Protokoll der Sitzung vom 08.10.2003

(Präsident W e b e r übernimmt wieder den Vorsitz.)

Ich freue mich, dass wir, was die Subsidiarität angeht, uns auch verständigt haben, dass es in Zukunft eine stärkere Berücksichtigung im Sinne der Subsidiarität in Europa geben wird und dass im Zweifel nicht immer alles auf Europaebene gezogen wird. Das ist richtig. Dieses komplizierte, immer größer werdende Europa mit solchen Tittmanns muss doch vermittelbar bleiben. Das geht nur dann, wenn wir Subsidiarität und Dezentralisierung wirklich ernst nehmen.

Ich finde gut, dass es gelungen ist, dass es mehr Mehrheitsentscheidungen gibt. Das war lange umstritten. Es ist aber richtig so. Wer den Einigungsprozess will, der muss auch in der Lage sein, in der einen oder anderen Frage jemanden, der partout nicht kann, zu überstimmen. Es darf keine Blockade geben wegen eines Einzelnen. Das ist in die richtige Richtung vorangebracht worden.

Ich finde auch, was nun in der Konferenz in Rom so problematisch diskutiert worden ist, die Balance zwischen den europäischen Institutionen und die zusätzliche Stärkung des europäischen Parlaments gelungen. Das ist eine große Leistung, die sie da im Konvent geschafft haben, diese vielen Interessen unter einen Hut zu bringen. Darum bin ich mit all meinen Talenten dafür, dass das bitte sehr auf dieser Basis wirklich Grundlage unseres Verfassungsprozesses bleibt und dass wir dieses komplizierte Paket nicht aufschnüren und dann wirklich den Pro

zess dramatisch gefährden. Das habe ich aber von fast allen gehört, außer von Herrn Tittmann. Alle anderen haben das genauso gesagt. Darüber freue ich mich, dass wir Einigung bekommen.

Bei dem Referendum – darf ich das sagen, Frau Dr. Trüpel? –, das ist Taktik: die Sache wollen und für richtig halten und aus irgendwelchen anderen Gründen, was weiß ich, einmal ein bisschen Öffentlichkeit mobilisieren, sich einmal mit Herrn Tittmann auseinander setzen! Davor warnt Joschka Fischer übrigens, der bekommt eine Öffentlichkeit, hat er gesagt! Er hat nicht ganz Unrecht damit. Das kann man heute hier erleben. Ich finde, das ist taktisch. Dafür ist das zu gefährlich und zu anspruchsvoll.

Wir machen hier nicht irgendeine Demokratiemobilisierungsveranstaltung, sondern wir machen etwas Historisches. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit gibt sich dieses komplizierte, wirklich sehr unterschiedliche, mit unterschiedlichen Interessen, mit unterschiedlichen Kulturen, unterschiedlichen politischen Erfahrungen ausgestattete, bunte Europa eine Verfassung. Wer hätte das geglaubt? Vor 20, 30 Jahren hätten doch alle den Kopf geschüttelt und gesagt, das schafft ihr nie, das werdet ihr nie schaffen! Ihr bleibt immer nur dieses Diplomateneuropa, das von Ausschuss zu Ausschuss, von Nachtsitzung zu Nachtsitzung seine Kompromisse hinbringt!

Nein, wir sind auf dem Weg zu einem verfassungsrechtlich zusammengebrachten großen Europa! Das ist historisch. Das trauen uns die US-Amerikaner nicht zu, das trauen uns aber auch andere nicht zu. Darum müssen wir wirklich alles tun, sorgfältig genug arbeiten und müssen aus unserer Sicht, aus der deutschen Sicht, alles unterlassen, was den Eindruck erweckt, wir könnten diesen Prozess gefährden, wo er schon so weit vorangebracht worden ist.

Ich freue mich, dass sich das auch bei der CDU/ CSU durchgesetzt hat. Das war nicht immer so. Wenn Sie den Landtagswahlkampf in Bayern noch in den Ohren haben, da hat es ganz andere Töne gegeben. Da sollte auch die Lufthoheit über den Stammtischen erobert werden.

(Abg. F o c k e [CDU]: Irgendwoher müs- sen die 60 Prozent ja kommen!)

Das balancieren wir klugerweise. Das hat ja auch geklappt, ich gönne Ihnen diesen Erfolg ja auch. Man darf so ein großes Verfassungswerk nicht gefährden, und darum bin ich engagiert dafür, mit Joschka Fischer und allen anderen, die das in der Bundesregierung tragen, und übrigens auch allen anderen Ländern, wir sind da alle einig, ganz ungewöhnlich, auch da, wo die Grünen in den Koalitionen, nicht nur im Bund, sondern in den Ländern mitreden können, sind wir einig. Das macht Sie hof

fentlich nachdenklich. Jedenfalls würde mich das freuen.

(Abg. Frau S t a h m a n n [Bündnis 90/ Die Grünen]: Man kann ja auch andere Vor- schläge machen!)

Sie müssen sich nicht immer mit dem großen Joschka identifizieren, aber vielleicht mit den anderen, die in Regierungsverantwortung sind und aus Regierungsverantwortung sagen, wir müssen alles tun, damit das zustande kommt, und alles unterlassen, damit wir diesen komplizierten und schwierigen Vermittlungsprozess nicht noch auf den letzten Metern gefährden. Ich denke, das muss das Signal von uns hier sein. Wir stehen hinter diesem großartigen Vorschlag. Wir machen alles, damit er wirklich in Kraft gesetzt wird und dann gern beim Europawahlkampf gegen Tittmann ordentlich argumentiert wird. Hoffentlich schafft er es nicht auch noch, da zusätzliche Stimmen zu erhalten. – Danke!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Damit ist die Beratung geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Als Erstes lasse ich über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen.

Wer dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit der Drucksachen-Nummer 16/49, Neufassung der Drucksache 16/26, seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür Bündnis 90/Die Grünen und Abg. W e d l e r [FDP])

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen SPD und CDU)

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt den Antrag ab.

Nunmehr lasse ich über den Antrag des Abgeordneten Wedler abstimmen. Er hat einen Änderungsantrag eingebracht, und er möchte, dass die Ziffer 2 des Antrags der Grünen als Ziffer 11 in den Antrag der CDU und der SPD übernommen wird.

Meine Damen und Herren, wer diesem Antrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür Bündnis 90/Die Grünen und Abg. W e d l e r [FDP])

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen SPD und CDU)

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt diesen Antrag ab.

Ich lasse jetzt über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und der SPD abstimmen.

Wer dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und der SPD mit der Drucksachen-Nummer 16/52 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür SPD, CDU und Abg. W e d l e r [FDP])

Ich bitte um die Gegenprobe!

Stimmenthaltungen?

(Bündnis 90/Die Grünen)

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt dem Entschließungsantrag zu.

Finanzierung von betriebsnahen Kindertagesstätten

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 23. September 2003 (Drucksache 16/38)

Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin Röpke.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Crueger.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Über Kinderpolitik diskutieren wir heute hier also wieder. Wir sind uns darin einig, ein wesentliches kinderpolitisches Ziel ist die flächendeckende Versorgung mit qualitativ möglichst hochwertigen Kindergartenplätzen. Wenn wir uns so anschauen, was wir aus dem Sozialressort hören, wie es da mit dem Haushalt ausschaut, ist das alles andere als prickelnd. Da ist es durchaus legitim zu schauen, welche anderen Möglichkeiten es gibt, um eine vernünftige Kinderversorgung zu gewährleisten und zu finanzieren.

Vor diesem Hintergrund sind die betriebsnahen Kindergärten sicher ein denkbares Modell. Es geht kurz zusammengefasst darum, dass sowohl Unternehmen als auch die Kommune gemeinsam Kindergartenplätze finanzieren, was den Arbeitnehmerin

nen und Arbeitnehmern dieser beteiligten Unternehmen ermöglicht, arbeitsplatznah und zu den üblichen Beiträgen ihre Kinder dort in den Kindergarten zu geben. In der Theorie sehr schön, aber in der Praxis kritisch! Wir haben nun einmal in Bremen mit dem benachbarten Niedersachsen die Situation, dass ein beachtlicher Anteil der Bremer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus dem niedersächsischen Umland einpendelt. Das heißt, wenn diese ihre Kinder mitnehmen und in die betriebsnahen Kindergärten geben, dann zählen diese Kinder dort als niedersächsische Kinder, und – da ist der Fehler im System – für niedersächsische Kinder zahlt die Kommune Bremen nicht. Das bedeutet ergo, dass nur die Betreuung der bremischen Kinder in den Kindertagesstätten finanziert wird, die Kosten für niedersächsische Kinder bleiben übrig, so dass man das ganze Geld, das von der Kommune kommt, aufteilt auf die Gesamtzahl der Kinder. Das führt dann dazu, dass die erste Einrichtung, nämlich die Kita Hünefeldstraße, das ging auch des Öfteren durch die Presse, bereits arge finanzielle Probleme hat und nicht weiß, wie sie sich finanziell weiter über Wasser halten und finanzieren soll. Diese Situation ist nicht einmalig. Eine ähnliche Situation sehen wir beispielsweise auch bei Berlin und Brandenburg. Witzigerweise hat das bei Berlin und Brandenburg funktioniert, da hat man sich geeinigt und einen Staatsvertrag geschlossen. Dieser Staatsvertrag besagt, dass die Finanzierung so geregelt wird, dass beide Kommunen unter dem Strich ungefähr auf ihren Schnitt kommen und die Kosten sozusagen ausgeglichen werden. Ich kann Ihre Argumentation verstehen, die Sie auch schon in der Sozialdeputation geäußert haben, dass Sie als Bremer Kommune nicht bereit sind und wohl auch nicht die finanziellen Mittel haben, für diese niedersächsischen Kinder zu zahlen. Der Punkt ist doch, wie ich das geschildert habe, denke ich nicht, dass wir da einen Dissens haben, es ist ein strukturelles, ein strukturimmanentes Problem der betriebsnahen Kindertagesstätten. Bei dieser Struktur und bei den niedersächsischen Arbeitnehmern werden wir das immer haben. Bei den Einrichtungen, wo wir es mit Glück heute noch nicht haben, kann es uns morgen oder übermorgen passieren, dass sich die Anzahl der niedersächsischen Arbeitnehmer vergrößert und dann auch dementsprechend deren Zahl an Kindern, und dann stehen wir plötzlich vor diesem Problem. Wenn wir aber – das treibt das Sozialressort kräftig voran – betriebsnahe Kindergärten zumindest als ein mögliches Modell der Zukunft hier vermarkten, verkaufen und präferieren, und überall, an allen Ecken und Enden sprießen niedliche kleine betriebsnahe Kindertagesstätten aus dem Boden, dann müssen wir uns jetzt überlegen, wie wir das finanziell absichern. Deshalb unser Antrag, einen dementsprechenden Staatsvertrag mit Niedersachsen zumindest versuchen zu verhandeln!

Es gab in der Vergangenheit Gespräche mit den Umlandgemeinden, mit den Landkreisen und den kreisfreien Städten. Wir meinen, da müsste man noch einmal, gerade weil das eben ein drohendes Problem ist, auf Landesebene in die Verhandlungen treten.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Dementsprechend ist unser Antrag. Ich bin sehr froh darüber, dass uns sowohl aus Reihen der CDU als auch aus Reihen der SPD signalisiert wurde, dass man zumindest bereit ist, diesen Antrag zur Beratung in die Sozialdeputation zu überweisen. Vor diesem Hintergrund, auch wenn wir ihn jetzt noch nicht abgestimmt bekämen, bin ich doch zuversichtlich und beantrage auch, diesen Antrag zu überweisen, und bedanke mich damit für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)