Protokoll der Sitzung vom 14.03.2017

Antrag der Abgeordneten Doris Rauscher, Hans Ulrich Pfaffmann u. a. (SPD) Ergebnisse der Anhörung "Jungsein in Bayern" ernst nehmen VIII: Partizipation in Erziehungseinrichtungen sicherstellen! (Drs. 17/14145)

und

Antrag der Abgeordneten Angelika Weikert, Doris Rauscher u. a. (SPD) Ergebnisse der Anhörung "Jungsein in Bayern" ernst nehmen IX: Jugendwerkstätten stärker fördern! (Drs. 17/14146)

und

Antrag der Abgeordneten Angelika Weikert, Doris Rauscher u. a. (SPD) Ergebnisse der Anhörung "Jungsein in Bayern" ernst nehmen X: Konzept für Übergangssystem Schule Beruf vorlegen! (Drs. 17/14147)

und

Antrag der Abgeordneten Angelika Weikert, Doris Rauscher u. a. (SPD) Ergebnisse der Anhörung "Jungsein in Bayern" ernst nehmen XI: Jugendliche bei dualer Ausbildung unterstützen! (Drs. 17/14148)

und

Antrag der Abgeordneten Angelika Weikert, Doris Rauscher u. a. (SPD) Ergebnisse der Anhörung "Jungsein in Bayern" ernst nehmen XII:

Flächendeckender Aufbau von "Arbeitsbündnissen Jugend und Beruf"! (Drs. 17/14149)

und

Antrag der Abgeordneten Joachim Unterländer, Kerstin Schreyer, Judith Gerlach u. a. (CSU) Bayerische Jugendarbeit stärken I: Zugang Ehrenamtskarte erleichtern (Drs. 17/14996)

und

Antrag der Abgeordneten Joachim Unterländer, Kerstin Schreyer, Judith Gerlach u. a. (CSU) Bayerische Jugendarbeit stärken II: Eigenständige Kommunale Jugendpolitik weiterentwickeln (Drs. 17/14997)

und

Antrag der Abgeordneten Joachim Unterländer, Kerstin Schreyer, Judith Gerlach u. a. (CSU) Bayerische Jugendarbeit stärken III: Internationale Jugendarbeit vertiefen (Drs. 17/14998)

und

Antrag der Abgeordneten Joachim Unterländer, Kerstin Schreyer, Judith Gerlach u. a. (CSU) Bayerische Jugendarbeit stärken IV: Jugendkultur und Jugendmedienarbeit fördern (Drs. 17/14999)

und

Antrag der Abgeordneten Joachim Unterländer, Kerstin Schreyer, Judith Gerlach u. a. (CSU) Bayerische Jugendarbeit stärken V: Fanprojekte stärken (Drs. 17/15000)

Bevor ich die Aussprache eröffne, weise ich darauf hin, dass die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu ihrem Antrag auf Drucksache 17/11616 namentliche Abstimmung beantragt hat.

Ich eröffne die Aussprache. Im Ältestenrat wurde hierzu eine Gesamtredezeit der Fraktionen von 48 Minuten vereinbart. Als Erste darf ich Frau Kollegin Claudia Stamm das Wort erteilen. Bitte schön.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir stimmen heute über ein ganzes Antragspaket ab. Das ist richtig. Die Themen reichen von der Medienkompetenz über mehr Power für die Freiwilligenjahre bis hin zur Beteiligung von Jugendlichen. Für mich geht es aber um viel mehr als um ein Paket von Einzelmaßnahmen für die Jugend. Es geht schlicht und einfach

um die Frage, wie wir Jugendliche beteiligen wollen. Wollen wir sie ernst nehmen, oder sind das einfach Sonntagsreden von Ihrer Seite? Wie steht es darum, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, wenn Sie lamentieren, Jugendliche engagierten sich nicht genug? – Das schlicht nicht wahr. Das zeigt jede Studie. Jugendliche sind überall aktiv, ob im Sportverein oder in kirchlichen Verbänden, in der Feuerwehr, in der Wasserwacht, in der Grünen Jugend oder auch in der Jungen Union. Zudem engagieren sie sich vor allem auch in der Flüchtlingshilfe.

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, als es die vielen Geflüchteten im Herbst 2015 bis an die europäischen Grenzen schafften, haben viele versagt, viele Ebenen und viele Institutionen. Versagt hat die internationale Ebene der Vereinten Nationen sowohl in den Nachbarländern vor Ort als auch bei uns in den Lagern an den europäischen Grenzen. Die europäischen Einrichtungen haben es nicht geschafft, die Erstversorgung schnell auf die Beine zu stellen.

Europa, wo warst du? Europa, wo bist du? – Das habe ich mich immer gefragt, als ich zwei Mal mehrere Tage an den Grenzen und in den Lagern vor Ort war. Aber Europa war da! Europa hat gelebt, und Europa war da, und zwar in Form der vielen Jugendlichen und jungen Menschen aus vielen verschiedenen Ländern. Das waren Jugendliche, die sich einfach selbst organisiert haben, oft über Social Media ausgemacht haben, wann die nächste Hilfsfahrt losgeht und wohin sie am nötigsten ist. Sie haben sich selbst als Freelancer bezeichnet, weil sie nicht Teil einer Organisation waren. Sie haben das gemacht, was eigentlich Aufgabe der europäischen Länder und Einrichtungen gewesen wäre, nämlich, die Geflüchteten mit dem Nötigsten zu versorgen.

Jugendliche leisten unheimlich viel. Jugendliche sind heute reifer als früher. Das sagen alle Entwicklungspsychologinnen und -psychologen. Deswegen: Lasst sie an die Macht!

(Beifall bei den GRÜNEN, den FREIEN WÄH- LERN und des Abgeordneten Herbert Woerlein (SPD))

Lasst sie dieses Land endlich wirklich mitgestalten! Es nutzt nichts, zu lamentieren und immer wieder festzustellen, dass unsere Gesellschaft überaltert. Ich will, dass junge Menschen mitgestalten dürfen. Ich will sie an den politischen Prozessen beteiligen. Ich will sie an dem, was sie betrifft, beteiligen, weil sie die Suppe auslöffeln und die Zukunft ausbaden müssen, jene Zukunft, über die heute ohne sie entschieden wird.

(Beifall bei den GRÜNEN, den FREIEN WÄH- LERN und des Abgeordneten Herbert Woerlein (SPD))

Ja, politische Willensbildung fällt nicht einfach vom Himmel! Das ist in der Jugend-Enquete-Anhörung auch von der Vertretung der Schülerinnen und Schüler gesagt worden. Für politische Willensbildung muss man etwas tun. Dafür muss man auch ein bisschen Geld in die Hand nehmen. Deshalb ist unser heutiger Antrag zum Ausbau der politischen Bildungsarbeit auch so wichtig. Deshalb stellen wir diesen Antrag auch namentlich zur Abstimmung, weil dieser Antrag die Basis für wirksame politische Teilhabe legt.

(Beifall bei den GRÜNEN, den FREIEN WÄH- LERN und des Abgeordneten Herbert Woerlein (SPD))

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht heute nicht um Parteipolitik, sondern es geht um die grundlegende Entscheidung jedes einzelnen Abgeordneten und jeder einzelnen Abgeordneten, wie er oder sie es ungeachtet wohlfeiler Bekundungen tatsächlich mit der Jugendpolitik hält. Allerorten beklagt man die Radikalisierung von Jugendlichen. Bevor Sie jetzt wieder, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Schubladen bedienen: Viele der radikalisierten Jugendlichen im Bereich des Islamismus sind Menschen, die hier in Deutschland geboren sind. Bei den Radikalisierten im Bereich des Rechtsextremismus ist das sowieso der Fall. Ich bitte Sie, bevor Sie wieder Mechanismen an den Tag legen, innezuhalten und einfach mal konstruktiv mitzuarbeiten; denn wir müssen uns alle fragen, warum diese Jugendlichen, die sich radikalisieren, offenbar keinen Halt mehr haben und die Werte unserer demokratischen Gesellschaft nicht mehr sehen.

(Beifall bei den GRÜNEN, den FREIEN WÄH- LERN und Abgeordneten der SPD)

Diesen Fragen müssen wir uns stellen. Diese Fragen zu lösen, sollte uns auch etwas Geld wert sein. In Prävention zu investieren, ist immer besser und kostengünstiger, als in Sicherungsmaßnahmen zu investieren, wenn das Kind in den Brunnen gefallen und es eigentlich zu spät ist.

Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen, auch wenn unsere Regierungsform der Demokratie an der einen oder anderen Stelle etwas kränkelt, bleibt sie doch die beste Form des Zusammenlebens, die beste Form des Miteinanders und die beste Form, die wir haben.

Echte Demokratie braucht auch Mut, vor allem den Mut, die Macht zu teilen und den ständigen Dialog mit allen gesellschaftlichen Kräften zu suchen. Demokra

tie setzt dabei voraus, dass man sich auf Augenhöhe begegnet. Begegnen wir der Jugend in Bayern nicht länger von oben herab! Bringen Sie den Mut auf, unserer Jugend gleiche politische Gestaltungsrechte einzuräumen! Lassen Sie Jugendliche ihre Welt – es ist ihre Welt, genauso wie unsere – mitgestalten, und lassen Sie das nicht am Geld scheitern! Stimmen Sie heute wenigstens diesem einen wichtigen Antrag zu! Es reicht nicht, darüber zu reden, dass junge Menschen radikaler werden und sich weniger in – in Klammern: (Partei-) – Politik engagieren. Geben Sie sich einen Ruck: Jugend an die Macht!

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und den FREIEN WÄHLERN)

Danke, Frau Kollegin Stamm. – Der nächste Redner ist der Kollege Woerlein. Bitte schön.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich über die Gelegenheit, Ihnen heute meine Vorstellungen und Visionen einer am Wandel orientierten und damit tatsächlich zukunftsorientierten Jugendpolitik vorstellen zu dürfen. Beginnen möchte ich mit vier grundsätzlichen Überlegungen zur Jugendarbeit in Bayern.

Grundsatzüberlegung eins: Es darf uns nicht genügen, den Großteil der Jugendlichen mit unseren Maßnahmen abzudecken. Es muss der Grundsatz gelten: Niemand darf auf der Strecke bleiben. Jeder Jugendliche, jeder Mensch, der durchs Raster fällt, ist einer zu viel.

Grundsatzüberlegung zwei: Wir als Parlament müssen unsere Befugnisse der Gesetzgebung aktiver und viel stärker nutzen, um Jugend und Jugendverbände durch Gesetzesinitiativen zu unterstützen und damit wirklich zukunftsorientierte Jugendpolitik umzusetzen.

Grundsatzüberlegung drei: Die Individualität und Unterschiedlichkeit aller Menschen und somit auch der Jugendlichen muss noch viel stärker in unseren Blick rücken.

Grundsatzüberlegung vier: Bei aller Dankbarkeit für die umfangreiche und wertvolle Arbeit der Jugendverbände dürfen wir nicht der Versuchung erliegen, den Großteil der Arbeit auf die Jugendverbände abzuwälzen.

Wo liegen derzeit die drängendsten Handlungsfelder für die Stärkung von Kindern und Jugendlichen in unserer Gesellschaft? – Ich möchte mich auf die wichtigsten Handlungsfelder konzentrieren und betonen,

dass durch diese Konzentration selbstredend kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden kann.

Besonders alarmierend ist für mich die Tatsache, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderklafft. Der Anteil der Kinder und Jugendlichen, deren Eltern oder deren erziehender Elternteil SGB II beziehen, beträgt zwischenzeitlich fast ein Fünftel. Was bedeutet das konkret? – Neben all den materiellen Nachteilen, die für ein Kind besonders schmerzlich sind, führt dies zu noch viel gravierenderen Nachteilen. Wir sprechen von Defiziten bei Betreuungsangeboten und gesundheitlicher Entwicklung, vor allem aber über deutlich geringere Bildungschancen. Die in den einschlägigen Statistiken deutlich werdenden engen Zusammenhänge zwischen sozialer Schichtung und Bildungsabschluss sprechen eine überdeutliche Sprache. Wichtig wäre es daher, gerade sozial benachteiligten Jugendlichen bessere Chancen beim Start ins Berufsleben zu eröffnen. Ich nenne als Beispiel die Jugendwerkstätten.

Beim nächsten Punkt darf ich an die Jahresschlussworte meiner Kollegin Natascha Kohnen anknüpfen, die in der letzten Plenarsitzung des Jahres 2016 darauf hingewiesen hat, dass nach mehreren Jahrzehnten eines demokratischen Miteinanders nun plötzlich politische Kräfte Raum gewinnen, die unsere Demokratie gefährden. Angesichts einer solch dramatischen Entwicklung richtet sich unser Blick voller Erwartung auf die politische Bildung. In der Schlussrunde des BDKJ-Jahresauftakts am 25. Januar 2017 wurde als Ergebnis aller Arbeitsgruppen gefordert, die politische Bildung auf alle Alters- und Lebensbereiche auszudehnen. Eine Stärkung der politischen Bildungsarbeit wurde übrigens auch im Abschlussbericht der Enquete-Kommission gefordert. Statt einer punktuellen und passiven Begegnung in den weiterführenden Schulen ab Jahrgangsstufe 9 sollen sich bereits Kinder in der Kita spielerisch mit diesem Thema auseinandersetzen.

In der Grundschule bieten sich dann verschiedene Möglichkeiten auf kommunaler Ebene an. Neben dem heute bereits vielfach praktizierten Besuch des Bürgermeisters sollten auch schon in den ersten Jahrgangsstufen kleinere Projekte laufen, in denen sich die Grundschüler mit Grundlagen des bürgerlichen Miteinanders beschäftigen.

Die weiterführenden Schularten ab Jahrgangsstufe 5 sollten die politische Bildung nicht in die Mittel- und Oberstufe verlegen, sondern konsequent ab dem ersten Jahr projektbezogenes Arbeiten im Bereich der politischen Bildung anbieten. Hierzu ist es aber nötig, dass wir im bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetz die notwendigen Vorgaben machen.