Protokoll der Sitzung vom 05.07.2000

nicht irgendjemand, sondern bekannterweise der Promotor und Initiator des Investitionssonderprogramms, und er merkt eine enorme Dienstleistungsschwäche in diesem Programm an. Dieser Kritik schlossen sich dann sehr prominente weitere Personen an, zum Beispiel die DGB-Vorsitzende, Frau Kollegin Ziegert, zunächst auch eine Befürworterin des ISP, die dann aber gleichzeitig eine Umverteilung in Höhe von 100 Millionen DM aus dem ISP gefordert hat.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen — Zuruf der Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen])

Dann kam der auch nicht weniger prominente ehemalige Präsident des Senats, Herr Wedemeier, ebenfalls Mitinitiator des ISP, und übte sich in Selbstkritik, indem er sagte: „Wir haben einfach nachgeplappert, was der Finanzsenator Nölle uns aufgeschrieben hat.“

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Das machen sie immer noch!)

Meine Damen und Herren, das spricht auch nicht gerade für die Überzeugungstat eines Mitinitiators. Dann folgte der Kollege Böhrnsen, Chef der SPDFraktion, auch nicht unbekannt, und wetterte gegen den Hurrapatriotismus des ISP. Ihm folgte der Chef der Industrie- und Handelskammer, Hockemeyer, der die Kulturförderung als Standortfaktor vermisst hat. Neuerdings haben sich die Wirtschaftsexperten der SPD-Fraktion, Herr Sieling und Herr Käse, angeschlossen, die ebenfalls gesagt haben, das ISP hilft ausschließlich den Betonfirmen. Meine Damen und Herren, dem ist nichts hinzuzufügen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Tatsache ist, dass es in der SPD rumort, wenn es um das ISP geht, denn nicht ohne Grund hat der jetzige Präsident des Senats, Scherf, auf dem letzten Parteitag der SPD noch einmal gefordert, bitte, liebe Leute, lasst das ISP in Ruhe und stellt keine kritischen Fragen. Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der SPD, gibt es eigentlich ernsthaft noch jemanden, der den eingeschlagenen Weg guten Herzens befürwortet?

(Abg. Frau W i e d e m e y e r [SPD]: Ja, ich!)

Ich vermute eher, die Haushaltsreden von Herrn Böhrnsen dienen einzig und allein der Koalitionsräson, um die Kritik in den eigenen Reihen zu verhindern.

Positiv an der Debatte ist, wie ich finde, dass über Sinn und Unsinn des ISP jetzt wieder einmal disku

tiert wird. Unserer Meinung nach muss man die Richtung des ISP neu überdenken. Das ist auch der Tenor der meisten Kommentare in der Presse, denn, meine Damen und Herren, es ist zu offensichtlich geworden, dass mit der Millionenverschwendung zum Beispiel bei dem Bau des Bahnhofsvorplatzes Sie vielleicht Arbeitsplätze schaffen, was den Produktionsbereich angeht, aber doch eher keine, was den Dienstleistungsbereich stärken wird, wenn Sie auf der einen Seite den Platz aufbauen und ihn auf der anderen Seite wieder abreißen müssen. Mit den Millionen für die Rennbahn, für die Sichtachsen, die auf den Bürgerpark gerichtet werden, und mit dem Umbau von bereits intakten Wallanlagen und subventionierten Kinos, meine Damen und Herren, werden Sie eine Veränderung der Wirtschaftsstruktur in Bremen nicht erreichen, schon gar nicht, wenn Sie sich von einzelnen Großunternehmen erpressen lassen, dann doch den Großmarkt vom Airport in den Überseehafen umziehen zu lassen. Das ist eine Investitionssumme von über 270 Millionen DM, mit der Verfüllung noch einmal 350 Millionen DM.

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Wir haben es ja!)

Das sind Summen, über die man ernsthaft neu diskutieren muss.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wir sagen nicht, das möchte ich auch noch einmal sagen, dass das ISP vollkommen gescheitert ist, aber was wir wollen, meine Damen und Herren, ist das Ende der ISP-Propaganda. Jetzt wird es überraschen, dass wir sagen, wir unterstützen sozusagen die New Economy von Professor Haller, der sagt, es wird schwierig, die Sanierung bis zum Jahr 2004 erfolgreich zu beenden. Die neu geschaffenen Arbeitsplätze in Bremen bei DaimlerChrysler täuschen über die strukturellen Probleme Bremens hinweg. Der Kern von Professor Hallers Kritik am ISP ist der, dass er sagt, der einzige Bereich, der eigentlich gefördert werden muss und der eine Aussicht darauf hat, neue Arbeitsplätze zu schaffen, ist der Dienstleistungsbereich im privaten Sektor. Er fragt dann natürlich konsequent, wie die bisherigen Projekte des ISP auf den Dienstleistungssektor in Bremen gewirkt haben, und er gibt in seiner Studie auch gleich die Antwort, indem er sagt, eben nicht ausreichend, meine Damen und Herren. Ich kann Ihnen versichern, Professor Haller ist jemand, der weiß, wovon er redet, wenn er vom ISP spricht.

(Abg. Frau W i e d e m e y e r [SPD]: Das ist eine ganz neue Aussage!)

Einige Ergebnisse aus der Studie zeigen deutlich auf, dass es einen riesigen Nachholbedarf gibt, was

den Dienstleistungssektor in Bremen betrifft. Bremen allein hat einen Nachholbedarf, hat er errechnet, von 17 000 Arbeitsplätzen. Vielleicht kann man das in der Debatte um das ISP nachher noch einmal genauer aufgreifen. Bremerhaven hat ein Defizit und einen Nachholbedarf, der zu schaffen sein könnte, in Höhe von 4200 Arbeitsplätzen. Das sind über 21 000 Arbeitsplätze, die Ihnen durch Ihre Politik verloren gehen, meine Damen und Herren. Es sieht nicht so aus, als wäre es ein Aufholprozess, den Sie immer propagieren, und hier liegen meines Erachtens die Potentiale, die durch das bisherige ISP eben nicht erreicht werden.

Schlimm ist es meines Erachtens auch, dass diese Erkenntnisse so neu nicht sind, mindestens seit 1987 in der internen Debatte sind und in Form von zahlreichen Gutachten auch dem Senat vorliegen, Prognos 1987, DEW 1991, ISL 1992 und so weiter, Sie kennen die ganzen Gutachten, die alle dasselbe belegen, Bremen hat einen riesigen Nachholbedarf bei der Schaffung von Arbeitsplätzen im Dienstleistungsbereich, und die kommen zu ähnlichen Ergebnissen wie Professor Haller. Das ist überhaupt nicht neu.

An erster Stelle wird immer wieder genannt, für einen Strukturwandel in Bremen gilt es, Dienstleistungen zunächst im Logistikbereich, das ist richtig, aber auch, jetzt kommt der prioritäre Bereich, im Kulturbereich, meine Damen und Herren, zu fördern sowie in der Bildung und Weiterbildung und dann im Bereich der Gesundheit. Das ist doch der Punkt, den wir genau in unseren Haushaltsanträgen auch fordern und den Sie immer abgelehnt haben.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Die Gutachter von Prognos, die jetzt die ISP-Evaluierung noch einmal vorgenommen haben, auf die sich dann ja auch Professor Haller bezieht, haben in ihrer Studie noch einmal dargelegt, dass die erste Priorität der Förderung von Kultur, Freizeiteinrichtungen und Weiterbildung zu gelten hat. Der Senat hat aber, ich sagte schon einmal, bald wider besseres Wissen eine Politik der Großprojekte eingeschlagen, die diesen Weg eben nicht verfolgt. Er hat meines Erachtens auch sogar vorliegende Defizite verschwiegen. Wenn man sich noch einmal die Antwort des Senats auf eine entsprechende Große Anfrage anschaut, dann hat der Senat den Dienstleistungsbesatz im Lande Bremen eher hochgeschrieben, als dass er eine seriöse Analyse vorgelegt hätte. Er hat also hier Nebelkerzen geworfen.

Bei so viel Nebel kann der rechte Weg leicht aus dem Blickfeld geraten. Deswegen sagen wir, wir fordern eine Kehrtwende ein, wir wollen die Empfehlungen von BAW und Prognos ernst nehmen und fordern den Senat auf, einmal zu berichten, wie er eigentlich auf diese Ergebnisse der Studien zu reagieren gedenkt. Wir fordern ihn auf, bis zum 1. Sep

tember 2000 einen Bericht vorzulegen, in dem er über die strategischen Konsequenzen dieser Studien berichtet, indem er eine neue Schwerpunktsetzung im ISP vornehmen kann, gerade was die Bereiche der Dienstleistungsförderung betrifft, deshalb unser Antrag.

Es ist nicht zu spät für eine Kehrtwende. Finanzmasse ist im ISP noch reichlich vorhanden. Erst ein Drittel des ISP ist ausgegeben. Wir fordern Sie also auf, in einem Bericht noch einmal darzulegen, welche neuen Schwerpunkte Sie für die Bereiche setzen wollen, die wirklich einen Strukturwandel Bremens verursachen und eine Abkehr von schwachsinnigen Großprojekten. — Vielen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen — Vi- zepräsident D r. K u h n übernimmt den Vorsitz.)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Dr. Käse.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Aufhänger für den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, das hat Herr Schramm ja schon erwähnt, ist der Monatsbericht des BAW mit dem Titel „Dienstleistungen als regionaler Beschäftigungsmotor“, vorgelegt von Professor Frank Haller. Natürlich, es gibt dieser Debatte eine gewisse Würze und auch eine komische Note, dass ein ehemaliger Staatsrat der großen Koalition hier als Kronzeuge für einen Antrag vom Bündnis 90/Die Grünen herhalten muss. Kollege Schramm, ich sage das hier ganz offen, als meine erste Reaktion auf das Papier von Professor Haller schoss mir ein Gedanke durch den Kopf, frei nach der neuen Frankfurter Schule: „Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche.“

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Aber man muss genau hinsehen, und wenn man das tut, dann wird man erkennen, diese Studie eignet sich nicht als Beleg für die These, dass der Bereich der Dienstleistungen nicht ausreichend im ISP beziehungsweise im WAP verankert sei.

(Abg. Frau S t a h m a n n [Bündnis 90/ Die Grünen]: Der Elch kann nicht lesen!)

Richtig ist, die Studie belegt den Rückstand im Dienstleistungssektor in Bremen und Bremerhaven im Vergleich zu anderen Großstädten, das haben Sie korrekt benannt. Aber Professor Haller fordert andererseits, daraus eben die Konsequenz zu ziehen, weiter so mit den festgelegten Schwerpunkten und Projekten, und nichts anderes. Der Antrag vom Bündnis 90/Die Grünen impliziert, es bestünde ein quan

titatives Problem im Bereich der Dienstleistungsförderung, und dem ist eindeutig nicht so. Um das zu belegen, muss man gar nicht auf den bei Ihnen nicht so besonders beliebten, aber dem Dienstleistungssektor zuzuordnenden Projekten wie Space-Park oder Ocean-Park herumreiten, sondern ich will einmal ein anderes, ein neutraleres Beispiel herausgreifen.

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Rhodarium!)

Nehmen wir einmal die Ziel-zwei-Förderung im Rahmen des Europäischen Fonds zur Regionalentwicklung! Die wird durch Mittel aus dem WAP kofinanziert, und in diesem Programm ist der Schwerpunkt „Stärkung des Dienstleistungssektors“ von einem Anteil von 40 Prozent, den dieser Bereich im Zeitraum 1997 bis 1999 hatte, auf einen Anteil von 52 Prozent in den Planungen für 2000 bis 2006 angehoben worden. Das entspricht insgesamt dann einem Volumen von rund 240 Millionen DM. Das ist ja wohl auch ein nicht ganz zu vernachlässigender Betrag. Ich bin mir ganz sicher, dass der Kollege Focke, der die Debatte für die Union führen wird, und auch Herr Senator Hattig hier noch ein paar andere Beispiele aus dem WAP und dem ISP anführen werden, die belegen können, dass in rein quantitativer Betrachtung die große Koalition einen deutlichen Schwerpunkt in der Stärkung des Dienstleistungssektors setzt.

(Beifall bei der SPD)

Für die SPD-Fraktion ist von entscheidender Bedeutung, welche konkreten Handlungsfelder mit welchen Mitteln ausgestattet werden, wo also innerhalb des weiten Feldes der Dienstleistungen Schwerpunkte zu setzen sind. Diese Aufgabe werden wir im Rahmen der Fortschreibung des WAP abarbeiten. Dabei sei an dieser Stelle nur noch einmal darauf hingewiesen, dass die SPD-Wirtschaftsdeputierten schon vor längerer Zeit eine entsprechende Vorlage des Senats eingefordert haben. Aber, meine Damen und Herren, die eigentliche politische Herausforderung bei dieser ganzen Thematik besteht für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in der Frage, ob sich der Strukturwandel von der industriell geprägten Gesellschaft hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft nach dem US-amerikanischen Modell vollziehen soll, also unter Inkaufnahme der so genannten Working-poor, von Löhnen unterhalb des Existenzminimums, oder nach sozialstaatlichen Prinzipien. Unsere Antwort ist dabei klar: Den Strukturwandel fördern ist gut, aber ihn steuern und für sozialen Ausgleich sorgen ist besser und für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten unabdingbar.

(Beifall bei der SPD)

Von diesem sehr wichtigen Aspekt findet sich im Antrag vom Bündnis 90/Die Grünen leider gar nichts, von daher wird die sozialdemokratische Fraktion ihm auch nicht zustimmen.

Jetzt möchte ich noch anhand von zwei Beispielen erläutern, wo wir als SPD-Fraktion Schwerpunkte im Bereich der Dienstleistungsförderung setzen wollen. Im Bereich der unternehmensbezogenen Dienstleistungen wollen wir die Förderung des Einsatzes der neuen Medien und der neuen Technologien weiter ausbauen. Um dieses Wachstumspotential zu erschließen, werden wir am Ausbau der wissenschaftlichen Infrastruktur festhalten, das ZMeC erweitern, die Planungen zu einem Multimedia-Standort im Faulenquartier in Bremen und zum I-und-K-Technologiepark und dem Biotechnologiezentrum in Bremerhaven vorantreiben.

(Beifall bei der SPD)

Neben diesen Infrastrukturmaßnahmen werden wir, wie das auch im T.I.M.E.-Programm beschrieben ist, ein besonderes Gewicht auf den Bereich der Qualifizierung legen. Selbstverständlich werden wir im Sinne eines integrierten Konzepts an dem Programm zur Modernisierung und Diversifizierung der Industrie festhalten, denn stabile industrielle Kerne sind die Grundvoraussetzung für die Entwicklung der unternehmensbezogenen Dienstleistungen.

Einen zweiten Schwerpunkt wollen wir bei der Ausweitung personenbezogener Dienstleistungen setzen. Ich möchte an der Stelle etwas ausholen. Man muss sich jetzt einmal personenbezogene Dienstleistung vor Augen führen. Wir haben eigentlich in der Bundesrepublik eine absurde Situation: Wir Deutschen fahren als Touristen gern in die Ferne und leisten und gönnen uns da jede Menge personenbezogene Dienstleistungen, meistens völlig überteuert, ohne mit der Wimper zu zucken. Daheim aber im Haushalt macht man traditionell gern doch wieder alles selbst.

Das zeigt doch eigentlich, es gibt ein riesiges Potential in diesem ganzen Bereich der Hausarbeit zu professionalisieren. Darin liegt auch eine große Chance, besonders für gering qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Dieses Potential muss man nutzen, aber ich werde hier selbstverständlich nicht der Wiederbelebung der Kultur von Hausdienern und Hausmädchen das Wort reden, wie es in der CDU/FDP-Bundesregierung mit der steuerlichen Begünstigung der Beschäftigung von Dienstboten gemacht wurde.

Die sozialdemokratische Antwort auf diese Herausforderung besteht in der Einführung von so genannten Dienstleistungsagenturen,

(Beifall bei der SPD)

in denen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sozial abgesichert sind, Anspruch auf Weiterqualifikation haben und keine persönlichen Abhängigkeitsverhältnisse gegenüber dem Arbeitgeber oder dem Auftraggeber bestehen. Diese Agenturen wollen wir bei der Existenzgründungsförderung stärker berücksichtigt sehen, und auch unter dem Dach öffentlicher Beschäftigungsträger können wir uns solche Dienstleistungsagenturen vorstellen.

Das ist übrigens ein Bereich, in dem unserer Meinung nach auch durch staatliche Zuschüsse die durch die geringe Produktivität in diesem Sektor bedingten Niedriglöhne auf ein vernünftiges und existenzsicherndes Maß angehoben werden können,

(Beifall bei der SPD)

wie es nämlich auch im Rahmen des Bündnisses für Arbeit auf Bundesebene bereits in vier Bundesländern erprobt wird. Das sind gerade für Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten mutige Schritte, und wir fordern Sie alle hier im Haus auf, diese Schritte mit uns zu gehen. — Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD)