Protokoll der Sitzung vom 05.07.2000

Bildung vermeidet Ausgrenzung! Bildung und Ausbildung spielen für ausländische Jugendliche eine entscheidende Rolle, um sich einen Zugang zum Arbeitsmarkt zu verschaffen. Für viele junge Menschen sieht die Zukunft in der so genannten Wissensgesellschaft gar nicht so rosig und verheißungsvoll aus wie vielleicht für deutsche Jugendliche mit deutschen Eltern. Sie haben häufig keinen Schulabschluss, keine Ausbildung und wenig Deutschkenntnisse.

Die Benachteiligung ausländischer Schüler drückt sich vor allem in fehlenden und im Schnitt niedrigeren Bildungsabschlüssen aus, und ausländische Jugendliche haben schlechtere Aussichten auf einen Ausbildungsplatz. Etwa 36,5 Prozent aller zwanzigbis unter fünfundzwanzigjährigen Ausländer bleiben ohne eine abgeschlossene Berufsausbildung, und erhebliche Differenzen gibt es auch bei den verschiedenen Ausländergruppen. Bei den türkischen Jugendlichen liegt dieser Anteil in dieser Altersgruppe sogar bei 40 Prozent.

Die Beratungsstelle zur beruflichen Qualifizierung ausländischer Nachwuchskräfte, BQN, hat in der Vergangenheit erfolgreich gearbeitet. Dieser Ansatz, das wurde von meinen Vorrednern auch gesagt, ist fortzuführen, und ich denke, mit noch größerer Energie und auch mit mehr Finanzmitteln auszustatten.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wir Grüne glauben auch, dass eine Ausweitung auf andere Zuwanderungsgruppen wie Aussiedler und Flüchtlinge mit Bleiberecht viel versprechend ist. Gezielte Beratung hilft beim Sprung in das Berufsleben und erweitert die berufliche Orientierung. Dazu folgende Beispiele: Besonders ausländische Mädchen entscheiden sich überproportional für die klassischen Frauenberufe wie Friseurin oder Arzthelferin, und das, obwohl sie gar keine schlechteren Schulabschlüsse haben. Der Anteil von Ausländern und Ausländerinnen im öffentlichen Dienst ist zum Beispiel unterdurchschnittlich, und die Quote ist verbesserungswürdig.

Das wissen wir hier alle, aber wir wissen auch, dass sich die Ausländer gar nicht so bewerben, wie sie es eigentlich könnten. In den Schulen muss verstärkt auf eine Erweiterung der beruflichen Orientierung, vor allem für ausländische Jugendliche, hingearbeitet werden. Das gilt generell, aber ich denke, diese Zielgruppe muss man speziell ins Visier nehmen. Auch ausländische Berufsberatungen sollten verstärkt gefördert werden. Das Beispiel von MiBoP, auch ein gutes Bremer Beispiel, zeigt, wie notwendig eine qualifizierte Beratung von Migranten ist.

In vielen gesellschaftlichen Arbeitsfeldern sind bikulturelle und mehrsprachige Kräfte nach wie vor unterrepräsentiert. Wertvolle Ressourcen unserer Gesellschaft liegen somit brach. Sie haben vorhin das Integrationskonzept angesprochen. Das ist ja mit keinerlei finanziellen Mitteln verknüpft, das halte ich nach wir vor für illusorisch. Ich glaube, auch Integration hat ihren Preis, kostet Geld, und es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die auch mit finanziellen Mitteln umfassend ausgestattet werden muss.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Sprachförderung gibt positive Impulse, Sprache ist ein Schlüssel zur Integration in die Gesellschaft. Dort oben haben wir einen wunderbaren Schlüssel, den kann man hier sehr oft gebrauchen. Der Schlüssel ist wirklich riesengroß. Aber Sprache ist keine Einbahnstraße, und Integration ist keine Einbahnstraße, sondern ein Prozess, der zwischen verschiedenen Menschen stattfindet. Das heißt, auch die Deutschen müssen sich bewegen, und warum nicht hier vielleicht auch einmal eine Rede auf türkisch halten? Herr Peters, nicht nur die Ausländer müssen Deutsch lernen, sondern vielleicht müsste auch die sprachliche Kompetenz bei den deutschen Menschen gefördert werden.

(Zurufe)

Ich kann ziemlich viele türkische Schimpfwörter, aber die möchte ich hier nicht sagen, sonst wird hier oben wahrscheinlich wild geklingelt, wenn der Präsident sie versteht.

Mangelnde Sprachkenntnisse, was immer das auch heißen mag, sind ein Ausschlusskriterium bei der Ausbildungplatzsuche, und diesen Ausschlussmechanismen, die zu einer strukturellen Diskriminierung führen, muss dringend entgegengewirkt werden. Was bisher fehlt, ist eine Kooperation im dualen Ausbildungssystem mit allen beteiligten Gruppierungen wie Arbeitsamt, Eltern, Behörden, Schulen, den Beratungsstellen und Betrieben.

Bremen ist ein Einwanderungsland, habe ich eingangs gesagt. Das ist gut so und sicherlich nicht ohne Probleme, das wissen wir alle, aber sicherlich auch mit vielen Bereicherungen, Herr Peters hat viele an

schauliche Beispiele gebracht. Es gibt keine Alternative zu dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Es gibt auch keine Alternative zu einer glaubwürdigen Integrationspolitik. Den Jugendlichen muss klar gemacht werden: Das ist euer Land. Der Klever-Erlass, Frau Iletmis hat das angesprochen, aus dem Hause Blüm gehört endlich weg und abgeschafft! Auch an die Adresse von Herrn Riester!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Derzeit träumen einzelne Parteien davon, sich diejenigen auswählen zu können, die zu uns kommen. Ich finde das arrogant und inhuman. Meine Damen und Herren, in dieser Beziehung vermisse ich Ihren christlichen Glauben! Wir brauchen die Ausländer, und die Flüchtlinge brauchen uns, und das finde ich richtig gut und grün. — Danke schön!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als Nächste hat das Wort Frau Senatorin Adolf.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn feststellen: Die Integration der zu uns kommenden Menschen in unser Gesellschafts- und Arbeitssystem ist eine entscheidende gesellschaftliche und staatliche Aufgabe. Ich glaube, diese Feststellung muss am Anfang jeder Debatte über dieses Thema stehen. Im Land Bremen leben heute über 100 000 Migrantinnen und Migranten, Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler. Der ausländische Bevölkerungsanteil ist damit allein von der Größenordnung her ein fester Bestandteil unserer Gesellschaft, denn fast jeder sechste Bewohner des Landes Bremen ist nicht deutscher Herkunft. Umso zwingender ist für uns alle die Verpflichtung, diesen Teil der Bevölkerung nicht als Randgruppe anzusehen, sondern alle Kräfte zu bündeln, damit sie als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger hier leben und arbeiten können.

Damit habe ich das Stichwort genannt, das für den Integrationsprozess nach meiner Auffassung die entscheidende Bedeutung hat, denn gleichberechtigte Teilhabe an allen gesellschaftlichen Prozessen ist nur dann möglich, wenn jeder von uns die Chance hat, sein Auskommen für sich und seine Familie selbst zu sichern. Ohne Arbeit ist Integration nicht möglich, und erst durch die Einbeziehung in die Arbeitswelt kann Integration auch im Sinne eigenverantwortlichen Handelns letztendlich gelingen.

Die Bedeutung der Beteiligung von Ausländerinnen und Ausländern am Wirtschaftsleben im Land Bremen wird insbesondere durch folgende Zahlen deutlich, die schon genannt worden sind, ich will

sie hier aber trotzdem noch einmal benennen: An den Erwerbstätigen im Land Bremen sind Ausländerinnen und Ausländer nach dem Mikrozensus 1999 mit 11,9 Prozent beteiligt. Dabei beträgt der Anteil der sozialversicherungspflichtig beschäftigten ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger 6,4 Prozent. Diese relativ hohe Differenz zwischen sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung und Erwerbstätigkeit ist dabei darauf zurückzuführen, dass es hier einen sehr hohen Anteil mithelfender Familienangehöriger gibt, und das wirft nach meiner Auffassung auch ein Schlaglicht auf die vorhandene Eigeninitiative und die Risikobereitschaft dieser Gruppen.

Viele ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger gründen Klein- und Kleinstunternehmen, um unabhängig von staatlichen Zuwendungen zu sein. Die Mehrheit bevorzugt dabei den Dienstleistungsbereich, und neben dem Einzelhandel ist natürlich die Gastronomie die wichtigste Branche, in die Ausländer und Ausländerinnen gehen, wenn sie sich selbständig machen wollen.

Wir können dabei feststellen, dass die Entwicklung der vergangenen 50 Jahre auch in der Unternehmensstruktur ausländischer Selbständiger ihre Spuren hinterlassen hat. Ein spürbar deutlicher Generationswechsel vollzieht sich ungefähr seit Ende der achtziger Jahre und bringt andere Formen der Selbständigkeit hervor, die aus der Nischenökonomie herausführen beziehungsweise diese sinnvoll ergänzen. Es wird eben nicht mehr nur das Fladenbrot an der Ecke verkauft, sondern der Trend geht eindeutig dazu, qualifizierte Dienstleistungen anzubieten. Der Bereich Tourismus steht dabei beispielhaft für diese Entwicklung.

Den Gastarbeitern der ersten Generation, die das häufig in langen Arbeitsjahren als Beschäftigte angesparte Eigenkapital zur Existenzgründung einsetzen, steht heute eine zweite und dritte Generation gegenüber, die mit anderen Voraussetzungen, aber auch mit anderen Ansprüchen die Chancen nutzen wollen, am wirtschaftlichen Leben teilzuhaben. Wir sind verpflichtet, ihnen diese Chancen zu geben.

Es kann zum Beispiel nicht sein, dass Ausländerinnen und Ausländer nichts über die Beratungs- und Fördermöglichkeiten wissen, die vom Land, von den Kammern und von der Arbeitsverwaltung bereitgestellt werden. Es kann nicht sein, dass Starthilfeprogramme und Existenzgründungszuschüsse nur beiläufig in Anspruch genommen werden. Hier leisten Projekte wie das bereits genannte BQN-Projekt, die Beratungsstelle zur Qualifizierung ausländischer Nachwuchskräfte, oder das Projekt Berufsorientierung und Planung für Migrantinnen, MiBoP, Pionierarbeit. Projekte dieser Art werden daher im Rahmen der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik auch weiterhin unterstützt werden müssen und sind auch gerade in der Deputation wieder auf den Weg gebracht worden.

Damit wahren und verbessern wir auch die Chancen und Möglichkeiten, die unsere ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger für die Entwicklung der Wirtschaftskraft im Land Bremen bieten. Ich meine damit ausdrücklich nicht nur die Steuereinnahmen und die Beiträge zur Sozialversicherung, nein, sie schaffen auch zusätzliche Arbeits- und Ausbildungsplätze und tragen zu einer Entlastung des Arbeits- und Ausbildungsmarktes bei. Auf diese Möglichkeiten müssen wir auch im Land Bremen verstärkt setzen.

Vor diesem Hintergrund ist es auch überhaupt nicht vertretbar, unsere ausländischen Bürgerinnen und Bürger quasi nur unter Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten zu bewerten

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

und damit den Beitrag dieser Gruppe zum kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Leben auf eine simple Einnahme-Ausgabe-Rechnung zu reduzieren. Fest steht, in der amtlichen Statistik wird der Beitrag der ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger zum Sozialprodukt ebenso wenig gesondert erhoben wie der Beitrag anderer Bevölkerungsgruppen. Fest steht weiter, dass nach Einschätzung wissenschaftlicher Institute der gesamtwirtschaftliche Beitrag des ausländischen Bevölkerungsanteils positiv ausfällt.

Das beste Beispiel dafür ist die Rentenversicherung. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes fielen 1998 die Rentenauszahlungen an ausländische Bürgerinnen und Bürger bundesweit um fast 50 Prozent niedriger aus als deren Beiträge in die Rentenversicherung.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass unsere ausländischen Bürgerinnen und Bürger ökonomisch, kulturell und sozial einen entscheidenden Beitrag zur Entwicklung unseres Gemeinwesens leisten, und unsere Aufgabe ist es, die Aufgabe der Integration weder zu verdrängen noch zu verschieben, wenn wir nicht zukünftigen Generationen unverhältnismäßige Lasten aufbürden wollen.

(Beifall bei der SPD)

Die Politik ist bei der Verbesserung der sozialen Stellung ausländischer Bürgerinnen und Bürger, beim Abbau bestehender Diskriminierungen und nicht zuletzt bei der Sicherung eines besseren Zusammenlebens zwischen Menschen verschiedener Herkunft, Religion und Kultur im Lande Bremen gefordert. Ich bin deshalb froh, dass wir es jetzt nach einigen Monaten der Diskussion und im Gegensatz zu vorangegangenen Legislaturperioden geschafft haben, ein im Senat mit allen Ressort abgestimmtes Integrationskonzept in einem ersten Teil, in dem

die Grundlinien von Integrationspolitik beschrieben werden, auf den Weg zu bringen.

Es bleibt jetzt die Arbeit am nächsten Teil, in dem es um konkrete Maßnahmen und um Umsetzungen geht. Auch da werden wir sicherlich unter den Ressorts Debatten haben. Ich bin aber sicher, dass wir mittlerweile, da die Aufgabe von allen wahrgenommen werden soll, auch zu einem guten Ergebnis kommen werden, wie sich auch der erste Teil des Integrationskonzeptes aus meiner Sicht durchaus sehen lassen kann.

Wir müssen auf diesem Weg weitergehen und uns noch vieles überlegen, um uns dann am Ende wirklich über erfolgreiche Integration freuen zu können. — Danke schön!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Aussprache ist geschlossen.

Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von der Antwort des Senats auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU Kenntnis.

Dienstleistungen als regionalen Beschäftigungsmotor stärker in den Investitionsprogrammen verankern

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 18. April 2000 (Drucksache 15/283)

Dazu als Vertreter des Senats Senator Hattig.

Die Beratung ist eröffnet.

Als Erster hat das Wort der Abgeordnete Schramm.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben bereits im April dieses Jahres diesen Antrag vorgelegt. Es ist also schon etwas her, aber die Debatte, die dem zugrunde liegt, ist so aktuell wie vorher auch. Der Grund unseres Antrags damals war, dass nach den vielen Jubelmeldungen über das Investitionssonderprogramm erstmals kleinere, aber auch größere Dämpfer aus den eigenen Reihen auf die Tagesordnung kamen, und wir fühlten uns in unserer Hauptkritik am Investitionssonderprogramm dadurch eher bestätigt.

Den langen Reigen dieser kritischen Äußerungen zum ISP hat Professor Dr. Haller eröffnet mit einer BAW-Studie, die sich mit der Dienstleistung im Land Bremen beschäftigt. Professor Haller ist natürlich ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

nicht irgendjemand, sondern bekannterweise der Promotor und Initiator des Investitionssonderprogramms, und er merkt eine enorme Dienstleistungsschwäche in diesem Programm an. Dieser Kritik schlossen sich dann sehr prominente weitere Personen an, zum Beispiel die DGB-Vorsitzende, Frau Kollegin Ziegert, zunächst auch eine Befürworterin des ISP, die dann aber gleichzeitig eine Umverteilung in Höhe von 100 Millionen DM aus dem ISP gefordert hat.