Das gilt zunächst für den konkreten Anlass dieser Debatte, also für eine rechtsstaatliche und konsequente Bekämpfung des Drogenhandels und die Entscheidung darüber, mit welchen Ermittlungsmethoden unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit Beweismittel sichergestellt werden. Dazu liegt Ihnen ein gemeinsamer Antrag der Koalitionsfraktionen vor, der inhaltlich die Haltung der SPD aufnimmt und mit seinem Auftrag, in einem halben Jahr eine sorgfältige Evaluation vorzunehmen, auch der CDU gerecht wird. Über die konkrete Frage hinaus ging es in den vergangenen Tagen und geht es auch heute aber – ich glaube, das sieht jeder – um die Zukunft der großen Koalition insgesamt.
Ich will an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass in der vergangenen Woche die Vorsitzenden der SPD in Bremen und der SPD-Fraktion in der Bürgerschaft eine Standortbestimmung vorgenommen und damit für einen gewissen Wirbel gesorgt haben. Die heutige Debatte ist sicherlich nicht der Platz, um ausführlich darüber zu sprechen, aber ich möchte an dieser Stelle noch Folgendes sagen, zumal auch Herr Kastendiek am Ende seiner Rede dies angesprochen hat: Die Freie Hansestadt Bremen ist nach dem Ende der Sanierungshilfen durch den Bund in einer ganz entscheidenden Phase ihrer Zukunftssicherung. Gerade in der Frage der Haus
haltssanierung und der weiteren finanziellen Beweglichkeit kann sich niemand der Diskussion um klare Antworten entziehen. Wir wollen die positive Entwicklung, die unser Bundesland in den vergangenen zehn Jahren genommen hat, fortsetzen. Die große Koalition hat unbestreitbar gute Arbeit in der Vergangenheit geleistet, es gibt vorzeigbare Ergebnisse der gemeinsamen Arbeit. Auf verschiedenen Politikfeldern, aber insbesondere auf dem dramatischen Feld der Finanzpolitik glauben beide Koalitionspartner, genügend gemeinsamen Schwung entwickeln zu können, um die nun wirklich nicht geringen Herausforderungen zu meistern.
Meine Damen und Herren, es mag eine Binsenweisheit sein, aber wir müssen die Erkenntnis, glaube ich, trotzdem beherzigen: Die Erfolge von gestern sind nicht automatisch die Erfolge von morgen. Die große Koalition muss sich die neuen und die weiteren Erfolge hart erarbeiten, und ich sage hier: Die SPD-Fraktion ist bereit, ihren Teil dazu beizutragen, mehr noch, wir sagen ganz selbstbewusst, wir wollen auch für den Rest der Legislaturperiode der Motor dieser Koalition sein.
Herr Sieling und ich haben in der vergangenen Woche einen Ruck in der großen Koalition gefordert, eine zweite Luft gewissermaßen.
Um im Bild zu bleiben: Heute geht es um den ersten tiefen Atemzug, wenn wir uns mit einem Problem der Koalition beschäftigen, nicht mit dem größten, aber einem mit lautem Getöse in der Öffentlichkeit, einem Problem, in dessen Mittelpunkt der Tod eines Menschen in staatlicher Obhut steht. Das macht uns betroffen, und wir drücken noch einmal und in diesem Haus unser Bedauern über dieses tragische Ereignis aus.
Meine Damen und Herren, es war Senator Röwekamp, der den ersten Missklang des neuen Jahres produzierte, als er sich am 4. und 5. Januar auf den Weg ins „Buten-un-Binnen“-Studio machte, um sich, so war wohl seine Absicht, einer politischen Diskussion über den Brechmitteleinsatz gegen einen mutmaßlichen Drogendealer zu stellen. In Wahrheit aber ging es um den bedauerlichen Eingriff, bei dem der Fünfunddreißigjährige gesundheitlich so stark geschädigt wurde, dass er später starb.
Für viele, auch für mich, die den Senator im Studio erlebten, drängte sich der Eindruck auf, dass es dem Senator zumindest in einer Nebenabsicht darum gegangen war, einen Pflock in die politische Landschaft einzuschlagen. Es hatte den Anschein, als wollte er nicht zum Einzelfall Stellung nehmen,
sondern darüber hinaus die Botschaft aussenden, hier gehe ein politischer Hardliner ans Werk, der sich auch durch vermeintlich kleinliche Einwände von seinem Kurs nicht abbringen lassen werde. Unterstrichen wurde diese Rolle insbesondere durch die mehrmalige Formulierung, man werde mit unnachgiebiger Härte vorgehen. Das kam bestimmt bei einem nicht nur kleinen Teil der Bevölkerung, zumindest aber in den eigenen politischen Reihen des Senators gut an.
Die bereits am nächsten Tag bekannt gewordenen Umstände des Brechmitteleinsatzes und insbesondere der dramatische Gesundheitszustand des Verdächtigen ließen aber diese Worte in einem neuen Licht erscheinen. Senator Röwekamp hatte sich offenkundig schlecht auf das Interview vorbereitet, Grundlage war ein sieben Tage alter Polizeibericht, nach dem der Verdächtige zwar einen Atemstillstand erlitten hatte, aber ins Krankenhaus gefahren wurde, nachdem sich die Lage stabilisiert hatte. Daraus zog das Innenressort den falschen Schluss, der Betroffene sei auf dem Weg der Besserung.
Bereits sieben Tage vorher hatte der Notarzt diagnostiziert, der Patient sei ertrunken. Eine Rückfrage bei der Feuerwehr hätte dem Senator bestätigt, dass auch der Rettungswagen dem Krankenhaus in der Nacht des 27. Dezember gemeldet hatte: Zustand nach Ertrinken. Offensichtlich auf der Grundlage der unzureichenden Vermutungen der Polizeibeamten in der Nacht des 27. Dezember teilte Senator Röwekamp dem Fernsehpublikum aber mit, der Betroffene habe sich durch das Zerbeißen von Drogenkügelchen selbst vergiftet.
Meine Damen und Herren, ich sage ganz deutlich: Eine solch fahrlässige Informationsarbeit ist äußerst befremdlich. Dies darf einem Bremer Senator eigentlich nicht passieren.
Leider erfuhr die verfahrene Situation durch das Zutun des Senators eine weitere Steigerung. Obwohl er bei seinem zweiten Auftritt im Fernsehen bereits von einem irreparablen Hirntrauma des fünfunddreißigjährigen Afrikaners wusste, ließ er es nach dem Empfinden vieler Zuschauer – auch nach meinem Empfinden – an Mitgefühl fehlen und fand keine Worte des Bedauerns darüber, dass ein Mensch im Polizeigewahrsam zu Schaden gekommen war, im Gegenteil. Er erhob weiter den Vorwurf, der Betroffene habe sich alle Entwicklungen des Vorfalls selbst zuzuschreiben, er sei selbst Schuld, so nach dem Motto: Wir haben alles richtig gemacht, für die Folgen können wir nichts.
Meine Damen und Herren, diese Haltung hat nicht nur in der SPD-Fraktion viele Kolleginnen und Kollegen verstört, ja empört. Viele fragen sich, ob man so einfach den Tod eines Menschen zu einem Be
triebsunfall einer Ermittlungsmaßnahme erklären und zur Tagesordnung übergehen darf. Darf ein Senator eine solche Methode der Beweiserhebung verteidigen nach einem solchen Vorfall, bei dem alles dafür spricht, dass sich das Risiko, das diese Methode in sich birgt, verwirklicht hat in Todesfällen in Hamburg vor drei Jahren und jetzt in Bremen?
Nachdem es schon lange Kritik an dieser Methode gibt, viele Ärzte ihr sogar absprechen, im Rahmen der ärztlichen Kunst einen Platz zu haben, wäre nach meiner Überzeugung auch beim Senator Nachdenklichkeit anstelle lautstarker Unbedenklichkeit angemessen gewesen.
Meine Damen und Herren, bei einigen kam sogar der Verdacht auf, der Senator wolle als gelernter Jurist, also als einer, der es besser wissen muss, trotz der dramatischen Folgen in diesem Fall den Wortlaut des Paragraphen 81 a der Strafprozessordnung für unanwendbar oder beliebig erklären. In diesem Paragraphen 81 a der Strafprozessordnung ist klar geregelt, dass körperliche Untersuchungsmethoden nur dann angewendet werden dürfen, wenn sie von einem Arzt nach den Regeln der ärztlichen Kunst vorgenommen werden und kein Nachteil für die Gesundheit des Betroffenen zu befürchten ist. Von einem Vorbehalt, dass bei entsprechender Verwerflichkeit der Tat, zum Beispiel Drogenhandel im Viertel in Bremen, Verdächtige auch einmal hart herangenommen werden dürfen und trotz Gesundheitsgefährdung mit Gewalt zum Erbrechen gezwungen werden dürfen, von einem solchen Vorbehalt spricht die Strafprozessordnung ausdrücklich nicht. Das, meine Damen und Herren, ist auch richtig, und es ist gut so.
Rechtsstaatliches Handeln, konsequent, gleich und den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit verpflichtet, das sind wesentliche Grundlagen des Zusammenlebens im Deutschland des Grundgesetzes. Strafen stehen im Gesetz, strafbares Handeln wird vor der Tat präzis und klar beschrieben, Rechtsfolgen gelten für jedermann und jede Frau gleichermaßen. Die Ermittlungsbehörden schöpfen im Umgang mit Verdächtigen oder Beschuldigten nicht eigenes Recht, sondern müssen sich an geltendes Recht halten.
Der Schutz der Menschenwürde in Artikel 1 unseres Grundgesetzes gilt nicht nur für die Guten und Anständigen, sondern auch für die Bösen und Übeltäter. Die Würde des Menschen ist eben unteilbar. Es gibt keine große unantastbare Würde für die Guten und eine kleine eingeschränkte Würde für andere, meine Damen und Herren.
Ein Journalist in Bremen hat in einem Kommentar der SPD vorgeworfen, sie handele populistisch, da sie Senator Röwekamp wegen seiner – aus unserer Sicht – unsensiblen Haltung gegenüber diesem tödlichen Vorgang kritisiere. Ich kann nicht erkennen, dass die Haltung der SPD wirklich populistisch ist, jedenfalls nicht, wenn ich mich mit Bürgerinnen und Bürgern unterhalte. Da scheint mir eher die gegenteilige Haltung populär zu sein. Ein Blick in die heutigen Leserbriefe lassen es erkennen.
Meine Damen und Herren, Populismus darf aber auch nicht das entscheidende Kriterium sein. Die Demokratie darf sich doch nicht darauf reduzieren lassen, dass Demoskopen Umfragen machen, und die vermeintlichen Mehrheitsansichten werden dann von Abgeordneten in Gesetze gegossen und von der Regierung exekutiert. Perfekt wäre eine solche Demoskopendemokratie-Karikatur, wenn dann Gerichtsverfahren direkt im Fernsehen übertragen würden, und das Urteil käme dann als Ted-Umfrage zustande.
Meine Damen und Herren, unser Grundgesetz, konkret die Artikel 20 und 21, sieht eine solche passive Staatsform nicht vor, sondern es überträgt den Handelnden Verantwortung für unseren demokratischen Staat. Nicht nur die Parteien dürfen sich nicht damit begnügen, politische Willensbildung zur Kenntnis zu nehmen, sondern sie wirken an der politischen Willensbildung des Volkes mit. So steht es in unserem Grundgesetz. Unser demokratisches Gemeinwesen verlangt aber auch von den sie tragenden Institutionen, die Fraktionen und die von ihnen getragenen Regierungsmitglieder gehören ganz gewiss dazu, sich für die Grundsätze der Demokratie einzusetzen. Der Innensenator ist ganz besonders in der Pflicht, mit aller Kraft für die Geltung rechtsstaatlicher Grundsätze einzutreten.
Meine Damen und Herren, auch deswegen haben wir das Auftreten von Herrn Röwekamp im Fernsehen kritisiert. Gerade der Innensenator muss aufpassen, welche Signale er an seine Polizisten aussendet. Gerade seine Haltung muss besonders abgewogen und rechtsstaatlich eindeutig sein. Da bestanden Zweifel, und diese mussten ausgeräumt werden.
Es ist sicher erlaubt, aber es reicht nicht aus, Verständnis zu äußern für die Wut über und die Angst vor Drogenhändlern. Es ist unbestritten nötig, mit allen Konsequenzen den Kampf gegen die Kriminalität zu unterstützen. Mit allem Nachdruck gehört es auch zur politischen Pflicht, das manchmal mühsame, manchmal beschwerliche rechtsstaatliche Verfahren zu verteidigen.
Übrigens, meine Damen und Herren, nicht zuletzt diese übereinstimmende Einstellung macht es demokratischen Parteien unmöglich, mit extremistischen Parteien Koalitionen einzugehen.
Deshalb – ich befürchte, wir werden es heute noch hören – ist der Konsens der Demokraten so wichtig in diesem Teil unserer Politik.
Meine Damen und Herren, die rechtsstaatlichen Grundsätze müssen sich im Einzelfall bewähren, also eben auch bei der Festnahme am 27. Dezember hier in Bremen. Nachdem es am Anfang über die Haltung des Innensenators zu Irritationen gekommen war, haben die Gespräche der letzten Tage aus unserer Sicht die nötige Klarheit wieder hergestellt, dass an diesem Punkt die beiden Koalitionspartner zusammen sind.
Inzwischen hat Senator Röwekamp sein zunächst intern in der Sitzung der Innendeputation geäußertes Bedauern über das tragische Ende des Brechmitteleinsatzes am 27. Dezember in der Öffentlichkeit deutlich wiederholt. Vor der SPD-Fraktion hat Senator Röwekamp eingeräumt, dass sein Fernsehauftritt ein Fehler war. Damit konnte der unerträgliche Eindruck ausgeräumt werden, einem Bremer Innensenator könne als hinnehmbar erscheinen, dass es bei staatlichen Ermittlungen im Rahmen der Strafverfahren auch einmal zu Betriebsunfällen selbst mit schlimmsten Folgen kommen könne.
Meine Damen und Herren, wir wollen es nicht auf den möglicherweise glücklichen Umstand ankommen lassen, dass bei einem riskanten Eingriff im Zuge von Ermittlungsmaßnahmen nichts passiert. Der Brechmitteleinsatz ist über viele Jahre, das ist gar nicht zu bestreiten, als geeignetes Mittel zur Beweissicherung angesehen worden. Der Todesfall aber in Hamburg 2001, vor allem aber das tragische Geschehen hier in Bremen erfordern ein Umdenken. Wir können angesichts von zwei Toten doch nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, sondern müssen Konsequenzen aus diesen Vorfällen ziehen. Deshalb hat die SPD-Fraktion bereits in der vergangenen Woche gefordert, dass auf das gewaltsame Verabreichen eines Brechmittels durch eine Magensonde endgültig verzichtet wird und die notwendige Beweiserhebung bei verschluckten Drogenkügelchen durch andere, konsequente, aber weniger gesundheitsgefährdende Maßnahmen ersetzt wird. Diese Haltung der SPD-Fraktion hat sich nun auch im Koalitionsausschuss und im Senatsbeschluss von gestern wiedergefunden.
Selbstverständlichkeit aussprechen: Auch künftig muss mit allem Nachdruck im rechtsstaatlich gesetzten Rahmen Drogenkriminalität bekämpft werden. Wenn ein Drogendealer die Debatte in diesem Hause und die Kritik am Innensenator missverstehen möchte als Freibrief, dem schmutzigen Geschäft auf Kosten unserer Kinder und Jugendlichen weiter nachgehen zu können, dann hat er sich getäuscht. Das muss man auch mit allem Nachdruck sagen.
Ich füge aber hinzu, die SPD erwartet nicht nur Phantasie bei der Sicherstellung von Drogenkügelchen, sondern auch konsequentes präventives Einschreiten in der Drogenpolitik. Es müssen Lösungen für soziale Probleme, die Sucht oder Handel begünstigen, gefunden werden. Für Kranke müssen Therapien vorgesehen werden. Die Szene darf in der Tat nicht hingenommen werden. Möglicherweise müssen Aufenthaltsverbote verstärkt ausgesprochen werden.
Lassen Sie es mich so zusammenfassen: Festnehmen, Abführen und Erbrechen, das ist jedenfalls keine ausreichende Antwort auf die Herausforderung in der Drogenpolitik. Da ist mehr erforderlich.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss und will zusammenfassen: Die deutliche Einigung in der Sache, also die Einigung, auf eine im hohen Maße gesundheitsgefährdende Ermittlungsmethode zu verzichten, macht es der SPD-Fraktion möglich, gegen das Misstrauensvotum der Fraktion der Grünen zu stimmen. Wir wählen keinen Senator wegen seiner Person oder seiner blauen Augen, sondern für uns ist entscheidend, welche Politik innerhalb der großen Koalition gemacht wird,
und da haben wir jetzt in dieser Frage eine Lösung gefunden, an der Herr Dr. Güldner, vermutlich selbst die Opposition nichts auszusetzen hat. Ich will auch sagen, es wird sich nichts daran ändern, dass es gerade im Bereich der inneren Sicherheit auch künftig zwischen den Koalitionsfraktionen hin und wieder Meinungsverschiedenheiten geben kann. Das ist legitim und völlig normal, aber, und das war und ist uns wichtig, der Senator einer großen Koalition muss eben anders auftreten als die Vertreter einer Alleinregierung. Auch wenn der Wunsch nach persönlichem Profil zugestanden sei, die Debatte um Brechmitteleinsätze hat gezeigt, dass es Grenzen gibt, die auch bei schärfster inhaltlicher Auseinandersetzung einzuhalten sind.
Meine Damen und Herren, Senator Röwekamp hat nicht nur in der Sache diesen Rahmen wieder für sich und die CDU akzeptiert, er hat in der Deputation, im „Weser-Kurier“, in internen Gesprächen und durch seinen Auftritt in unserer Fraktion am Montag weitere Brücken gebaut. Zudem hat sich, wie erwähnt, die große Koalition in der Sache geeinigt. Sie hat die notwendigen Konsequenzen aus dem tragischen Todesfall gezogen. Deshalb gibt es für die SPD-Fraktion keinen Grund mehr, dem Misstrauensantrag der Grünen zuzustimmen. Wir werden ihn ablehnen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!