Protokoll der Sitzung vom 26.01.2000

(Beifall bei der CDU)

Ich glaube, hinter der Antwort des Senats können wir uns alle versammeln, wenn er sagt, und ich zitiere erneut: „Der Senat misst dem Zivildienst in Bremen und Bremerhaven als Dienstleistung für das Gemeinwohl eine große Bedeutung zu. Ohne Zivildienst wäre dies ohne erhebliche zusätzliche finanzielle und personelle Aufwendungen auf dem erreichten Niveau nicht zu erhalten.“ In diesem Satz steckt eigentlich schon die Kernantwort des Senats auf die Große Anfrage der CDU: Das Niveau lässt sich nicht erhalten.

Ich denke, gerade Sozialpolitikerinnen und Sozialpolitiker sollten sich damit nicht abfinden. Eigentlich ist unser Wollen und Bestreben, deswegen mache ich Sozialpolitik, dass wir mehr erreichen wollen als das, was wir uns zurzeit leisten können. Das Niveau lässt sich nicht erhalten ist aber eine Antwort, die uns alarmieren muss. Darum sind wir alle aufgefordert, auch unter dem Eindruck der folgenden Zahlen, an einer Lösung, die das Erreichte zumindest stabilisiert, mitzuwirken. In dieser Debatte, so hoffe ich, werde ich Sie dazu noch detaillierter auffordern können.

Sehr oft sind in einer Großen Anfrage viele Fragen zu beantworten, deren Antworten von Zahlen dominiert werden. Das Gesetz über den Zivildienst der Kriegsdienstverweigerer wird in bundeseigener Verwaltung durchgeführt, das Land Bremen hat also wenig Zugriff auf die Zahlen. Deswegen bedanke ich mich für die CDU-Fraktion bei den Beamtinnen und Beamten, bei den Behördenmitarbeiterinnen und -mitarbeitern, die diese Zahlen sicherlich in mühsamer Arbeit zusammengetragen haben. Wir haben auch wegen der einzuhaltenden Frist, ich habe es eben erklärt, verstanden, warum einige Fragen nicht so ausführlich beantwortet werden konn

ten, wie es vielleicht bei einer längeren Frist möglich gewesen wäre.

Schon heute, meine Damen und Herren, stehen 2192 anerkannten Zivildienstplätzen in Bremen und Bremerhaven nur 1406 Zivildienstleistende gegenüber. Wenn man mit den Zahlen jongliert, folgt daraus, 786 anerkannte oder 36 Prozent aller Plätze in Bremen und Bremerhaven können zurzeit nicht besetzt werden. Die Tabelle unter der Antwort zur Frage 2.4 macht es ebenfalls deutlich. Von dieser Misere, dass wir nicht alle anerkannten Plätze besetzen können, sind alle 389 Anbieter von Zivildienstleistungsplätzen in Bremen und Bremerhaven gleichermaßen betroffen.

Aus der Tabelle kann man erfreulicherweise erkennen, eine Graphik im „Weser-Kurier“ vom 22. Januar 2000 zeigte, dass die Werte bundesweit vergleichbar sind — die Verteilung, die Ihre Behörde für Bremen und Bremerhaven aufgelistet hat, ist also in dieser Graphik vom 22. Januar 2000 bestätigt worden —, dass von den Zivildienstleistenden die Tätigkeit am Menschen absolut bevorzugt wird. So ist der Zivildienst auch angelegt. Menschen sind aber unterschiedlich, jeder ist ein Individuum für sich, nicht jeder ist dafür geeignet, am Menschen direkt zu arbeiten, und kann das vielleicht auch gar nicht. Deswegen gibt es auch noch solche Einrichtungen wie Teeküchen in Innerer Medizin oder andere Einrichtungen, wo die Entfernung vom Menschen ein bisschen größer ist. Auch dort wird aber das Ziel erreicht, Menschen das Leben ein bisschen besser zu gestalten.

Interessieren würde mich schon, ich glaube, wer die Tabellen ordentlich gelesen hat, der hat sich auch die Frage gestellt, wie laut Tabelle in 2.4 ein Einsatzfeld für einen Zivildienstleistenden im Spitzensport oder als Spitzensportler sein kann. Vielleicht, Frau Senatorin, können Sie in Ihrer Antwort in der Debatte das herausstellen. Es steht dort, dass der Platz von einem Zivildienstleistenden belegt wird, und davor steht Spitzensportler, das hat mich etwas verwundert.

(Abg. Z a c h a u [Bündnis 90/Die Grünen]: Wahrscheinlich die Sportkompanie!)

Ich kenne keine Sportkompanie in Bremen!

(Abg. Z a c h a u [Bündnis 90/Die Grünen]: Einer ist ja auch zu wenig!)

Leider, meine Damen und Herren, konnte der Senat keine Auskunft darüber geben, in welchem Verhältnis die Zahl der Zivildienstleistenden in Bremen zu der Zahl der hauptamtlich Beschäftigten in den entsprechenden Einrichtungen steht. Wenn man die Friedrich-Naumann-Stiftung als Quelle annimmt, dann ist jede achte Stelle in einem Wohlfahrtsverband durch einen Zivildienstleistenden besetzt. Das

ist, wie ich finde, eine erstaunlich hohe Zahl, und sie zeigt, wie ernst die Situation bei einer Reduzierung wird. Wir haben diese Zahl gestern Abend bei einem kleinen Imbiss in der LHG bestätigt bekommen, sie ist sicherlich gesichert.

Diese hohe Zahl zeigt, wie ernst die Situation der Verbände, Krankenhäuser und Einrichtungen ist, die mit Zivildienstleistenden arbeiten. Vieles konnte erst mit Hilfe des Ersatz- oder Zivildienstes neu geschaffen werden, weil sie durch ihn erst finanzierbar wurden. Das scheint zwar dem Grundsatz des Dienstes zu widersprechen, weitete aber auch das Angebot der Zivildienstleistungsplätze in dem Moment aus, als die Zahl der Kriegsdienstverweigerer zunahm. Im Einzelnen sind das die Dienste mobiler sozialer Hilfsdienst, Essen auf Rädern, Transport von Behinderten, Angebote, auf die heute kein Sozialpolitiker mehr verzichten möchte.

Ein weiterer, besonders wichtiger Schritt ist die individuelle Schwerstbehindertenbetreuung, gefolgt von der ISB in KTH und Schulen, die nur finanziell verkraftet werden konnte, weil man dort mit Zivildienstleistenden arbeiten konnte. Dort ist die Abhängigkeit zwischen Betroffenen und Zivildienstleistenden besonders stark, und deswegen ist, glaube ich auch, der Prozentsatz der Zivildienstleistenden, die in diesem sehr sensiblen Bereich arbeiten, relativ gering im Vergleich mit den Prozentzahlen der anderen Punkte. Die Zivildienstleistenden sind junge Männer, dass die nicht bei schwer behinderten jungen Frauen den ganzen Tag Dienst leisten können, konnte man auch in der Zeitung, in der letzten Woche war es, glaube ich, lesen. Ein Grund ist da sicherlich das notwendige Vertrauensverhältnis.

Meine Damen und Herren, wir haben eine Debatte verabredet, so dass ich mich gleich auch noch einmal melden kann. Ich möchte Ihnen aber noch sagen, die Bundesregierung hat ja ein Zukunftsprogramm beschlossen, in dem sie 30 Milliarden DM einsparen will. Das Gesetz über den Zivildienst ist in alleiniger Verantwortung des Bundes. 100 Millionen DM will der Bund umlegen auf die Trägerlandschaft, die Zivildienstleistende beschäftigt. 100 Millionen DM soll deren Sparbeitrag sein, das wären heruntergerechnet auf Bremen 900.000 DM mit 0,9 Prozent von der Republik. Diese Summe hätte man, das ist meine Meinung, auch in einem anderen, viel unsensibleren Bereich einsparen können, ohne betroffene Träger und Kommunen in diese schwierige Situation zu bringen.

100 Millionen DM hört sich als eine riesige Zahl an, 30 Milliarden DM ist natürlich noch riesiger. Letztendlich sind diese 100 Millionen DM nur 0,3 Prozent dieser riesigen Summe, die eingespart werden soll, und ich denke, im zweiten Teil meines Redebeitrags werden wir sicherlich auch darüber debattieren können, was zu machen ist in dieser Situation. Der 1. Juli 2000 ist bald da, wir haben nicht mehr viel Zeit vor uns, und die Zahlen, die rückläu

fig sind, werden durch die Systematik dieses Gesetzes weiter rückläufig sein.

(Beifall bei der CDU)

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Arnold-Cramer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Entscheidung der Bundesregierung zur Veränderung des Zivildienstes kann von unserer Seite, der SPD-Fraktion, nur begrüßt werden. Am Anfang will ich noch einmal kurz über die Fakten berichten, da diese oft verwirrend dargestellt werden. Die Zivildienstzeit wird ab 1. Juli dieses Jahres von derzeit 13 Monaten auf elf Monate verkürzt. Damit wird einer langjährigen politischen Forderung entsprochen, den Zivildienst an die Grundwehrdienstzeit anzugleichen und damit Ungerechtigkeiten zu beseitigen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Das Paket der Bundesregierung beinhaltet des Weiteren Umstrukturierungsmaßnahmen, über die auch nicht immer korrekt berichtet wird. Die Absenkung der Einberufungszahlen hat zur Folge, dass Zivildienststellen im handwerklichen Bereich und in der Verwaltung wegfallen werden. Die bisher genehmigten 90.000 Stellen bundesweit im sozialen Bereich bleiben unangetastet. Das bedeutet konkret für Bremen, dass sich die Zahl der Zivildienstleistenden in der ersten Stufe von derzeit 1406 auf 1265 verringern wird. Dagegen stehen jetzt 1116 besetzte Stellen im sozialen Bereich. Wie ich eben sagte, im handwerklichen Bereich und in der Verwaltung fallen demnächst die Zivildienststellen weg, dadurch wird sich zwangsläufig die Belegung im sozialen Bereich erhöhen. Also, nicht, wie Herr Oppermann sagte, eine Verringerung der Zivildienststellen, sondern eine Erhöhung!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Ein dritter Punkt ist die finanzielle Konsequenz aus der Maßnahme der Bundesregierung. Herr Oppermann sprach von 100 Millionen DM bundesweit, das hört sich sehr gewaltig an. Das sind gerade einmal für die Einsatzstellen zwei DM pro Zivi und Tag, es ist also nicht so wild. Ich denke, das ist zu verkraften.

(Zuruf des Abg. Karl Uwe O p p e r - m a n n [CDU])

Ja, umgerechnet auf die Zivildienstleistenden sind es zwei DM pro Tag und Stelle!

Die Große Anfrage der CDU steht meines Erachtens unter der Überschrift „Vom Drückeberger zum Leistungsträger“. Es ist schon eine erstaunliche Wandlung innerhalb der CDU festzustellen. Noch vor einigen Jahren wurden die jungen Männer, die sich aus Gewissensgründen für den Zivildienst entschieden, vor allem von Seiten der CDU als Drückeberger abqualifiziert.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen — Abg. Frau D r e y e r [CDU]: Wo haben Sie das denn her? Sagen Sie einmal die Quelle!)

Jetzt aber ist gerade der Zivildienst für die CDU zu einem Leistungsträger unserer Gesellschaft geworden, vor allem unseres sozialen Systems. Diesen Meinungsumschwung vermag ich nicht ganz nachzuvollziehen, vor allen Dingen dann nicht, wenn man sich den Markt für die sozialen Dienstleistungen einmal genauer betrachtet.

(Zuruf der Abg. Frau D r e y e r [CDU])

Dieser Markt stellt sich auch für Sie, Frau Dreyer, wie folgt dar: Er ist nicht für jedes Unternehmen frei zugänglich, er wird nicht von Angebot und Nachfrage reguliert, das heißt, er orientiert sich nicht an betriebswirtschaftlichen Erfordernissen. Die Monopolkommission spricht deswegen in ihrem zwölften Hauptgutachten von einem bilateralen Kartell. Dem Kartell der Wohlfahrtverbände steht die alleinige Verhandlungs- und Nachfragemacht des Staates gegenüber. Die echten Nachfrager nach sozialen Dienstleistungen, die Hilfebedürftigen selbst, finden in diesem Kartell keinen Platz.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Private soziale Unternehmungen erfahren nicht nur durch die derzeitige Steuergesetzgebung einen Nachteil, sie haben keinen Zugang zur Beschäftigung von Zivildienstleistenden, zu Spenden, zu Bußgeldern, Lotterie- oder Fördermitteln. Lediglich im Bereich der Pflege verfügen die privaten Anbieter über wesentliche Marktanteile. Dies bedeutet aber nicht, dass sich die Stellung der Verbraucher in diesem Teilbereich wesentlich verbessert hat. Gewisse Ansätze wurden entwickelt, sie beginnen aber erst zögerlich zu greifen. Erste, sehr bedeutende Strukturen sind schon bei der Einführung der Pflegeversicherung zerstört worden, indem zum Beispiel von Seiten der Wohlfahrtsverbände Druck ausgeübt wurde, das Arbeitgebermodell für behinderte Menschen zu streichen.

Von der CDU hatte ich bisher immer angenommen, dass sie die Partei ist, die sich konsequent nach

dem Motto „Der Markt reguliert sich von selbst“ für eine freie Marktwirtschaft einsetzt.

(Zurufe von der CDU)

Dass gerade Sie die verkrusteten und kartellartigen Strukturen im sozialen Dienstleistungsbereich mit einer Überbewertung des Zivildienstes zementieren wollen, verwundert doch sehr!

(Zurufe von der CDU)

Ja, so ist es halt! Die Wahrheit ist immer gut!

(Beifall bei der SPD — Abg. F o c k e [CDU]: Sie sind ja sonst nicht so fies! — Abg. K a s t e n d i e k [CDU]: Wer hat Ihnen das denn aufgeschrieben?)

Die aktuellen Maßnahmen der Bundesregierung können vereinzelt organisatorische und auch geringe finanzielle Auswirkungen auf den Bereich der sozialen Dienstleistungen haben, allerdings nicht in dem Ausmaß, wie immer zu lesen ist. Es heißt, eine gefährliche Entwicklung der Pflege, die Kürzungen werden auf dem Rücken schwerstbehinderter Menschen ausgetragen, und wie Herr Oppermann in seiner Pressemitteilung schreibt, stellt die Herabsetzung der Dauer des Zivildienstes die Funktionsfähigkeit der sozialen Dienste und Einrichtungen gar in Frage. Diese Aussagen sind falsch, und ich kann sie so nicht teilen.

(Beifall bei der SPD)

Nicht die Auswirkungen der Entscheidungen der Bundesregierung, sondern die in den letzten Jahren falschen Entwicklungen der Strukturen auf dem Markt der sozialen Dienstleistung stellen meines Erachtens seine Funktionsfähigkeit in Frage.

Wie wir alle wissen, ist der bisherige Zustand verfassungsrechtlich ohnehin sehr bedenklich, denn Zivildienstleistende dürfen nicht als reguläre Arbeitskräfte eingesetzt werden, wie es in Paragraph 4 geregelt ist.

(Beifall bei der SPD)

Aber genau das ist, und das wissen wir ja, die gängige Praxis. Überall dort, wo Zivildienstleistende als Vollzeitarbeitskräfte eingesetzt werden, bringt jede, aber auch jede Veränderung des Zivildienstes Probleme mit sich.

Ein anderes Beispiel zeigt die Orientierungslosigkeit der Wohlfahrtsverbände. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes forderte im letzten Sommer, die Einführungslehrgänge für Zivildienstleistende zu streichen und

das so eingesparte Geld zu nutzen, um den Zivildienst bei 13 Monaten zu belassen. Ich finde es sehr befremdlich, den Zivildienst und die Zivildienstleistenden so zu idealisieren und das eigene Versagen auf dem Rücken schwerstbehinderter Menschen auszutragen.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt zum Glück aber auch andere Meinungen und Stimmen, die vorausschauen und Veränderungen des Zivildienstes professionell begegnen. Der Zivildienst ist für sie das, was er dem Gesetz nach sein soll: ein Ersatzdienst auf Zeit. Diese Zeit richtet sich nach dem zu leistenden Grundwehrdienst und nicht nach den Wünschen und Problemen der Wohlfahrtsverbände.