Protokoll der Sitzung vom 24.01.2017

Für eine einfache Mehrheit gibt es auch gute Gründe. Die trage ich Ihnen heute auch wieder vor. Die für das Verfassungsgericht vorgesehenen Richter bedürfen zunächst einmal einer Empfehlung der Berufsrichter des Gerichts. Der Präsident des Verfassungsgerichtshofs schlägt dann der Staatsregierung den vom Richterrat empfohlenen Kandidaten vor. Vor der Abstimmung im Parlament berät der Richterwahlausschuss und empfiehlt die Wahl eines Kandidaten. Wir sind dabei fast immer einer Meinung. Es gibt immer nur eine Stimmenthaltung pro forma; die stammt aber weder von Ihrer noch von meiner Partei. Erst wenn der Richterwahlausschuss eine Empfehlung abgegeben hat, kommt der Vorgang ins Plenum, und im Plenum reicht dann die einfache Mehrheit aus.

Wir fragen uns: Warum soll das geändert werden? Wir sehen keinen Grund dafür, dass diese Änderung notwendig wäre. Das Ansehen der Richter am Verfassungsgerichtshof – darin sind wir uns, zumindest die meisten hier, einig – ist sehr hoch, und das Gericht wird von den Bürgern auch akzeptiert. Die Richter sind unabhängig, und sie lassen sich auch Gott sei

Dank von niemandem in irgendeine Abhängigkeit bringen. Wir wollen, dass die Richter nicht nach Parteiproporz gewählt werden und sich deswegen auch einmal der einen oder anderen Seite verbunden fühlen.

Der Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht zeigen uns, wie es anders geht. Dort ist die Zweidrittelmehrheit keine sehr glückliche Lösung. Durch die gegenseitige politische Absprache, die im Bund notwendig ist, wird die Unabhängigkeit der Richter geschwächt. Ich halte es für ein Unding, wenn man vor einer Entscheidung der Presse entnehmen kann, dass der Erste Senat mehr in dieser Weise und der Zweite Senat mehr in jener Weise entscheide; man müsse deshalb froh sein, wenn man zu dem einen Senat komme, oder man habe aber Pech, wenn man zum anderen Senat komme. – Genau das haben wir in Bayern am Verfassungsgerichtshof nicht. Dort ist die Unabhängigkeit der Richter gegeben, und damit ist das Ansehen und die Reputation der Richter bei den Bürgern in Bayern sehr hoch.

Im Übrigen werden die 15 nichtberufsrichterlichen Mitglieder nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechts gewählt. Das ist in Artikel 68 der Verfassung und in Artikel 4 Absatz 2 des Gesetzes über den Bayerischen Verfassungsgerichtshof geregelt. Damit können sich die, die eine andere Meinung haben, im Verfassungsgerichtshof als nicht berufsrichterliche Mitglieder, übrigens mit gleichem Stimmrecht, einbringen.

Die wiederholten Anträge von 1979, 1982, 1988, 1996, 1997 und noch einmal 2000 sind nicht erfolgreich gewesen, weil es keinen Grund für eine Wahl mit Zweidrittelmehrheit gibt. Dass der Bürger das auch so sieht, haben Sie, Herr Kollege Schindler, richtigerweise erwähnt. Im Jahre 2000 gab es den Versuch, ein Volksbegehren durchzuführen. Das ist allerdings krachend gescheitert. Ganze 3 % der Bevölkerung haben erklärt, dass sie eine solche Änderung wollen. 97 % haben im Umkehrschluss diese Änderung nicht gewollt.

(Volkmar Halbleib (SPD): Auf Einsicht bei Fachleuten wie Ihnen wird man doch hoffen können!)

Die Hoffnung ist nie vergebens, Herr Kollege Halbleib. Wenn 97 % unserer Bürger diese Änderung aber für nicht notwendig halten, ist das auch ein Auftrag des Bürgers an uns, an der jetzigen Regelung festzuhalten. Für uns gilt: Wir sind mit der jetzigen Situation einverstanden. Wir halten sie auch für gut. Unsere Richter sollen nach fachlicher Kompetenz und nach Erfahrung ausgewählt werden und nicht nach dem

Parteibuch. Wir werden deshalb diese Initiative ablehnen.

(Beifall bei der CSU)

Vielen Dank, Herr Kollege Heike. – Für die Fraktion der FREIEN WÄHLER darf ich jetzt Herrn Kollegen Streibl ans Mikrofon bitten. Bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Schindler hat recht: Dies ist in der Bayerischen Verfassung ein kleiner Schönheitsfehler, den man korrigieren kann. Warum soll man ihn jetzt korrigieren? Es ist klar: Der jetzige Zustand ist legitim und rechtens. Aber man kann ihn auch ändern. Im Kommentar zur Verfassung des Freistaates Bayern, Artikel 68, Randnummer 20, heißt es, dass die einfache Mehrheit genügt. Diese Aussage ist zwar nicht glücklich, aber verfassungsgemäß. Aufgabe dieses Hauses und des Souveräns dieses Landes ist es, eine glückliche Aussage zu formulieren.

Wir finden diesen Antrag sympathisch; denn es stimmt, dass unser Verfassungsgerichtshof mit höchster Qualität in der Rechtsprechung im Land größtes Ansehen genießt. Diesem Qualitätsanspruch können wir eine stärkere Wertschätzung entgegenbringen, indem wir bei der Wahl berufsrichterlicher Mitglieder in den Bayerischen Verfassungsgerichtshof eine größere Mehrheit für notwendig halten. Das zeigt im Grunde einen stärkeren Rückhalt dieses Hauses bezüglich des Verfassungsgerichtshofs als dritte Gewalt im Staat. Das hat letztlich mit Demokratie und Gewaltenteilung zu tun. Wenn wir die dritte Gewalt, also die Justiz, ernst nehmen, müssen wir sie entsprechend wertschätzen. Das erfordert demokratische Mehrheiten.

Herr Heike, zu sagen, eine Zweidrittelmehrheit wäre eher abträglich, weil dann etwas ausgehandelt werden müsse, widerspricht dem demokratischen Gedanken, weil die Demokratie von der freien Rede und vom Dialog lebt. Ein Ergebnis, das auf einem stärkeren Dialog und einer stärkeren Auseinandersetzung basiert, ist als Ganzes stärker. Insofern wäre eine Zweidrittelmehrheit nach unserer Meinung ein besseres und kräftigeres Zeichen nach außen für die Wertschätzung der einzelnen Gewalten im Staat und der Demokratie schlechthin.

Herr Heike, mit Verlaub: Wenn es eine Fraktion gibt, die jahrzehntelang die absolute Mehrheit hat, dann sind immer der Verdacht und der böse Anschein möglich, dass man mit dieser Mehrheit Leute ins Amt bringen kann. Aber das ist beim Verfassungsgerichtshof nicht der Fall. Ich möchte nichts unterstellen. Aber in

diesem Fall kann draußen ein böser Anschein entstehen, dem wir natürlich widerstehen müssen. Deswegen macht nach unserer Meinung eine Zweidrittelmehrheit Sinn.

Daher wäre es demokratisch und legitim, diesen Weg einzuschlagen. Wir würden diesen Weg unterstützen. Mit Blick auf die vorhin geführte Diskussion, die Demokratie wieder ernster zu nehmen, zu modernisieren und zu erneuern, und angesichts des Demokratieschwunds in unserer Gesellschaft wäre jedes noch so kleinste Signal nach außen hin wichtig und notwendig, dass in unserer Gesellschaft die Demokratie der Grundpfeiler schlechthin ist, auf den alles aufbaut.

(Zuruf des Abgeordneten Jürgen W. Heike (CSU))

Geben Sie sich daher einen Ruck und sagen Sie: Ja, bei den nächsten Verhandlungen über die Verfassung werden wir entsprechende Anträge einbringen. Dann kann man über dieses Thema reden und es dem Souverän vorlegen. Hierzu wird es zur nächsten Landtagswahl sicher wieder Anträge geben. Dann soll bitte der Souverän darüber entscheiden. Wir können nur den Weg für eine Verfassungsänderung frei machen. Man sollte den Souverän wertschätzen und sagen: Entscheide, was du für sinnvoll hältst. Dafür bereiten wir den Weg. Bitte machen Sie mit.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Vielen Dank, Herr Kollege Streibl. – Jetzt für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Frau Kollegin Gote. Bitte schön.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das, was heute die SPD in zwei Gesetzentwürfen vorgelegt hat – wir sprechen gleich noch über einen weiteren Gesetzentwurf –, wären zwei kleine, aber durchaus nicht unbedeutende Schritte hin zu einer größeren Unabhängigkeit der Justiz. Wir GRÜNEN stehen für das Prinzip der Unabhängigkeit der Justiz. Hierzu haben wir bereits viele Vorschläge eingebracht und unterstützt. Wir werden natürlich auch diese beiden Schritte mit Ihnen gemeinsam gehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Wahl der berufsrichterlichen Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs, des Präsidenten und seiner Vertreter und Vertreterinnen mit einer Zweidrittelmehrheit ist ein gutes Prinzip. Das erkennt jeder, der vorbehaltlos darauf schaut. Es ist nichts einfacher zu erklären, als dass ein Gremium, das von zwei Dritteln eines Parlamentes gewählt ist, per se eine größere

Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit hat, als wenn es mit einfacher Mehrheit gewählt würde.

(Beifall bei den GRÜNEN und des Abgeordneten Volkmar Halbleib (SPD))

Es ist doch niemandem zu erklären, warum es richtig sein soll, dass in diesem Land immer die CSU-Regierung allein – mit Ausnahme einer kurzen Koalition mit der FDP –, also die regierende Mehrheit allein, die Besetzung des Verfassungsgerichtshofs beschließt.

(Zuruf von der CSU: In seinen Spitzen!)

Ja, in seinen Spitzen. Das ist wohl wahr.

Es ist nicht zu erklären, weshalb das richtig sein soll. Jeder versteht doch, dass das nicht die größtmögliche demokratische Legitimation ist.

(Jürgen W. Heike (CSU): Das ist doch nicht wahr!)

Dass Sie das nicht verstehen, versteht im Grunde auch jeder;

(Beifall bei den GRÜNEN)

denn wenn ich allein bestimmen kann, sage ich natürlich nicht: Schön, da gebe ich etwas ab. Das ist verständlich.

Herr Kollege Heike, Sie haben dafür keinen einzigen Grund genannt, sondern nur das Verfahren beschrieben.

(Zuruf des Abgeordneten Jürgen W. Heike (CSU))

Sie haben keinen einzigen Grund genannt, der hier gegen eine Zweidrittelmehrheit sprechen würde, wie es sie in den meisten anderen Ländern und im Bund gibt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie haben eben erwähnt, dass sich eine Fraktion pro forma bei den Richterwahlen hier im Hohen Haus immer enthalten würde. Das geschieht nicht pro forma, sondern aus vollster Überzeugung, weil wir überhaupt keine Möglichkeit haben, hier mitzubestimmen, da Sie allein bestimmen können, wie die Spitzen des Verfassungsgerichtshofs besetzt sind.

(Zuruf des Abgeordneten Jürgen W. Heike (CSU))

Das mag Demokratie sein. Aber es ist nicht die beste Lösung, die die Demokratie zu bieten hat.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir sind hier alle aufgerufen, unser System ständig zu verbessern. Dazu hat der Bundesverfassungsgerichtshof schon genug gesagt. Auch die Wissenschaft hat dazu einiges dargelegt. Es gibt unseres Erachtens keinen erkennbaren Grund, sich diesem kleinen Schritt weiter zu verschließen.

Wir freuen uns auf die Debatte im Ausschuss, wobei wir noch ein bisschen tiefer in die Materie einsteigen können. Das wird sehr interessant sein. Vielleicht wird es insofern in dieser Zeit oder in den nächsten Jahrzehnten oder Jahrhunderten, spätestens aber dann, wenn andere regieren, einmal einen Fortschritt geben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. Es gibt noch eine Zwischenbemerkung vom Kollegen Heike. Bitte schön.

Frau Kollegin, es ist sehr schön, dass Sie auf die Abstimmungsverhältnisse im Richterwahlausschuss hinweisen. Aber ich kann mich, ähnlich wie der Herr Kollege Schindler, nicht erinnern, dass in der Richter-Wahl-Kommission – ich mache das jetzt 22 Jahre, der Herr Kollege Schindler macht es vier Jahre länger – ein einziges Mal jemand einen entsprechenden Vorschlag gemacht hat. Das wäre nämlich Ihre Möglichkeit gewesen.

Lieber Herr Heike, Sie haben sich eben so nett versprochen und den Begriff "Richterwahlausschuss" in den Mund genommen. Hätten wir einen Richterwahlausschuss, wären wir vielleicht ein Stück weiter. Wir haben aber nur eine RichterWahl-Kommission, in der Sie allein bestimmen. Warum sollen wir Vorschläge machen, wenn unsere Vorschläge gar nicht zählen? Sie allein bestimmen, und das kann wirklich nicht demokratisch sein.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Kollegin Gote. Damit ist die Aussprache geschlossen. Ich schlage vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuss für Verfassung, Recht und Parlamentsfragen als federführendem Ausschuss zu überweisen. Besteht damit Einverständnis? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 b auf: