Protokoll der Sitzung vom 08.12.2016

Artikel 5 "Vorschulische Sprachförderung"

hierzu:

Änderungsantrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Doris Rauscher, Hans-Ulrich Pfaffmann u. a. und Fraktion (SPD) hier: Nummer 6 (Drs. 17/13211)

Die Gesamtredezeit beträgt 24 Minuten. Erster Redner ist Herr Kollege Vogel.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind uns sicherlich darüber einig, dass die vorschulische Sprachförderung ein wichtiger, ja entscheidender Punkt für das Gelingen von Integration ist. Dies gilt gerade für die zu uns kommenden jungen Menschen mit Fluchterfahrung. Deshalb bin ich der Staatsregierung sehr dankbar dafür, dass sie in ihrem Gesetzentwurf der vorschulischen Sprachförderung einen eigenen Artikel gewidmet hat. Der Artikel 5 spiegelt vieles von dem wider, was bereits im BayKiBiG bzw. in der zugehörigen Ausführungsverordnung normiert ist. Das BayKiBiG gilt aber nur für die Einrichtungen, die auch staatliche Förderung erhalten. Aber auch die Einrichtungen, die keine staatliche Förderung erhalten, sollen den Spracherwerb der Jüngsten fördern. Deshalb ist es wichtig, dass wir eine weitere Verpflichtung nicht nur für Kindergärten, die eine Förderung vom Staat erhalten, sondern für alle Einrichtungen, die Kinder betreuen, in dieses Integrationsgesetz aufgenommen haben. Sie sollen die Sprache als Schlüssel zur Integration fördern.

Die Sprachstandsfeststellungen sind neu eingeführt worden. Ich halte es für wichtig, dass man eineinhalb Jahre vor Schulbeginn den Sprachstand ermittelt und prüft, ob die Kinder in der Lage sind, den Unterrichtsinhalten zu folgen. Wenn das nicht der Fall ist, erfolgt eine explizite Förderung in den Vorkursen Deutsch, um die Kinder zum erforderlichen Schulniveau zu führen.

Der Besuch einer Kindertagesstätte ist nicht verpflichtend. Wie gehen wir damit um, wenn Eltern mit Fluchterfahrung ihre Kinder nicht in die Kindertagesstätte bringen? Deshalb ist es wichtig, diese Sprachstandsfeststellung durchzuführen. Wenn die Kinder nicht an diesen Erhebungen teilnehmen, kann ein Bußgeld erhoben werden. Wie soll man sonst ins Gespräch mit diesen Eltern kommen? Wie kann der Staat sonst die Förderung der Sprache für die Jüngsten unterstützen?

Deswegen unterstützen wir Artikel 5 des vorgelegten Gesetzentwurfs uneingeschränkt und bitten den Landtag um Zustimmung.

(Beifall bei der CSU)

Vielen Dank. Bitte bleiben Sie am Rednerpult. Uns liegt eine Meldung zur Zwischenbemerkung von Frau Kollegin Rauscher vor.

Herr Kollege Vogel, ich habe eine Frage. Was Sie gesagt haben, ist inhaltlich nicht verkehrt. Wir haben jedoch bereits jetzt auf der Grundlage des BayKiBiG eine Regelung zur Sprach

förderung und einen Vorkurs Deutsch. Wieso wird mit diesem Artikel im Integrationsgesetz so getan, als bräuchten wir für Kinder mit Migrationshintergrund im Rahmen der Kindertagesbetreuung eine spezielle Vorgehensweise? Auf mich macht das den Eindruck, dass man gegenüber den Trägern eine besondere Drohkulisse aufbaut. In diesem Artikel steht nichts, was nicht schon über eine andere Gesetzgebung geregelt wäre. Meine Frage lautet: Wieso wird ein besonderer Bedarf für Kinder, die unsere Kindertageseinrichtungen besuchen, festgestellt?

(Beifall bei der SPD)

Frau Kollegin Rauscher, das habe ich bereits erklärt. Das BayKiBiG richtet sich an Träger, die staatliche Förderdung erhalten wollen oder erhalten. Selbstverständlich haben wir auch Kindertagesstätten, die keine staatliche Förderung erhalten. Mit diesem Gesetzentwurf will man auch diese Einrichtungen verpflichten, die deutsche Sprache in Sprachkursen zu fördern. Das gilt nicht nur für die Kindertagesstätten, die eine staatliche Förderung erhalten, sondern für alle Kindertagesstätten in Bayern. Alle Kindertagesstätten müssen die Sprache von Migrantenkindern fördern. Im letzten Kindergartenjahr hatten wir einen Deckungsgrad von nahezu 100 %. Das bedeutet, nahezu 100 % unserer Kinder ohne Migrationshintergrund besuchen eine Kindertagesstätte. Das ist bei Flüchtlingskindern nicht der Fall. Deshalb hat es dieser Regelung bedurft.

Ich wiederhole mich. Wahrscheinlich haben Sie mir vorhin nicht richtig zugehört. Wir müssen auch den Spracherwerb derjenigen Kinder fördern, deren Eltern sie nicht in eine Kindertagesstätte bringen. Deshalb sollte man eine Sprachstandsfeststellung verpflichtend vorschreiben für den Fall, dass jemand sein Kind nicht in die Kindertagesstätte bringt.

Das gilt im Übrigen nicht nur für Migrantenkinder. Artikel 5 des Gesetzentwurfs öffnet diese Regelung für alle Kinder. Nicht nur bei Kinder mit Migrationshintergrund soll jetzt eine Sprachstandserhebung durchführt werden, sondern bei allen Kindern. Das ist ein Beitrag zur Integration. Deshalb soll das für alle Kindertagesstätten in Bayern gelten, unabhängig davon, ob sie eine Förderung des Freistaats Bayern erhalten oder nicht. Sprache ist der Schlüssel zur Integration. Deshalb bin ich dankbar für diesen Artikel 5.

Danke schön. – Die nächste Rednerin ist Frau Kollegin Kamm.

Selbstverständlich ist es richtig, dass Sprache der Schlüssel zur Integration ist. Allerdings ist lediglich von der deutschen Sprache die Rede. In dem Gesetz wird nicht erwähnt, dass es

auch wichtig ist, die Muttersprache der Kinder zu fördern. Gerade für Kinder aus anderen Gesellschaften ist es wichtig, die Wertschätzung ihrer Sprache zu erleben. Ihre Sprache sollte auch gefördert werden. Auf diese Weise können sie die zweite Sprache besser erlernen. Über die Muttersprache erfahren wir in den Artikeln nichts.

Im Artikel 5 geht es jedoch nicht nur um die deutsche Sprache, sondern auch um die Mimik und Körpersprache. Das soll den Kindergartenkindern vermittelt werden. Wir wundern uns sehr, was darunter zu verstehen ist. In einem Integrationsgesetz hätte ich so etwas nicht vermutet.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Zwar soll weiterhin die Verwendung der lokalen Dialekte gepflegt werden, jedoch nicht die Muttersprache, die an den Rand gedrängt werden soll. Den Kindern soll vermittelt werden, dass ihre Herkunftssprache nichts wert ist. Das ist nicht in Ordnung.

Sie stellen jede Menge Forderungen an die Kindertagesstätten. In diesem Zusammenhang stelle ich die Frage: Was ist mit den Grundsätzen des Förderns und Forderns? Die Erzieherinnen und Erzieher brauchen Weiterbildung. Möglicherweise braucht man mehr Personal oder das richtige Personal. Wo steht in diesem Artikel etwas über die Förderung der Einrichtungen? Zwar möchten viele Eltern ihre Kinder in eine Kindertagesstätte geben, aber nicht alle Flüchtlingsfamilien finden einen Kindergartenplatz in Bayern. Zu diesem Thema sollte man sich eher Gedanken machen. Wie kann man das Angebot ergänzen, sodass es für alle Kinder ausreicht?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Darüber könnte man im Rahmen eines Integrationsgesetzes, das sich um Fördern und Fordern dreht, nachdenken. Mit dem Gesetz sollten nicht nur Forderungen erhoben werden. Außerdem werden nicht die richtigen und wichtigen Forderungen erhoben. Andere Themen, die nicht in diesem Gesetz stehen, sind auch sehr wichtig.

Viele Flüchtlingseltern haben überhaupt keine Chance, ihr Kind in eine Kindergarteneinrichtung zu geben. Das gilt beispielsweise für Menschen, die gezwungen sind, in einer Erstaufnahme- oder einer Rückkehreinrichtung zu leben. Dort gibt es gar keine Kindertagesstätte. Ich habe mir das kürzlich in Bamberg angeschaut. Dort ist es noch nicht einmal vorgesehen. Ungefähr 700 Menschen werden als Asylbewerber direkt von der Grenze in die Einrichtung gebracht. Im Durchschnitt befinden sich diese Menschen drei bis dreieinhalb Monate dort. In der Einrichtung gibt es kei

nen Kindergarten. Zwar sind die Eltern vor Ort, jedoch leben sie gemeinsam mit 15 bis 18 Menschen in einer Wohnung. Wie fördert man ein Kleinkind in einer Wohnung, in der 18 Menschen leben? – Das ist sehr schwierig, das Zusammenleben ist prekär. Bitte sorgen Sie für ausreichend Einrichtungen. Sorgen Sie außerdem für eine ausreichende Ausstattung der Einrichtungen.

Sie haben diese wunderbaren Ausführungen zur Sprachstandserhebung gemacht. Das kennen wir in den Städten nicht anders. Logischerweise wird eine Sprachstandserhebung gemacht. Jedenfalls ist das in Augsburg der Fall. Logischerweise versuchen wir auch über Sozialarbeiter usw. die Eltern zu erreichen, deren Kind in eine Kita geht, um solch eine Sprachstandserhebung durchzuführen. Aber was fehlt denn? Es fehlen natürlich eine staatliche Bezuschussung und Unterstützung dieser Arbeit. An das denken Sie natürlich nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Kommunen wüssten schon, was notwendig ist, um die Kinder gut zu fördern und ihnen in der Schule einen guten Start zu ermöglichen.

Liebe Kollegin, beachten Sie die Uhr?

Jawohl, Frau Präsidentin. – Aber bei der Umsetzung wird die Kommune leider allein gelassen. Das wäre eigentlich Gegenstand eines bayerischen Integrationsgesetzes.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Danke schön. – Nächste Rednerin: Frau Dr. Simone Strohmayr.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir uns heute noch einmal Zeit nehmen, um die vorschulische Sprachförderung und die frühkindliche Bildung in Kitas so ausführlich zu besprechen.

(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CSU)

Liebe Kollegen, da können Sie jetzt gerne lachen. Aber Bildungs- und Kita-Einrichtungen spielen für eine erfolgreiche Integration eine entscheidende Rolle. Das hat im Übrigen auch der Herr Kollege Vogel gesagt. Die Kitas müssen sich deshalb darauf verlassen können, dass sie mit ausreichenden Mitteln und mit ausreichendem pädagogischen Personal ausgestattet werden. Besonders wichtig ist: Wir brauchen von Anfang an eine Sprachförderung. Wir müssen die Kitas

besser unterstützen, und zwar für Kinder mit und ohne Migrationshintergrund;

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

denn hier werden die Weichen für eine gelingende Integration gestellt. Dazu ein folgender kleiner Hinweis von mir – meine Kollegin hat es bereits angesprochen –: Wissen Sie denn, wie viele Kinder in Bayern keinen Kita-Platz bekommen?

(Zurufe von der CSU)

Ich sage es Ihnen: In Bayern fehlen 20.000 Kita-Plätze.

(Unruhe bei der CSU)

Viele Kinder mit Migrationshintergrund können in keine Kita gehen, obwohl sie es wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich war in diesem Jahr in vielen Flüchtlingsunterkünften und habe überall das gleiche Bild vorgefunden. Überall habe ich Familien getroffen, die ihre Kinder nicht oder zumindest nicht in wohnortnahen Kitas unterbringen konnten. Andere Kitas konnten von vielen Flüchtlingen nicht angefahren werden, weil sie kein Auto hatten. Lieber Herr Vogel, das ist das wahre Problem, wenn es um Integration geht. Schaffen wir doch erst einmal hier Abhilfe. Hier brauchen die Kommunen Unterstützung. Nur so kann Integration gelingen.

(Beifall bei der SPD)

Von all diesen Dingen lese ich in Ihrem Integrationsgesetz leider nichts.

Lassen Sie mich noch genauer auf Artikel 5 eingehen. Auch dieses Thema wurde heute bereits angesprochen. Die Formulierungen in Artikel 5 sind teilweise wörtlich – wörtlich! – aus den Ausführungsbestimmungen zum BayKiBiG übernommen worden. Ich frage Sie, wozu wir diese Regelung überhaupt noch brauchen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Neu ist allerdings, dass es nunmehr eine ganze Reihe zusätzlicher Forderungen an Migranten gibt. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Erziehungsberechtigte – gemeint sind Migranteneltern – müssen dafür sorgen, dass ihr Kind an einer Sprachstandserhebung teilnimmt. Ich frage Sie: Warum gilt das nicht für deutsche Eltern? Auch hier betrifft es viele Kinder.