Protokoll der Sitzung vom 04.07.2003

Meine Damen und Herren, ich eröffne die zweite Sitzung der Bürgerschaft (Land- tag).

Ich begrüße die anwesenden Damen und Herren sowie die Zuhörer und die Vertreter der Presse.

Meine Damen und Herren, wir treten in die Tagesordnung ein.

Wahl des Senats

a) Wahl des Präsidenten des Senats

b) Wahl der übrigen Mitglieder des Senats

Wir kommen zur Wahl des Präsidenten des Senats.

Gemäß Artikel 107 Absatz 2 unserer Landesverfassung wird zunächst der Präsident des Senats in einem gesonderten Wahlgang gewählt.

Für die Wahl des Präsidenten des Senats hat die Fraktion der SPD Herrn Bürgermeister Dr. Henning Scherf zur Wahl vorgeschlagen.

Meine Damen und Herren, die Beratung ist eröffnet.

Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Linnert.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der hier zur Wahl stehende Bürgermeister ist nicht da!

(Abg. B ö h r n s e n [SPD]: Das hindert aber nicht daran, ihn zu wählen! – Abg. J ä g e r [CDU]: Er ist draußen!)

Er ist draußen? Vielleicht kommt er dann doch einmal herein, weil man ja wenigstens formal noch die Spielregeln einhalten und sich das anhören kann, was das Haus zur Senatswahl zu sagen hat!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Meine Damen und Herren, bevor ich zur Wahl des Senats, zu den zur Wahl stehenden Personen und den Ressortzuschnitten spreche, möchte ich die Gelegenheit nutzen, um mich bei der SPD und bei der CDU für die wiederum im Koalitionsvertrag verankerten Minderheitenrechte zu bedanken.

Wie schon in der letzten Legislaturperiode wurde den Grünen eine Vizepräsidentin zugestanden. Wir erhielten die Zusage, bei der Einberufung von Sitzungen, bei dem Wunsch nach Aussprache bei Petitionen, bei Misstrauensanträgen und Untersuchungsausschüssen und bei einer Klage vor dem Staatsge

richtshof – wenn wir eine einreichen wollen – so behandelt zu werden, als ob die Grünen über 25 Prozent der Stimmen verfügten. Diese Regelung hat in der letzten Legislaturperiode funktioniert, auch wenn es Ihnen zumindest bei den beiden Untersuchungsausschüssen nachvollziehbar bestimmt nicht leicht gefallen ist.

Unser Dank für diesen korrekten Umgang wird nicht geschmälert durch die Einschätzung, dass beide Parteien hier auch im Eigeninteresse handeln. Der Verweis auf großzügig gewährte Minderheitenrechte ist auch immer gut dafür, Kritik an der nun schon in die dritte Legislaturperiode gehende Koalition abzufedern. Wir werden, das verspreche ich Ihnen hier, unsere Rechte nutzen, werden aber damit nicht dazu beitragen, die Illusion zu erwecken, dass damit die demokratisch wünschenswerte Waffengleichheit zwischen Regierungs- und Oppositionsfraktionen hergestellt ist. Dafür ist das zahlenmäßige Ungleichgewicht in diesem Haus nach wie vor viel zu deutlich, viel zu ungünstig.

Eine Kollegin hier im Haus, die Grüne Tanja Prinz, darf heute den Senat nicht wählen. Die Grünen akzeptieren die Besonderheiten des Bremer Staatsaufbaus, der keine eigene kommunale Regierung hat. Aber zu akzeptieren, dass das in Kombination mit einer Regelung zum Wahlrecht von EU-Bürgern, die die Grünen so eingeschränkt ausdrücklich nicht wollten, dazu führt, dass die Kollegin um ein ziemlich fundamentales Recht einer Abgeordneten, nämlich die Wahl der Regierung, gebracht worden ist, das fällt schwer!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Es ist schon eine besondere Ironie, dass Grüne nun ausbaden müssen, dass CDU und SPD nicht bereit waren, den EU-Bürgern in Bremen auch das Langtagswahlrecht zu geben. Das hätte nämlich vermieden, dass sich Stadtbürgerschaft und Landtag personell unterscheiden und auseinander fallen. Auch wenn die Zeit für die politischen Vorstellungen der Grünen arbeitet, nämlich den Menschen keine Einschränkung in ihrem Wahlrecht zu geben, werden wir das in unserer Macht Stehende tun, um die Sache zu beschleunigen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Nun zum angehenden Senat! Der Bürgermeister ist immer noch nicht da! Bürgermeister Henning Scherf, ein Präsident des Senats, der in zwei Jahren gehen will! Herr Bürgermeister – in Abwesenheit, die Gefahr, dass Sie die Rede nachlesen, droht ja nicht –, es war Ihr Wahlkampf, Ihr Wahlsieg, es ist Ihre große Koalition! Die würde es nämlich ohne Sie gar nicht mehr geben! Es ist auch Ihr Koalitionsvertrag, mühsam zusammengehalten, mit regelmäßigen Rücktrittsdrohungen erpresst, ausschließlich auf Hen

ning Scherf als Bürgermeister und als Person zugeschnitten. Für vier Jahre vom Volk gewählt, hat Henning Scherf jetzt die Verantwortung. Konzeptionelle und über einen längeren Zeitraum angelegte Politik gehörte bisher nicht zu seinen Stärken, ab jetzt wird nur noch im Zwei-Jahres-Abstand gedacht.

Glauben Sie nicht, dass ich die Probleme eines Generationenwechsels unterschätze, aber wer gehen will, muss Macht teilen, muss die abweichenden Vorstellungen anderer, wenigstens derer in der eigenen Partei, in die politische Mittelfristplanung einbeziehen. Bürgermeister Scherf tut das Gegenteil, und Bremen steuert auf große Probleme zu. Entweder ist die Nachfolge so wenig geregelt, dass der gequälten SPD, assistiert von den Bremer Medien, gar nichts anderes übrig bleibt, als Henning Scherf zum Weitermachen aufzufordern, oder es gibt einen ziemlich krachenden Übergang. Beides sind keine guten Aussichten! Diese Perspektiven verantwortet Bürgermeister Henning Scherf.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Er verantwortet auch, dass es noch keine Zeit gegeben hat, in der das Ansehen des Justizressorts in der interessierten Öffentlichkeit so gering war wie in dieser. Auch dieses Mal wurde die Empfehlung des Untersuchungsausschusses Justizskandal – das ist schon ein paar Jahre her –, dieses Ressort mit einem Fachsenator zu besetzen, in den Wind geschlagen. Auch hier wird der Murks weitergehen, oder was soll man sonst zu einem Ressort sagen – guten Tag, Herr Bürgermeister! –,

(Bürgermeister D r. S c h e r f : Guten Tag!)

das über Monate hinweg keine nachvollziehbare und realitätstaugliche Kostenberechnung für einen Gefängnisneubau vorlegen kann?

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als besonderes Zugeständnis an die große Koalition halten Sie an einem Staatsrat fest, den man nirgendwo in Deutschland für einen Sozialdemokraten halten würde und dessen Ruf in der Richterschaft unter dem Nullpunkt ist. Aber so weit geht die Rahmenverantwortung dann ja wohl doch nicht, als dass solches noch von Interesse wäre.

Auch wenn es Ihr Wahlkampf, Ihr Wahlsieg, Ihr Koalitionsvertrag, Ihre SPD ist –

(Bürgermeister D r. S c h e r f : Dabei können Sie ruhig lachen!)

Sie müssen sich das hier anhören, das sind die Spielregeln! –, Ihr Senat wird es in Zukunft nicht mehr sein!

Der Generationenwechsel bei der CDU wird mutmaßlich das große Kuscheln als Regierungsersatz beenden, hoffentlich! Das verdankt Bremen nun ausgerechnet der CDU, die mit Generationenwechsel Ernst macht, auf teilweise recht schofelige Weise verdiente Leute in die Wüste schickt, aber immerhin mit Herrn Röwekamp und Herrn Eckhoff zwei junge Senatoren ins Rennen schickt. Diese bekommen, wie alle anderen auch, die traditionelle 100-TageFrist, aber Wünsche äußere ich heute schon: den Wunsch, dass Herr Röwekamp nicht der Versuchung erliegt, die Innenpolitik für Rechtspopulismus und billige Stimmungsmache zu nutzen!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Das würde Bremens Ruf schaden, die Bevölkerung verunsichern und am Ende nur der Schill-Partei oder noch rechteren Gruppierungen nützen.

Kollege Eckhoff, das sage ich ja nun zum letzten Mal: Für die faire Zusammenarbeit der letzten Jahre bedanke ich mich trotz aller Meinungsunterschiede ausdrücklich. Nun werden Sie Senator für Bau und Umwelt und Energie. Den angekündigten inhaltlichen Wettstreit mit den Grünen in der Umweltpolitik werden wir gern aufnehmen. Mit Inhalten auf Ideenwettbewerb zu gehen macht uns am meisten Spaß.

Sie sind bekannt als kreativer Mann, der gern Projekte ausheckt und gestaltet, mit dem es aber vielleicht auch einmal durchgeht. Es ist auch keine Schande, gute Kontakte in die Bauwirtschaft zu haben, aber das sage ich Ihnen hier: Halten Sie sich an die Spielregeln für Senatoren und für die Vergabe von Bauaufträgen! Wir sind fest davon überzeugt, dass es für den Wirtschaftsstandort Bremen überlebenswichtig ist, dass jeder Eindruck von Kumpanei vermieden wird. Wir werden Ihnen auf die Finger sehen, Wanzen legen wir nicht!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg. B ö h r n s e n [SPD]: Was ist denn das für eine Rede?)

Wirtschaftssenator Perschau, auch auf Abruf, hört man! Zwei Jahre sind hoffentlich nicht lang genug, um neue kostentreibende Flops anzuschieben. Dass Sie so wenig Lust auf das Finanzressort haben, ahnte man. Dass es allerdings so weit geht, dass Sie kurz vor dem selbst gesteckten Sanierungsziel das Ruder verlassen, hätte ich von Ihnen nicht gedacht! Es sind vor allem Ihre Finanzierungen außerhalb des Haushalts, Ihr Hochgeigen des Schröder-Briefes und Ihre Jubelmeldungen, die Bremen unaufhaltsam auf eine finanzpolitische Spur gesetzt haben, die unserer festen Überzeugung nach nicht erfolgreich sein kann.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Über Ihre Künste, Bremen in Berlin zu vertreten, hat Ihr designierter Nachfolger, Herr Nußbaum, in der „Welt“ vom 27. Juni 2003 gesagt, ich zitiere: „Die Drähte nach Berlin haben schon seit zwei Jahren nicht mehr bestanden, weil Finanzminister Eichel und Finanzsenator Perschau nicht miteinander klarkommen.“ Kindermund tut Wahrheit kund, fällt einem da ein! Wir wollen einmal sehen, wie lange dieser Senat braucht, um Ihnen, Herr Nußbaum, solche Anfälle von Wahrhaftigkeit auszutreiben. Ihr Abschied vom Finanzressort in dieser Phase, Herr Senator Perschau, ist verantwortungslos. Ebenso verantwortungslos ist die Weigerung des geschätzten Kollegen Dr. Schrörs, weiterhin finanzpolitischer Sprecher zu sein. Dieselben Menschen, die nach außen das unerreichbare Ziel eines verfassungskonformen Haushalts im Jahr 2005 hochhalten, haben sich selbst aus der Verantwortung dafür gestohlen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Vielleicht ändert sich ja auch nicht so wahnsinnig viel. Nun werden eben die Wirtschaftszahlen schöngeredet, leicht angereichert durch Kultur und Frau Motschmann als Wanderpokal. Für die schwere Aufgabe eines Finanzsenators in diesen Zeiten hat Bürgermeister Henning Scherf Herrn Nußbaum gewonnen und ihn in „Buten un binnen“ folgendermaßen beschrieben: sieht gut aus, hat Kinder und eine sympathische Frau!

(Zurufe)

Das alles schadet ja nicht, wenn noch etwas mehr kommen würde, kam aber nicht!

(Abg. Frau B e r k [SPD]: Warten Sie es doch erst einmal ab!)

Ja, das werde ich abwarten! Ich rede ja heute zur Wahl und zu dem, was zurzeit in Rede steht. Das alles schadet ja nicht, wenn noch etwas mehr kommen würde, kam aber nicht! Es ist weit gekommen, dass unserem Bürgermeister diese Eigenschaften als ausreichend für die Position als Finanzsenator erscheinen. Eigentlich ist es nur noch peinlich!

(Abg. G ü n t h n e r [SPD]: Das ist jetzt aber unverschämt, Frau Linnert!)