Protokoll der Sitzung vom 11.12.2002

Entwicklung und Förderung des Wohnungsmarktes

Große Anfrage der Fraktionen der CDU und der SPD vom 16. Oktober 2002 (Drucksache 15/1266)

D a z u

Mitteilung des Senats vom 3. Dezember 2002

(Drucksache 15/1317)

Als Vertreter des Senats Frau Senatorin Wischer, ihr beigeordnet Staatsrat Logemann.

Verehrte Frau Senatorin, wünschen Sie die Antwort des Senats mündlich vorzutragen?

(Senatorin W i s c h e r : Nein!)

Ich gehe davon aus, dass eine Diskussion gewünscht wird.

Wenn das der Fall ist, dann treten wir in die gemeinsame Aussprache ein.

Die Aussprache ist eröffnet.

Das Wort erhält die Abgeordnete Frau Krusche.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die grüne Bürgerschaftsfraktion hat eine Große Anfrage mit dem Titel „Demographischer Wandel und Stadtentwicklung“ an den Senat gerichtet. Wir haben das deshalb getan, weil die große Koalition sich in den vergangenen Jahren beharrlich geweigert hat, die tatsächliche Bevölkerungsentwicklung zur Grundlage ihrer politischen Entscheidung zu machen, und stattdessen Flächen-, Wohnungsbau- und Verkehrspolitik mit völlig irrealen Wachstumsszenarien begründet.

Meine Damen und Herren, dies kann nur schief gehen und kommende Generationen belasten, da diese es sein werden, die die Fehler, die wir heute machen, in der Zukunft auszubügeln haben werden. Wir begrüßen daher ausdrücklich die Antwort des Senats auf unsere Große Anfrage, weil darin deutlich wird, dass wir es in der Tat in Bremen und auch in Bremerhaven nicht mit wachsenden Städten zu tun haben, sondern im Gegenteil, wir haben uns auf einen deutlichen Bevölkerungsrückgang einzustellen.

Unter den Überschriften „Demographischer Wandel“ oder auch „Schrumpfen der Städte“ wird augenblicklich landauf, landab darüber diskutiert, wie man sich darauf einzustellen habe. Bei allem Wunschdenken, dass dies doch bitte anders sein möge, haben wir uns darauf einzustellen und die entsprechenden Schlüsse daraus zu ziehen. Darum möchte ich Ihnen ein paar Zahlen nennen.

Deutschland hat heute etwa 82 Millionen Einwohner. Auch bei einer jährlichen Zuwanderung von 100 000 Personen wird die Bevölkerung in 50 Jahren nur noch 65 Millionen stark sein. Der Grund für diese Abnahme liegt in einer höheren Sterbe- als Geburtenrate. Frauen bekommen statistisch gesehen seit langem 1,4 Kinder. Das heißt, jede Kindergene––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

ration ist zahlenmäßig kleiner als die Elterngeneration, und diese zahlenmäßig geringere Elterngeneration bekommt wieder deutlich weniger Kinder.

Die Ausmaße der Änderungen werden aber erst bei Betrachtung längerer Zeiträume deutlich. Kommen 1999 auf 100 Erwerbstätige 39,8 Menschen über 60 Jahre, so steigt diese Zahl im Jahre 2020 auf 54,1 an, und im Jahre 2050 kommen auf 100 Erwerbstätige 80 Menschen, die über 60 Jahre alt sind.

Alles dies sind natürlich errechnete Zahlen von Statistikern, aber sie machen doch eines deutlich: Wir haben uns einzustellen auf eine Bevölkerung, die zahlenmäßig abnimmt, immer älter wird, und einen sinkenden Anteil an Erwerbstätigen, aber einen stetig ansteigenden Anteil der Bürgerinnen und Bürger ausländischer Herkunft. Das Gesicht unserer beiden Städte wird sich deutlich verändern, und wir Grünen sind der Auffassung, dass es für Bremen und Bremerhaven wichtig ist, frühzeitig Strategien zu entwickeln, mit diesen sich ändernden Bedingungen umzugehen und sie in alle Planungen einzubeziehen. Dies gilt nicht nur für die Stadtentwicklungspolitik, sondern genauso für die Sozial-, Gesundheits- oder auch Bildungspolitik.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

In Bremen werden im Jahre 2020 zirka 30 000 Menschen weniger leben als heute. In Bremerhaven schrumpft die Bevölkerung um etwa ebenso viel. Für Bremerhaven bedeutet das immerhin einen Bevölkerungsverlust von 24 Prozent. Meine Damen und Herren, politisch streiten wir jetzt darüber, wie eine Stadtentwicklungspolitik aussehen muss, die vorausschauend und positiv auf diese Änderungen der Bevölkerungsentwicklung reagiert und die nicht zu Lasten kommender Generationen geht.

Es geht dabei nicht darum, diese Statistiken resignierend zur Kenntnis zu nehmen, und selbstverständlich muss alles getan werden, um neue Bürgerinnen und Bürger für Bremen und Bremerhaven zu gewinnen. Darüber sind wir uns alle einig. Mit vielen Vorschlägen, die in der Antwort des Senats gemacht werden, Frau Senatorin Wischer, gehen wir konform. Wir finden es richtige Vorschläge, gerade wenn es darum geht, die Sanierung im Bestand voranzutreiben, alte Wohnungsgrundrisse zu ändern, Wohnungen zusammenzulegen und sie auf die Bedürfnisse der sich ändernden Bevölkerung zuzuschneiden.

Gerade wenn man weiß, dass über 90 Prozent der alten Menschen in ihren eigenen Wohnungen bleiben möchten, dann ist hier ein Feld, worauf sich auch die Stadtentwicklungspolitik einzustellen hat. Aber wir streiten uns darüber, ob es richtig ist, angesichts einer abnehmenden Bevölkerungszahl immer neue Flächen in Bremen und Bremerhaven für die Ansiedlung von Gewerbe, für neue großflächige Einfamilienhaussiedlungen oder für immer neue Ver

kehrsinfrastruktur in Anspruch zu nehmen. Da sagen wir Grünen ganz klar nein, meine Damen und Herren!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Die zentrale Aufgabe der nächsten Jahre wird es sein, die Städte auf den vorhandenen Flächen umzubauen, statt sie immer weiter an den Stadtrand auszudehnen. Bei sinkender Kinderzahl macht es eben keinen Sinn, neue Kindergärten und neue Grundschulen am Stadtrand zu bauen, weil dies bedeuten wird, dass gerade in den gewachsenen Stadtteilen Grundschulen und Kindergärten leer fallen werden. Dies kann nicht im Sinne einer Stadtentwicklungs- und Bildungspolitik sein, meine Damen und Herren! Darum finden wir es richtig, alles dafür zu tun, vor allem Familien das Leben und Wohnen mit Kindern in den vorhandenen Stadtquartieren so attraktiv wie möglich zu gestalten. Kinderfreundliche Städte sind das beste Mittel, dass Familien nicht in das Umland abwandern.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Die Stadtteile aufzuwerten, zu stabilisieren, leer stehenden Wohnraum und Büroraum für neue Nutzung umzufunktionieren, das Wohnumfeld den Menschen, den Interessen der Menschen anzupassen, in diese Richtung muss es gehen, und dazu werden in der Antwort des Senats auch Vorschläge gemacht. Darüber hinaus wird es darauf ankommen, die Ausweitung von Dienstleistungsangeboten in den Stadtteilen voranzubringen, Existenzgründerinnen preiswerte Flächen zur Verfügung zu stellen, aber auch das Experimentieren mit interessanter Architektur, mit neuen Wohnformen, das sind Wege, womit man neue Bürgerinnen und Bürger auch für die Stadtteile gewinnen kann.

Aber genauso wichtig ist es auch, Menschen vom Verkehr zu entlasten. Gerade der wachsende Verkehr in Wohngebieten ist einer der vielen Gründe, die die Menschen aus ihren Stadtteilen vertreibt. Wir würden es uns wünschen, wenn alles in Zukunft dazu getan würde, Wohnen und Arbeiten wieder enger zusammenzuführen. Für uns geht es darum, die urbanen Qualitäten der Städte zu stärken und vor allen Dingen auch in das Bewusstsein der Menschen zu rücken. Das ist aus unserer Sicht die beste Art, die Menschen in Bremerhaven und Bremen zu halten und zu verhindern, dass sie in das Umland abwandern.

Umgesteuert werden muss auch in der Verkehrspolitik. Leider sagt zu diesem Feld die Antwort des Senats wenig oder eigentlich gar nichts aus. Wir glauben, dass es falsch ist, dass die große Koalition Hunderte von Millionen Euro in den Ausbau immer neuer Verkehrsinfrastruktur pumpt, weil dies den Eindruck erweckt, als wären wir eine expandierende Me

tropole, aber allen ist klar, wir sind es nicht, und immer mehr Straßen für immer weniger Menschen zu bauen, das rechnet sich weder aus ökologischen noch aus ökonomischen Gründen.

Den größten Beitrag, den die Politik zur Vermeidung von Verkehr leisten kann, ist meiner Meinung nach die Arbeit an einer Stadt der kurzen Wege. Wir wünschen uns so viel Nachbarschaft von Wohnen und Arbeiten wie möglich. Dazu ist es notwendig, dass es einen attraktiven ÖPNV gibt, das ist uns, glaube ich, allen klar. Aber auch die Wohnungsbaupolitik und die Gewerbeflächenpolitik müssen sich daran orientieren. Jeder Bürger, der in die Straßenbahn steigt und nicht in das Auto, bedeutet eine Entlastung der Straßen vom motorisierten Verkehr.

(Abg. Frau L e m k e - S c h u l t e [SPD]: Ja, Linie vier!)

Dann will ich darauf hinweisen, wir alle wollen ja die Hafenreviere weiterentwickeln. Sie sind für uns die zentrale Fläche, auf der in den nächsten Jahren Wohnen und Arbeiten wieder zusammengeführt werden können. Hier ist eine neue Straße geplant. Das Stephaniviertel und die Hafenvorstadt sollen mit dieser neuen Straße verbunden werden. Das wäre für uns so ein Punkt, bei dem ich sage, es macht keinen Sinn, nur eine Straße zu bauen, sondern zeitgleich auch eine Straßenbahn, denn dort, wo eine Straßenbahn fährt, besteht die beste Chance, dass Menschen sagen, ja, da gibt es eine vernünftige Anbindung, und dort kann man dann auch vernünftige Wohnungsbaugebiete errichten.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg. M ü t z e l b u r g [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Freiburg macht das zum Beispiel! – Glocke)

Ihre Redezeit ist zu Ende!

Ich komme zum Schluss! Meine Damen und Herren, insgesamt zeigt die Antwort des Senats die Richtung auf, in die die Stadtentwicklungspolitik in den nächsten Jahren gehen muss, wenn sie die Bevölkerungsentwicklung zu ihrer Grundlage macht. Das begrüßen wir Grünen, aber wir erwarten nun auch vom Senat, dass er danach handelt. Die Zukunft Bremens und Bremerhavens liegt nicht in erster Linie im Ausbau, sondern im Umbau unserer beiden Städte. Wir brauchen starke Stadtteile und vitale Innenstädte. Nicht wenige Großprojekte wie in den letzten Jahren, sondern viele dezentrale kleine Projekte werden unsere Städte stärken und fit machen für die Zukunft. – Herzlichen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Nächster Redner ist der Abgeordnete Pflugradt.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Krusche, bevor ich zu dem komme, was ich sagen will, möchte ich doch eine kurze Bemerkung zu Ihren Ausführungen machen. Es ist in der Tat richtig, wenn man Ihre Politik in den letzten sieben oder acht Jahren umgesetzt hätte, dann wären wir eine schrumpfende Stadt. Das Gegenteil ist der Fall, jedenfalls was Bremen in den letzten zwei Jahren anbetrifft. Wir haben einen Einwohnerzuwachs gehabt, und das ist das Ergebnis der großen Koalition, nicht das Ergebnis Ihrer Politik!

(Beifall bei der CDU – Abg. T e i s e r [CDU]: So ist es!)

Ihre Politik führt immer zu einer schrumpfenden Stadt, weil Sie den Zusammenhang zwischen Arbeitsplätzen und Wohnungsbau nicht begriffen und nicht verstanden haben und deswegen auch nicht zu den richtigen Schlussfolgerungen kommen.

Meine Damen und Herren, wir debattieren hier einerseits die Anfrage der Grünen, aber auch die Anfrage von CDU und SPD zur Entwicklung und Förderung des Wohnungsmarktes. Es gab im letzten Jahr zwei Untersuchungen, die der Verband der Wohnungswirtschaft in Niedersachsen und Bremen in Auftrag gegeben hat, zwei dicke Bände. Einmal geht es um eine Studie zur Entwicklung des Wohnungsmarktes in Bremen und Niedersachsen, die zu differenzierten Aussagen kommt, und andererseits ist eine Vertiefungsstudie für Bremen vorgelegt worden.

Wenn man die Basisvariante nimmt, dann gibt es – wenn man den Stadtbereich Bremen ohne BremenNord nimmt – einerseits, ohne die Maßnahmen, die wir wirtschaftspolitisch auf den Weg gebracht haben, eine Bevölkerungsminimierung um zwei Prozent, aber es gibt andererseits eine Steigerung der Haushalte um über drei Prozent. In Bremen-Nord sieht es etwas anders aus, in Bremerhaven sieht es noch differenzierter aus. Immer auf der Basis, dass die Dinge, die wir auf den Weg gebracht haben oder auf den Weg bringen werden, nicht greifen! Das ist ja die Voraussetzung dabei. Ich will mir ersparen zu sagen, welche Konsequenzen das in diesen drei Bereichen hat, also Bremen, Bremen-Nord und Bremerhaven. Die Teilmärkte sind da sehr unterschiedlich.

In Bremen haben wir, was den Mietwohnungsbereich angeht, Angebotsüberhänge, allerdings, um das auch deutlich zu sagen, deswegen ist Ihre Schlussfolgerung auch falsch, Frau Krusche, gibt es keine Nachfrage nach Ein- und Zweifamilienhäusern. Es gibt eine Nachfrage, gerade in Bremen auch, was den Eigentumsmarkt anbetrifft, und in Bremen-Nord sieht es ähnlich aus. Wir haben einen leichten Angebotsüberhang, allerdings haben wir auch im Ei

genheimbereich eine erhebliche Nachfrage. In Bremerhaven – immer vorausgesetzt, die wirtschaftspolitischen Maßnahmen greifen nicht – wird es allerdings erheblich schlechter aussehen. Ich glaube, mit dem, was in Bremerhaven auf den Weg gebracht worden ist und auch weiter auf den Weg gebracht wird, können wir dem Trend, der uns so vorhergesagt worden ist, entgegensteuern.

Sie haben so pauschal gesagt, es gibt schrumpfende Städte. Das ist ja überhaupt nicht wahr! Wenn Sie den Zeitraum von 1991 bis 2000 nehmen, war Bremen insgesamt unter dem Strich keine schrumpfende Stadt, sondern wir haben einen Einwohnerzuwachs von vier Prozent gehabt. Wenn Sie andere Großstädte nehmen, Köln, München, Frankfurt am Main, Hamburg, dann werden Sie feststellen, dass sie überproportionale Einwohnerzuwächse gehabt haben bei einer gleichzeitig niedrigen Arbeitslosigkeit. Sie können feststellen, da, wo es einen erheblichen Zuwachs an Arbeitsplätzen gegeben hat, hat es auch einen erheblichen Zuwachs an Einwohnern gegeben. Deswegen ist die Strategie der großen Koalition auch richtig, auf Arbeitsplätze und Wohnungsbau zu setzen. Wir halten jedenfalls an dieser Strategie fest.

(Beifall bei der CDU)

Auch wenn wir einen erheblichen Einwohnerzuwachs gehabt haben, haben wir trotzdem ein Problem gehabt. Ich will da mit Genehmigung des Präsidenten aus der Studie der Arbeiterkammer zitieren: „Bremen verlor in den neunziger Jahren zwischen 2800 und 4400 Menschen pro Jahr an das Umland, durchschnittlich 0,63 Prozent der Bevölkerung am Wohnort Bremen.“ In keiner der Vergleichsstädte war der durchschnittliche Saldo pro Jahr so deutlich negativ. Woran liegt das?

Wir haben in der Wohnungsbaupolitik eine Fehlentwicklung gehabt, weil wir dem Bedarf, der bestand, nicht gerecht geworden sind. Der Wohnungsbau ist ein schwerer Tanker, bei dem es, wenn man ihn umsteuert, erst nach Jahren eine Wirkung gibt. Wir haben umgesteuert, und deswegen gab es zum Beispiel in den Jahren 2000 und 2001 auch einen Einwohnerzuwachs, weil wir, was die Fernwanderung anbetrifft, einen Erfolg gehabt haben. Das hat etwas mit Arbeitsplätzen zu tun. Wir haben vier Jahre lang in Folge uns abgekoppelt vom Bundestrend, was die Arbeitslosenzahlen anbetrifft, vier Jahre in Folge!

Wir haben durch die Ausweisung von Einfamilienhausgebieten mit der Vergabe von 30 Prozent bauträgerfreier Grundstücke einen erheblichen Erfolg gehabt, weil Leute dann nicht mehr in das Umland gegangen sind, sondern sich in Bremen angesiedelt haben. Das ist genau nämlich ein Entgegenwirken des Trends, der hier beschrieben ist, der in der Vergangenheit gewirkt hat. Wir waren am schlechtes