln wirklich auf die gleiche Stufe heben wie die ehrwürdige Bayerische Verfassung, die genau heute vor 70 Jahren in Kraft getreten ist? Halten Sie das nicht auch für ein bisschen deplatziert und anmaßend, meine Damen und Herren?

(Lebhafter Beifall bei der SPD – Beifall der Abge- ordneten Claudia Stamm (GRÜNE))

Aber nun zum Inhalt dieser Präambel. Schon im Vorblatt des Gesetzentwurfs wird die Präambel zur Bayerischen Verfassung vergewaltigt, wenn in Absatz 2 geschrieben wird:

Aufgebaut auf dem Trümmerfeld, zu dem eine Staats- und Gesellschaftsordnung ohne Gott, ohne Gewissen und ohne Achtung vor der Würde des Menschen die Überlebenden des Zweiten Weltkriegs geführt hatte, entstand... das moderne Bayern...

Sie wissen genau, wie die Ursprungsfassung lautet: nicht "aufgebaut auf", sondern:

Angesichts des Trümmerfeldes … gibt sich das Bayerische Volk, eingedenk seiner mehr als tausendjährigen Geschichte, nachstehende demokratische Verfassung.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Das war damals der Ausdruck von Demut angesichts der Geschichte, die zu einem Trümmerfeld geführt hat, und Sie tun jetzt in einem parteiischen Hochmut – anders kann man es nicht bezeichnen; dort, wo die Verfassungsmütter und -väter 1946 noch Demut hatten, haben Sie jetzt parteiischen Hochmut – so, als stünde es Ihnen, ausgerechnet Ihnen, zu, eine Kultur für dieses Land insgesamt vorzugeben. Das können Sie schon wollen. Man muss Sie aber daran erinnern, dass Sie auch nur eine Partei sind, nur eine von vielen, und dass noch jede Partei auf der Welt, die sich angemaßt hat, mehr zu sein als nur eine Partei und das Ganze darstellen zu wollen, gescheitert ist, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der GRÜ- NEN – Zurufe von der SPD: Bravo!)

Nun komme ich zum Inhalt dieser Präambel. Da werden Begrifflichkeiten verwendet, die eigenartig sind, und Sätze geschrieben, die einerseits banal, andererseits aber auch eigenartig formuliert sind. Die Präambel insgesamt trieft aber vor Ideologie, und die Begrifflichkeiten sind historisch ungenau und in ihrer Tendenz – das sage ich noch einmal – anmaßend. Da

ist die Rede von der deutschen Nation, als sei es ganz klar, was das eigentlich ist. Was bitte schön ist die deutsche Nation nach heutigem Verständnis, nach dem Verständnis von vor 80 Jahren und nach dem Verständnis von vor 500 Jahren? Was ist deutsche Nation? – Da müsste man ein bisschen genauer definieren, was damit im Kern gemeint ist.

Dann reden Sie von einem gemeinsamen christlichen Abendland und dem jüdischen Beitrag zur Identität dieses gemeinsamen christlichen Abendlands. Meine sehr verehrten Damen und Herren, da kann man nur noch polemisieren. Wo bitte schön ist das Abendland, kann man zunächst mal fragen. Geografisch?

(Zuruf des Abgeordneten Erwin Huber (CSU))

Sie haben ja keine Ahnung, Herr Kollege Huber. – Wo bitte schön ist das Abendland?

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der SPD: Bravo!)

Das ist eine Frage des Standorts, des Standpunkts. Wenn ich in Amerika bin, liegt das Abendland in Hawaii und wir sind das Morgenland.

Meine Damen und Herren, was ist das gemeinsame christliche Abendland?

(Unruhe – Glocke der Präsidentin – Dr. Florian Herrmann (CSU): Das ist ja peinlich! – Oliver Jörg (CSU): Wie können Sie sich so blamieren?)

Ich darf das sagen, weil ich katholisch bin und hochdekorierter Oberministrant.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Was ist das gemeinsame christliche Abendland? Das Christentum ist schon in sich ausgesprochen differenziert. Es ist nicht so, dass es nur ein Christentum gäbe. Es gibt viele Ausprägungen des Christentums. Dazu gehört die Orthodoxie in Griechenland, im Morgenland mit Verlaub. Das ist nicht Abendland. Bulgarien ist nicht das Abendland, sondern das ist das Morgenland. Dazu gehören die Evangelikalen in den USA. All das ist Christentum, und da gehören viele Ausprägungen in Afrika dazu.

Herr Kollege, achten Sie bitte auf die Zeit.

(Markus Blume (CSU): Abenteuerlich!)

Was also ist das christliche Abendland, meine Damen und Herren? Das mögen Sie als Abendland bezeichnen – –

Herr Kollege, Ihre Zeit ist leider vorbei.

Wenn Sie mir noch einen Satz gestatten?

(Widerspruch bei der CSU)

Gut, ich sehe es ein, dass ich mich an die Regeln zu halten habe; aber es scheint eine Zwischenbemerkung zu geben.

(Abgeordneter Florian von Brunn (SPD) meldet sich zu einer Zwischenbemerkung)

Nein, es kann keine Zwischenbemerkung aus der gleichen Fraktion geben.

(Zurufe von der CSU: Oh!)

Aber ich bin mir sicher: Sie finden noch Gelegenheit, sich weiterhin zu Wort zu melden. Danke schön, Herr Kollege Schindler.

(Anhaltender Beifall bei der SPD – Zurufe von der SPD: Bravo!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Frist für die Bekanntgabe der Abstimmung ist noch nicht abgelaufen.

Ich kann Ihnen bekannt geben, die SPD hat eine Erklärung zur Abstimmung nach § 133 unserer Geschäftsordnung angekündigt. Diese Erklärung zur Abstimmung erfolgt jetzt gleich durch Herrn Rinderspacher. Er hat fünf Minuten Zeit. Bitte schön, Herr Rinderspacher.

(Markus Blume (CSU): Sie waren gar nicht da! – Heiterkeit bei der CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Es ist schön, dass Sie so guter Laune sind. Wir sind es auch, wie Sie bemerken. Aber, Herr Staatsminister Huber, es geht gar nicht, dass Sie sich hier bei diesem wichtigen Thema der Behandlung der Präambel des Integrationsgesetzes nicht zu Wort melden.

(Beifall bei der SPD)

Es kann doch wohl nicht wahr sein, dass der Fraktionsvorsitzende heute hier ankündigt, man würde sich intensiv an der Debatte beteiligen.