Protokoll der Sitzung vom 03.06.2004

Wir treten in die Aussprache ein.

Als Erster hat das Wort der Abgeordnete Möhle.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir haben die Große Anfrage deshalb gestellt, weil wir fest davon überzeugt sind, dass die wirtschaftliche Kraft, das ökonomische Potential von Unternehmen mit migrantischem Hintergrund in Bremen unterschätzt wird, nicht wirklich wahrgenommen wird. Die wirtschaftliche Kraft dieser Unternehmen wird nicht richtig wahrgenommen.

Das merkt man an der Antwort schon deshalb, weil der Senat so antwortet, Ausländer, Migranten, alles geht komplett durcheinander, es gibt keine klare Definition dessen in der Antwort, was wir eigentlich gefragt haben, nämlich ausländische Betriebe. Das ist zum Beispiel Beck’s, Interbrew, das ist Kellogg, das sind alles solche Firmen, die wir aber nicht meinen. Wir meinen solche Firmen, die hier ansässig sind, zum Beispiel Unternehmen von türkischen Menschen, die sich hier selbständig machen, die ein Unternehmen gegründet haben. Diese Unternehmensgründungen halten wir für ökonomisch bedeutsam.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Die größte Gruppe dieser Ausländer mit Migrantenhintergrund, um die es hier geht, um das noch einmal ganz klar zu machen, sind türkische Mitbürgerinnen und Mitbürger. Wir haben laut Statistik in Bremen 82 600 Ausländer, und hinzu kommen jährlich fast 4000 Einbürgerungen. Allein die Zahl macht deutlich, wie bedeutsam diese Fragestellung ist. Die zweitgrößte Gruppe in Bremen sind mit 4300 Menschen polnische Mitbürgerinnen und Mitbürger.

Zu der wirtschaftlichen Kraft möchte ich noch ein paar Zahlen nennen, ich lese sie jetzt einmal vor: Wir haben in Bremen geschätzt 2000 selbständige türkische Unternehmen, 2000 türkische Unternehmer, die selbständig sind, und wir haben gerade bei den türkischen Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern eine extrem starke Bereitschaft, sich selbständig zu machen. Diese Bereitschaft wird aber von den Wirtschaftfördergesellschaften offensichtlich nicht ernst genommen und nicht richtig wahrgenommen. Das halten wir für einen großen Mangel, für ein Defizit Bremer Wirtschaftspolitik.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg. F o c k e [CDU]: Warum?)

Interessant ist, dass Unternehmen, die in einer Studie von der Ausländerbeauftragten in Bremen befragt wurden, selbst äußern, dass über 80 Prozent überhaupt nicht wissen, dass es Förderinstrumente, Fördermöglichkeiten, Beratungsangebote gibt. Die Antwort des Senats tut so, als gäbe es null Defizite. Spricht man mit Unternehmensverbänden, die sich auch zunehmend bundesweit, aber auch hier in Bre––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

men neu gründen, nämlich insbesondere der neu gegründete türkische Unternehmensverband, die jetzt auch kürzlich in der Handelskammer belobigt worden sind dafür, dass sie ausbilden, dass türkische Unternehmen vielfach ausbilden, dann ist das auch eine wunderbare, eine richtig gute Entwicklung.

Wir stellen diese Anfrage überhaupt nicht, deswegen bin ich auch ein bisschen verwundert, dass Frau Röpke antwortet, als Integrationsfrage im eigentlich klassischen Sinn, wir stellen diese Fragen auch nicht als soziale Frage, sondern wir stellen sie als eine Frage der Bremer Ökonomie und als eine Frage, wie Bremen den Strukturwandel besser voranbringt.

Frau Röpke macht in ihrem Ressort wunderbare Arbeit, das kann ich nur in allen Punkten belobigen,

(Beifall bei der SPD – Abg. Frau W i e d e - m e y e r [SPD]: Das merken wir uns!)

gerade in der Frage von Integration, von Selbständigmachen, all diese Fragen, das macht Frau Röpke alles wunderbar. Meine Kritik geht in Richtung Wirtschaftssenator. Der Wirtschaftssenator hat offensichtlich noch nicht begriffen, dass diese Frage eine ökonomische Bedeutung hat. Frau Winther, Sie werden gleich wahrscheinlich für die CDU dazu reden, darauf freut man sich schon. Ich glaube jedenfalls, dass die Potentiale gravierend unterschätzt werden.

Migrantische Ökonomie wird im Bewusstsein der hiesigen politischen Kaste, sage ich einmal, häufig als Randökonomie begriffen und nicht als zentraler, wichtiger Bestandteil unserer Ökonomie. Ich wäre ja froh, wenn die Wirtschaftsförderung diese Tätigkeit aufgreifen würde und auch die entsprechenden Mittel, die entsprechenden Maßnahmen zur Verfügung stellen würde. Es gibt nämlich bei der WfG zum Beispiel keinen türkischsprachigen Berater oder keinen polnischsprachigen Berater. Es ist falsch, einfach zu sagen, das ist alles auch nicht nötig, denn es ist sozusagen nur die Beratung und fertig, und sie müssen sehen, wie sie klarkommen! Nein! Die Existenzgründer sind Kunden der Wirtschaftsförderungsgesellschaft. Jeder Mensch, der auch nur ein bisschen Ahnung davon hat, weiß, dass man Kunden speziell beraten muss, dass man schauen muss, wen will ich erreichen, wen will ich wie beraten, und wen will ich wie fördern.

Herr Focke, Sie können mit dem Kopf schütteln und mit dem Kopf wackeln wie ein Hund auf der Rückbank, das nützt gar nichts,

(Heiterkeit – Abg. F o c k e [CDU]: Be- leidige nicht meinen Dackel!)

Tatsache ist, dass Sie diese Fragen überhaupt noch nicht in den Blick genommen haben, und wir wünschen uns, dass diese Fragen künftig auch von Ih

nen, vom Wirtschaftssenator in den Blick genommen werden.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Es gibt interessante Biografien. Sehen Sie sich an, wie Kemal Sahin kurz vor der Ausweisung dann doch hier bleibt, studiert, und heute ist er einer der erfolgreichsten migrantischen Unternehmer in Deutschland! Er ist jetzt der Präsident der kürzlich gegründeten deutsch-türkischen Industrie- und Handelskammer und hat eines der größten Textilunternehmen Europas mit einem Jahresumsatz von 1,15 Milliarden. So zu tun, als würde diese Bevölkerungsgruppe keine ökonomische Rolle spielen, ist entsetzlich.

(Abg. F o c k e [CDU]: Wer sagt das denn? Das sagt doch keiner!)

Sie, Herr Focke, sagen, das sagt keiner.

(Abg. F o c k e [CDU]: Das verbitte ich mir!)

Warum antwortet dann Frau Röpke auf unsere Große Anfrage, warum antwortet nicht der Wirtschaftssenator, und wieso tun Sie immer noch so, als sei das nicht ein Teil bremischer Ökonomie?

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ich bin fest davon überzeugt, dass Sie die Fragen nicht richtig in den Blick genommen haben. Ich wäre froh, wenn Sie es anders machen würden. Ich wäre froh, wenn wir die Beschwerden aus den unternehmensgründungswilligen türkischen und polnischen Mitbürgern nicht zu hören bekämen. Ich wäre froh, wenn sie uns sagen würden, es läuft alles bestens. Reden Sie mit diesen Menschen selbst, dann werden Sie erfahren, wo die Defizite sind! Um diese Defizite auszumerzen, um diese Defizite zu beseitigen, dafür stehen wir hier ein.

Die Selbständigkeit ist deswegen auch so wichtig, denn als zweiten Punkt kann man natürlich auch die Bedeutung genau dieser sowohl türkischen als auch polnischen Menschen in Bremen als, wie soll ich sagen, Marktöffner für die Türkei sehen. Die BIG unterhält in China, in allen möglichen anderen Ländern Büros, um Existenzgründungen und wirtschaftliche Kontakte voranzutreiben. Wir haben hier in Bremen einen großen Anteil an Möglichkeiten, direkten Zugang sowohl zu den türkischen als auch zu den polnischen Märkten herzustellen, nämlich über die Menschen, die hier bei uns wohnen. Diese Chance wird fatal vertan, wird nicht wirklich genutzt. Wie gesagt, ich glaube, wir wären gut beraten, wenn wir das mehr in den Blick bekommen würden, wenn wir das besser in den Blick bekommen würden.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ich glaube, wir wären gut beraten, wenn wir so etwas machen würden und nicht gegen Frau Röpke als Sozial- und Arbeitssenatorin, ganz im Gegenteil, sondern gemeinsam mit ihr, dass wir dieses Thema künftig auch als wirtschaftspolitisches Thema begreifen und den Leuten, die hier Existenzgründung betreiben wollen, eine große Chance geben und auch in den Beratungsangeboten auf diese Menschen zugehen und nicht, wenn sie vielleicht wegen Sprachhemmnissen irgendein Formular nicht hundertprozentig ausgefüllt haben, sie gleich wieder nach Hause schicken! Nein, wir brauchen diese Menschen in Bremen, wir brauchen sie für die Bremer Ökonomie. In diesem Sinne hoffe ich, dass der Senat künftig seine Politik an der Stelle ein wenig neu justiert. – Vielen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Das Wort hat der Abgeordnete Liess.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte zu Beginn meiner Ausführungen als Mitglied einer Regierungskoalition etwas Ungewöhnliches tun und mich für die Anfrage der Grünen bedanken,

(Beifall bei der SPD)

denn ich halte es auch für richtig, dass wir über die nun wahrlich nicht kleine Gruppe unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger in diesem Bereich und gerade auch ihre wirtschaftliche Tätigkeit reden. Dabei ist uns allen klar, dass wir insgesamt eine Politik betreiben, die mit dem Begriff Integrationskonzept als eine Querschnittsfunktion über alle Ressorts verstanden wird, aber es ist sicherlich schon richtig, einmal auch den Blick darauf zu werfen, wie es denn um die Wirtschaftspolitik und das Verhältnis der Wirtschaftspolitik zu den Migrantinnen und Migranten in unserer Volkswirtschaft steht. Dass das ein nicht ganz so unwichtiger Punkt ist, haben erst vor kurzem die Handelskammer Bremen und die Oldenburgische Industrie- und Handelskammer bewiesen, indem sie Unternehmer mit migrantischem Hintergrund für ihre engagierte Ausbildungstätigkeit geehrt haben. Das belegt, dass Unternehmer mit migrantischem Hintergrund einen großen Beitrag für unsere Volkswirtschaft insgesamt leisten und wie wichtig er auch für unsere Volkswirtschaft ist.

Frau Senatorin Röpke ist für ihr Programm eben schon von den Grünen gelobt worden. Ich kann das für uns nur bestätigen. Selbstverständlich sehen wir das auch so, dass insbesondere auch die von ihr geförderten Projekte einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, für Migrantinnen und Migranten sowohl eine ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

wirtschaftliche als auch, ich sage einmal, kulturelle Existenz in unserer Gesellschaft zu erlangen.

Ich finde, dass das BQN-Projekt der Arbeiterwohlfahrt, gefördert durch den Senat, ein gutes Beispiel von Integration ist, und das auch in doppelter Hinsicht, nämlich in der einen Hinsicht, dass junge Menschen, Auszubildende kennen lernen, dass es in unserem Land unterschiedliche kulturelle Hintergründe gibt, und in der anderen Hinsicht, dass auch zur Kenntnis genommen wird, dass wir einen großen Anteil selbständiger Unternehmer mit migrantischem Hintergrund haben. Ich glaube, dies ist ein gutes Beispiel und eine gute Beförderung in unserer Bürgergesellschaft.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe die Große Anfrage der Grünen nun so verstanden, ob denn über das Engagement des Sozialressorts hinaus im Bereich der Wirtschaftsförderung ähnliche erfolgreiche Programme laufen oder ob die Bedeutung migrantischer Unternehmen überhaupt erkannt wird. Da muss ich sagen, auch für mich fällt die Antwort des Senats etwas geteilt aus. Mir erscheint es so, als ob, und das ist dann, glaube ich, seine Handschrift, seitens des Wirtschaftsressorts nicht ganz verstanden worden ist, dass es hier um Unternehmen, um Selbständige mit migrantischer Herkunft gehen sollte und nicht um ausländische Unternehmen. Das ist durchaus schon ein Unterschied.

Um einmal eines klar zu sagen: Wer hier zum Beispiel in dritter Generation als Türke ein Unternehmen aufbaut, hat einen migrantischen Hintergrund. Dabei spielt es im Übrigen keine Rolle, ob er deutscher Staatsbürger ist oder nicht.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Seine Wurzeln liegen in einem anderen Kulturbereich, in einem anderen Lebenskreis und bedeuten selbstverständlich und sehr berechtigt auch eine andere Sicht und Verhaltensweise, als vielleicht wir sie ausüben. Seine Individualität bereichert uns und schafft uns auch volkswirtschaftlich Gelegenheit, diesen Hintergrund für uns zu nutzen.

Mir ist nun klar, und das kann die Antwort des Senats in dieser Deutlichkeit auch nicht aufweisen, und ich glaube, das soll sie auch nicht, dass wir aufgrund datenschutzrechtlicher Bestimmungen Grenzen haben bei der Ermittlung von Daten, insbesondere über die Herkunft der Personen, die Förderungsmittel beantragen. Trotzdem finde ich, dass der Senat es sich insgesamt etwas zu leicht gemacht hat. Das betrifft insbesondere die Fragestellung, ob denn nicht die Verbindungen, die Kenntnisse, die Fertigkeiten von Migranten dazu genutzt werden können, um die Position unseres Landes insgesamt zu stärken.

Wenn in der Antwort auf die Frage vier auf die vielfältigen Kontakte zu den mittel- und osteuropäischen Ländern und die wirtschaftliche Aufstellung Bremens gerade im Bereich der Nahrungs- und Genussmittelindustrie hingewiesen wird, so ist dies doch nur eine Seite der Medaille und war auch, glaube ich, nicht Ziel der Fragestellung. Gefragt war, ob die Migranten polnischer Herkunft nicht noch mehr und besser in den wirtschaftlichen Prozess eingebunden werden können, gerade im Rahmen der Erweiterung der EU. Ich glaube, dass dies möglich ist, aber die richtigen Instrumente haben wir derzeit noch nicht.

Hier liegt ein Aufgabenfeld, von dem ich finde, dass es bearbeitet werden muss. Dieses Aufgabenfeld wird sich sicherlich erweitern, wenn wir konkret über den Beitrittswunsch der Türkei nachdenken. Wir werden das, glaube ich, morgen früh noch einmal diskutieren. Aktuell stellt es sich nicht, aber ich glaube, wir haben uns darauf einzustellen. Wir haben uns auf die Menschen einzustellen, und wir haben uns vor allem wirtschaftspolitisch darauf einzustellen.

Vielleicht noch ein Blick auf die augenblickliche Situation! Nach der Antwort des Senats waren bei der Wirtschaftsförderung Migranten weder bevorteilt noch benachteiligt. Ich habe es bereits gesagt, zumeist wird es gar nicht erfasst. Trotzdem gibt es Angaben über den Anteil der Antragsteller sowohl bei der Aufbaubank als auch bei B.E.G.IN, und die Vermutung liegt nahe, dass die staatlichen Angebote auch nachgefragt werden, so weist es die Antwort des Senats deutlich aus. Mit den 30 Prozent Beteiligung, die an Nachfragen dort kommen, über die Maßen des Bevölkerungsanteils, den wir hier haben, kann ich mich nicht der Kritik anschließen, die Förderprogramme würden nicht angenommen werden.

Für unser Land geht es aber nicht nur um die Nachfrage nach Förderprogrammen, sondern es geht auch um die Frage, ob aus Förderprogrammen dann auch Existenzgründungen erwachsen. Diese Frage ist nicht gestellt worden, aber dieser Frage muss man nachgehen, und man muss überprüfen, ob hier nicht weitere Hilfsmaßnahmen greifen können.

Den Gedanken, bei der Gründungsleitstelle B.E.G.IN darüber nachzudenken, ob nicht die Vermittlungskompetenzen durch Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter mit Migrationshintergrund verbessert werden können, halte ich ausdrücklich für richtig. Es würde uns insgesamt dienen, wenn Menschen mit Migrationshintergrund den Antragstellern helfen könnten. Ich kann in diesem Fall das Wirtschaftsressort nur bitten, diesen Gedanken nicht nur zu verfolgen, sondern ihn auch in geeigneter Weise umzusetzen. In geeigneter Weise muss nicht immer heißen, dass dies staatlicherseits geschehen muss. Es gibt in der Bundesrepublik auch durchaus schon Einrichtungen bei den Kammern, wo es über die

Kammern organisiert wird, aber es wäre gut und hilfreich, wenn über den Senat hier der Anstoß kommen würde.

Einer Forderung – und das verbinde ich jetzt einmal mit der Kleinen Anfrage der Grünen, die sie zum gleichen Thema gestellt haben – kann ich nicht zustimmen. Ich muss ihr sogar deutlich widersprechen. Ich halte nichts davon, wenn wir Förderprogramme, Unterstützungsangebote oder Ähnliches für Migranten extra mehrsprachig verfassen.