Herr Kollege Blume, ich habe mich gemeldet, als Sie uns oder zumindest der linken Seite vorgeworfen haben, dort säßen die Feinde der offenen Gesellschaft.
Lieber Herr Blume, nehmen Sie zur Kenntnis – das meine ich ernst –, dass wir dafür von Ihnen keine Nachhilfe brauchen.
Für eine offene Gesellschaft haben Sozialdemokraten in diesem Hohen Haus ihr Leben gelassen. Es ist eine bodenlose Unverschämtheit, die Sie hier an den Tag legen. Dafür brauchen wir von Ihnen keine Nachhilfe.
(Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: Schä- men Sie sich! – Gegenrufe von der CSU – Unru- he – Glocke der Präsidentin)
Sie haben hier ganz empathisch eine Reihe von Selbstverständlichkeiten zum Besten gegeben. Wir werden die Grundordnung dieses Landes nach Grundgesetz und Verfassung respektieren. Dazu brauchen wir nicht Ihre Aufforderung. Aber Sie haben es erneut nicht geschafft, die von Ihnen sogenannte bayerische Leitkultur zu definieren.
Es wäre schön, wenn Sie endlich dazu kämen zu definieren, was über das Grundgesetz und über die Verfassung hinaus zur bayerischen Leitkultur gehören soll, wozu wir die Zuwanderer verpflichten sollen. Diese Frage ist bis heute nicht beantwortet. Deswegen gibt es auch diese Debatte, lieber Herr Kollege Blume.
Wer genau diejenigen in Europa, die eine offene Gesellschaft, Liberalität und Freiheitswerte mit den Füßen treten, hier nach Bayern einlädt, nämlich die Orbáns und Kaczynskis dieser Welt, hat jede Glaubwürdigkeit verloren, wenn er hier empathisch für eine offene Gesellschaft kämpft.
Lieber Kollege Pfaffmann, ich habe größte Hochachtung vor den Sozialdemokraten alter Schule, auf die Sie eben Bezug genommen haben.
Sie fordern mich hier auf, etwas zu definieren, was überhaupt nicht Gegenstand dieses Gesetzes ist. Wir haben aus guten Gründen gesagt: Wir definieren keine bayerische Leitkultur, auch keine deutsche und auch keine europäische, weil viele Elemente Teil dieser Leitkultur sind.
Ein Weiteres – und das ist vielleicht grundsätzlich –: Wenn es damals in der Verfassunggebenden Versammlung – erlauben Sie das Wort – solche Kleingeister wie Sie gegeben hätte, wäre das Wort Menschenwürde nie ins deutsche Grundgesetz gekommen;
denn am Ende geht es dabei um ein Konzept. Es geht um ein Konzept, das sich im Laufe der Zeit, der Jahrzehnte natürlich auch entwickeln muss, das sich auch verändert, das gefüllt werden muss und das am Ende nur deshalb Qualität hat, meine Damen und Herren, weil es gelebt wird. Genau dies, meine Damen und Herren, zeigen wir in der Präambel des Integrationsgesetzes sehr deutlich auf. Leitkultur ist nichts, was wir verordnen; Leitkultur ist etwas, das hier in diesem Land gelebt wird und das aus unserer Sicht geschützt werden muss.
Ein Letztes zu den Feinden der offenen Gesellschaft: Ich glaube, wir müssen darauf achten, dass die offene Gesellschaft nicht an sich selbst, an ihrer Offenheit scheitert, die fehlinterpretiert ist, wenn man glaubt, offene Gesellschaft heiße absolute Beliebigkeit.
Deswegen muss ich Ihnen ganz klar sagen: Ich stelle mich hier hin und sage, dass auch diejenigen die Feinde der offenen Gesellschaft sind, die ihre falschen Freunde sind. Wenn es Ihnen damit besser geht, dann sind Sie eben ein falscher Freund der offenen Gesellschaft. Sie leisten ihr einen Bärendienst.
Herr Blume, Sie hatten viele Ausführungen zur Leitkultur gemacht. Mich interessiert trotz alledem: Wie soll diese denn letztlich auch überprüft und festgeschrieben werden? Wird es eine Verwaltungsanordnung mit einem Katalog geben, in dem dann der Pelzemärtel, die Weißwurst, das Dirndl oder der Christopher-Street-Day stehen?
Wie soll man denn jemand auf die Leitkultur verpflichten, wenn nirgends definiert ist, was sie ist, und vor allem, wie soll zum Beispiel überprüft werden, ob Rundfunk und Medien der Leitkultur gerecht werden? Gibt es dann einen Ausschuss oder ein Komitee? Ich habe bisher kein einziges Gesetz gesehen, das einen so undefinierten Rechtsbegriff enthält. Vielleicht können Sie ausführen, wie das verwaltungsmäßig gehandhabt werden soll.
Liebe Frau Kollegin, ich finde die ersten zwölf Sätze unglaublich konkret. Übrigens, Herr Kollege Pfaffmann: Die ersten zwölf Sätze finden sich in der Bayerischen Verfassung gerade nicht, jedenfalls nicht mit jedem dieser Punkte, und auch nicht im deutschen Grundgesetz, weil beide Verfassungen in einer Zeit entstanden sind, als es darum ging, Abwehrrechte des Bürgers gegenüber dem Staat zu definieren, in der sich aber niemand vorstellen konnte, dass es einmal notwendig sein wird, auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt in einer Zeit wie der unsrigen zu sichern.
Deswegen ist es völlig realitätsvergessen zu sagen, es reicht, jedem die Verfassung unter den Arm zu klemmen. Das regelt eben nicht abschließend das Zusammenleben in unserem Lande. Deswegen wollen wir dafür streiten, dass Integration an Leitkultur orientiert wird. Ich glaube, man kann das sehr konkret machen, und ich hoffe, ehrlich gesagt, Frau Kollegin, dass das auch in Integrationskursen stattfindet: dass diese ersten zwölf Sätze dort auch Gegenstand der Orientierungshilfe sind, um sich in unserem Land zurechtzufinden. Zu all Ihren weiteren Fragen, Frau Kollegin, haben wir im Integrationsgesetz Artikel, nämlich um aufzuzeigen, wie denjenigen, die zu uns kommen, tatsächlich Orientierung gegeben werden soll – ent
Danke schön, Herr Blume. – Die nächste Wortmeldung kommt vom Kollegen Gehring. Bitte schön, Herr Gehring.
Verehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Man fragt sich schon, warum zu einem solchen Gesetz eine Präambel wie bei einer Verfassung geschrieben wird. Wenn man sich diese Präambel ansieht, sieht man sehr schnell Sätze, die natürlich richtig sind und die jeder teilen kann, der hier sitzt. Diese Sätze finden wir zum Teil auch in der Verfassung. Es handelt sich aber um eine Aufzählung von Werten, die – wie Sie selbst festgestellt haben – unvollständig ist. Sie selbst mussten noch einen Änderungsantrag einbringen, um in das Gesetz neben dem christlichen Abendland die Trennung von Staat und Kirche hineinzuschreiben. So findet man eine ganze Reihe von Werten und Normen, die man noch ergänzen müsste. Wenn man schon vom christlichen Abendland spricht, müsste man vielleicht auch von den morgenländischen Philosophen sprechen, die uns die Schriften der alten Griechen überlieferten, auf denen wir noch heute aufbauen.
Wir müssten auch über die Anerkennung von Vielfalt in unserer Gesellschaft oder der Vielfalt der Lebensformen sprechen. Man müsste auch über sexuelle Selbstbestimmung sprechen. All das fehlt in Ihrer Präambel. Sie ist einfach unvollständig. Sie ist vielleicht gut gemeint, aber sie hat eigentlich nur einen Zweck: nämlich dass am Ende auf die Leitkultur hingeführt wird, dass am Ende der komische Begriff der Leitkultur genannt wird, der dann Zweck dieses Gesetzes sein soll und der in diesem Gesetz schemenhaft immer wieder auftaucht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Begriff der Leitkultur ist ein unbestimmter Begriff, der in einem Gesetz nichts verloren hat; er ist diffus. Weil er diffus ist, ist er gefährlich. Er grenzt aus. Er spaltet. Er ist willkürlich. Er ist nicht klar, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Kollege Dünkel hat im Bildungsausschuss seitenweise aus dem Grundsatzprogramm der CSU zitiert, um uns diesen Begriff zu erläutern. Soll es in Zukunft denn so sein, dass die Gerichte das Grundsatzprogramm der CSU lesen müssen, wenn sie diesen Begriff auslegen müssen?