Protokoll der Sitzung vom 01.07.2004

Im Bildungsurlaub geht es aus unserer Sicht um etwas anderes. Es geht genau darum, was ich eingangs gesagt habe, nämlich Erwachsenen die Möglichkeit zu geben, sich außerhalb ihrer direkten beruflichen Anforderung weiter zu qualifizieren, und zwar in diesen Bereichen: allgemein, politisch und natürlich auch beruflich. Wenn wir nämlich lebenslanges Lernen ernst nehmen wollen, dann heißt das doch gerade, dass wir erwachsenen Menschen nach ihrer Schul- und Berufsausbildung Chancen geben, sich entsprechend ihrer Begabungen und Interessen in ihrem gesellschaftlichen Umfeld weiter zu qualifizieren. Dazu kann ein Englischkurs genauso gehören wie ein Computerkurs, ein Kurs über die EU-Osterweiterung oder ein Kurs über den Schutz des Wattenmeeres oder eben Kurse, die das eigene Gesundheitsverhalten beeinflussen und ihm zugute kommen können oder die Sozialkompetenz stärken.

Ich glaube, wir sind gut beraten, wenn wir das mehr fördern, als wir es gegenwärtig tun. Ich glaube, dass das Bildungsurlaubsgesetz ein Baustein dafür ist, lebenslanges Lernen praktisch umzusetzen, und ich glaube auch, dass es ein Angebot für eine niedrigschwellige Bildungsbeteiligung und für einen Abbau von Chancenungleichheit ist, denn es

ist ja schon so, dass wir uns damit auseinander setzen müssen, dass die Schere zwischen denjenigen, die über Bildung verfügen, und denjenigen, die nicht darüber verfügen, in der Gesellschaft immer weiter auseinander geht. Das können wir doch nicht zulassen! Wir müssen dafür sorgen, dass genau das auch wieder weiter zusammenkommt.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Wenn wir in einer Wissensgesellschaft leben, und daran besteht ja kein Zweifel, dann müssen wir für mehr Bildungszugänge sorgen und nicht für weniger, dann müssen wir mehr dafür sorgen, dass es eine Teilhabe am Bildungszugang gibt. Das ist auch für uns eine zentrale gesellschaftliche Herausforderung. Es ist also klar, wir müssen die Herausforderungen, die uns da gestellt sind, annehmen.

Bedauerlich ist, darauf haben Sie hingewiesen, der Landesrechnungshof hat das auch gemacht, dass viel zu wenige den Anspruch auf Bildungsurlaub wahrnehmen. Im Bericht steht fünf Prozent, tatsächlich sind es, glaube ich, aber deutlich weniger. Wenn man da über zwei bis vier Prozent reden würde, kommt man der Sache, glaube ich, sehr viel näher. Dafür gibt es mit Sicherheit unterschiedliche Ursachen: Die einen kennen das Angebot nicht, die anderen haben vielleicht in der jetzigen ökonomischen Situation Angst davor, ihren Arbeitgeber damit zu konfrontieren, und den Dritten passt vielleicht auch das Angebot nicht. Über die genauen Ursachen weiß vielleicht Herr Lemke noch mehr. In jedem Fall kann ich aber die Argumentation nicht nachvollziehen, wie sie von Ihnen gekommen ist, Herr Wedler, oder auch von den Unternehmensverbänden, dass es sich angesichts der geringen Teilnehmerzahlen um einen Standortnachteil handeln würde. Diese Argumentation halte ich in der Tat für absurd.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Am Rande eine kurze Bemerkung zum Landesrechnungshof! Wir schätzen ihn ja sehr, aber ich glaube, in dem Fall hat er seine Kompetenz vielleicht auch ein bisschen überschritten. Wir glauben, dass die Gesetzgebungskompetenz an der Stelle auch einfach beim Parlament liegt.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ich bin der Auffassung, dass wir alle gemeinsam ein Interesse an der Weiterbildung haben sollten. Ich glaube, wir sollten ein Interesse daran haben, wie wir das denn verbessern, dass sich gegenwärtig nur so wenige für den Bildungsurlaub interessieren. Dazu reicht es eben nicht, dass das Landesamt für Weiterbildung auf der Homepage auf diese Veran

staltungen hinweist, und sonst passiert nichts. Ich glaube, dass man vielleicht auch einmal eine Imagekampagne dafür braucht, um deutlich zu machen, welche positiven Effekte mit Weiterbildung verbunden sind und welche positiven Sekundäreffekte auch Arbeitgeber davon haben, dass sie dann besser gebildete Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen haben. Es wäre gut, wenn man sich das im Senat auch mehr zu Eigen machen würde.

Jetzt komme ich zu dem, was ich an der Stelle an Reformbedarf sehen würde! Ich finde es richtig, wenn sich die norddeutschen Länder darüber Gedanken machen, dass man zu gemeinsamen Regelungen kommt. Ich glaube auch, dass man über eine Flexibilisierung der Kurslänge sprechen muss. Es sei auch einmal dahingestellt, dass man den Bildungsurlaub auf vier Wochen anhäufen kann. Vielleicht sollte man auch besser über Bildungsfreistellung reden statt über Bildungsurlaub, das klärt auch vieles, nämlich dass es um Freistellung geht, um Bildung wahrzunehmen, und nicht darum, Urlaub wahrzunehmen.

In jedem Fall sollte allerdings im Gesetz die Gemeinnützigkeitsbindung aufgehoben werden. Ich finde, dass private Weiterbildungsdienstleister zugelassen werden sollen, denn es sollte den Menschen selbst überlassen werden, ob sie einen Englischkurs zum Beispiel bei der VHS wahrnehmen oder ihn lieber bei Berlitz belegen. Die Menschen sind doch erwachsen genug, um zu wissen, welcher Kurs für sie am besten geeignet ist. In Niedersachsen und Hamburg sind private Anbieter schließlich auch zugelassen. Diese Maßnahme würde das Bildungsangebot erhöhen und einen großen Teil der Weiterbildungsanbieter nicht ausschließen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Auf keinen Fall darf es zu einer Verkürzung kommen. Wir wollen also die fünf Tage beibehalten, und der Dreiklang von allgemeiner, politischer und beruflicher Weiterbildung soll bestehen bleiben.

Zum Schluss mein Fazit: Für lebenslanges Lernen ist der Bildungsurlaub ein wichtiges Instrument. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, es zu optimieren! Für lebensbegleitendes Lernen brauchen wir darüber hinaus weiter Konzepte und neue Organisationsformen. In dieser Debatte stehen wir gegenwärtig noch ganz am Anfang.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ich glaube, es ist klar geworden, dass wir den Antrag von Herrn Wedler ablehnen werden.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Peters.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Wedler, ich möchte es gleich vorweg sagen, dass die CDU Ihrem Antrag zur Aufhebung des Bremischen Bildungsurlaubsgesetzes nicht zustimmen wird, denn in einer Zeit des lebenslangen Lernens, wie ja auch meine Vorrednerin eben schon sagte, ist es sinnvoll, auch solche Angebote wie das Bildungsurlaubsgesetz weiter aufrechtzuerhalten.

(Beifall bei der SPD)

Nach Auffassung der CDU ist das Bremer Gesetz aber veränderungswürdig und sollte modifiziert werden, auch unter dem Aspekt des Berichts des Rechnungshofs. Hier ist die CDU der Meinung, dies sollte in Anlehnung an das saarländische Weiterbildungs- und Bildungsfreistellungsgesetz – die nennen es schon so, wie eben der Vorschlag kam – erfolgen.

Zu den Zielen möchte ich jetzt einige Ausführungen machen, da durch unsere Resolution scheinbar hier und da Missverständnisse aufgetreten sind, zumindest habe ich das den Presseberichten teilweise so entnehmen können. Ziel dieser Gesetzesänderung ist, neben einer Erhöhung des Bildungsurlaubs von zehn auf zwölf Arbeitstage innerhalb von zwei aufeinander folgenden Kalenderjahren die zweckmäßige Inanspruchnahme von Bildungsurlaubstagen durch eine neue Regelung sicherzustellen.

Die CDU-Fraktion schlägt daher vor, dass die Erhöhung des Bildungsurlaubs von zehn auf zwölf Tage in zwei Jahren mit der Regelung einhergehen soll, dass jeder Arbeitnehmer künftig für die Hälfte der Dauer des Bildungsurlaubs eigene arbeitsfreie Zeit einbringen muss. Arbeitsfreie Zeit kann bedeuten tariflich, einzelvertraglich oder betrieblich vereinbarter Urlaub, arbeitsfreie Samstage, Freizeitausgleich aufgrund geleisteter Überstunden oder unbezahlter Urlaub.

Ich möchte hier deutlich klarstellen, dass die Belastung für die Arbeitgeber nicht auf zwölf Tage in zwei Jahren steigt, sondern um vier Tage von zehn auf sechs Tage abgesenkt wird. Dazu gab es in der Presse auch schon eine falsche Darstellung. Wir erhöhen also nicht auf zwölf Tage, sondern wir reduzieren die Belastung der Arbeitgeber auf sechs Tage, und der Arbeitnehmer bringt dafür sechs Tage aus seiner Freizeit selbst ein. Außerdem wird in unserem Vorschlag die Übertragbarkeit auf zwei Jahre begrenzt. Somit ist es also gar nicht mehr möglich, vier Wochen und mehr anzusammeln.

Die CDU ist überzeugt, dass die Anerkennung und der Wert jeder Veranstaltung für die Teilnehmer durch Einbringung ihrer Eigenbeteiligung deutlich steigen wird nach dem Motto „Was nichts kostet, taugt auch nichts“, das sagt man ja so häufig, und ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

wenn man sich selbst beteiligt, ist der Wert auch gleich höher und wird deutlich höher angenommen.

Des Weiteren schlägt die CDU vor, dass der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber die Teilnahme an einer Maßnahme künftig spätestens acht statt bisher vier Wochen vor Beginn mitteilt. Der Arbeitgeber ist angehalten, spätestens vier Wochen vor Veranstaltungsbeginn eine Rückmeldung zu geben. Abgelehnt werden können Anträge auf Bildungsurlaub bei Betrieben mit bis zu 100 Beschäftigten, wenn bereits im laufenden Kalenderjahr einem Drittel der Belegschaft Freistellung gewährt wurde oder in Betrieben mit bis zu 50 Beschäftigten, wo der Freistellungsanspruch auf betriebliche Weiterbildung angerechnet werden kann.

In Zukunft sollen auch eintägige Veranstaltungen anerkannt werden. Bisher mussten Bildungsfreistellungsmaßnahmen mindestens fünf Tage dauern, im Ausnahmefall drei Tage. Anerkannt werden können Veranstaltungen der politischen oder beruflichen Weiterbildung, denen ein geeignetes methodisches und didaktisches Konzept zugrunde liegt, deren tägliches Arbeitsprogramm ohne Pausen fünf Zeitstunden nicht unterschreitet, deren personelle, sächliche und räumliche Rahmenbedingungen die Erreichung des angestrebten Lernerfolges erwarten lassen und wenn sie grundsätzlich allen Beschäftigten offen stehen.

Nicht anerkannt werden können Veranstaltungen, wenn sie unmittelbar partei- oder verbandspolitische Ziele verfolgen, Maßnahmen nach dem Berufsbildungsgesetz, hier gibt es eigene Regelungen, Veranstaltungen im Rahmen der beruflichen Rehabilitation – dafür gibt es auch eigene Regelungen –, Veranstaltungen von Fortbildungseinrichtungen des öffentlichen Dienstes, berufliche Weiterbildungsmaßnahmen im Ausland, die von Veranstaltern durchgeführt werden, deren Hauptsitz sich nicht in Bremen befindet, das betrifft in der Regel Sprachkurse. Sie sehen hieraus, dass Angebote der Allgemeinbildung hierbei nicht mehr vorgesehen sind, um eventuelle Missbräuche und Mitnahmeeffekte zu verhindern.

Ferner unterstützten wir die Forderung nach einer gesicherten Berichtspflicht der anerkannten Weiterbildungsträger. Ganz wichtig ist auch, dass Programme angeboten werden, die eine hinreichende Gewähr bieten, Bildungsbenachteiligte zum Einstieg in das lebenslange Lernen zu motivieren. Das halten wir für ganz besonders wichtig. Außerdem möchte ich noch darauf hinweisen, dass wir ein modifiziertes Bildungsurlaubsgesetz erhalten unter dem Aspekt des Gesamtbereichs Weiterbildung, welches die EU-Kultusminister mit Ziel 2010 beschlossen haben.

Trotz allem möchte ich mich den Ausführungen des Rechnungshofs in einem Punkt anschließen: Lebenslanges Lernen muss auch immer in Eigenverantwortung der Beschäftigten selbst liegen.

Zum Schluss möchte ich für die CDU begrüßen, dass unter den fünf norddeutschen Ländern vorgesehen ist, die Bildungsurlaubsgesetze einander anzugleichen. Das halten wir für einen richtigen Schritt.

(Beifall bei der CDU)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Ziegert.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir sollten uns vielleicht noch einmal vor Augen führen, wozu das Bildungsurlaubsgesetz 1974 eingeführt worden ist. Das war ausdrücklich, um die Bildungsbeteiligung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu erhöhen, auch im Hinblick darauf, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Allgemeinen aus bildungsbenachteiligten sozialen Schichten kommen, denen also der Bildungszugang von ihrer Herkunft her nicht so ohne weiteres offen steht.

Ich denke, 30 Jahre nach der Einführung dieses Bildungsurlaubsgesetzes ist diese Zielsetzung aktueller denn je, und ich habe genauso wenig Verständnis dafür wie meine Vorredner, wenn man in dieser Zeit, in der von Wissensgesellschaft und lebenslangem Lernen die Rede ist, nun auch noch unter dem Stichwort Bürokratieabbau oder Standortfaktor dieses wichtige Gesetz, das dieses Ziel erreichen will, abschaffen will.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Man kann darüber reden, wie man das Ziel besser erreicht, wie man das Gesetz reformieren kann, aber man kann nicht über Abschaffung reden.

Lebenslanges Lernen ist auch in Form von politischer und allgemeiner Bildung und nicht nur in Form von beruflicher Weiterbildung heutzutage dringend erforderlich, um sich in einer ständig wandelnden Welt im gesellschaftlichen Wandel überhaupt zurechtzufinden. Ich möchte nur einmal kurz ein Schlaglicht auf einen ganz anderen Bereich werfen. Es ist zum Beispiel erwiesen, dass der Gesundheitszustand von Menschen nicht nur mit ihrer sozialen Schicht, sondern vor allen Dingen mit ihrem Bildungsstatus zusammenhängt, und hier kann man schon sehen, wie weit Bildung, Wissen und Lernen zusammenhängen mit allen Lebenslagen.

(Beifall bei der SPD)

Die EU hat deswegen auch eine Zielsetzung, ein Benchmarking aufgestellt, um die Beteiligung an politischer, allgemeiner oder beruflicher Bildung zu erhöhen. Die EU hat das Benchmarking von zwölf Prozent aller Erwachsenen, wo die Beteiligung erreicht sein soll. Im Jahre 2002 wurden EU-weit 8,5 Pro

zent erreicht, in Deutschland nur 5,8 Prozent der Bevölkerung, die sich an Erwachsenenbildung beteiligen. Ich finde, daran sieht man, wie allein der Nachholbedarf auf EU-Ebene ist, den wir hier in Deutschland haben.

(Beifall bei der SPD)

Erwachsenenbildung, lebenslanges Lernen ist eine gesellschaftliche Aufgabe und nicht Privatsache des Einzelnen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Deswegen sind solche Vorstellungen, der Einzelne soll das in seiner Freizeit machen oder die Tarifparteien sollen das machen – ich bin für tarifliche Regelung von betrieblicher Weiterbildung, aber das hat mit dieser Erwachsenenbildung im Allgemeinen nichts zu tun – alle nicht zielführend genauso wenig, muss ich sagen, Herr Peters, jetzt der Vorstoß der CDU, dass nun der Erholungsurlaub darauf angerechnet wird.

Ich empfehle all denen, die völlig abwegig finden, dass man von der Arbeit zur Bildung freigestellt wird, doch einmal die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1987 nachzulesen, in der sich das Bundesverfassungsgericht mit einer Klage gegen den Bildungsurlaub auseinander gesetzt hat und hier sehr deutlich gesagt hat, warum es sinnvoll ist, dass Arbeitnehmer von der Arbeit freigestellt werden und nicht für ihre Bildungsanstrengung auf Feierabend, Wochenenden oder Erholungsurlaub verwiesen werden, weil dann nämlich auch das Lernen weniger effektiv ist.

Allerdings legen die Befunde nahe, und ich fände es gut, wenn Senator Lemke darauf gleich noch einmal eingehen würde, dass dieses Bildungsurlaubsgesetz wirklich Bildungsbenachteiligte nicht in genügendem Maße erreicht und wir über eine Reform dieses Gesetzes nachdenken sollten. Ich kann nur aus meiner Erfahrung sagen, es ist sehr unterschiedlich, es gibt auch Bildungsangebote, die sehr wohl und sehr gut die Zielgruppe der Arbeiterinnen und Arbeiter erreichen, die nicht solche Bildungserfahrungen haben. Ich muss außerdem sagen, dass der Bildungsurlaub von allen Formen der Erwachsenenbildung die Lernform ist, die genau diese Bildungsungewohnten am meisten anspricht, womit also am ehesten lebenslanges Lernen erreicht werden kann.

(Beifall bei der SPD)