Protokoll der Sitzung vom 08.11.2001

Wir haben es hier mit einer Fehlentscheidung zu tun und mit dem Versuch, diese Fehlentscheidungen im Fall des Großmusicals zu vertuschen. Das Parlament wurde nicht ausreichend informiert, um parlamentarische Kontrolle möglich zu machen, und das, wie gesagt, wiederholt und mit System. Herr Senator Hattig, Sie haben kein angemessenes Verständnis von parlamentarischer Demokratie.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Immer wieder habe ich in den letzten Jahren in der Wirtschaftsdeputation und in den Wirtschaftsförderungsausschüssen die Erfahrung gemacht, dass Sie zeitnahe und detailgenaue Informationen für Kassandrapolitik halten und dass Sie nach wie vor als ein Mann der Wirtschaft nicht verstanden haben, was politischen Stil in einer Demokratie auszeichnet.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Also, Nichtinformationspolitik und Irreführung des Parlaments ist das eine, aber der andere Punkt, den wir kritisieren, ist, dass Sie Günstlingswirtschaft betreiben. Dazu später mehr! Jetzt erst einmal ein kleiner Einblick in die Geschichte der Nichtinformation!

Meine Damen und Herren, hätten die Grünen nicht schon im letzten Sommer etliche Vorgänge um „Jekyll and Hyde“ an das Licht der Öffentlichkeit geholt, hätten Sie im Wirtschaftsressort versucht, diese für Sie unangenehmen Zahlen und Informationen verdeckt zu halten. Ich möchte aus einem Interview meiner Kollegin Eva-Maria Lemke-Schulte vom 28. August 2000 zitieren, und zwar Radio Bremen, „Rundschau am Abend“, es ging um die Liquiditätsprobleme des Musicals „Jekyll and Hyde“. Frau Lemke-Schulte sagt da: „Voraussetzung für die Weiterfinanzierung des Musicals sei ein tragfähiges Sanierungs- und Zukunftskonzept“,

(Abg. D r. S i e l i n g [SPD]: Richtig!)

und das liegt eben mitnichten vor. Die Vorlagen, die uns vorliegen, lassen viel mehr Fragen offen, als dass sie Fragen beantworten.

So war es eben immer, viel mehr Fragen, wenn man die Deputationsunterlagen gelesen hatte, als Antworten! Weiter Frau Lemke-Schulte: „Es hat vor

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allem keine Kontrolle stattgefunden bei den Zuständigen, weder beim zuständigen Wirtschaftssenator noch bei der Hanseatischen Veranstaltungsgesellschaft.“ Soweit Frau Lemke-Schulte, sie hatte einfach Recht!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Jetzt möchte ich Ihnen gern einige Zitate aus einer sehr illustren Sitzung des Aufsichtsrats der Hanseatischen Gesellschaft für öffentliche Finanzierungen vom 23. Juni 2000 in Erinnerung rufen. Versammelt waren alle wichtigen Staatsräte in diesen Angelegenheiten, der Staatsrat Finanzen, Herr Dr. Dannemann, der Staatsrat Wirtschaft, Herr Dr. Färber, und der Staatsrat des Bauressorts, Herr Logemann, sowie hochrangige Beamte. Zitat aus dem Protokoll:

„Herr Dr. Dannemann bittet um Sachaufklärung über die in der Startphase des Musicals beschlossenen Zuschüsse und die Höhe der von der Hanseatischen Veranstaltungsgesellschaft beziehungsweise dem Wirtschaftsressort daraus geleisteten Zahlungen. Frau Rüpke“ – eine Mitarbeiterin – „erklärt, der öffentliche Beitrag betrage insgesamt rund drei Millionen DM per anno. Nach Auffassung von Herrn Dr. Dannemann weicht dieser Sachverhalt von den bisherigen Schilderungen der Hanseatischen Veranstaltungsgesellschaft ab.“

(Abg. S c h r a m m [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Hört, hört!)

Hört, hört! Weiter dann: „Herr Timm“ – Abteilungsleiter Wirtschaft – „erklärt, von diesen Tatsachen ebenfalls keine Ahnung gehabt zu haben.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Ach was!)

Herr Holtermann erkundigt sich, wie sich die derzeitige Situation mit den Auskünften des Senats gegenüber der Bremischen Bürgerschaft in Einklang bringen lasse, wonach die Auslastung des Musicals bis zu 80 Prozent betragen habe. Herr Dr. Färber bestätigt die Richtigkeit dieser Aussagen. Man habe dabei die Anzahl der verkauften Karten als primäre Schlüsselgröße im Auge gehabt. Die Ausgabenseite sei dabei nicht berücksichtigt worden.“

Ach nein, meine Damen und Herren, das verwundert mich wirklich! Sie sind doch Wirtschaftsfachleute, die rechnen können und müssen und für die Einnahmen das Entscheidende sind, zumindest sein sollten. Nur abgegebene Eintrittskarten zu zählen, ohne die Einnahmen zu berücksichtigen, das ist doch das, was Sie den Kulturleuten immer vorwerfen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Ich stelle Ihnen die Frage: Wer kann hier eigentlich nicht mit Geld umgehen?

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Dann: „Herr Keller“ – der Chef der Bremischen Investitions-Gesellschaft – „stellt ergänzend klar, dass die Einnahmenseite hinsichtlich der Stimmigkeit des Kartenpreises bisher nicht ausreichend geprüft worden sei.“ So, so! Herr Dr. Dannemann stellt dann noch fest, dass das bisherige Controlling über die Entwicklung von „Jekyll and Hyde“ nicht ausreichend sei. Man kann nur sagen, da hatte er Recht. Wie wahr, welche Erkenntnisse der Aufsichtsgremien! Nur, welche Konsequenzen resultierten daraus?

Da hört es sich öffentlich schon ganz anders an. Noch einmal Radio Bremen, diesmal „Rundschau am Mittag“ vom 4. August 2000, da heißt es: „Und immer, wenn Kritik am Management, an Finanzierung und Verträgen laut wird, wie gestern von den Grünen in Bremen, die interne Papiere auf den Tisch gelegt haben,“ – das müssen wir ja, andere Informationen bekommen wir ja nicht – „gibt es neuen Ärger. Das Wirtschaftsressort hat gestern alle Kritik zurückgewiesen und vor einer weiteren Diskreditierung des regionalwirtschaftlich erfolgreichen Musicals gewarnt.“

Ja, meine Damen und Herren, so ist das hier in den letzten Jahren gelaufen. Die Koalition leistet sich solche Pannen, wir als Opposition legen den Finger in die Wunde, was, ehrlich gesagt, unsere Aufgabe ist, und dann schreien die für die Pannen Verantwortlichen, die Grünen würden den Standort schädigen! Auch hier frage ich Sie: Wer schädigt eigentlich den Standort mit seinen wirtschaftspolitischen Fehleinschätzungen?

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Haben wir etwa verkündet, man könnte hier ein privatwirtschaftlich betriebenes Musical spielen? Nein! Es hat zwar 1994 eine Prüfung gegeben, auch in Ampelzeiten, aber die Entscheidung, die 1996 getroffen wurde, ist gegen unsere Stimmen getroffen worden. Das aber so zu verkünden, es ginge privatwirtschaftlich, war Ihre Entscheidung, und das waren Sie mit Ihrer Großmannssucht.

Ich möchte Sie an einen Brief des Wirtschaftsstaatsrats Haller vom 4. März 1997 erinnern. Es ist ein Brief an seinen Kollegen Herrn Dr. Dannemann. Zitat: „Das Fehlen einer solchen Musicalspielstätte stellt ein erhebliches Problem für die notwendige Belebung des Städtetourismus in Bremen dar, weil, wie viele nationale und internationale Städtebeispiele zeigen, ein so genanntes Großmusical noch auf viele Jahre hin einen unverzichtbaren Bestandteil eines leistungsfähigen touristischen Paketangebotes darstellt.“

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Herr Haller weiter: „In dem beigefügten MusicalBremen-Vertragswerk“, das Ihnen allen in den letzten Tagen wieder in Erinnerung gerufen worden ist, „ist eine meines Erachtens günstige privatwirtschaftliche Lösung für die Erstellung eines Musicaltheaters erarbeitet worden.“ Meine Damen und Herren, Herr Haller dann weiter an den geschätzten Kollegen Dannemann: „Produktion und Betrieb des Musicals erfolgen hierbei ausschließlich privatwirtschaftlich.“

Ich stelle also fest, das Wirtschaftsressort, damals Herr Perschau und Herr Haller, hat dieses Großmusical gepusht, wo es nur konnte. Die Koalition, die Abgeordneten von SPD und CDU, hat alles immer brav abgenickt.

Dazu noch eine Kostprobe aus der Vorlage für die Wirtschaftsförderungsausschüsse vom 30. August 2000! Das Wirtschaftsressort hat in seiner Eigenart, alles schönzurechnen, folgende Prognosen abgegeben, immerhin hat man auch eine Worst-Case-Berechnung gemacht, die ich Ihnen jetzt vorlese: „Für den hier betrachteten Worst-Case-Fall besuchen über 20 Jahre 4,03 Millionen Personen das Musical am Richtweg. Der Zuschuss pro Besucher liegt bei 23,52 DM. Der Gegenwartswert der Kosten beläuft sich auf 70,6 Millionen DM, der Nutzen auf 75,5 Millionen DM, so dass auch für diesen extremen Fall“ – völlig undenkbar! – „immer noch ein Überschuss des Nutzens über die Kosten von 4,9 Millionen DM zu verzeichnen wäre.“

Das war die Prognose, meine Damen und Herren, der Sie alle gern geglaubt haben, kommen die Zahlen doch immer mit Unterstützung des BAW zustande, des so geschätzten Bremer Ausschusses für Wirtschaftsforschung.

Jetzt haben wir – wir sind nun ein bisschen weiter, und hinterher ist man immer schlauer, hoffentlich auch Sie – den Abschlussbericht von „Jekyll and Hyde“ vorliegen. Er ist auch besonders illuster, weil er erst auf meine dringende Anforderung überhaupt zustande kam. Glauben Sie aber nicht, dass wir diesen schriftlichen Bericht wie jede andere Deputationsvorlage zu Beginn der Sitzung oder sogar vorher verschickt bekommen hätten! Nein, erst als der Tagesordnungspunkt aufgerufen wurde, wurde der schriftliche Bericht verteilt, damit wir ihn bloß vorher nicht lesen können.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Das ist wie beim Vulkan!)

So geht es hier zu. Dann stellt man in diesem Abschlussbericht fest, weil es eine finanz- und wirtschaftskraftstärkende Maßnahme sein sollte mit diesem Großmusical, dass es Bremen in diesen ersten eineinhalb Jahren unter dem Strich bei allen Steuerrückflüssen leider eine Million DM mehr gekostet hat, als man Einnahmen gemacht hat. Das sind die Fakten. Also: keine wirtschafts- und finanzkraftstär

kende Investition! Das haben Sie allerdings immer behauptet, aber Ihre eigenen Zahlen haben bewiesen, dass das nicht stimmt.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ich stelle noch einmal fest: Die Berechnungen über die finanzwirtschaftlichen Effekte waren geschönt, ausgehend von Prognosen und Berechnungen des BAW, des Bremer Instituts, dem jetzt der Exwirtschaftsstaatsrat Haller vorsteht. Das sind keine seriösen Gutachten, sondern Gefälligkeitszahlen.

Finden Sie eigentlich immer noch, meine Damen und Herren von der Koalition, dass Herr Haller seinen wirtschaftspolitischen Heiligenschein zu Recht trägt? Wir sagen entschieden nein! Er hat einiges an Missentscheidungen zu verantworten: vor etlichen Jahren auf dem ehemaligen AG-„Weser“-Gelände die Grunau-Pleite, die verfehlte Daewoo-Ansiedlung, die überdimensionierte Planung für den OceanPark, der Rhodariumsplan und so weiter. Ich frage Sie: Was muss Ihnen eigentlich noch an Missgriffen passieren, um hier endlich einmal politische und persönliche Konsequenzen zu ziehen?

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Jetzt schauen wir uns einmal an, was Bremen in das Musical bisher alles hineingesteckt hat. Sie erinnern sich, die damaligen Musical-Betreiber, die Herren Jarosch und Bücheler aus Hamburg, hatten dann, kurz bevor es anfangen sollte, auch nichts mehr auf der Naht, und deswegen musste gleich zu Beginn nachgebuttert werden. Statt 45 Millionen DM musste das Darlehen dann 54,5 Millionen DM hoch sein, dann wurde ein grandioser Vertrag gemacht, das Risiko trägt die Stadt, je geringer die Auslastung, desto mehr muss Bremen bezahlen, und der private Unternehmer hat es einfach besser. Diesen Vertrag haben wir nicht mitgemacht. Ich darf Sie erinnern, einzig der Kollege Detmar Leo von der SPD hat diesen für Bremen so ungünstigen Vertrag kritisiert. Alle anderen haben dieses unglaubliche Vertragswerk abgenickt.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Wer hat den denn ausgehandelt?)

Dann gab es im letzten Sommer die so genannte Rettungsbeihilfe von 12,04 Millionen DM für „Jekyll and Hyde“. Die Hanseatische Veranstaltungsgesellschaft hat bisher für nicht erzielte Mieterlöse 5,535 Millionen DM bezahlt und, auch das ist interessant, die Bremer Tourismuszentrale und die Hanseatische Veranstaltungsgesellschaft haben für das Marketing einmal die BTZ 1,4 Millionen DM und die HVG 0,9 Millionen DM bezahlt. Auch das sind damit direkte Mittel für das Musical. Alles zusam

Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 15. Wahlperiode – 47. (außerordentliche) Sitzung am 08. 11. 01 3455

men kommen wir auf rund 80 Millionen DM, die bisher in das Musical geflossen sind.

Das, meine Damen und Herren, nennt sich dann in Bremen neoliberale Politik à la Perschau, Haller und Hattig. Neoliberal steht darauf, und purer Staatsinterventionismus ist darin.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Was lernen die verantwortlichen Politiker dieser Stadt eigentlich daraus?

Unser Controlling ging dann weiter. Ich darf Sie erinnern, das ist alles noch nicht lange her, 18. Oktober dieses Jahres, einmal wieder Wirtschaftsförderungsausschüsse, unter dem Punkt Verschiedenes: Die Abgeordnete Trüpel will wissen, wie es um das Musical „Hair“ steht, was mit den Verträgen von Schulenberg ist, weil es gerade Pressenotizen gab. Eine richtige Antwort bekomme ich nicht, sondern mir wird nur beschieden über den Abteilungsleiter, dass es keinen Handlungsbedarf gäbe, und außerdem würde es sich um eine rein privatwirtschaftliche Lösung handeln.

(Lachen beim Bündnis 90/Die Grünen)