Protokoll der Sitzung vom 08.12.2016

Kollege Dünkel hat im Bildungsausschuss seitenweise aus dem Grundsatzprogramm der CSU zitiert, um uns diesen Begriff zu erläutern. Soll es in Zukunft denn so sein, dass die Gerichte das Grundsatzprogramm der CSU lesen müssen, wenn sie diesen Begriff auslegen müssen?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ist das Ihr Staatsverständnis? Ist das Ihr Verständnis von Politik? – Nein, dieser Begriff der Leitkultur ist gefährlich, weil er in der Anwendung willkürlich ist.

(Unruhe bei der CSU – Glocke der Präsidentin)

Er grenzt aus. Er suggeriert, dass Menschen nicht dazugehören, ohne dass es eine klare Aussage gibt, worin dieses Nichtdazugehören eigentlich liegt, was dies eigentlich ausmacht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, deswegen geht es einfach darum, diesen Begriff zu hinterfragen, weil Kultur nie klar normierbar ist. Kultur ist immer etwas, das im Zusammenleben, in der Kommunikation zwischen den Menschen entsteht, das Vereinbarung ist, das aber auch ständig veränderbar ist. Der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke hat gesagt: Kultur ist etwas Vereinigendes. Kultur ist etwas, das nie fertig ist und das stets im Fluss ist und viele Manifestationen hat. Deswegen ist dieser Begriff für eine gesetzliche Normierung ungeeignet. Wir brauchen ihn nicht.

Ich möchte noch etwas zu Ihrer Formulierung sagen: "Ganz Bayern ist geformt von gewachsenem Brauchtum, von Sitten und Traditionen." Sie müssen mir über Kultur und Traditionen nichts erzählen. Ich mache seit 50 Jahren Volksmusik, und ich werde nächste Woche wieder bei einem Weihnachtssingen mitmachen, das wir seit 50 Jahren veranstalten. Da geht es aber nicht um etwas Normiertes. Das ist nichts, was jedes Jahr einfach kommt. Jedes Jahr entscheiden wir: Wir machen das; wir machen das zusammen. Wir freuen uns über alle, die mitmachen; aber keiner muss mitmachen. Kultur ist ein Angebot zur Teilhabe, Kultur ist ein Angebot zum Mitmachen, aber nichts, was andere ausschließt und andere ausgrenzt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Was macht denn unser Miteinander in Bayern aus? Der gemeinsame Dialekt? – Wenn ich Dialekt sprechen würde, würden Sie mich wahrscheinlich nicht verstehen. – Die gemeinsame Tracht? Das gemeinsame Essen? – Nein, die Vielfalt in diesem Land macht es aus. Vor allem macht es aus, dass wir alle im Freistaat Bayern leben. Das macht es aus. Was diesen Freistaat Bayern ausmacht und was dieses Miteinander ausmacht, steht in der Bayerischen Verfassung, die wir lieben und die wir wieder öfter lesen müssen. In Artikel 100 steht:

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

An diesem Punkt geht es schon los. Dieses Gesetz versagt eigentlich schon an diesem Artikel, weil es

Menschen zweier Kategorien, zweier Rechtsbegriffe schafft. Das betrifft Artikel 100. Artikel 101 sagt:

Jedermann hat die Freiheit, innerhalb der Schranken der Gesetze und der guten Sitten alles zu tun, was anderen nicht schadet.

(Zuruf von der CSU: Gute Sitten! Das ist ein un- bestimmter Rechtsbegriff!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist die bayerische goldene Regel. Das macht unser Zusammenleben aus. Daran sollten wir uns halten, nicht an diesen unbestimmten Begriff.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Es gibt viele Gründe, warum man gegen dieses Gesetz sein kann, warum Sie es besser zurückziehen sollten. Es ist juristisch, verfassungsrechtlich nicht in Ordnung. Es schafft zweierlei Recht. Es gibt inhaltliche und sprachliche Begriffe. Es gibt eben den unseligen Begriff der Leitkultur. Immanuel Kant hat Politik einmal als Kunst bezeichnet, als Kunst der Klugheit. Tatsächlich wäre es ein Gebot der Klugheit, diesen Gesetzentwurf zurückzuziehen, weil dieser unselige Begriff der Leitkultur nur stört. Er spaltet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, gemeinsam gewinnen wir.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Danke schön, Herr Kollege Gehring. – Unser nächster Redner ist Herr Kollege Dr. Fahn. Bitte schön.

(Markus Rinderspacher (SPD): Wie oft sehen und hören wir Sie heute noch?)

– Noch acht Mal.

(Markus Rinderspacher (SPD): Respekt!)

Sehr geehrte Präsidentin, meine Damen und Herren! Braucht dieses Gesetz überhaupt eine Präambel? – Grundsätzlich nicht. Es ist zu verstehen, dass das Grundgesetz und die Bayerische Verfassung eine Präambel haben, aber hier ist es, soweit ich weiß, das erste Mal, dass ein Gesetz, das keine Verfassung ist, eine Präambel bekommen soll. Bisher sind vielleicht 6.000 Gesetze im Bayerischen Landtag verabschiedet worden. Alle haben keine Präambel.

Außerdem gibt es auch noch das Integrationsgesetz des Bundes. Dadurch ist das Bayerische Integrationsgesetz gar nicht so spektakulär, wie vielleicht manche in diesem Haus vermuten.

Allerdings kann man auch sagen: Eine Präambel schadet nicht. Okay, dann sagt man damit: Uns ist es ganz wichtig. Aber – das habe ich vorhin auch gesagt – wenn uns die Integration so wichtig ist, wenn uns die Präambel so wichtig ist, dann hätten wir die Arbeit der Enquete-Kommission "Integration" noch abwarten müssen. Das sage ich immer wieder. Es nicht zu tun, ist ein großer Fehler. Wir diskutieren in der EnqueteKommission. Sie macht dann konkrete Vorschläge. Diese sollten wir auf jeden Fall noch abwarten.

Nun zur Leitkultur. Die Verbände sind ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Meinung in Bayern. Das muss sich dann auch in einem Gesetz wiederfinden. Dazu gibt es – das ist bekannt, man muss es hier aber trotzdem sagen – eine Schriftliche Anfrage von mir. Darin ging es um die Position der Verbände zum Begriff "Leitkultur". Dazu gab es viele Antworten, aber alle Verbände haben durchgehend gesagt: Diesen Begriff "Leitkultur" wollen wir nicht, lehnen wir ab. – Das ist zunächst einmal nicht die Meinung der FREIEN WÄHLER. Wir haben uns erst einmal sachkundig gemacht.

Der Landeskirchenrat sagt, es sei fraglich, ob es Recht und Aufgabe eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats sein könne, eine Leitkultur vorzugeben.

Die Industrie- und Handelskammern schreiben genau dasselbe.

Oder der BLLV, der Lehrerverband: Da der Begriff nicht hinreichend klar sei, könne Leitkultur auf dem Schulhof, im Klassenzimmer oder beim Elternabend schnell zu einem politischen Kampfbegriff werden.

Auch der Bayerische Jugendring sagt, eine Leitkultur sei nicht bestimmbar, unterliege einem stetigen Wechsel, sei politisch schwer zu vermitteln und werde eher als Abgrenzung wahrgenommen.

Und dann achten wir natürlich immer darauf, was die kommunalen Spitzenverbände sagen. Alle kommunalen Spitzenverbände haben gesagt, der Gesetzentwurf werde von einer unklaren Definition einer Leitkultur geprägt.

Das Katholische Büro Bayern teilt mit, der Begriff "Leitkultur" sei unglücklich gewählt, da er bei den Migranten negativ besetzt sei.

Danach müsste man sagen: Klar, Streichung des Begriffs "Leitkultur".

Aber jetzt ist interessant, was führende CSU-Politiker bei öffentlichen Auftritten dazu sagen.

Staatsministerin Emilia Müller – sie ist ja anwesend – sprach bei einem Vortrag beim Bayernbund oder der Hanns-Seidel-Stiftung von der Würde des Menschen, der Freiheit der Person, der Gleichheit und Gleichberechtigung aller Menschen und dem Recht jedes Einzelnen auf ein selbstbestimmtes Leben. Da sage ich: Gut, das kann ich unterstützen, aber warum muss man immer noch "Leitkultur" voranstellen?

Oder Martin Neumeyer: Er hat bei der Anhörung gesagt, Pluralismus, Toleranz, Vernunft vor Offenbarung, Grundgesetz und Bayerische Verfassung – all das sei unsere Leitkultur.

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Da sage ich: Ich stimme zu, aber man braucht diese Überschrift "Leitkultur" nicht.

Ich diene jetzt noch einmal mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber. Das interessiert Sie ja immer ganz besonders. Er sagte beim politischen Aschermittwoch im Jahr 2015, die Leitkultur seien die ersten 20 Artikel des Grundgesetzes. Da sage ich: Das stimmt, aber man braucht nicht immer wieder dieses Wort "Leitkultur" als Überbegriff.

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Ich meine, das schadet der Sache. Wir sagen auch: Die Leitkultur ist ein Problem. Das ist völlig einmütig bei den FREIEN WÄHLERN insgesamt so.

Zum Schluss – ich könnte noch mehr dazu sagen, wir haben ja noch viel Zeit –: "Der Neue Tag", eine Zeitung aus Weiden, berichtete am 1. Juli von einer Veranstaltung im Landtag, bei der selbst Landtagspräsidentin Barbara Stamm ins Schwimmen geriet, als sie den Begriff erläutern sollte.

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Sie sagte nicht, was die Leitkultur ist, sondern ihre Antwort waren wieder Fragen: Wo sehen wir uns selbst? Oder: Wie schaut unser Zusammenleben aus?

Der Begriff "Leitkultur" führt also immer in eine Sackgasse. Er soll allein suggerieren, dass sich Migranten unter Aufgabe ihrer Identität assimilieren müssen. Reinhard Erös, Gründer der Kinderhilfe Afghanistan, brachte es bei dieser Veranstaltung auf den Punkt, als er sagte, wir müssten wissen, wie die Migranten ticken.

Deshalb ist ganz klar: "Leitkultur" ist ein schwieriger Begriff, den man lieber streichen sollte. Die Erläuterungen, die führende CSU-Politiker geben, sind auch

völlig in unserem Sinne, aber nicht unter der Überschrift "Leitkultur".

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Danke schön, Herr Kollege Dr. Fahn. – Ich gebe bekannt, dass CSU und SPD namentliche Abstimmung zur Präambel beantragt haben. Unser nächster Redner ist der Kollege Schindler. Bitte sehr, Herr Schindler.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere Herr Kollege Blum!

(Zurufe von der CSU: Blume! – Thomas Kreuzer (CSU): Was ist mit euch los? Ihr wisst schon um diese Zeit die Namen nicht mehr?)