Protokoll der Sitzung vom 16.11.2006

Wir hatten im Juni des vergangenen Jahres einen Antrag zusammen mit der Fraktion der SPD eingebracht, in dem wir den Senat aufgefordert haben, die Gesundheitserziehung in Kindergarten und Grundschule auszuweiten, den Gesundheitsgedanken durchgängig in den Schulunterricht einzubauen, zum Beispiel durch Einbeziehung von Ärzten und Zahnärzten, die Einführung von Projekttagen zur Gesundheitsförderung und die Intensivierung der Gesundheitserziehung in der Lehreraus- und -fortbildung.

Ferner baten wir zu berichten, welche strukturierten Modelle es in unseren KTH und Schulen bereits gibt, ob es Vergleiche zu Kindergärten und Schulen gibt, die nicht an solchen Programmen teilnehmen, und inwiefern die Ergebnisse überprüft werden und welche Schlussfolgerungen daraus zu ziehen sind. Eine besondere Rolle spielt in unseren KTH, das wissen wir, die Mittagessenversorgung. Auch das, das sagt der Bericht, der uns nun vorliegt, ist von zentraler Bedeutung.

Wir bedanken uns ausdrücklich für diese differenzierte Berichterstattung. Deutlich wird hier, dass Gesundheitsförderung und -vorsorge eine Querschnittsaufgabe sind. Prävention muss zum Fundament der Gesundheitspolitik werden, Verantwortung für Prävention geht alle an. Gerade sozial benachteiligte Menschen tragen die größten Gesundheitsrisiken. Deshalb ist es besonders wichtig, die dezentralen Strukturen vor Ort zu fördern. Prävention muss im Kindergarten und in der Grundschule selbstverständlich werden.

In Bremen gibt es Gott sei Dank eine Vielzahl von Akteuren im Gesundheitswesen, die sich mit der Förderung und Wiederherstellung der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen befassen, ich nenne zum Beispiel das Gesundheitsamt, Gemeinschaftsprojekte der Krankenkassen. Wir haben ein umfassendes Angebot in unseren Kliniken für die ganz speziellen Versorgungen chronisch kranker Kinder, aber ich möchte auch unsere besondere Wertschätzung für unsere niedergelassenen Kinderärzte zum Ausdruck bringen. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte erstellt zusammen mit der Ärztekammer Konzepte für frühzeitige Erkennung von Risikofaktoren im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen. An Diabetes im Kindesalter als fast alleiniger Folge von Übergewicht sind auch in Bremen und Bremerhaven bereits zahlreiche Kinder erkrankt. Gerade in dieser Woche wurde die Zahl von etwa 60 Kindern veröffentlicht. Das ist besorgniserregend!

Was können wir aber trotz ausreichender Beratungs- und Unterstützungsangebote tun? Richtig ist,

die Hilfsangebote müssen an den Lebensraum der Kinder anknüpfen. Deshalb sind wir auch dankbar für solche Projekte wie „gesundes Frühstück im Kindergarten“, bei dem unsere Beschäftigten in den KTH ein sehr großes Engagement an den Tag legen. Der Kindergarten hat hier eine zentrale familienergänzende Bedeutung.

Unser Ziel muss es sein, alle Angebote so zusammenzuführen, dass wir eine Verlaufsbeobachtung bekommen. Deshalb haben die CDU und die SPD auch heute diesen Dringlichkeitsantrag eingebracht, in dem wir verpflichtende Vorsorgeuntersuchungen befürworten, die sogenannten U 1- bis U 9-Untersuchungen. Die dort erhobenen Daten müssen zusammengeführt werden. Wir brauchen ein Frühwarnsystem mit Daten von Bremer Kindern, die im Risiko stehen, chronische Krankheiten zu haben, übergewichtig zu sein, aber auch im Risiko stehen, vernachlässigt zu werden. Man kann so gezielter intervenieren, beraten und Empfehlungen aussprechen. Wir brauchen gezielte Reaktionsketten, wenn Sie wollen, einen roten Faden von Verlaufsbeobachtungen und ein Frühwarnsystem, ein System, dem man nicht ausweichen kann, meine Damen und Herren!

Wir müssen leidvoll zur Kenntnis nehmen, dass Eltern nicht immer liebevoll das Beste für ihr Kind ermöglichen. Es gibt auch Fälle, in denen der Staat die Wächterfunktion über das kindliche Wohlergehen garantieren und eingreifen muss. Eltern müssen Verantwortung für ihre Kinder übernehmen, das ist richtig. Sie müssen ganz aktiv beteiligt werden. Sie haben nicht nur Rechte für ihre Kinder wahrzunehmen, sondern gerade auch Pflichten.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Wir begrüßen, dass der Bremer Senat der Bundesratsinitiative des Saarlandes und des Bundeslandes Hessen zur verbindlichen Durchführung von Früherkennungsuntersuchungen im Sinne des Kindeswohls beigetreten ist. Unsere Kinder wären 6 Jahre gut betreut; 6 Jahre, in denen der Mensch nie wieder so schnell wächst und sich entwickeln kann, 6 Jahre, in denen insgesamt 9 Untersuchungen stattfinden, die von den Krankenkassen übernommen werden. Bei jedem Termin überprüft der Arzt oder die Ärztin, ob sich das Kind altersgerecht entwickelt. Es wird von Kopf bis Fuß durchgecheckt, vielfach wird auch von Kinder-TÜV gesprochen. Wir sind der Auffassung, dass man, wenn man sein Kfz alle 2 Jahre zur Inspektion bringen muss, auch den Eltern die Pflichterfüllung abverlangen kann, die Kinder dem Arzt vorzustellen.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Die erste Untersuchung erfolgt bereits bei der Geburt. Sie wird protokolliert, in einem gelben Kinderuntersuchungsheft eingetragen. Wenn Eltern ihre

Kinder nicht untersuchen lassen, könnten die Krankenkassen dies den Ämtern melden, die sich dann vom Wohl des Kindes überzeugen müssen. Wir sehen hier auch kein Datenschutzproblem, werden doch keine Daten über Krankheiten der Kinder übermittelt, sondern lediglich verstrichene Untersuchungstermine. Wir weisen auch auf den dringend erforderlichen Datenaustausch unter den Bundesländern hin. Das Recht auf Schutz der Daten und das Recht der Eltern auf Bestimmung ist für uns nicht vorrangig vor dem Gesundheitsschutz der Kinder.

(Beifall bei der CDU)

Wenn es ganz selbstverständlich eine Schulpflicht gibt, muss es auch eine Gesundheitsvorsorgepflicht für Kinder geben dürfen. Niemand kennt das wahre Ausmaß von vernachlässigten Kindern. Von 80 000 von Vernachlässigung bedrohten Kindern bis zum Alter von 10 Jahren spricht der Sozialwissenschaftler Professor Hugelmann. Relativierend will ich sagen: Nicht jeder, der sein Kind nicht zur Vorsorgeuntersuchung bringt, vernachlässigt sein Kind, aber die Eltern, die auch ihre Kinder vernachlässigen, werden ihr Kind nicht zur Vorsorgeuntersuchung geben.

Wir sagen auch, eine solche Verpflichtung muss durch eine intensive Aufklärungsarbeit begleitet werden, die die Notwendigkeit der Verpflichtung begründet und besonders darauf hinweist, dass alle Untersuchungen und Impfungen für Kinder kostenlos, zuzahlungs- und praxisgebührenfrei sind. Der behandelnde Kinderarzt muss die Möglichkeit erhalten, Anzeichen einer Vernachlässigung zu dokumentieren und in gesetzlich definierten Fällen dann auch an das zuständige Jugendamt weiterzuleiten.

Meine Damen und Herren, wir wollen mit unserem Antrag von der CDU und der SPD auch den Senat bitten, nicht nur die Bundesratsinitiative zu ergreifen, sondern auch zu prüfen, welche landesrechtlichen Voraussetzungen wir schaffen müssen, und ferner ein Konzept zu erstellen, welches eine Vernetzung und Kooperation verpflichtender Früherkennungsuntersuchungen mit Kindertagesstätten, Schulen, der Kinder- und Jugendhilfe, der Polizei, staatlichen und nichtstaatlichen Stellen vorsieht. Wir müssen alles daran setzen, dass das Kindeswohl gesichert wird.

Hierzu ist die Prävention durch Früherkennungsuntersuchungen ein wesentlicher Beitrag. Bremens Bürgerinnen und Bürger können zu Recht erwarten, dass der Staat seiner Schutzfunktion für benachteiligte und vernachlässigte Kinder in besonderer Weise gerecht wird. Diesem Anspruch können wir gerade durch verpflichtende Früherkennungsuntersuchungen gerecht werden. Die Sicherung des Kindeswohls hat für uns höchste Priorität. Wir bitten um Zustimmung!

(Beifall bei der CDU)

Als Nächster erhält das Wort der Abgeordnete Brumma.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auf kaum ein Thema reagiert die Öffentlichkeit zu Recht so sensibel wie auf den Schutz der Kinder vor Missbrauch, Ausbeutung, Vernachlässigung oder Gewalt. Immer wieder stehen wir als Parlament vor der Aufgabe, die Wirksamkeit von entsprechenden Gesetzen zu überprüfen. Eine große Anzahl von Ämtern und Verbänden wie der Kinderschutzbund, Ärzte, Pädagogen, Familienrichter und noch mehr kümmern sich bei Missbrauch, Vernachlässigung oder Gewalt um die Kinder. Dennoch, meinen wir, besteht Handlungsbedarf mehr denn je. Die Fallzahlen steigen, aber vor allem steigt auch die Intensität der Fälle. Die Schicksale haben wir ja alle noch im Ohr.

Allerdings möchten wir hier anmerken, nicht alle Kinder, die unter ungünstigen psychosozialen Bedingungen und vielfältigen Belastungen aufwachsen, entwickeln eine gesundheitliche oder psychische Störung.

(Beifall bei der SPD)

Dennoch zeigt sich immer mehr, dass insbesondere Kleinkinder in benachteiligten Familien und in Problemfamilien ein höheres Risiko haben zu erkranken. Auf solche Risiken und Entwicklungen gilt es aus unserer Sicht, mit einem Bündel unterschiedlicher Maßnahmen und Kontrollen zu reagieren. Diese müssen auf die körperlich-seelische Befindlichkeit von Kindern und Jugendlichen und auch auf deren soziales Umfeld gerichtet sein. Sie müssen aber auch an die Eltern und andere Familienangehörige gehen.

Was brauchen wir? Wir brauchen zum einen eine Hilfestellung für Maßnahmen gegen Überforderung von Eltern, soziale und gesundheitliche Frühwarnsysteme, Kooperationen und Vernetzungen auf Stadtteilebene, also hier zwischen Kindertagesstätten, Schulen, Häusern der Familie, Familienhebammen, Träger der Jugendhilfe, aber auch die Kinderärzte und Kinderkliniken sollten dabei eingebunden sein. Hier erwarten wir, dass es auch verpflichtende Qualifizierungen für Kinderärzte gibt, die damit für das Thema permanent sensibilisiert werden.

(Beifall bei der SPD)

Was wir aber ganz besonders brauchen, ist eine Kampagne, die auch die Bevölkerung sensibilisiert, wobei die Mitverantwortung dabei im Mittelpunkt stehen sollte. Schließlich sollte daran gedacht werden, die Familiengerichte in diesen Prozess einzubinden. Deshalb sagen wir als SPD, wir unterstützen den Vorstoß aus dem Bundesjustizministerium, die

se Entscheidungskompetenz der Familiengerichte zu stärken

(Beifall bei der SPD)

und auch sie in die Prävention einzubinden, denn dann könnten sie Auflagen gegenüber Eltern, die ihre Pflichten nicht wahrnehmen, durchsetzen.

Doch nun zum Schwerpunkt unserer Forderung in dem vorliegenden Antrag! Wir begrüßen es ausdrücklich, dass der Senat eine Initiative gestartet hat, sich auf Bundesebene für die Schaffung einer Rechtsgrundlage für verbindliche Früherkennungsuntersuchungen einzusetzen.

(Beifall bei der SPD)

Bisher gibt es in Bremen nur eine Untersuchung, die verpflichtend ist, das ist die Einschulungsuntersuchung. Alle anderen Untersuchungen sind freiwillig. Das sind die Untersuchungen im Kindergarten, aber auch die Untersuchungen U 1 bis U 9, wobei die U 1 und die U 2 im Krankenhaus vorgenommen werden. Hier beträgt die Teilnahme noch 97 Prozent, und sie rutscht dann bis zur U 9 bis auf 82 Prozent Teilnahmequote.

Finanziert werden diese Untersuchungen über die Krankenkassen, die Form der Untersuchungen wird vom gemeinsamen Bundesausschuss in Berlin festgelegt. Ich weiß, es gibt darüber Diskussionen, diese noch mehr zu optimieren. Kindergartenuntersuchungen sind in Bremen auch freiwillig, und sie erreichen bis zu 50 Prozent Kinder aus sozialen Brennpunktgebieten.

Laut des vorliegenden Antrags wollen wir hier eine Basis schaffen, dass mehr verpflichtende Untersuchungen stattfinden. Ich glaube, das ist ein guter Ansatz, und den sollten wir auch verfolgen. Allerdings sagen wir, allein diese Untersuchungen sind nicht ausreichend, denn es bedarf eines größeren Netzwerks, um die Menschen zu erreichen. Ich kann hier nur ein gutes Versorgungsbeispiel nennen, das aus Schweden kommt. Da können wir unsere Sympathie als Fraktion nicht verbergen, denn dort erhält jede Mutter bei der Geburt Besuch von einer Kinderkrankenschwester in einem sozial belasteten Stadtteil, aber jede Mutter! Da wird ihr erklärt, welche Hilfsmaßnahmen es gibt, welche Möglichkeiten der Familienhebammenbetreuung es gibt, Mutter-Kind-Kurse, Stillberatung und so weiter.

Ich denke, das ist ein guter Ansatz, wenn man hier in Bremen den Besuch bei der Geburt startet, ein halbes Jahr später noch einmal durchführt, und am Ende des Jahres noch einmal. Hier kann auch auf die Untersuchungen hingewiesen werden. Es kann bei den Dienstleistungen sogar so weit gehen, dass man den Müttern Vorlesebücher überreicht und so schon einmal das Vorlesen übt. Hier gibt es gute Möglich

keiten, Dienstleistungen anzubieten und dadurch das System zu optimieren.

(Beifall bei der SPD)

Auch das Gesundheitsamt könnte als weitere Dienstleistung noch einmal auf die Untersuchungen hinweisen, denn das Gesundheitsamt bekommt bei der Geburt alle Daten. Hier in dem Bereich sollte nicht gespart werden, denn was wir hier in die Kinder investieren, bekommen wir allemal mittelfristig bei den Erwachsenen wieder zurück.

(Beifall bei der SPD)

Ich wollte noch auf den Sachstandsbericht eingehen, den wir im vergangenen Jahr durch die Schulbehörde und die Gesundheitsbehörde gefordert haben! Für uns Sozialdemokraten besteht zwischen Gesundheits- und Bildungspolitik ein unmittelbarer Zusammenhang. Aus unserer Sicht heißt es, wer umfangreiche Bildung genossen hat, wird sich gesundem Verhalten eher nähern können als jemand ohne diese Voraussetzungen. Bei einer guten Schulausbildung wird das Fundament in der Kindertagesstätte und in der Grundschule gelegt.

Genauso verhält es sich mit der Gesundheitsvorsorge. Lebensstile werden im Kinder- und Jugendalter geprägt und lassen sich im Erwachsenenalter kaum noch korrigieren. Mein Vorredner hat schon darauf hingewiesen, dass es hier momentan auch Probleme gibt. Daran müssen wir arbeiten.

Eine gesunde Ernährungsweise lässt sich laut neuesten Forschungserkenntnissen schon während der Schwangerschaft und in den ersten Lebensmonaten trainieren. Deshalb sagen wir, dass es wichtig ist, dass es auch regionale stadtteilorientierte Angebote für schwangere Frauen und deren Familien gibt. Wir haben in Bremen 15 Häuser der Familie, die sind gut eingebunden, und das kann, wie gesagt, noch optimiert werden. Diese sollten mit den regionalen Einrichtungen der Stadtteile vernetzt werden, wo die Kitas und die Grundschulen im Mittelpunkt stehen. Hier werden auch die meisten Kinder erreicht.

Also, Gesundheitserziehung soll in den Unterrichtsund Betreuungsprozess integriert werden. In dem Bericht sind einige Projekte aufgeführt. Sie sind von vielfältiger Natur, und wir unterstützen sie. Aus unserer Sicht sollten sie nur noch stärker vernetzt und noch mehr kommuniziert werden.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt Bewegungskindergärten, es gibt Projekte vom Landwirtschaftsministerium, dann gibt es das Projekt „Gesunde Schulen“ der Robert-Bosch-Stiftung, aber wir meinen, es sollte noch mehr vernetzt

werden. Mittlerweile ist die Universität in das Thema „Gesunde Ernährung und Bewegung in Schulen und Kindertagesstätten“ eingebunden, was wir ausdrücklich begrüßen, wenn diese Institutionen das begleiten.

Was in dem Bericht noch angemerkt wird, was vorbildlich ist in unserem Lande, ist die Durchführung von Impfungen, welches bundesweit zu einem Spitzenwert bei der Durchimpfungsrate geführt hat. Wir haben ja jetzt von dem Problem in Nordrhein-Westfalen gehört, wo es große Probleme bei einigen Masernerkrankungen gab. Ich glaube, hier sind wir gut vorbereitet. Mein Vorredner hat auch schon die Mundgesundheit angesprochen. Die Zahngesundheit ist also bei uns sehr positiv.

Wie gesagt, der Bericht macht deutlich, es wird einiges getan, aber wir brauchen eine bessere Vernetzung, und wir hoffen, dass wir weiter auf dem Laufenden gehalten werden. Zu dem Antrag sagen wir, dass er angenommen werden sollte, denn er dokumentiert, dass wir in unserem Bundesland handeln wollen. Wir sind für verpflichtende Vorsorgeuntersuchungen. Wir bitten darum, diesen Antrag zu unterstützen.

(Beifall bei der SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Crueger.