Protokoll der Sitzung vom 02.04.2003

(Beifall)

Wir müssen uns dann allerdings fragen, welche Auswirkungen damit verbunden sind, und was wir von uns, von Politik, von Gesellschaft erwarten. Wenn man das einmal verfolgt, alle Debatten in den anderen Bundesländern haben auch große Anforderungen damit verknüpft, den Anspruch, auch fraktionsübergreifend nun Politik und Gesellschaft in die Pflicht zu nehmen und in der Praxis konsequent diesen Weg weiterzugehen und Kinderrechte Tag für Tag auch ernst zu nehmen und diese Schritte auch durchzusetzen. Auch wir in Bremen und Bremerhaven müssen uns damit sehr konkret auseinander setzen. Ich denke aber, dass allein die Tatsache, dass wir die Kinderrechte jetzt in die Verfassung aufnehmen, wir das Bewusstsein dafür wecken, dass wir uns um Kinder stärker kümmern müssen, Kinder, die Armut ausgesetzt sind. Wir haben immerhin 36 Prozent minderjährige Sozialhilfeempfänger hier im Land Bremen zu verkraften.

Ich denke, dass es das Bewusstsein dafür wecken kann, dass Kinder und Jugendliche Gewalt und Missbrauch ausgesetzt sind, dass Kinder drohen, vernachlässigt zu werden. Es kann das Bewusstsein dafür wecken, dass wir die Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen deutlich stärken müssen, ihnen die Möglichkeiten geben müssen, ihre Persönlichkeit und ihre Entwicklung entfalten zu können.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Frau Stahmann, dazu gehört für mich auch ganz unabdingbar, dass wir Kinder und Jugendliche als Experten in den verschiedenen Lebensbereichen ernst nehmen und uns alle gemeinsam vornehmen, dass wir sie stärker als bisher in die demokratischen Beteiligungsprozesse einbeziehen. Das teile ich ausdrücklich.

(Beifall bei der SPD)

Die Ergänzung der Landesverfassung kann also rechtlich nicht unmittelbar, aber politisch eine Stärkung der Interessen der Kinder sein, wenn wir uns das wirklich vornehmen, weil das eine gesellschaftliche Wertentscheidung ist und für mich von zentraler Bedeutung auf dem Weg der kinderfreundlichen Städte Bremen und Bremerhaven.

Ich drücke damit auch die Hoffnung aus, dass wir einen Konsens finden von der Verfassungsänderung hin zur täglichen Umsetzung in allen Lebensbereichen. Ich hoffe, dass es uns gelingt, die Situation von Kindern und Jugendlichen in unserem Bundesland nachhaltig zu verbessern. Ich hoffe auch, dass es uns gelingt, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen als Querschnittsaufgabe noch stärker in der Familienpolitik zu verankern, das auch als Querschnittsaufgabe für alle Ressorts zu begreifen und das dann auch umzusetzen. – Danke schön!

(Beifall)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Da der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen durch die Drucksache 15/1411 erledigt ist, lasse ich über den Antrag des nichtständigen Ausschusses abstimmen.

Wer das Gesetz zur Änderung der Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen, Drucksache 15/1411, in zweiter Lesung beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

Ich bitte um die Gegenprobe!

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) beschließt das Gesetz in zweiter Lesung.

(Einstimmig)

Meine Damen und Herren, die dritte Lesung des Gesetzes zur Änderung der Landesverfassung werden wir zu Beginn der morgigen Sitzung durchführen.

Im Übrigen nimmt die Bürgerschaft (Landtag) von dem Bericht des nichtständigen Ausschusses gemäß Artikel 125 der Landesverfassung Kenntnis.

Gesetz zur Änderung des Bremischen Schulgesetzes und des Bremischen Schulverwaltungsgesetzes

Mitteilung des Senats vom 25. März 2003 (Drucksache 15/1427) 1. Lesung 2. Lesung

Dazu als Vertreter des Senats Herr Senator Lemke.

Wir kommen zur ersten Lesung.

Die Beratung ist eröffnet.

Das Wort erhält der Abgeordnete Rohmeyer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Senat legt der Bremischen Bürgerschaft den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bremischen Schulgesetzes und des Bremischen Schulverwaltungsgesetzes vor mit dem Ziel, den Übergang von Klasse fünf und sechs in die Sekundarstufe I neu zu regeln. Den politischen Beschluss dazu fasste der Senat im September 2002 nach dem Beschluss des Koalitionsausschusses vom 10. September.

Meine Damen und Herren, Ziel dieser gesetzlichen Neuregelung ist es, dass der Übergang von der jetzigen Orientierungsstufe, die ja abgeschafft werden wird, in die Sekundarstufe I nicht mehr allein auf der Grundlage des Elternwillens erfolgt, sondern auf einer sachlichen Entscheidung fußen kann. Dazu gehört, dass in Zukunft nach Beendigung der fünften Klasse schon eine Benachrichtigung an die Eltern über den Leistungsstand des Kindes und zur Beendigung der Klasse sechs auch eine Empfehlung aufgrund des Notenbildes gegeben wird, danach wird es dann eine entsprechende Beratung mit den Eltern geben und für den Fall, dass man keine Einigung mit den Eltern nach Beratungsgesprächen zwischen den Lehrern und den Eltern erzielen kann, auch eine Aufnahmeprüfung.

Meine Damen und Herren, wir haben in dieser Wahlperiode viele Maßnahmen zur Steigerung der Qualität im Unterricht, zur Qualitätssteigerung an den Schulen insgesamt getroffen. Diese gesetzliche Neuregelung ist noch ein weiterer wichtiger, wesentlicher Schritt, der getan werden muss, damit an den Schulen die Zahl der Sitzenbleiber stark zurückgeht. Wir wissen aus den letzten Überprüfungen, meine Damen und Herren, dass es eben auch dadurch, dass viele Eltern den Wunsch haben, ihr Kind zum Beispiel auf das Gymnasium zu schicken, obwohl das Notenbild des Kindes diesem Wunsch nicht entspricht, zu einer hohen Zahl von Zurückstufungen kommt. Darum, meine Damen und Herren, ist es richtig, dass wir hier heute beschließen werden, dass dieser Übergang in die Sekundarstufe I in Zukunft auf eine sachliche Grundlage gestellt wird.

(Beifall bei der CDU)

Sie haben alle vom Zentralelternbeirat ein Schreiben mit Datum vom 31. März erhalten, meine Damen und Herren. Es ist natürlich richtig, dass wir bisher die Orientierungsstufe haben. In der Neuregelung taucht die Orientierungsstufe nicht mehr auf. Das ist auch gut so, sie gehört abgeschafft. In Zukunft wird nach Klasse fünf und sechs, so ist die textliche Formulierung im Gesetz, entschieden. Im Übrigen ist der erste Punkt des ZEB-Schreibens irrelevant, weil der Paragraph 19 Absatz 3 Bremisches Schulverwaltungsgesetz nicht, wie nach ZEB-Auf––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

fassung hier geschrieben, erhalten bleibt, sondern gestrichen wird, meine Damen und Herren.

Es ist eine politische Entscheidung, die die große Koalition getroffen hat, die im Übrigen auch von der großen Mehrheit der Eltern und der Lehrer in Bremen mitgetragen wird,

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Was?)

weil auch diese wollen, dass es an den Schulen besser wird. Die Lehrer können es beurteilen, meine Damen und Herren! Dort gibt es nämlich großes Kopfschütteln darüber, wie manche Eltern leider entgegen dem Rat der Lehrerinnen und Lehrer ihr Kind auf eine andere Schulart schicken, meistens zum Nachteil des Kindes!

Wir haben noch die Entscheidung zu treffen, was an Stelle der Orientierungsstufe kommen wird. Ich habe seit gestern auch neues Vertrauen in den Senator Lemke gefunden, meine Damen und Herren!

(Zurufe von der SPD)

Ich konnte voller Freude in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 1. April 2003 lesen – und ich gehe davon aus, es war auch kein Aprilscherz, Herr Senator! –, ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten: „Jetzt ist die sechsjährige Grundschule keine hundertprozentige Forderung mehr von mir!“ Das war ein Zitat von Herrn Senator Lemke.

Meine Damen und Herren, ich bin mir sehr sicher, dass wir nach der Wahl eine gute Entscheidung treffen werden, was an Stelle der Orientierungsstufe tritt. In der gesetzlichen Regelung treffen wir eine Regelung für die Klassen fünf und sechs. Wir werden den Übergang in die Sekundarstufe I, in die weiterführende Schulart nach der Grundschule, jetzt zum kommenden Schuljahr nach der Orientierungsstufe endlich auf eine sachliche Grundlage stellen können. – Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU)

Als nächster Redner erhält das Wort der Abgeordnete Mützelburg.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Änderung des Schulgesetzes, die die große Koalition hier heute vorlegt, bedeutet, dass künftig nicht mehr der Elternwille über die Schullaufbahn des Kindes entscheidet, sondern der Lehrerwille, in manchen Fällen kann man manchmal auch Lehrerwillkür sagen, das sage ich jetzt auch bewusst. Tatsächlich ist es heute so, dass die Schulen, sprich die Lehrer eine Empfeh––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

lung aussprechen für die weitere Schullaufbahn des Kindes nach dem sechsten Jahrgang. Die Eltern werden darüber beraten, und sie entscheiden danach. Sie entscheiden an manchen Schulen auch in mehreren Fällen anders als die Schulen. Sie können sagen, das sind Fehlentscheidungen zugunsten oder zu Lasten der Kinder, je nachdem. Ich kenne mindestens genauso viele Fehlentscheidungen von Lehrern zu Lasten der Kinder.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Ich will heute nicht aus meinem persönlichen Familienleben plaudern, weil ich mit diesen Einstufungen bei meinen eigenen Kindern genug Erfahrung habe. Das ist aber auch nicht der Kern der Sache. In Wirklichkeit beschließen Sie jetzt heute, dass die Schule eine Empfehlung ausspricht und nur in dem Fall, wenn die Eltern nach Beratung in der Schulkonferenz dem Rat der Schule nicht folgen, von der Schule insgesamt noch einmal beraten werden, und wenn sie dann immer noch nicht dem Rat der Schule folgen, dann müssen die Kinder eine Aufnahmeprüfung machen. So etwas habe ich in den fünfziger Jahren beim Gymnasium machen müssen, meine Damen und Herren.

(Zurufe von der SPD)

Ich komme gleich darauf! Was Sie hier in Wirklichkeit beschließen, ist eigentlich eine Anklageschrift gegen das jetzige bremische Schulsystem, und ich will Ihnen jetzt gern erläutern, warum das so ist!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

In allen Wahlprogrammen, in dem der SPD und auch der CDU, steht, dass es künftig darum geht, die Kinder individuell zu fördern. Alle Wahlaussagen der Parteien in diesem Haus sagen, wir brauchen mehr Kinder mit besseren und höheren Bildungsabschlüssen. Ich dachte, das war bis jetzt Konsens.

(Zuruf des Abg. B ü r g e r [CDU])

Tatsächlich, Herr Bürger, ist es in Bremen heute so, dass 50 Prozent der Kinder in der Schule einmal sitzen bleiben – 50 Prozent, das können wir nicht bestreiten, wir haben das in der Bildungsdeputation vorgelegt bekommen –, dass über zehn Prozent der Kinder zurückgestuft werden in andere Schularten, und immer von oben nach unten, vom Gymnasium in die Realschule, von der Realschule in die Hauptschule, oder in der Grundschule erst einmal ein Jahr zurückgestellt werden oder da, weil es da keine Nichtversetzung im klassischen Sinne gibt, auch zurückgestuft werden. Das ist die Realität dieser Schule.