Protokoll der Sitzung vom 05.07.2000

Als Nächste hat das Wort hat die Abgeordnete Frau Iletmis.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zuerst einmal sagen, dass ich mich von Ihnen nicht provozieren lasse.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Die Lügen werden durch Wiederholungen nicht wahr! Sie haben hier so viele Lügen erzählt, dafür

reicht jetzt die Zeit nicht, und da sie durch Wiederholungen nicht wahr werden, werde ich darauf nicht eingehen.

(Abg. T i t t m a n n [DVU]: Sie können es ja nicht widerlegen, und zwar mit Daten und mit Fakten!)

Sie haben immer Birnen mit Äpfeln verglichen. Jetzt rede ich, und ich möchte Sie bitten, dass Sie lernen, auch höflich zuzuhören! Obwohl mir Ihre Rede nicht gefallen hat, habe ich zugehört.

Zuerst möchte ich auf die Schwierigkeiten, die passenden Begrifflichkeiten für diese sehr homogene nichtdeutsche Bevölkerung zu finden, eingehen. Der Begriff Ausländer wird vor allem in rechtlichen und statistischen Zusammenhängen verwendet. Das ist vielleicht auch erst einmal richtig, wahrscheinlich muss man den Begriff Ausländer, so lange diese Mitbürger rechtlich nicht gleich gestellt sind, verwenden. Ich finde allerdings den Begriff Migrant beziehungsweise bei den Kindern, die hier geboren wurden und die diese Erfahrung nicht gemacht haben, Migrantenkinder oder Migrantenfamilien angemessener. Deswegen möchte ich die beiden Begriffe hier verwenden.

Aus den Antworten des Senats erfahren wir, dass 12 Prozent aller Erwerbstätigen im Lande Bremen aus Familien von Zugewanderten sind. 6,4 Prozent sind sozialversicherungspflichtig. 2400 ausländische Unternehmer oder Unternehmerinnen haben hier ihre Arbeitsplätze selbst geschaffen. Im Jahr 1998 gab es im Lande Bremen 36.985 Sozialhilfeempfänger, davon waren 7245 Bedarfsgemeinschaften, ein schwieriges Wort, aber so hieß es in der Antwort, das waren also 19,6 Prozent mit einem nichtdeutschen Haushaltsvorstand.

Bundesweit bezogen, ebenfalls im Jahr 1998, lebten 22 Millionen Menschen von Rente, davon 1,5 Millionen Migranten, das sind 6,8 Prozent. Im Jahr 1998 betrugen die Rentenausgaben 352 Milliarden DM, davon 12,3 Milliarden DM, also 3,5 Prozent, für Migranten. Bei den Beitragseinnahmen betrug der Anteil der Migranten 22,9 Milliarden DM von 300,7 Milliarden DM, also 7,6 Prozent. Es bleiben also 4,1 Prozent mehr.

Bundesweit haben 47.000 Menschen aus der Türkei Unternehmen gegründet, auf diese beziehe ich mich, die Zahlen sind bekannt, die anderen sind nicht so geläufig, oder es sind die alten, deshalb will ich sie hier nicht benennen. Bei diesen Unternehmen sind 80.000 Menschen nichttürkischer Nationalität beschäftigt, darunter auch, wie vorhin schon gesagt wurde, 52.000 Deutsche. Ich finde, das ist eine erhebliche Zahl, mehr als die Hälfte. Wenn man sich die Branchen ansieht, wo diese Menschen beschäftigt waren, wo Zweisprachigkeit beziehungsweise Dreisprachigkeit erforderlich war, wird klar, dass

man da nicht jeden beliebigen Menschen einsetzen kann. Das ist so.

Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze werden von diesen Unternehmern und Unternehmerinnen geschaffen, sie leisten einen großen und sehr wichtigen Beitrag für die Jugendlichen, damit für uns alle, und das ist auch gut so.

(Beifall bei der SPD)

Das waren sieben unterschiedliche Feststellungen zur Wichtigkeit im Lande Bremen beziehungsweise bundesweit, die einiges deutlich machen, was die Beteiligung der Migranten und Migrantinnen betrifft.

Mehr als 7 Millionen Einwanderer und deren Familien leben heute in unserer Gesellschaft, und zwar seit 45 Jahren. Die Geschichte der Migration ist zwar keine sehr lange Geschichte, aber 45 Jahre sind eigentlich auch keine kurze Geschichte. Dadurch hat sich aber auch sehr viel verändert. Herr Peters, die Liebe durch den Magen, die Sie zweimal betont haben, war mir sympathisch, aber der Beitrag der Migranten endet ja nicht beim Kebab! Das war mir etwas zu dürftig.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Männer oder Frauen, ich sage einmal Inländer, denken zu wenig darüber nach, was das für das Zusammenleben alles bedeutet. Ich bin seit 1995 deutsche Staatsbürgerin. Vorher war ich Migrantin, und ich fühle mich immer noch als Migrantin. Das ist so, und das ändert sich nicht einfach dadurch, dass man einen deutschen Pass hat. Wir müssen uns mit dem Thema Migration beschäftigen, in Zukunft, heute, aber nicht nur unter den wirtschaftlichen Aspekten. Wir müssen uns mit dem Zusammenleben, mit den Chancen und auch mit den Problemen beschäftigen.

Ich bin immer dafür gewesen, offen darüber zu sprechen, kein Tabuthema auszulassen und unpopulistisch und auch nicht ablehnend an das Thema heranzugehen. Es würde mir gefallen, in diesem Haus des Öfteren darüber zu sprechen.

(Beifall bei der SPD)

Häufig bleibt vieles unausgesprochen, oder wir führen Scheindebatten, statt uns gemeinsam einer guten Zukunft für alle zu widmen, weil es uns alle betrifft, auch wenn es manche noch nicht so ganz bemerkt haben. Wo so unterschiedliche Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammenleben und arbeiten, wird es immer Probleme geben.

Seit langem ist bekannt, dass die meisten, die gekommen sind, geblieben sind, auch bleiben werden, aber es gibt immer wieder kleinere Gruppen, die

zurückkehren wollen. Das zeigen auch Statistiken, wenn jährlich ungefähr 300.000 Menschen in die Bundesrepublik kommen und ungefähr 300.000 Menschen im Durchschnitt aus verschiedenen Gründen die Bundesrepublik Deutschland auch wieder verlassen. Die, die gehen, gehen meistens zu unserem Vorteil, weil Renten und Krankenkassen vorher bezahlt werden, insbesondere Rentenansprüche, der Arbeitgeberanteil, der bezahlt worden ist, wird nicht zurückgezahlt, und davon profitiert die Rentenkasse.

Ich möchte über ein Thema, zu dem schon einiges von Herrn Peters gesagt wurde, noch ein bisschen deutlicher sprechen. Die Zahlen machen deutlich, dass die Migranten nicht, wie behauptet wird, eine Last für diese Gesellschaft sind, und sie nehmen keine Arbeitsplätze weg, weil sie auch selbst einige schaffen.

(Beifall bei der SPD)

Nicht nur der Wohlstand und die Wirtschaftlichkeit, die Leistungsfähigkeit von Migranten und Migrantinnen soll sie für dieses Land attraktiv machen, auch Migranten und Migrantinnen möchten Bürger und Bürgerinnen werden, die hier zu Hause sind, sich hier akzeptiert und heimisch fühlen.

(Beifall bei der SPD)

In dieser Hinsicht habe ich die Frage sechs ein bisschen als überflüssig angesehen, das muss ich ehrlich sagen. Das hat mir auch vorher schon Probleme bereitet, weil ich finde, ich stelle das jetzt etwas grob und kurz dar, man soll nicht danach fragen, wie viele Kartoffeln haben sie produziert und wie viele haben sie gegessen. Diese Gegenleistung hat mich bei dieser Fragestellung sehr gestört.

(Beifall bei der SPD)

Ich denke, wir müssen lernen oder versuchen, den Blick auf das Ganze zu richten. Ich hoffe, dass das angekündigte Integrationskonzept einiges dazu beiträgt. Mit Zahlen und Statistiken zur Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe wird oft Missbrauch getrieben. Sie müssen sorgfältig gelesen werden, dann erweist sich manches Urteil als Vorurteil.

(Beifall bei der SPD)

Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, der mich auch sehr beschäftigt, weil ich mir denke, dass Migranten und Migrantinnen schon längst ein Teil dieser Gesellschaft sind, ob einige das akzeptieren oder nicht akzeptieren, ist folgender: Es wird meistens über Flüchtlinge und Asylbewerber sehr geschimpft, und viele Menschen ärgern sich, dass sie nicht arbeiten und ohne tätig zu werden Sozialhilfe in Anspruch nehmen.

Wie Sie wissen, erhalten neu eingereiste Asylbewerber und Flüchtlinge seit dem 15. Mai 1997 keine Arbeitserlaubnis mehr. Sie sind damit pauschal vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Integrationspolitik muss deshalb auf den Abbau struktureller Ungleichheit hinwirken. Wir müssen die rechtliche Ungleichbehandlung abbauen, wo dies notwendig ist, und ich denke, hier ist es notwendig. Wir können nicht den Menschen den Zugang zum Arbeitsmarkt versperren, also sagen, du darfst nicht arbeiten, und auf der anderen Seite dürfen wir nicht darüber schimpfen, dass sie Sozialhilfemissbrauch begehen. Das finde ich nicht richtig. Auch die Libanesen haben es gar nicht so getan, diese Zahl ist wieder sehr hoch. Die Kinder können nichts dafür, wenn einige Eltern eine andere Staatsangehörigkeit angegeben haben.

Von zentraler Bedeutung sind für mich hinsichtlich der Integration die Teilhabe und der Erfolg am Arbeitsmarkt. Wenn die Politik Integration will, und ich denke einmal, das wollen alle, so oder so, aber gleichzeitig den Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt, dann passt das nicht zusammen. Das ist völlig unüberschaubar. Die veraltete Arbeitsgenehmigungsordnung muss deshalb dringend reformiert werden. Der Zugang zum Arbeitsmarkt muss für alle Gruppen, für Asylbewerber, auch wenn man noch nicht weiß, wie lange sie hier bleiben, auch für Familienangehörige, die nachgezogen sind, geöffnet werden.

(Beifall bei der SPD)

Wenn wir mehr Beschäftigung für Migrantinnen und Migranten wollen, dann müssen wir auch die Diplome und Abschlüsse der Heimatländer anerkennen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Das sind die Punkte, die ich so kurz wie möglich nennen möchte. Ich denke mir, es bedarf in dieser Frage der Integration, Arbeitsmarktpolitik und Asylfragen sicherlich anderer Diskussionen. Ich möchte Ihre Geduld nicht zu viel in Anspruch nehmen, aber eine sehr wichtige Sache wäre, denke ich, wirklich über Asyl- und Flüchtlingsprobleme ohne Vorurteile diskutieren zu können. Das würde uns, denke ich, gut tun. — Danke!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Stahmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bremen ist ein Einwanderungsland, und das ist auch gut so. Die gute Botschaft vorweg: Es gibt Erfolge bei der

beruflichen Integration von Ausländern. Das gilt einerseits für die abhängig Beschäftigten und für die Selbständigen. Die Bedeutung von selbständig tätigen Ausländern in Deutschland ist stetig gewachsen, das zeigen bundesweite Untersuchungen, und hat mittlerweile ein vergleichbares Niveau wie das von Inländern. Ausländische Unternehmen sind damit gleichermaßen wie inländische ein bedeutender Wirtschaftsfaktor, sowohl hinsichtlich der Wertschöpfung als auch der Schaffung von Arbeitsplätzen.

Ob diese neue Selbständigkeit allerdings ein Beweis für Integration ist, wie es der Senat uns in seiner Antwort hier weismachen will, oder nicht ein Zeichen dafür ist, dass sich Ausländer oder Migranten vielleicht schon emanzipiert und sich mit der Situation arrangiert haben, auch mit den diskriminierenden Äußerungen bei manchen Betrieben, wo man arbeitet, das sei dahingestellt. Das Ergebnis, also die wachsende wirtschaftliche Bedeutung ausländischer Unternehmen und die zumindest in Teilen erreichte berufliche Integration ausländischer Arbeitnehmer, das hat die Große Anfrage der CDU hervorgebracht, finde ich sehr positiv.

Was diese Anfrage allerdings nicht zutage gebracht hat und worauf die CDU vielleicht auch nicht so großen Wert gelegt hat, ist die Tatsache, dass es nach wie vor eine erhebliche Diskriminierung von Migranten in der Bundesrepublik und auch in Bremen gibt. Ausländer sind überproportional im verarbeitenden Bereich tätig und in der zweiten Generation zunehmend im Dienstleistungsbereich, zum Beispiel im Reinigungsgewerbe, und nicht zum Beispiel in diesen Berufen, von denen wir sagen, das sind die Zukunftsbereiche wie IT-Berufe oder Banken.

Ich bin mit vielen Kindern aus unterschiedlichen Ländern aufgewachsen, aus Portugal, Spanien, Türkei, und nur wenige meiner früheren Freunde haben studiert, und die sind nicht wesentlich dümmer.

(Heiterkeit)

Da frage ich mich natürlich, woran liegt das! Ich bleibe bescheiden!

Ausländer sind häufig in Branchen beschäftigt, die von Umstrukturierung und Massenentlassungen betroffen sind. Die Arbeitslosenquote bei Ausländern ist höher als die bei Inländern, und zudem unterliegen Ausländer generell einem größeren Risiko, arbeitslos zu werden. Dazu gibt es auch viele Studien. Schließlich sind Migranten in beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen nach SGB III auch unterrepräsentiert. Das zeigt, dass es nach wie vor einen Arbeitsmarkt gibt, der sich in verschiedene Segmente aufteilt, und das ist nicht nur auf dem ersten Arbeitsmarkt so, sondern auch im Bereich der beruflichen Ausbildung. Auch dort treten den Jugendlichen viele Hemmnisse entgegen, ich habe eben schon die Diskriminierung angesprochen. Sie brechen aber auch

häufiger ihre Berufsausbildung ab, sie verlassen die Schule früher, und das trägt alles dazu bei, dass der Arbeitsmarkt sich für die Jugendlichen nicht so erschließt.

Wir hatten eine Kleine Anfrage gestellt hinsichtlich der Anerkennung von Berufsabschlüssen, und da wurde deutlich, dass nur 66 Prozent aller Ausbildungsabschlüsse von Ausländern anerkannt werden. Da gibt es einen großen Anteil von 34 Prozent, und dort müssten eigentlich Maßnahmen folgen, dass diese Gruppe berufsbegleitend nachqualifiziert wird und dass es zum Schluss, würde ich zum Beispiel vorschlagen, eine Anerkennung auf Probe gibt und dann individuell geprüft wird, wo es noch Defizite gibt, falls es Probleme gibt.

Bildung vermeidet Ausgrenzung! Bildung und Ausbildung spielen für ausländische Jugendliche eine entscheidende Rolle, um sich einen Zugang zum Arbeitsmarkt zu verschaffen. Für viele junge Menschen sieht die Zukunft in der so genannten Wissensgesellschaft gar nicht so rosig und verheißungsvoll aus wie vielleicht für deutsche Jugendliche mit deutschen Eltern. Sie haben häufig keinen Schulabschluss, keine Ausbildung und wenig Deutschkenntnisse.